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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.02.2009
Aktenzeichen: 11 LB 431/08
Rechtsgebiete: Nds SOG, StPO


Vorschriften:

Nds SOG § 39 Abs. 3
StPO § 81 b 2. Alt.
Die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung zum Zweck der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten richtet sich nach § 81b 2. Alt. StPO. Landesrechtliche Bestimmungen beschränken sich entsprechend der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen (vgl. BVerfG, U. v. 27.7.2005, 1 BvR 668/04, NJW 2005, 2603) auf Regelungen bezüglich der präventiven Verhütung von Straftaten und sind insoweit nicht einschlägig.

Die Anordnungen müssen hinreichend bestimmt sein. Dies ist nur der Fall, wenn der Betroffene der Anordnung entnehmen kann, welche Maßnahmen die Behörde im Einzelnen durchführen will. Die Konkretisierung der Maßnahme darf die Behörde nicht der nachfolgenden Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung überlassen.


Tatbestand:

Der Kläger wehrt sich gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung.

Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 23.6.2006 wurde der Kläger wegen Unterschlagung von zwei bei einer Videothek ausgeliehenen DVDs mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen bestraft.

Während des vorhergehenden Ermittlungsverfahrens ordnete die Beklagte mit Bescheid vom 6.6.2006 unter Bezugnahme auf diesen Tatvorwurf an, dass sich der Kläger einer erkennungsdienstlichen Maßnahme gemäß § 81b 2. Alt. StPO zu unterziehen habe. Nach dem Bescheid umfasst diese Maßnahme

die Abnahme von Fingerabdrücken sowie

die Abnahme von Handflächen- und Handkantenabdrücken,

die Aufnahme von Lichtbildern bzw. Portraitaufnahmen,

die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale (u.a. fotografieren und vermessen von Tätowierungen und anderen Körpermerkmalen wie Narben)

Messungen,

die Durchführung ähnlicher Maßnahmen (z.B. Schriftproben, Stimmaufzeichnungen, Film-/Videoaufzeichnungen der Person, Videoaufnahmen der Gegenüberstellung).

Die Notwendigkeit der Maßnahme begründet die Beklagte damit, dass gegen den Kläger in der Vergangenheit des Öfteren polizeiliche Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Strafgesetzbuch anhängig gewesen seien.

Gegen den Kläger wurden in den Jahren 2001 bis 2006 von der Staatsanwaltschaft D. zuvor folgende Ermittlungsverfahren geführt:

1. Az.: 127 Js 58002/01 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte

Einstellung gemäß § 153 StPO

2. Az.: 7321 Js 88876/03 wegen gefährlicher Körperverletzung

Einstellung gemäß § 153a StPO

3. Az.: 7321/04 wegen Unterschlagung

Verurteilung zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen

4. Az.: 6152 Js 78851/05 wegen Besitz von Betäubungsmitteln

Einstellung des Verfahrens

5. Az.: 7081 Js 81075/05 wegen Betrugs

Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO

6. Az.: 7491 Js 10931/06 wegen Freiheitsberaubung und Nötigung

Einstellung gemäß § 153 Abs. 1 StPO

Insoweit wird ergänzend auf die Ausführungen der Beklagten mit Schriftsatz vom 2.8.2006 Bezug genommen. Danach lag der Verurteilung zu Ziffer 3 zugrunde, dass der Kläger einen bei einer Videothek ausgeliehenen VHS-Videofilm unterschlagen hatte.

Zur Begründung seiner Klage trug der Kläger im Wesentlichen vor, der Bescheid sei nicht ausreichend begründet und eine vorherige Anhörung nicht erfolgt. Die Anordnung sei auch nicht bestimmt genug, soweit die Durchführung von "Messungen" und "ähnlichen Maßnahmen" angeordnet werde. Bei Erlass des Bescheids sei nur ein Ermittlungsverfahren anhängig gewesen, das nicht geeignet sei die Anordnung zu rechtfertigen. Alle Videotheken verliehen Filme erst, wenn man sich ausgewiesen habe, so dass eine Identifizierung nicht notwendig werden könne. Alle anderen Verfahren seien eingestellt gewesen und lägen bis zu 5 Jahre zurück. Insbesondere rechtfertigten die Bagatellvorwürfe eine erkennungsdienstliche Behandlung nicht.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 6.6.2006 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, der Bescheid sei ausreichend begründet gewesen, jedenfalls sei ein Begründungsmangel im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geheilt worden. Auch die fehlende Anhörung sei unbeachtlich. Die Anordnung sei auch bestimmt genug, denn dem Kläger sei mitgeteilt worden, welche Maßnahmen durchgeführt werden sollten. Er habe mit Messungen an seinem Körper rechnen und sich darauf einstellen können, dass gegebenenfalls vor Ort die Erforderlichkeit weiterer Maßnahmen festgestellt würde. Aufgrund der Ermittlungsverfahren sei die Prognose gerechtfertigt, dass der Kläger auch zukünftig strafrechtlich in Erscheinung treten werde. Durch die Unterschlagung der DVDs habe er zum wiederholten Male unter Beweis gestellt, dass er nicht willens sei, sich an Recht und Gesetz zu halten. Es sei keinesfalls auszuschließen, dass der Kläger zukünftig in anderer Weise straffällig werde und seine Identität nicht bekannt sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16.4.2008 durch die Einzelrichterin abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, die fehlende Anhörung sei nachgeholt und dieser Verfahrensmangel geheilt. Die Begründung des Bescheids sei ausreichend, denn sie enthalte die tragenden Erwägungen. Die Anordnung sei auch hinreichend bestimmt. Insbesondere sei auch die Ankündigung der Durchführung ähnlicher Maßnahmen bestimmt genug, da die in Frage kommenden Maßnahmen in einem Klammerzusatz genannt seien. Die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung beruhe auf § 81b 2. Alt. StPO. Zwar könne die Anlasstat der Unterschlagung allein eine erkennungsdienstliche Behandlung nicht rechtfertigen. Über die Anlasstat hinaus seien jedoch entgegen der Auffassung des Klägers und des VG Braunschweig (U. v. 27.9.2006 - 5 A 53/06 -) auch in der Vergangenheit liegende weitere Ermittlungsverfahren in ihrer Summe in die Prognose einzustellen. Denn gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei zur Beurteilung der Notwendigkeit der Maßnahme eine Gesamtschau der strafrechtlichen Vorwürfe unter Einbeziehung früherer Ermittlungsverfahren geboten. Danach stelle sich die erkennungsdienstliche Behandlung als geeignet, erforderlich und angemessen im Hinblick auf die Schwere der Summe der Einzeltaten dar.

Der Senat hat mit Beschluss vom 21.11.2008 - 11 LA 245/08 - gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Berufung zugelassen.

Zur Berufungsbegründung führt der Kläger aus, eine Maßnahme nach § 81b 2. Alt. StPO sei nur dann rechtmäßig, wenn die Gefahr einer Wiederholung einer mit der Anlasstat vergleichbaren Straftat bestehe. Es komme hingegen nicht darauf an, ob der Betreffende zukünftig Straftaten welcher Art auch immer begehen werde. Im Übrigen handele es sich bei den weiteren strafrechtlichen Vorkommnissen um Bagatelldelikte, die eine Anordnung nicht rechtfertigten. Eine weitere Verurteilung sei neben dem Unterschlagungsdelikt nicht erfolgt. Ermittlungsverfahren seien wegen Geringfügigkeit und geringer Schuld eingestellt worden, ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung habe nicht bestanden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 16.4.2008 zu ändern und nach dem in erster Instanz gestellten Antrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung abzuweisen.

Die Beklagte verteidigt unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil und hält an ihrer Anordnung fest.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat teilweise Erfolg. Das Urteil war zu ändern und der Bescheid aufzuheben, soweit "die Durchführung ähnlicher Maßnahmen (z.B. Schriftproben, Stimmaufzeichnungen, Film-/Videoaufnahmen der Person, Videoaufnahmen der Gegenüberstellung)" angeordnet worden war. Im Übrigen bleibt es bei der Klagabweisung.

Einschlägige Ermächtigungsgrundlage für den angegriffenen Bescheid ist § 81b 2. Alt. StPO. Gemäß dieser Bestimmung dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Diese bundesgesetzliche Regelung betrifft die Datenerhebung für die Zwecke des Erkennungsdienstes mit dem Ziel der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten. Denn derartige erkennungsdienstliche Unterlagen werden nicht für Zwecke eines gegen den Betroffenen gerichteten oder irgendeines anderen konkreten Strafverfahrens erhoben. Ihre Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung in kriminalpolizeilichen Sammlungen dient nach ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung - ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren - der vorsorgenden Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben, die der Kriminalpolizei hinsichtlich der Erforschung und Aufklärung von Straftaten zugewiesen sind (BVerwG, Urt. v. 23.11.2005 - 6 C 2.05 -, NJW 2006, 1225 m. w. Nachw.). Es handelt sich nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei § 81 b 2. Alt. StPO nicht um eine Regelung im Bereich der Strafverfolgung, sondern um die Ermächtigung zu Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge im Sinne präventiv-polizeilicher Tätigkeit. Die landesrechtlichen Regelungen des Nds. Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - Nds. SOG - treffen keine den Anwendungsbereich des § 81b 2. Alt. StPO betreffenden Regelungen. Für eine diesbezügliche Regelung fehlt es bereits an einer Gesetzgebungskompetenz des Landes.

Mit dem Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 25.11.2007 (Nds. GVBl S. 654) hat der Landesgesetzgeber mit Wirkung zum 1.1.2008 die tatbestandliche Anknüpfung der Regelungen zur Datenerhebung und -verarbeitung an die polizeiliche Aufgabe der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten aufgegeben. Damit entspricht das Nds. SOG mit den geltenden Regelungen über die Datenerhebung zur Verhütung von Straftaten (§§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 31 Abs. 2 S. 1 Nds. SOG) und dem Grundsatz der Zweckbindung der Datenverarbeitung (§§ 38 Abs. 1 S. 1 und 3, 39 Abs. 1 S. 1 Nds. SOG) der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern. Mit Urteil vom 27.7.2005 (1 BvR 668/04 - NJW 2005, 2603) hat das Bundesverfassungsgericht für den Bereich der Telekommunikationsüberwachung zwischen der Bundeskompetenz zur Regelung der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten und der Gesetzgebungskompetenz der Länder zur Regelung der Verhütung von Straftaten als landesrechtliche Aufgabe der Gefahrenabwehr unterschieden. Dem hat der Gesetzgeber des Landes Niedersachsen mit der dargelegten Anpassung des Nds. SOG Rechnung getragen (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drucks. 15/3810). Demzufolge beinhaltet das Nds. SOG keine Regelungen bezüglich der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten (mehr). Dies gilt auch für § 39 Abs. 3 Nds. SOG, der die Datenverarbeitung zu Zwecken der Gefahrenabwehr (Satz 1) und zur Verhütung von Straftaten (Satz 2), aber nicht mehr zu dem Zweck "für die Verfolgung von vergleichbaren künftigen Straftaten dieser Person vorzusorgen" zulässt (vgl. dazu Nds. OVG, U. v. 28.6.2007 - 11 LC 372/06; VG Braunschweig, U. v. 27.9.2006 - 5 A 53/06 -, StV 2008, 631 = juris; VG Lüneburg, B. v. 15.10.2007 - 3 B 31/07 -, sämtlich unter www.dbovg.niedersachsen.de).

Regelungen des Nds. SOG werden für die Datenerhebung nach § 81b 2. Alt. StPO auch nicht durch bundesgesetzliche Regelungen der Strafprozessordnung für anwendbar erklärt. Die §§ 481 Abs. 1, 484 Abs. 1 und 2 StPO betreffen nicht die Datenerhebung, sondern die Verwendung aus Strafverfahren gewonnener Daten durch Strafverfolgungs- und Polizeibehörden auch für deren nach Maßgabe der Polizeigesetze (§ 481 Abs. 1 S 1 StPO) wahrzunehmenden Aufgaben. Gleiches gilt für Bestimmungen, die derartige Daten enthaltene Dateien der Polizeibehörden den Regelungen der Polizeigesetze der Länder unterstellen (§§ 481 Abs. 2, 483 Abs. 3, 484 Abs. 4 StPO); auch diese betreffen ersichtlich nicht die Datenerhebung (vgl. BayVGH, B. v. 2.9.2008 - 10 C 08.2087, juris; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 50. Auflage, § 481 Rn. 1, § 484 Rn. 1; Pfeiffer, StPO, 5. Auflage, § 481 Rn. 1, § 484 Rn. 1).

§ 81b 2. Alt. StPO dient mithin der vorsorgenden Bereitstellung von Hilfsmitteln für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten. Die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen bemisst sich dementsprechend danach, ob der Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, währenddessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend - fördern könnten (BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 - 1 C 29/79 -, BVerwGE 66, 192 ff. = NJW 1983, 772 ff.; Urt. v. 23.11.2005, a.a.O.). Notwendig für Zwecke des Erkennungsdienstes ist die Erhebung von solchen erkennungsdienstlichen Unterlagen, die für zukünftige Ermittlungen geeignet sind und diese fördern könnten. Wegen der Begrenzung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen auf das notwendige Maß darf im konkreten Einzelfall die Schwere des mit der konkreten erkennungsdienstlichen Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht des mit der Maßnahme verfolgten öffentlichen Interesses namentlich an der Aufklärung künftiger Straftaten stehen (vgl. Urt. des Senats v. 28.6.2007 - 11 LC 372/06 -, juris, und v. 28.9.2006 - 11 LB 53/06 -, Nds. VBl. 2007, 42).

Aufgrund der präventiv-polizeilichen Ausrichtung als Strafverfolgungsvorsorge entfällt die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen i.S.d. § 81b 2. Alt. StPO jedoch nicht bereits dadurch, dass gegen den Betroffenen geführte Strafverfahren eingestellt wurden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (Nds. OVG, B. v. 12.8.2008 - 11 LA 257/08 - m. w. Nachw.) kann bei der Prognose, ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, ein Tatvorwurf - auch hinsichtlich der Anlasstat - selbst dann berücksichtigt werden, wenn das Strafverfahren nach §§ 153 ff. StPO oder § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist (vgl. BVerwG, Urt v. 23.11.2005, a.a.O.). Die Einstellung des Verfahrens bringt nämlich nicht zum Ausdruck, dass der Tatverdacht gegen den Betroffenen ausgeräumt wäre. Vielmehr wird darauf abgestellt, ob die Schuld des Täters als gering anzusehen ist (§ 153 Abs. 1 S. 1 StPO), ob von der Anklage unter Auflagen und Weisungen abgesehen werden kann, weil die Schwere der Schuld nicht entgegen steht (§ 153a Abs. 1 S. 1 StPO) bzw. ob die Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten (§ 170 Abs. 1 StPO), weil der Tatvorwurf wahrscheinlich bewiesen werden kann und die Überführung des Beschuldigten zu erwarten ist (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Auflage 2008, § 170 Rn. 3). Derartige Einschätzungen der Strafverfolgungsbehörde stehen einer Bewertung des zugrunde liegenden "Anfangsverdachts" sowie des Ermittlungsergebnisses nach den Maßstäben kriminalistischer Erfahrung nicht entgegen. Vielmehr ist unter Würdigung der gesamten Umstände des Falles die Frage zu beantworten, ob mit der Einstellung eines Strafverfahrens der Tatverdacht gegen den Beteiligten vollständig entfallen ist oder ob ein "Restverdacht" gegeben ist, weshalb begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beteiligte auch zukünftig Anlass zu polizeilichen Ermittlungen geben könne.

Die angeordneten Maßnahmen sind nach der maßgeblichen Sachlage der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht als Tatsacheninstanz (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 - 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192 = NJW 1983, 772; Nds. OVG, U. v. 28.9.2006 - 11 LB 53/06 -, Nds. VBl. 2007, 42) auch für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig. Mit zutreffenden Erwägungen hat das Verwaltungsgericht die materiellen Voraussetzungen einer Anordnung nach § 81b 2. Alt. StPO bejaht. Diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts (S. 9 und 10 des Urteils) macht sich der Senat zu eigen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht die kriminalpolizeiliche Einschätzung der Beklagten geteilt, dass in Würdigung der Gesamtumstände begründete Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass der Kläger auch künftig Anlass zu polizeilichen Ermittlungen geben könnte. Dabei hat es richtigerweise die Strafverfahren aus den Jahren 2001 bis 2006 in die Prognose einbezogen. Diese nicht notwendig gleichgewichtigen Vorgänge tragen in ihrer Gesamtheit die Annahme einer der kriminalpolizeilichen Einschätzung entsprechenden inneren Einstellung bzw. charakterlichen Veranlagung des Klägers, sich gelegentlich zum Nachteil anderer über strafbewehrte Rechtsvorschriften hinwegzusetzen, ohne dass sich insoweit deliktstypische Verhaltensweisen festzustellen ließen. In ihrer Gesamtheit lassen sich die dem Kläger zur Last gelegten Vorfälle deshalb auch nicht als Bagatelldelikte abtun. Dies gilt für die Anlasstat auch schon deswegen, weil der Kläger bereits wegen einer vergleichbaren Tat vorbestraft war.

Es bestehen keine Zweifel an der Eignung der dem Kläger abverlangten erkennungsdienstlichen Unterlagen, künftige - den Betroffenen schließlich überführende oder entlastende - Ermittlungen zu fördern. Die zu erhebenden Daten entsprechen dem aus kriminalpolizeilicher Erfahrung erwachsenen erkennungsdienstlichen Standard. Eine besondere deliktstypische oder schutzgutspezifische Gefährdungslage, die die Erhebung einzelner Merkmale überflüssig erscheinen ließe, ist nach Lage der Dinge nicht festzustellen.

Soweit der Vorladungsbescheid vom 6.6.2006 aber neben den im Einzelnen benannten erkennungsdienstlichen Maßnahmen auch "die Durchführung ähnlicher Maßnahmen (z.B. Schriftproben, Stimmaufzeichnungen, Film-/Videoaufnahmen der Person, Videoaufnahmen der Gegenüberstellung)" im Sinn einer nicht abschließenden Regelung anordnet, genügt diese nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz und beruht nicht auf einer hinreichend einzelfallbezogenen Abwägung. Den mit der Anordnung und Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung verbundenen Grundrechtseingriff muss der Betroffene nur hinnehmen, soweit dieser rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Hierzu gehört es, dass die Anordnung inhaltlich hinreichend bestimmt ist (§ 1 Abs. 1 NdsVwVfG i.V.m. § 37 Abs. 1 BVwVfG). Dies ist regelmäßig nicht der Fall, wenn der Betroffene der Anordnung nicht entnehmen kann, welche Maßnahmen die Behörde im Einzelnen durchzuführen beabsichtigt (vgl. Nds. OVG, B. v. 5.2.2004 - 11 ME 271/03 -, www.dbovg.niedersachsen.de). Erst diese Kenntnis versetzt den Betroffenen angesichts der unterschiedlichen Intensität denkbarer erkennungsdienstlicher Maßnahmen auch in die Lage zu entscheiden, inwieweit er sich der Anordnung fügen oder Rechtsschutz in Anspruch nehmen will. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Beklagten eine präzise Benennung der Maßnahmen nicht möglich gewesen wäre. Vielmehr war sie auch aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bereits bei Erlass der Anordnung gehalten, sich in einer Abwägung des öffentlichen Interesses mit den privaten Belangen des Klägers darüber klar zu werden, in welchem Umfang eine Datenerhebung angeordnet werden und mit welchen Methoden diese erfolgen soll. Dies durfte die Beklagte nicht der nachfolgenden Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung überlassen. Dass die Beklagte diese einzellfallbezogene Abwägung nicht vorgenommen hat, zeigt sich auch darin, dass sie im beispielhaften Klammerzusatz selbst "Videoaufnahmen der Gegenüberstellung" aufführt, obwohl eine Gegenüberstellung im Fall des Klägers in den gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren überhaupt nicht in Betracht gezogen wurde. Deshalb ist die beispielhafte Aufzählung einzelner Maßnahmen nicht geeignet, die sprachlich offene Regelung hinreichend zu konkretisieren. Auch kommt eine Auslegung der Regelung nicht in dem Sinn in Betracht, dass jedenfalls die im Klammerzusatz aufgeführten Maßnahmen angeordnet werden sollten. Vielmehr hat die Beklagte insoweit gar keine abschließende Entscheidung getroffen, sich die Bestimmung der Maßnahmen vielmehr für die nachfolgende erkennungsdienstliche Behandlung vorbehalten. Dies entspricht nicht den rechtlichen Anforderungen.

Im Übrigen hat die Beklagte die Maßnahmen im Einzelnen benannt und - mit der Begrenzung auf erkennungsdienstliche Standardmaßnahmen - auf das notwendige Maß beschränkt, so dass die Schwere des mit diesen Maßnahmen verbundenen Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht des mit der Maßnahme verfolgten öffentlichen Interesses namentlich an der Aufklärung künftiger Straftaten steht. (vgl. Nds. OVG, U. v. 28.6.2007 - 11 LC 372/06 -, juris; U. v. 28.9.2006 - 11 LB 53/06 -, Nds. VBl. 2007, 42). Auch ist die Anordnung von "Messungen" hinreichend bestimmt. Insoweit handelt es sich um allgemein anerkannte Standardmaßnahmen des polizeilichen Erkennungsdienstes. Mit diesem Tatbestandsmerkmal des § 81b StPO sind in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch Feststellungen zur äußeren Körperbeschaffenheit wie Größe, Umfang, Ausdehnung und Gewicht unter Einsatz geeigneter Maße ohne Eingriff in die Körpersubstanz im Sinn der Anthropometrie erfasst. Dabei geht es um die Vermessung des Körpers oder einzelner seiner Teile mit dem Ziel, einen Menschen anhand seiner anatomischen Maße zu identifizieren. Grundlage dieser Identifizierung durch Messungen ist eine gewisse Unveränderlichkeit, welche das menschliche Knochengerüst etwa ab dem 20. Lebensjahr aufweist, und die Tatsache, dass die Maße bei Menschen differieren (vgl. Alpmann/Brockhaus, Fachlexikon Recht, 2004, Stichwort: erkennungsdienstliche Maßnahmen, Anthropometrie).

Soweit die Beklagte auf der Grundlage ihrer Anordnung die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale des Klägers beabsichtigt, wird zur Klarstellung darauf hingewiesen, dass als Maßnahmen nach § 81b StPO alle Identifizierungsmaßnahmen in Betracht kommen, die - ohne dass es einer körperlichen Untersuchung im Sinne des § 81a Abs. 1 StPO bedarf - der Feststellung der körperlichen Beschaffenheit dienen. Es dürfen das Aussehen, Körperteile und -merkmale sowie sonstige für die Individualität einer Person signifikante dauerhafte Persönlichkeitsgegebenheiten fotografiert, vermessen oder in anderer Weise registriert werden (vgl. BGH, U. v. 9.4.1986 - 3 StR 551/85 -, NJW 1986, 2261 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 30.1.2006 - 2 O 198/05 -, V. n. b.). Die Feststellung äußerlich ohne Weiteres erkennbarer körperlicher Merkmale kann dementsprechend grundsätzlich auch eine Betrachtung des Körpers umfassen, die ein Entkleiden des Beschuldigten mit Ausnahme des Intimbereichs erfordert, solange nähere Untersuchungen des Körpers, nicht erfolgen (Nds. OVG, Urt. v. 28. Juni 2007 - 11 LC 372/06 -; VGH Mannheim, U. v. 18.12.2003 - 1 S 2211/02, NVwZ-RR 2004, 572; vgl. auch BVerfG, B. v. 4.2.2009 - 2 BvR 455/08 -, juris = BeckRS 2009 31732).

Ende der Entscheidung

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