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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 01.03.2006
Aktenzeichen: 11 ME 48/06
Rechtsgebiete: AufenthG, Nds. SOG, VwVfG


Vorschriften:

AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
AufenthG § 53 Nr. 1
AufenthG § 53 Nr. 3
AufenthG § 60 a Abs. 2
Nds. SOG § 100 Abs. 1 S. 3
Nds. SOG § 100 Abs. 3 S. 1
VwVfG § 28
VwVfG § 3 Abs. 1 Nr. 3
VwVfG § 45 Abs. 1 Nr. 3
VwVfG § 46
Örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde bei Strafhaft
Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers, mit der er im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO erreichen will, dass seine für den 6. März 2006 beabsichtigte Abschiebung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG ausgesetzt wird, bleibt ohne Erfolg. Die mit ihr vorgebrachten Argumente, die im Beschwerdeverfahren allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), zeigen nichts auf, was die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses in dem noch streitbefangenen Umfang in Frage stellen könnte.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Antragsteller den erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Wegen der Begründung wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Ausführungen auf den Seiten 8-12 des angefochtenen Beschlusses verwiesen. Ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen Folgendes anzumerken:

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn dem Schutz der öffentlichen Sicherheit vor Begehung weiterer Straftaten durch den Antragsteller ein stärkeres Gewicht als dem Schutz der familiären Gemeinschaft mit seinen drei minderjährigen deutschen Kindern, die bei seiner geschiedenen Ehefrau leben, nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG beigemessen wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22. 8. 2000 - 2 BvR 1363/00 - u. v. 19. 10. 1988 - 2 BvR 1147/88 -, VBlBW 1989, 130 ; Senatsbeschl. v. 22. 8. 2002 - 11 LA 285/02 -). Im übrigen hat der Antragsgegner den Belangen des Antragstellers und seiner Kinder mittels Befristung der Sperrwirkungen der Ausweisung und der Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG durch Bescheid vom 15. Februar 2006 ausreichend Rechnung getragen. Auf die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren problematisierte Frage des Umfangs der von ihm bisher erbrachten und künftig noch zu erbringenden Betreuungsleistungen kommt es deshalb nicht an.

Ebenso wenig greifen die vom Antragsteller erhobenen Verfahrensrügen durch.

Er macht einmal geltend, dass der Antragsgegner für den Erlass der Verfügung vom 10. Januar 2006 örtlich nicht zuständig gewesen sei. Abzustellen sei grundsätzlich auf den gewöhnlichen Aufenthalt. Er halte sich im Rahmen des offenen Strafvollzuges in der JVA B. und damit im Zuständigkeitsbereich des Landkreis C. auf. Hilfsweise komme eine Zuständigkeit der Ausländerbehörden in D., da dort seine Kinder wohnten, oder in E., wo er am 30. April 2002 auf dem Flughafen festgenommen worden sei, in Betracht. Der Senat vermag jedoch insofern keinen beachtlichen Verfahrensfehler zu erkennen.

Das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Aufenthaltsgesetz enthält ebenso wenig wie zuvor das Ausländergesetz 1990 eine Regelung der örtlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörde. Vielmehr wird die Bestimmung der örtlich zuständigen Ausländerbehörde dem jeweiligen Landesgesetzgeber überlassen. In Niedersachsen bestehen jedoch keine gesetzlichen Vorschriften, mit denen ausdrücklich die örtliche Zuständigkeit der Behörden zur Ausführung des Aufenthaltsgesetzes bestimmt ist. Zurückzugreifen ist deshalb gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nds. VwVfG auf § 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes (VwVfG), es sei denn, dass Rechtsvorschriften des Landes inhaltsgleiche oder entgegenstehende Bestimmungen enthalten. Da es im vorliegenden Fall um die Ausweisung eines in Strafhaft befindlichen Ausländers und damit um eine Aufgabe der Gefahrenabwehr geht, hat die spezielle Regelung des § 100 Nds. SOG Vorrang (so bereits zur Rechtslage nach dem AuslG 1990 Senatsurt. v. 24. 8. 1995 - 11 L 1047/95 -, Nds.VBl. 1996, 40). Das sieht auch Nr. 71.1.2.1. i.V.m. 71.1.9. der Niedersächsischen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Vorl. Nds. VV-AufenthG) vom 31. März 2005 in der Fassung vom 30. November 2005 vor. Dies bedeutet, dass für die Ausweisung des Antragstellers, der seit seiner Abschiebung in die Türkei am 22. Juni 1999 keinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland mehr besaß, gemäß § 100 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG vorrangig die Ausländerbehörde des Haftortes örtlich zuständig sein dürfte (vgl. Senatsbeschl. v. 17. 2. 2000 - 11 L 234/00 -). Der Antragsteller befindet sich seit Mai 2002 in der JVA F.. Allerdings wurde er am 21. Oktober 2005 in deren Außenstelle nach B. verlegt. Ihm wurde von dort Vollzugsausgang im Umfang von 36 Stunden im Monat gewährt. Diese Zeit verbringt er nach seinen eigenen Angaben überwiegend mit seinen Kindern. Gegenwärtiger Haftort ist damit B., das im Zuständigkeitsbereich des Landkreises C. liegt. Dies bedeutet aber nicht, dass der Landkreis C. zwangsläufig auch die für den Antragsteller örtlich zuständige Ausländerbehörde ist. Zum einen stellt eine bloß vorübergehende Unterbringung im offenen Vollzug in B. keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG dar (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 3 Rdnr. 27 a und 31). Zum anderen handelt es sich bei der Außenstelle B. um einen unselbständigen Teil der JVA F.. Es ist davon auszugehen, dass - wie allgemein üblich - die Entlassung in der Hauptanstalt in F. vorgenommen wird. Für Wolfenbüttel ist jedoch der Antragsgegner örtlich zuständig (vgl. zu einem derartigen Fall auch Senatsbeschl. v. 20. 7. 1993 - 11 M 2846/93 -, OVGE 44, 328). Dies könnte dafür sprechen, dass hier eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners in Betracht kommt, zumal weder der kurzfristige Aufenthalt des Antragstellers in Hannover im April 2002 noch die Besuche bei seinen Kindern in D. für die Bestimmung seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts maßgebend sind (vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 4. 6. 1997 - 1 C 25.96 -, NVwZ-RR 1997, 751 = EZAR 601 Nr. 8). Im übrigen enthält § 100 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG für Konfliktfälle die Regelung, dass die den beteiligten Verwaltungsbehörden gemeinsam vorgesetzte Fachaufsichtsbehörde die zuständige Verwaltungsbehörde bestimmt. Das ist hier geschehen. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 7. Februar 2006 an das Verwaltungsgericht mitgeteilt, dass das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport als gemeinsam fachlich zuständige Aufsichtsbehörde Anfang Dezember 2005 telefonisch den Antragsgegner und nicht den Landkreis C. als zuständige Ausländerbehörde bestimmt habe, weil es sich bei der Abteilung der JVA in B. lediglich um eine unselbständige Außenstelle der JVA F. handele. Dies hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport mit Schreiben vom 8. Februar 2006 bestätigt.

Aber selbst wenn man der Auffassung wäre, dass hier der Landkreis Helmstedt die für den Antragsteller zuständige örtliche Ausländerbehörde wäre, käme gemäß § 46 VwVfG i. V. m. § 1 Nds. VwVfG eine Aufhebung der angefochtenen Verfügung nicht in Betracht. Da es sich um eine zwingende Ausweisung nach § 53 Nr. 1 und 3 AufenthG handelt und der Antragsteller weder einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG noch auf Duldung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG hat, hätte auch von dem Landkreis G. keine andere Entscheidung in der Sache getroffen werden können.

Soweit der Antragsteller sich zum anderen darauf beruft, dass er vor Erlass des angefochtenen Bescheides entgegen § 28 VwVfG nicht angehört worden sei, vermag dies ebenfalls nicht seiner Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Der Antragsgegner hat sich im Rahmen des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens mit den Einwänden des Antragstellers gegen die angefochtene Verfügung im Einzelnen auseinander gesetzt, so dass der Mangel der unterbliebenen Anhörung als geheilt im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG anzusehen ist (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 31. 1. 2002 - 1 MA 4216/01 -, NVwZ-RR 2002, 822 = Nds. VBl. 2002, 162). Außerdem handelt es sich bei einem Verstoß gegen die Anhörungspflicht um einen relativen Verfahrensfehler, der nur dann zur Aufhebung des Verwaltungsakts führen kann, wenn er sich auf das Ergebnis ausgewirkt haben kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 28 Rdnr. 78). Dass dies hier nicht der Fall ist, hat der Senat bereits an anderer Stelle unter Hinweis auf § 46 VwVfG ausgeführt.

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