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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 27.06.2008
Aktenzeichen: 12 LA 190/07
Rechtsgebiete: 1. DV LuftVZO, LuftVG, LuftVZO
Vorschriften:
1. DV LuftVZO § 1 | |
1. DV LuftVZO § 2 Abs. 3 | |
1. DV LuftVZO Anlage 15 | |
LuftVG § 4 | |
LuftVZO § 20 | |
LuftVZO § 24c | |
LuftVZO § 29 Abs. 1 |
Gründe:
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Erlaubnis für Verkehrsflugzeugführer mit Bescheid des Luftfahrt-Bundesamtes vom 18. November 2004. In dem Widerspruchsbescheid des Amtes vom 20. Februar 2006 wird zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger nach dem Inhalt der am 17. August 2004 verweigerten Ausstellung eines Tauglichkeitszeugnisses sowie der nachfolgenden Überprüfung nicht über die erforderliche flugmedizinische Tauglichkeit verfüge. Grundlage sei das Nachwirken der im Jahr 1999 begonnenen Medikation im Rahmen der Feststellung einer Tumorerkrankung. Das festgestellte Astrozytom habe nicht vollständig beseitigt werden können. Die ärztlich empfohlene Weiterführung der antikonvulsiven Medikation sei mit der Feststellung der flugmedizinischen Tauglichkeit nicht vereinbar. Ein sehr geringes Rückfallrisiko von Krampfanfällen habe nicht attestiert werden können.
Das Verwaltungsgericht hat mit dem im Tenor bezeichneten Urteil die Klage als unbegründet abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Die erforderliche Tauglichkeit, deren Anforderungen sich nach § 20 Abs. 2 Satz 2 LuftVZO i.V.m. den JAR-FCL 3 deutsch bestimmten, sei nicht nachgewiesen. Die Voraussetzungen der Nr. 2 Satz 2 des Anhangs 11 der JAR-FCL 3 deutsch seien erfüllt. Der Kläger habe nach seinem fünften Lebensjahr einen Krampfanfall erlitten. Auf die von ihm während des Verlaufs des Klageverfahrens aufgeworfene Frage, ob er an Epilepsie leide, komme es daher nicht an. Die Voraussetzung des Vorliegens eines einmaligen Krampfanfalls sei jedenfalls erfüllt. Ob es sich dabei um einen akuten symptomatischen Anfall gehandelt habe, könne die Kammer letztlich dahinstehen lassen. Bisher sei der vom Kläger im Jahre 1999 erlittene Anfall als Grand Mal Anfall bezeichnet worden. Den für den Kläger günstigen Fall eines akuten symptomatischen Anfalls unterstellt, fehle es allerdings noch an der weiteren Voraussetzung, dass ein vom Luftfahrt-Bundesamt anerkannter Neurologe den Anfall als solchen mit sehr geringer Rückfallwahrscheinlichkeit eingestuft habe. Prof. Dr. B., auf den sich die Beteiligten wechselseitig beriefen, habe lediglich festgestellt, dass bei Restmedikation das Rückfallrisiko dem Risiko der Normalbevölkerung eines Erstanfalls entspreche. Damit sei im Umkehrschluss gesagt, dass es ohne Medikation jedenfalls größer sei. Darüber hinaus seien auch die Voraussetzungen der Nr. 8 Satz 2 des Anhangs 11 erfüllt. Der Kläger weise einen intracerebralen, malignen Tumor auf. Er könne auch nicht einwenden, dass er jedenfalls bei Restmedikation fliegertauglich sei. Bei der allein gebotenen abstrakten Betrachtung der Nebenwirkungen des eingenommenen Medikaments könne eine Fliegertauglichkeit nicht angenommen werden. Die Klage sei auch mit dem Hilfsantrag, das Luftfahrt-Bundesamt zu verpflichten, dem Kläger eine Lizenz mit der Auflage "nur mit qualifiziertem Copilot" zu erteilen, abzuweisen. Eine derartige Einschränkung komme in Betracht, wenn der Inhaber einer Lizenz die Anforderungen für das Tauglichkeitszeugnis Klasse 1 nicht vollständig erfülle, jedoch als tauglich im Rahmen des akzeptierten Ausfallrisikos eingestuft werde. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor.
II.
Der allein auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
Nach § 4 Abs. 3 LuftVG ist die Erlaubnis für Luftfahrer zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nach Abs. 1 nicht mehr vorliegen. Zu den Voraussetzungen gehört u.a., dass die Tauglichkeit des Luftfahrers nachgewiesen ist (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 LuftVG). Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 LuftVZO in der bis zum 30. Juni 2007 und damit im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - hier des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2006 - gültig gewesenen Fassung richten sich die Anforderungen an die Tauglichkeit nach der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Bundesanzeiger bekannt gemachten Fassung der Bestimmungen über Anforderungen an die Tauglichkeit (JAR-FCL 3 deutsch) vom 15. April 2003 (BAnz. Nr. 81a vom 30. April 2003). In JAR-FCL 3.210 Absatz a ist hinsichtlich neurologischer Erkrankungen bestimmt, dass Bewerber um ein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis Klasse 1 oder Inhaber eines solchen weder in der Krankheitsvorgeschichte noch aktuell eine neurologische Besonderheit aufgewiesen haben oder aufweisen dürfen, durch welche die sichere Ausübung der mit der (den) betreffenden Lizenz(en) verbundenen Rechte gefährdet sein könnte. Unter den in Absatz b genannten Auffälligkeiten, auf die (unter Verweisung auf Anhang 11 zu den Abschnitten B und C) besonders zu achten ist, werden auch Epilepsie und andere Ursachen von Bewusstseinsstörungen genannt. Nummer 2 des Anhangs 11 hat folgenden Wortlaut:
"Die Diagnose einer Epilepsie macht untauglich, es sei denn, es gibt zweifelsfreie Hinweise auf ein Syndrom gutartiger frühkindlicher Anfälle mit sehr geringem Rückfallrisiko und der Bewerber hat über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren weder einen Rückfall noch eine Behandlung gehabt. Das Auftreten eines oder mehrerer Krampfanfälle nach dem 5. Lebensjahr macht untauglich. Wenn es sich jedoch um einen akuten symptomatischen Anfall handelt, der von einem vom Luftfahrt-Bundesamt anerkannten Neurologen als Anfall mit sehr geringer Rückfallmöglichkeit eingestuft wird, kann die Tauglichkeit durch die zuständige Stelle geprüft werden."
Der Kläger beruft sich in diesem Zusammenhang auf die von Prof. Dr. B. abgegebene epikritische Beurteilung vom 16. Februar 2004, in der dieser u.a. ausführt: Da beim vollständigen Absetzen der Medikation ein Rückfall nicht ganz ausgeschlossen sei, empfehle er eine reduzierte Einnahme. Er gehe davon aus, dass das Rückfallrisiko unter dieser Restmedikation dem Risiko des erstmaligen Auftretens von Anfällen bei der gesunden Normalbevölkerung entspreche. Bedeutung und Aussagegehalt dieser nicht die Begrifflichkeit der Nr. 2 des Anhangs 11 verwendenden ärztlichen Beurteilung sind nicht zweifelsfrei. Wenn das Verwaltungsgericht dieser Aussage lediglich die Feststellung entnommen hat, dass bei Restmedikation das Rückfallrisiko dem Risiko der Normalbevölkerung eines Erstanfalls entspreche und damit im Umkehrschluss auch gesagt sei, dass es ohne Medikation jedenfalls größer sei, handelt es sich jedenfalls um eine vertretbare Deutung, die der Kläger zwar kritisiert, aber inhaltlich nicht erschüttert hat. Soweit er die Ansicht vertritt, der Umstand, dass das in der ärztlichen Beurteilung festgehaltene geringe Rückfallrisiko mit der Einnahme von Medikamenten unterstützt werde, spreche nicht gegen die Anwendung der zitierten Regelung und insofern auf JAR-FCL 3.115 und 3.040 verweist, kann er daraus zu seinen Gunsten nichts herleiten. Ob die Einnahme von Medikamenten von Einfluss auf die flugmedizinische Tauglichkeit ist, hängt von den jeweiligen Umständen, insbesondere von den unterschiedlichen Krankheitsbildern, der Art der Medikamente und den in den JAR-FCL 3 deutsch einschließlich der Anhänge zu den Abschnitten B und C getroffenen Festlegungen sowie dem Inhalt weiterer Durchführungsvorschriften ab. Den Bestimmungen in JAR-FCL 3.115 und 3.040 kann insoweit nur entnommen werden, dass die Einnahme von Arzneimitteln nicht schlechthin zur Feststellung einer eingeschränkten oder fehlenden flugmedizinischen Tauglichkeit führen muss.
Selbst wenn Nr. 2 Satz 3 des Anhangs 11 dahin verstanden werden müsste, dass die Einstufung eines Anfalls mit sehr geringer Rückfallmöglichkeit grundsätzlich auch in den Fällen möglich ist, in denen diese Beurteilung die (ständige) Einnahme von Medikamenten voraussetzt, folgte daraus nicht, dass damit der Nachweis der flugmedizinischen Tauglichkeit erbracht ist. Vielmehr zieht Nr. 2 Satz 3 des Anhangs 11 daraus lediglich die Konsequenz, dass die Tauglichkeit durch die zuständige Stelle geprüft werden kann. Das ist im vorliegenden Fall geschehen. Der flugmedizinische Sachverständige Dr. C. hat aufgrund der Angaben des Klägers und der Tauglichkeitsuntersuchung am 17. August 2004 festgestellt, dass der Kläger die für das erstrebte medizinische Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1 geltenden Tauglichkeitsanforderungen nicht erfüllt, und deshalb die Ausstellung eines entsprechenden Tauglichkeitszeugnisses abgelehnt. Diese Feststellung ist vom Luftfahrt-Bundesamt unter Mitwirkung von Prof. Dr. D., Leiter der flugmedizinischen Zentren E., am 26. Oktober 2004 gemäß § 24c LuftVZO überprüft und mit dem Ergebnis bestätigt worden, dass die Feststellung der Fliegertauglichkeit nur nach Ausschleichen der antikonvulsiven Medikation und entsprechend langer neurologischer und elektrophysiologischer anfallsfreier Verlaufsbeobachtung in Betracht komme. Damit fehlt es aber an einer die Tauglichkeit des Klägers bejahenden Feststellung durch ein flugmedizinisches Zentrum oder einen flugmedizinischen Sachverständigen, so dass der nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 LuftVG gebotene Tauglichkeitsnachweis nicht erbracht ist, sondern Tatsachen dafür vorliegen, dass der Kläger in flugmedizinischer Hinsicht untauglich ist (vgl. § 29 Abs. 1 LuftVZO).
Davon abgesehen lässt der Kläger in seiner Antragsbegründung unberücksichtigt, dass die Erste Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung (1. DV LuftVZO) vom 15. April 2003 (BAnz. Nr. 82a) die Einzelheiten zur Durchführung der Bestimmungen über die Anforderungen an die Tauglichkeit von Luftfahrtpersonal (JAR-FCL 3 deutsch) regelt (§ 1 Abs. 1 1. DV LuftVZO), und nach § 2 Abs. 3 Unterabsatz 1 1. DV LuftVZO neben den Bestimmungen der JAR-FCL (u.a.) 3.040 und 3.115 auch die Bestimmungen der Anlage 15, auf die auch JAR-FCL 3.115 Abs. a unmittelbar verweist, zu beachten sind. Diese die Einnahme von verschreibungs- oder nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten, alternative Behandlungsverfahren und Alkohol betreffende Anlage 15 stellt unter Nr. 13 fest:
"Der Gebrauch psychotroper Medikamente und dessen Missbrauch hat sowohl grundsätzlichen Einfluss auf den Realitätsbezug eines Individuums als auch komplexe kurzfristige wie langfristige Nebenwirkungen. Diese Wirkungen und Nebenwirkungen bei Individuen, die psychotrope Medikamente oder Substanzen gebrauchen oder missbrauchen, schließen eine Fliegertauglichkeit oder die Fähigkeit zur verantwortlichen Tätigkeit als Flugbesatzungsmitglied aus".
Bei dem von dem Kläger eingenommenen und von Prof. Dr. B. in seiner Beurteilung vom 16. Februar 2004 zur wahrscheinlich lebenslangen (wenn auch reduzierten) Dauermedikation empfohlenen Arzneimittel "Carbamazepin" handelt es sich um ein Antiepileptikum und damit um ein psychotropes Medikament im Sinne der Nr. 13 der Anlage 15 zur 1. DV LuftVZO. Mithin kann die auf flugmedizinischer Beurteilung beruhende Einschätzung des Luftfahrt-Bundesamtes, dass die andauernde antikonvulsive Medikation mit diesem Mittel die Feststellung der flugmedizinischen Tauglichkeit ausschließe, nicht beanstandet werden.
Unter diesen Umständen kommt es auf das weitere Vorbringen des Klägers, er vertrage die Medikation nebenwirkungsfrei, nicht an. Offenbleiben kann danach auch, ob es sich bei dem beim Kläger festgestellten Mischgliom um einen malignen Tumor im Sinne der Nr. 8 des Anhangs 11 zu den Abschnitten B und C der JAR-FCL 3 deutsch handelt, und deshalb auch unter diesem Aspekt Untauglichkeit anzunehmen ist.
Ende der Entscheidung
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