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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 08.11.2006
Aktenzeichen: 12 ME 274/06
Rechtsgebiete: FeV, StVG
Vorschriften:
FeV § 46 Abs. 1 | |
StVG § 3 Abs. 1 |
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung versehene Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch Bescheid des Antragsgegners vom 31. Mai 2006 abgelehnt worden ist, ist zulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis für den gerichtlichen Eilantrag ist nicht dadurch entfallen, dass der Antragsteller sich eigenen Angaben zufolge inzwischen nach Aufnahme seines Studiums im Studiengang Seeverkehr bis Anfang März 2007 durchgehend auf See befindet. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Verfahren zur Hauptsache bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sein wird, so dass die Durchführung des Beschwerdeverfahrens weiterhin Sinn ergibt.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Lasten des Antragstellers aus, weil bei der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestünden. Die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers gemäß §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV seien aller Voraussicht nach erfüllt. Die Fahreignung des Antragstellers sei voraussichtlich nicht mehr gegeben, weil davon auszugehen sei, dass er regelmäßiger Konsument von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV sei.
Unter Zugrundelegung der dagegen mit seiner Beschwerde erhobenen Einwendungen des Antragstellers, auf deren Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, bestehen gegen diese Annahme durchgreifende Bedenken. Was unter dem Begriff des regelmäßigen Cannabiskonsums zu verstehen ist, wird weder im StVG noch in der FeV (dort unter Nr. 9.2.1 der Anlage 4) ausdrücklich definiert. Da in Nrn. 9.2.1 und 9.2.2 der Anlage 4 zwischen regelmäßigem und gelegentlichem Konsum von Cannabis unterschieden wird und der regelmäßige Konsum die Fahreignung auch ohne Hinzutreten weiterer fahreignungsrelevanter Umstände wie etwa ein fehlendes Trennungsvermögen des Fahrerlaubnisinhabers im Regelfall ausschließt, setzt die Annahme regelmäßigen Cannabiskonsums aufgrund dieser Systematik der FeV voraus, dass die Einnahme in einem Umfang getätigt wird, der als solcher (ohne Hinzutreten weiterer Umstände) fahreignungsausschließend wirkt. Der Begriff des regelmäßigen Konsums wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung zum Teil dahin ausgelegt, dass die Einnahme täglich oder nahezu täglich erfolgt (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 3.9.2002 - 11 CS 02.1082-, ZfS 2003, 429; Bad.-Württ. VGH, Beschlüsse vom 30.5.2003 - 10 S 1907/02 -, NZV 2004, 213, und vom 26.11.2003 - 10 S 2048/03 -, DAR 2004, 170; offen gelassen von OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7.1.2003 - 19 B 1249/02 -, DAR 2003, 187; vgl. auch Nr. 3.12.1 der v. d. Bundesanstalt für Straßenwesen herausgegebenen Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, 6. Aufl., Heft M 115 ("täglich oder gewohnheitsmäßig"); Geiger, NZV 2003, 272; weniger präzis: Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 2 StVG Rdnr. 17("eine über einen längeren Zeitraum sich ständig wiederholende Einnahme des Rauschmittels")). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass bei zunehmendem Konsum die Gefahr steigt, dass der Fahrerlaubnisinhaber ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr unter verminderter Leistungsfähigkeit führt und die erforderliche Trennung von Konsum und Fahren nicht mehr hinreichend gewährleistet ist (vgl. zu entsprechenden gutachterlichen Äußerungen BVerfG, Beschluss vom 20.6.2002 - 1 BvR 2062/96 -, NJW 2002, 2378). Im vorliegenden Verfahren bedarf es keiner abschließenden Beurteilung durch den Senat, in welchem Umfang der Konsum von Cannabis getätigt werden muss, um einen regelmäßigen Konsum annehmen zu können. Ob dafür ein täglicher oder nahezu täglicher Konsum zu fordern ist, erscheint dem Senat jedoch durchaus zweifelhaft, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die durch den regelmäßigen Konsum hervorgerufene Gefahr einer Gewöhnung an das Rauschmittel und Vernachlässigung des erforderlichen Trennungsvermögens in Einzelfällen auch bei einer geringeren Konsumhäufigkeit bestehen kann. Deshalb erscheint es dem Senat angebracht, auch andere konsumprägende Faktoren wie die Intensität und Häufung an bestimmten Tagen (z.B. Mehrfachkonsum an Wochenenden) und die Dauer des Konsums über einen bestimmten Zeitraum hinweg in den Blick zu nehmen (vgl. aus der bisherigen, auf die Erheblichkeit des Konsums abstellenden Rechtsprechung des Senats z.B. Beschlüsse vom 22.11.1999 - 12 M 4409/99 - juris, und vom 20.6.2000 - 12 O 2295/00 -, V.n.b.; zum Konsum über einen längeren Zeitraum hinweg: Petersen, ZfS 2002, 56; Himmelreich, DAR 2002, 26), die nach Lage des Einzelfalles auch bei einem Konsum, der hinter einem täglichen oder nahezu täglichen zurückbleibt, die Annahme einer Regelmäßigkeit im Sinne von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV rechtfertigen können. Einer weiteren Vertiefung bedarf die Frage im vorliegenden Verfahren indes nicht. Denn die in Bezug auf den Antragsteller gewonnenen Erkenntnisse reichen bei der im gerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht aus, um bei ihm auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum schließen zu können. Der Antragsteller hat im Verwaltungsverfahren einen Konsum von (lediglich) zwei- bis dreimal pro Woche eingeräumt, also einen Konsum, der deutlich hinter einer täglichen oder nahezu täglichen Einnahme zurückbleibt. Dazu hat er angegeben, er konsumiere nur in geringen Mengen. Was darunter zu verstehen sein soll, ist bisher offen geblieben. Der Antragsteller hat sich hierzu nicht geäußert und der Antragsgegner ist der Frage nicht weiter nachgegangen. Ebenso ist unklar geblieben, über welchen Zeitraum hinweg der Antragsteller in der genannten Häufigkeit Cannabis konsumiert hat. Der Vermerk des Polizeikommissariats C. vom 17. März 2006, demzufolge der Antragsteller anlässlich seiner polizeilichen Befragung angegeben haben soll, regelmäßig Cannabis zu konsumieren, ist in diesem Zusammenhang nur wenig aussagekräftig. Die formularmäßig getroffene Feststellung, die der Antragsteller nicht unterzeichnet und von der er sich im Verwaltungsverfahren nach erhaltener Akteneinsicht durch seinen Prozessbevollmächtigten distanziert hat, erläutert den Begriff des regelmäßigen Konsums nicht und lässt nähere Rückschlüsse auf seine Konsumgewohnheiten nicht zu. Dasselbe gilt in Bezug auf die Tatsache, dass beim Antragsteller am 23. Februar 2006 nach seiner Einreise aus den Niederlanden 5,45 Gramm Marihuana gefunden worden sind. Allein aus dem Besitz des Rauschmittels lässt sich auf einen regelmäßigen, die Fahreignung ausschließenden Konsum nicht schließen. Ein derartiger Schluss kann weiterhin auch nicht aufgrund des Ergebnisses der vom Gesundheitsamt des Antragsgegners veranlassten und vom Medizinischen Labor D. durchgeführten Untersuchung einer dem Antragsteller am 12. April 2006 entnommenen Haarprobe gezogen werden. Der Laborbefund hat zwar den Nachweis von 0,44 ng/mg 9-Tetrahydrocannabinol (bei einer Nachweisgrenze von 0,05 ng/mg) im Haar des Antragstellers erbracht. Gemäß der Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Antragsgegners vom 27. April 2006 kann damit aber nur als gesichert gelten, dass der Antragsteller die genannte Substanz in den letzten 10 Monaten (vor der Untersuchung) konsumiert hat. Für die hier interessierende Frage der Häufigkeit und der Intensität des Konsums gibt die Stellungnahme nichts Näheres her.
Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller auch nach dem anberaumten Drogenscreening noch Cannabis konsumiert und dadurch zum Ausdruck gebracht haben könnte, auf die Einnahme von Cannabis - als regelmäßiger Konsument - nicht verzichten zu können (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Beschluss des Senats vom 30.3.2004 - 12 ME 90/04 -, Blutalkohol 41, 563) liegen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht vor. Soweit in der amtsärztlichen Stellungnahme vom 27. April 2006 ausgeführt wird, der Konsum des ermittelten Betäubungsmittels in den letzten zehn Monaten gelte als gesichert, ist dies kein Beleg für einen aktuellen Konsum des Antragstellers nach Anordnung des Drogenscreenings. Dies wird auch anhand der abschließenden Bemerkung in der amtsärztlichen Stellungnahme deutlich, der zufolge zum Ausschluss eines aktuellen Konsums gegebenenfalls eine Urindrogenanalyse ergänzend durchgeführt werden sollte, die dann aber unterblieben ist.
Ende der Entscheidung
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