Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 13.09.2006
Aktenzeichen: 12 ME 275/06
Rechtsgebiete: AGG, LuftVZO


Vorschriften:

AGG § 10
AGG § 2 Abs. 1
AGG § 2 Abs. 5
AGG § 6 Abs. 3
AGG § 8 Abs. 1
LuftVZO § 24e Abs. 3
LuftVZO § 24e Abs. 6
Vereinbarkeit der Altersgrenze für flugmedizinische Sachverständige mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.
Gründe:

Das Verwaltungsgericht hat mit seinem in der Beschlussformel bezeichneten Beschluss den Antrag der am 5. August 1934 geborenen Antragstellerin abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sie vorläufig trotz Überschreitens der in § 24 Abs. 6 Satz 2 LuftVZO vorgesehenen Altersgrenze von 68 Jahren weiter nach § 24 e Abs. 3 LuftVZO als flugmedizinische Sachverständige für die Erteilung von Tauglichkeitszeugnissen der Klasse 1 anzuerkennen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die durch § 24 e Abs. 6 Satz 2 LuftVZO festgesetzte Altersgrenze sei nach summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in materieller Hinsicht verfassungsgemäß. Sie verstoße nicht gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Zwar werde auf der Stufe der subjektiven Zulassungsvoraussetzungen in die Freiheit der Berufswahl eingegriffen. Dies geschehe jedoch wegen des Interesses der Allgemeinheit an einer sorgfältigen und zuverlässigen Arbeit der flugmedizinischen Sachverständigen und der dadurch gewährleisteten Tauglichkeit des untersuchten Luftfahrtpersonals, die wiederum eine wesentliche Grundlage für die Sicherheit des Luftverkehrs als eines wichtigen Gemeinschaftsgutes sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes liege eine unverhältnismäßige Zulassungsbeschränkung nicht vor, wenn der Gesetzgeber die Zulassung zu einem Beruf, bei dem jedes Versagen zu einer erheblichen Gefährdung von Leben und Gesundheit der Bevölkerung führen könne, über das Alter hinaus untersage, in dem erfahrungsgemäß die körperlichen und geistigen Kräfte erheblich nachzulassen begännen. Ebenso sei es in der - auch verfassungsgerichtlichen - Rechtsprechung anerkannt, dass nach der Lebenserfahrung die Gefahr einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit mit zunehmenden Alter größer werde und der Gesetzgeber diesem Umstand im Rahmen seines Ermessens dadurch Rechnung tragen dürfe, dass er eine generalisierende Regelung anstelle einer Prüfung der individuellen Leistungsfähigkeit eines jeden Berufsangehörigen vorsehe. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sei auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber nach neueren Erkenntnissen gehalten gewesen sein könnte, eine höhere Altersgrenze festzulegen. Eine rechtsstaatlichen Grundsätzen genügende Übergangsregelung sei in § 110 Abs. 1 LuftVZO vorhanden. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot sei nicht erkennbar und gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren näher zu hinterfragen. In formeller Hinsicht werde die in § 24 e Abs. 6 Satz 2 LuftVZO enthaltene Regelung von der gesetzlichen Verordnungsermächtigung des § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 LuftVG getragen. Diese Ermächtigung beziehe sich nicht nur auf den Erlass von Durchführungsbestimmungen über den Kreis der Personen, die einer Erlaubnis nach dem Luftverkehrsgesetz bedürften, sondern betreffe auch die Anforderungen an die Befähigung und Eignung dieser Personen sowie das Verfahren zur Erlangung der Erlaubnisse und Berechtigungen. In diesem Regelungszusammenhang dürfe der Verordnungsgeber nicht nur die Zulassung von flugmedizinischen Sachverständigen überhaupt, sondern auch als weitere Voraussetzung für deren Tätigkeit eine Altersgrenze vorsehen.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist unter den Gesichtspunkten, die die Antragstellerin innerhalb der einmonatigen Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO unter Beachtung des in § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO enthaltenen Darlegungserfordernisses zur Begründung ihres Rechtsmittels angebracht hat und auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht zu beanstanden.

Die Antragstellerin macht geltend, die in § 24 e Abs. 6 Satz 2 LuftVZO für die Verlängerung einer Anerkennung als flugmedizinischer Sachverständiger vorgesehene starre Altergrenze von 68 Jahren sei eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters im Sinne der Bestimmungen der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. Nr. L 303, S. 16), die - neben drei weiteren gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsrichtlinien - durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897) in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Dieser Einschätzung vermag sich der Senat im Rahmen des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht anzuschließen.

Zwar ist die in Rede stehende Altersgrenze dem Anwendungsbereich des durch die Richtlinie 2000/78/EG und das - richtlinienkonform auszulegende - Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gebildeten Regelwerkes über die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht bereits deshalb entzogen, weil sie ihren Platz ihrerseits in einer Rechtsverordnung und damit in einem Gesetz im materiellen Sinne hat. Dies ergibt sich angesichts des Umstandes, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ein Gesetz im formellen Sinne ist, bereits aus den allgemeinen Grundsätzen der Normenhierarchie. Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof schon vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG in nationales Recht entschieden, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit über das im Gemeinschaftsrecht verankerte Verbot der Diskriminierung wegen des Alters anhängig sei, im Rahmen seiner Zuständigkeit den rechtlichen Schutz, der sich für den einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht ergebe, gewährleisten und die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts garantieren müsse, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lasse (EuGH, Urteil vom 22.11.2005, Rs. C 144/04 -, Mangold/Helm -, NJW 2005, 3695, 3697 f).

Weiterhin wird die Anwendung der in § 24 e Abs. 6 Satz 2 LuftVZO vorgesehenen Altersgrenze auf die Antragstellerin in sachlicher und persönlicher Hinsicht durch die oben genannte Anti-Diskriminierungs-Gesetzgebung erfasst. Zum einen handelt es sich um eine Bedingung für den Zugang zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 a) der Richtlinie 2000/78/EG bzw. der §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 6 Abs. 3 AGG. Denn die Anerkennung als flugmedizinischer Sachverständiger nach § 24 e Abs. 2 und 3 LuftVZO wird gemäß § 24 e Abs. 6 Satz 2 für die Dauer von drei Jahren befristet erteilt, so dass bei jeder Verlängerung die Einhaltung der Altersgrenze von 68 Jahren zu beachten ist. Dabei kann für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon ausgegangen werden, dass die Anwendung der Anti-Diskriminierungs-Bestimmungen nicht durch den 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78/EG, wonach die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand unberührt bleiben sollen, ausgeschlossen wird. Denn durch diesen Vorbehalt dürften lediglich die Regelungen über Renten und Versorgungsleistungen erfasst werden (in diesem Sinne: Hess. LSG, Urteil vom 15.3.2006 - L 4 KA 32/05 -, juris). Zum anderen erfährt die Antragstellerin wegen ihres Alters eine weniger günstige Behandlung als eine andere um die Anerkennung als flugmedizinischer Sachverständiger bemühte, gleichermaßen qualifizierte, aber noch nicht 68 Jahre alte Person, so dass eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne des Art. 2 Abs. 2 a) der Richtlinie 2000/78/EG bzw. der §§ 3 Abs. 1, 6 Abs. 3, 7 Abs. 1 AGG gegeben ist.

Ob diese Differenzierung aufgrund des Alters bereits gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG und § 8 Abs. 1 AGG zulässig ist (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 15.3.2006 a. a. O.) kann dahinstehen. Sie ist jedenfalls nach Einschätzung des Senats im Rahmen des zur Entscheidung stehenden Eilverfahrens gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG und § 10 Satz 1 AGG objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt (vgl. ferner Art. 2 Abs. 5 der genannten Richtlinie; die in § 10 Satz 3 Nr. 1 - 8 AGG genannten Regelbeispiele haben keinen abschließenden Charakter, vgl. nur: Willemsen/Schweibert, NJW 2006, 2583, 2585 f). Der Senat tritt insoweit der - wenn auch nicht vor dem Hintergrund des (gemeinschaftsrechtlichen) Diskriminierungsverbotes, sondern dem des Art. 12 Abs. 1 GG angestellten - Erwägung des Verwaltungsgerichts bei, dass die Tauglichkeit des Luftfahrtpersonals eine wesentliche Grundlage für die Sicherheit des Luftverkehrs darstellt und deshalb die erforderlichen Tauglichkeitsüberprüfungen in zuverlässiger und fehlerfreier Weise erfolgen müssen, wobei Gefährdungen, die nach der Lebenserfahrung von älteren, nicht mehr voll leistungsfähigen flugmedizinischen Sachverständigen ausgehen können, vermieden werden müssen, was in zulässiger Weise durch die generalisierende und typisierende Bestimmung einer Altersgrenze von 68 Jahren sichergestellt werden kann (vgl. in diesem Sinne zur materiellen Rechtfertigung von beruflichen Altersgrenzen allgemein: BVerfG, Beschluss vom 4.5.1983 - 1 BvR 46, 47/80 -, BVerfGE 64, 72, 82 ff; Beschluss vom 31.3.1998 - 1 BvR 2167/93 u. 2198/93 -, NJW 1998, 1776 ff; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18.9.1990 - 14 S 1252/90 -, NVwZ-RR 1991, 192 ff; Hess. LSG, Urteil vom 15.3.2006 a.a.0.).

Neben der Rüge eines Verstoßes gegen die im Europäischen Gemeinschaftsrecht gründende Anti-Diskriminierungs-Gesetzgebung hat sich die Antragstellerin in der Begründung ihrer Beschwerde auf den Zwischenbeschluss bezogen, den der Senat am 25. Juli 2006 in dem nach wie vor anhängigen Parallelverfahren zum Aktenzeichen 12 ME 194/06 erlassen hat. Die Antragstellerin hat hierzu innerhalb der einmonatigen Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO jedoch lediglich ausgeführt, dass ihrer Tätigkeit als flugmedizinische Sachverständige durch die Dauer des gerichtlichen Verfahrens - auch soweit dieses auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichtet sei - in einem tatsächlichen Sinne die Grundlage entzogen werde. Die Bedenken, denen der Senat in dem genannten Zwischenbeschluss im Hinblick auf die Tragfähigkeit der Ermächtigungsgrundlage des § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 LuftVG für die in der Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung enthaltenen Regelungen über flugmedizinische Sachverständige überhaupt und damit auch für die in diesem Zusammenhang vorgesehenen Altersgrenze Ausdruck verliehen hat, hat die Antragstellerin innerhalb der am 28. Juli 2006 abgelaufenen Beschwerdebegründungsfrist nicht aufgegriffen. Der in dem Schriftsatz vom 24. August 2006 enthaltene - verfristete - Hinweis auf die in dem Zwischenbeschluss des Senats enthaltene "Argumentation zu der fehlenden Ermächtigungsgrundlage" genügt überdies nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO.

Ende der Entscheidung

Zurück