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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 28.08.2008
Aktenzeichen: 13 ME 131/08
Rechtsgebiete: AufenthG, AufenthV


Vorschriften:

AufenthG § 5 Abs. 2
AufenthG § 30
AufenthV § 39
Zur Beachtlichkeit eines sog. Nachentschlusses.
Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. Juli 2008, mit dem dieser den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und ihr unter Fristsetzung die Abschiebung angedroht hat, anzuordnen, zu Recht abgelehnt.

Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Die Antragstellerin, die die weißrussische Staatsangehörigkeit besitzt, hat nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Ehegattennachzugs zu ihrem russischen Ehemann (§ 30 AufenthG). Ihre Klage dürfte erfolglos bleiben, so dass das private Interesse an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegenüber dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug zurückstehen muss. Die Antragstellerin hat im Beschwerdeverfahren die zutreffende Annahme des Antragsgegners, der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stehe § 5 Abs. 2 AufenhG entgegen, nicht erschüttert. Sie trägt lediglich vor, sie sei mit dem erforderlichen Visum für einen Besuchsaufenthalt eingereist, denn den Entschluss zur Eheschließung habe sie erst nach der Einreise in der Bundesrepublik Deutschland gefasst. Kurzfristige Entschlüsse zur Eheschließung, die sogleich umgesetzt werden, sind zwar ungewöhnlich, kommen aber durchaus vor. Derartiges Vorbringen ist dem Senat aus zahlreichen gleich oder ähnlich gelagerten Fällen vertraut. Die Antragstellerin ist innerhalb von nur acht Tagen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, nach Dänemark weitergereist und hat dort die Ehe geschlossen. Das ihr erteilte Besuchsvisum war indessen auf immerhin 46 Tage befristet. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Annahme geradezu auf, dass sie nicht lediglich zu Besuchszwecken, sondern nur zum Zwecke der Eheschließung für einen Daueraufenthalt und damit ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist.

Auf die Feststellung eines sog. Nachentschlusses kommt es nach der Rechtssprechung des VGH Baden Württemberg und des Hessischen VGH aber nicht einmal an. Entscheidend sei vielmehr, ob der Ausländer bei der Einreise das Visum eingeholt hat, das den aktuellen Aufenthaltszweck abdeckt. Die Vorschrift zur Erforderlichkeit des Visums orientiere sich an demjenigen Aufenthaltstitel, um dessen Verlängerung bzw. Erteilung es nunmehr gehe (VGH Baden Württemberg, Beschl. vom 8.7.2008 - 11 S 1041/08 -, Juris; vom 30.3.2006 - 13 S 389/06 -, Juris; Urt. v. 4.11.1996 - 1 S 1540/95 -, InfAuslR 1997, 242; v. 12.12.1995 -13 S 3327/94 -, InfAuslR 1996, 138; Hessischer VGH, Beschl. v. 13.3.2005 - 12 TG 298/05 -, NVwZ 2006, 111; VGH Baden Württemberg, Beschl. v. 14.3.2006 - 11 S 1797/05 -, Juris). Für diese Interpretation spreche die systematische Stellung des § 5 AufenthG bei den Erteilungsvoraussetzungen, zudem der Umstand, dass die früher geltende, auf den jeweiligen Willen abstellende Vermutungsvorschrift des § 71 Abs. 2 Satz 2 AuslG ersatzlos gestrichen worden sei, und die amtliche Begründung zu der die unerlaubte Einreise betreffenden Vorschrift des § 14 AufenthG (BT-Drucksache 15/420 (73) zu Absatz 1). Danach sollte angesichts der unterschiedlichen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur durch den Verweis auf die Erforderlichkeit des Aufenthaltstitels nach § 4 AufenthG klargestellt werden, dass diese sich "nach objektiven Kriterien und nicht nach dem beabsichtigten Aufenthaltszweck bemisst" (BT-Drucksache, aaO). Auch die systematische Selbstständigkeit des § 39 AufenthV mit ihrer differenzierten Regelung der Einholung eines Aufenthaltstitels erst im Bundesgebiet lege die Annahme nahe, dass es bei § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Frage der Erforderlichkeit nicht auf den früheren, sondern auf den aktuell angestrebten Aufenthaltszweck ankomme (VGH Baden Württemberg, Beschl. v. 30.3.2006, aaO; Hessischer VGH, Besch. v. 16.3.2005, aaO). Der Senat schließt sich dem an. Danach gilt im Fall der Antragstellerin, dass selbst bei einem nachträglich eingetretenen Sinneswandel nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG mit dem (nunmehr) erforderlichen Visum eingereist ist.

Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann von den Anforderungen des Satzes 1 abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruches auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

Nach Aktenlage kann die Feststellung nicht getroffen werden, dass der Antragstellerin ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Seite steht. Der Nachweis der erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist nämlich nicht erbracht. Die bloße Behauptung der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung, über derartige Kenntnisse zu verfügen, reicht zum Nachweis jedenfalls nicht aus. In diesem Zusammenhang hat der Antragsgegner zu Recht darauf hingewiesen, dass nach der grundlegenden Reform des Ausländerrechts ein ausländischer Ehepartner, der nach Deutschland ziehen möchte, schon bei der Beantragung des erforderlichen Visums im Heimatland einfache Deutschkenntnisse nachweisen muss, was durch Vorlage eines Zertifikates über die Sprachprüfung A1 "Start Deutsch 1" zu erbringen sei. Bei einer Nachholung des Visumverfahrens von der Bundesrepublik Deutschland aus ist jedenfalls die Vorlage eines entsprechenden Zertifikates erforderlich.

Der Antragsgegner hat im Übrigen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu Lasten der Antragstellerin getroffen. Entgegen ihrer Ansicht liegen keine besonderen Umstände des Einzelfalles vor, auf Grund derer es nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Auf die ermessensbindenden Vorgaben des Niedersächsischen Innenministeriums hat der Antragsgegner zu Recht hingewiesen. Weder wohnen im Haushalt der Antragstellerin kleine Kinder oder pflegebedürftige Personen, deren Betreuung im Fall des notwendige Auslandsaufenthalts nicht gesichert wäre. Der Antragstellerin ist die Reise auch nicht wegen Krankheit, Schwangerschaft, Behinderung oder altersbedingt unzumutbar oder unmöglich. Es bestehen reguläre Reiseverbindungen in das Herkunftsland. In Minsk gibt es eine deutsche Auslandsvertretung. Die Kosten der Reise begründen nach zutreffender Auffassung des Antragsgegners ebenfalls keine Unzumutbarkeit. Ungeachtet der zu erwartenden Dauer des Visumverfahrens ist der Antragstellerin die nur vorübergehende Trennung von ihrem erst vor kurzem angetrauten Ehegatten zuzumuten. Erfüllt die Antragstellerin ihre Ausreiseverpflichtung, so ist im Übrigen zu erwarten, dass der Antragsgegner die Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AufenthV erteilen wird.

Danach ist die im Wege des Ermessens getroffene Entscheidung des Antragsgegners, der Einhaltung der Visumvorschriften den Vorrang gegenüber den privaten Interessen der Antragstellerin einzuräumen, rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dient nicht zuletzt auch generalpräventiven Erwägungen, um einreisewilligen Ausländern zu verdeutlichen, dass das Schaffen vollendeter Tatsachen keine geeignete Vorgehensweise darstellt, das gesetzlich vorgeschriebene Visumverfahren zu umgehen und damit den deutschen Ausländerbehörden eine wirksame Einreisekontrolle unmöglich zu machen. Im Übrigen wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind, weil von der Antragstellerin nicht geltend gemacht (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO), nicht die Regelungen des § 39 Abs. 1 AufenthV. Zur Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits sieht sich der Senat jedoch ergänzend zu der Feststellung veranlasst, dass die dortigen Voraussetzungen, nach denen über die im AufenthG geregelten Fälle hinaus ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen kann, hier nicht vorliegen. Insbesondere ist § 39 Abs. 1 Nr. 3 AufenthV nicht erfüllt. Zwar ist die Antragstellerin mit einem gültigen Schengenvisum für kurzfristige Aufenthalte eingereist. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sind unabhängig von den erforderlichen Sprachkenntnissen jedenfalls nicht nach der Einreise entstanden. Einreise im Sinne dieser Vorschrift ist nicht die Einreise in den Schengenraum, sondern die letzte Einreise des Ausländers in das Bundesgebiet vor Einholung des erstrebten Aufenthaltstitels, die hier nach der Eheschließung in Dänemark erfolgt ist. Im Zeitpunkt der Einreise war die Antragstellerin bereits verheiratet. Auch die Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 Nr. 5 AufenthV sind nicht erfüllt. Weder ist die Abschiebung der Antragstellerin nach § 60 a AufenthG ausgesetzt, noch hat sie in der Bundesrepublik Deutschland geheiratet. Der Wortlaut dieser Vorschriften spricht gerade dafür, dass der Gesetzgeber es nicht mehr hinnehmen wollte, den um sich greifenden "Heiratstourismus" aufenthaltsrechtlich zu begünstigen.

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