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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 17.08.2006
Aktenzeichen: 2 LA 1192/04
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 43 Abs. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
1. Erledigt sich der Rechtsstreit nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils und nach Stellung des Berufungszulassungsantrags, muss der Rechtsmittelführer, der in einem solchen Fall auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag übergeht, im Berufungszulassungsverfahren darlegen, warum die Voraussetzungen für den Erlass einer Entscheidung nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO im Berufungsverfahren vorliegen.

2. Zur Frage der Anwendbarkeit des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf allgemeine Leistungsklagen.


Gründe:

I.

Mit Bescheid vom 28. Juni 2002 hat der Beklagte den Kläger mit Wirkung vom 1. Juli 2002 vom Funktionsbereich Forensik in den Funktionsbereich Allgemeine Psychiatrie II umgesetzt. Dagegen hat der Kläger nach einem erfolglosen Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 15.8.2002) Anfechtungsklage erhoben. Mit Urteil vom 26. Mai 2004 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Anfechtungsklage sei unzulässig, weil es sich bei der angegriffenen behördlichen Maßnahme nicht um eine Versetzung, sondern um eine Umsetzung ohne Verwaltungsaktsqualität handele. Die entsprechend dem Rechtsschutzziel des Klägers in eine Leistungsklage gerichtet auf Rückgängigmachung der Umsetzung umzudeutende Klage sei zwar zulässig, aber unbegründet, weil die angegriffene Umsetzung rechtmäßig sei.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 28. Juni 2004 die Zulassung der Berufung beantragt. Im Verlaufe des Berufungszulassungsverfahrens ist der Kläger mit Ablauf des 31. Mai 2005 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden. Daraufhin hat der Beklagte am 7. Dezember 2005 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Kläger hat den Rechtsstreit nicht in der Hauptsache für erledigt erklärt, sondern am 20. Dezember 2005 dargelegt, dass er sein Klagebegehren als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO fortsetze und beantrage, festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 28. Juni 2002 und der Widerspruchsbescheid vom 15. August 2002 rechtswidrig gewesen seien. Er ist der Auffassung, dass es sich bei der angegriffenen behördlichen Maßnahme nicht um eine Umsetzung, sondern um eine Versetzung gehandelt habe. Das berechtigte Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bestehe unter dem Gesichtspunkt seiner Rehabilitation und der Wiederholungsgefahr.

Der Beklagte ist der Rechtsauffassung des Klägers entgegengetreten.

II.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist zu verwerfen, da er unzulässig ist.

Die mit der Klage angefochtenen Bescheide vom 28. Juni 2002 und 15. August 2002 haben sich im Verlaufe des Berufungszulassungsverfahrens in der Hauptsache erledigt, da der Kläger mit Ablauf des 31. Mai 2005 in den Ruhestand versetzt worden ist.

Erledigt sich nach Ergehen eines Urteils die Hauptsache, kann die Zulassung der Berufung grundsätzlich lediglich zu dem Zweck beantragt werden, im Berufungsverfahren feststellen zu lassen, dass das Recht, über das in der angefochtenen Entscheidung gestritten wurde, vor Erledigung bestand, oder um bei Erledigung eines Verwaltungsaktes (und damit auch des Rechtsstreits) dessen Rechtswidrigkeit gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO feststellen zu lassen (vgl. Beschl. d. Sen. v. 8.7.2004 - 2 LA 53/03 -, Nds.Rpfl. 2004, 300 = NVwZ-RR 2004, 912; VGH Mannheim, Beschl. v. 7.1.1998 - 7 S 3117/97 -, NVwZ-RR 1998, 371; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, Vorb., § 124 RdNr. 43; vgl. zum Revisionszulassungsverfahren: BVerwG, Beschl. v. 21.8.1995 - 8 B 43.95 -, NVwZ-RR 1996, 122). Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2005 ausgeführt, dass er in dem angestrebten Berufungsverfahren eine Entscheidung nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO begehrt.

Die mit dem Berufungszulassungsantrag geltend gemachten Zulassungsgründe sind nach Erledigung der von dem Kläger angegriffenen Bescheide jedoch nur dann für die in dem angestrebten Berufungsverfahren zu treffende Entscheidung erheblich, wenn in dem Berufungsverfahren eine Entscheidung nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ergehen kann. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Entscheidung nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO liegen indes nicht vor.

Die unmittelbare Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO scheidet vorliegend aus, weil sie das Vorliegen eines Verwaltungsaktes voraussetzt (vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 21.8.1995, a.a.O.; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Oktober 2005, § 113 RdNr. 79; Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 RdNr. 95). Dieses Erfordernis erfüllt die von dem Kläger angegriffene Maßnahme des Beklagten nicht. Denn bei der von dem Beklagten mit dem Bescheid vom 28. Juni 2002 getroffenen Maßnahme handelt es sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht um eine Versetzung, sondern um eine Umsetzung. Dies hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil im Einzelnen ausgeführt. Der Senat verweist gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die von ihm als zutreffend angesehenen Erwägungen in dem Urteil des Verwaltungsgerichts (S. 4 UA), die er sich zu eigen macht. Eine Umsetzung stellt jedoch eine bloße innerorganisatorische Maßnahme ohne Verwaltungsaktqualität dar (vgl. Beschl. d. Sen. v. 12.12.2003 - 2 ME 388/03 - und Beschl. d. 5. Sen. d. beschl. Gerichts vom 15.10.2002 - 5 ME 200/02 -).

Die Frage, ob § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechend auf Klagen ohne Verwaltungsaktsbezug, z.B. die von dem Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall als zulässig erachtete allgemeine Leistungsklage, angewendet werden kann, ist umstritten. Die wohl überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur verneint die entsprechende Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf allgemeine Leistungsklagen (vgl. etwa VGH Kassel, Urt. v. 12.8.1992 - 1 UE 1496/87 -, NVwZ-RR 1993, 277, 278; OVG Münster, Urt. v. 13.1.1976 - VI A 273/74 -, RiA 1976, 137; Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 RdNr. 116; Sodann/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 42 RdNr. 71 m.w.Nachw.). Die gegenteilige Auffassung (vgl. etwa Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., § 113 RdNr. 107) verkennt, dass angesichts der Regelung in § 43 VwGO keine Lücke besteht, deren Schließung im Wege der entsprechenden Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO notwendig ist.

Im vorliegenden Fall kann letztlich offen bleiben, ob § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf allgemeine Leistungsklagen analog anwendbar ist. Denn eine Entscheidung nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO könnte in einem Berufungsverfahren nur ergehen, wenn im Berufungszulassungsverfahren ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO an der begehrten Feststellung dargelegt wird (vgl. Beschl. d. Sen. v. 8.7.2004, a.a.O.; vgl. zum Revisionszulassungsverfahren: BVerwG, Beschl. v. 21.8.1995, a.a.O.; vgl. auch VGH Mannheim, Beschl. v. 7.1.1998, a.a.O.; Kopp/Schenke, a.a.O., Vorb. § 124 RdNr. 43).

Als berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO genügt jedes nach vernünftigen Erwägungen nach Lage des Falles anzunehmende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 RdNr. 129).

Der Kläger macht zum einen geltend, dass er ein Rehabilitationsinteresse habe, weil er durch die angegriffene Maßnahme des Beklagten in diskriminierender Weise behandelt worden sei und diese Diskriminierung durch die begehrte Feststellung beseitigt werden könne. Ein Feststellungsinteresse ist zwar zu bejahen, wenn die begehrte Feststellung als Rehabilitierung erforderlich ist, weil die angegriffene Maßnahme diskriminierenden Charakter hatte und sich aus ihr eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen ergab (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 RdNr. 142). Eine solche Fallkonstellation ist hier jedoch nicht gegeben. Denn die Umsetzungsanordnung des Beklagten beruhte, wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil im Einzelnen und zutreffend ausgeführt hat (S. 5 f. UA), auf einem sachlichen Grund. Der Beklagte hat den Kläger entgegen der von ihm vertretenen Auffassung auch nicht auf einen unterwertigen Dienstposten umgesetzt. Dem Kläger ist vielmehr ein Dienstposten zugewiesen worden, der seinem statusrechtlichen Amt entsprach. Auch dies hat das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt (S. 6 bis 8 UA). Hervorzuheben ist nochmals, dass Besonderheiten des bisherigen Aufgabenbereichs des dem Beamten übertragenen Amtes, wie z.B. der Vorgesetztenfunktion, der Mitarbeiterzahl, der Beförderungsmöglichkeiten, der Funktionsbezeichnung und einem mit dem bisherigen Dienstposten tatsächlich oder vermeintlich verbundenen besonderen gesellschaftlichen Ansehen keine das Ermessen des Dienstherrn bei der Änderung des Aufgabenbereichs des Amtes einschränkende Wirkung zukommt, solange dem Beamten - wie hier - ein amtsangemessener Aufgabenbereich verbleibt (vgl. Beschl. d. Sen. v. 13.10.2004 - 2 ME 1174/04 -, Nds.VBl. 2005, 72 = Nds.Rpfl. 2005, 47 = NVwZ-RR 2005, 124, m.w.Nachw.).

Der Kläger beruft sich zur Begründung eines berechtigten Interesses im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zum anderen auf den Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Hierzu trägt er vor, er könne jederzeit aus dem einstweiligen Ruhestand wieder verwendet werden (§ 50 NBG) bzw. einen Antrag auf Wiederverwendung aus dem Ruhestand (§ 59 NBG) stellen. Er sei auch bestrebt, seine Dienstfähigkeit wieder in vollem Umfang herzustellen und danach den Dienst wieder aufzunehmen. Der Beklagte hat demgegenüber entgegnet, es erscheine äußerst fraglich, ob der Kläger jemals wieder dienstfähig werde. Es sei zudem offen, welcher Dienstposten dem Kläger in einem solchen Fall übertragen würde.

Unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ist ein Feststellungsinteresse nur dann zu bejahen, wenn die hinreichend bestimmte Gefahr besteht, dass bei im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige behördliche Maßnahme ergehen wird. Diese muss hinreichend konkret sein. Daran fehlt es bei einer nur vagen Möglichkeit einer Wiederholung. Ist ungewiss, ob künftig gleiche tatsächliche Verhältnisse vorliegen werden, besteht kein Feststellungsinteresse (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., § 113 RdNr. 93; Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 RdNr. 141). Ausgehend von diesen Voraussetzungen kann im Falle des Klägers eine Wiederholungsgefahr in dem genannten Sinne nicht angenommen werden. Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger innerhalb eines hinreichend konkret überschaubaren Zeitraumes wieder dienstfähig werden wird. Es ist zudem ungewiss, ob im Falle der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des Klägers gleiche tatsächliche Verhältnisse vorliegen werden, weil offen ist, welchen Dienstposten der Beklagte dem Kläger sodann übertragen würde.

Der Kläger könnte die begehrte Feststellung in dem angestrebten Berufungsverfahren schließlich auch nicht mit der allgemeinen Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO erreichen. Eine solche Klage setzt ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung voraus. Der Begriff des berechtigten Interesses ist in § 43 Abs. 1 VwGO genauso auszulegen wie in § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 RdNr. 23). Der Kläger hat - wie ausgeführt wurde - ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO an der begehrten Feststellung jedoch nicht hinreichend dargelegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes aus § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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