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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.07.2007
Aktenzeichen: 2 LA 439/07
Rechtsgebiete: NJAVO


Vorschriften:

NJAVO § 5
Zum Anonymitätsprinzip im Prüfungsrecht.
NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS

Aktenz.: 2 LA 439/07

Datum: 10.07.2007

Gründe:

Die Klägerin macht sinngemäß geltend, das Verwaltungsgericht habe ihr in einer einen Verfahrensmangel begründenden Weise rechtliches Gehör versagt (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), da es - ausweislich der aus ihrer Sicht § 108 Abs. 1 VwGO nicht genügenden Urteilsgründe - ihr entscheidungserhebliches wesentliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen habe (1.). Ferner bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, da das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen das prüfungsrechtliche Prinzip der anonymen Beurteilung der Prüfungsleistung (§ 5 NJAVO) übersehen habe; denn die der Klägerin zugeteilte Prüfungskennziffer aus einem anderen Prüfungsjahrgang lasse für die Prüfer darauf schließen, dass sie eine Wiederholerin gewesen sei (2. a]). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung bestünden ferner insoweit, als das Verwaltungsgericht unzutreffend davon ausgegangen sei, dass sie - die Klägerin - Einwendungen gegen die Bewertung der Prüfungsleistungen zu spät erhoben habe (2. b]).

Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.

1. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor. Schon einfaches Verfahrensrecht (§§ 108 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) verlangt nicht, dass sich die Entscheidungsgründe mit jeder Einzelheit des Vorbringens befassen; es genügt die Angabe der Gründe, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gebietet dem Gericht gleichfalls nicht, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden (BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992, - 1 BvR 168/89, 1 BvR 1509/89, 1 BvR 638/90, 1 BvR 639/90 -, BVerfGE 87, 363 [392 f]). Art. 103 Abs. 1 GG fordert allein, dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 -, BVerfGE 86, 133 [145]). Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn das Gericht gegen diesen Grundsatz erkennbar verstoßen hat; das Bundesverfassungsgericht geht grundsätzlich davon aus, dass ein Gericht dem Verfassungsgebot entsprochen hat (BVerfGE 86, 133 [146]; 87, 363 [392]). Als Indiz für die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ist erst anzusehen, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Parteivortrags zu einer Frage von zentraler Bedeutung nicht eingegangen ist, sofern das Vorbringen vom Gericht nicht für unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert gehalten wird ( BVerfGE 86, 133 [146]; BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 1997, - 2 BvR 570/96 -, NVwZ 1998, Beilage Nr. 1, 1). Was "wesentlich", "unerheblich", "substantiiert" ist, muss nicht vom Standpunkt der vortragenden Partei aus, sondern nach objektiven Kriterien beurteilt werden.

Hiervon ausgehend ist ein Gehörsverstoß nicht erkennbar. Denn das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil die von der Klägerin erhobenen Einwendungen materiell als dem prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraum der Prüfer unterfallend angesehen. Auch wenn die Urteilsgründe insoweit äußerst knapp ausfallen und überwiegend auf das gefundene Ergebnis reduziert sind, so folgt doch aus der dortigen Inbezugnahme des die Einwendungen der Klägerin im Einzelnen aufführenden Schriftsatzes vom 7. August 2006 sowie aus der Einbeziehung der Stellungnahmen der Beurteiler, dass das Verwaltungsgericht beides jedenfalls zur Kenntnis genommen und in seinen Ergebnisfindungsprozess einbezogen hat. Ein Gehörsverstoß liegt daher nicht vor.

2. Die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.

Ernstliche Zweifel sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000, - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17. Januar 2006, - 2 LA 1259/04 -). Es kommt nicht darauf an, ob einzelne Begründungselemente der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung unrichtig sind, sondern darauf, ob diese im Ergebnis unrichtig ist (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17. Januar 2006, a. a. O.).

Für den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist für die Darlegung als Mindestvoraussetzung zu verlangen, dass geltend gemacht wird, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist, und die Sachgründe hierfür bezeichnet und erläutert werden. Mit dem Abstellen auf die Ergebnisrichtigkeit ist gesagt, dass sich der Begriff der ernstlichen Zweifel nicht ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung beziehen kann, sondern zusätzlich das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen hat. So liegen etwa in den Fällen, in denen zwar die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung ersichtlich unzutreffend ist, eine andere tragfähige Begründung sich dem Senat aber ohne weiteres aufdrängt, ernstliche Zweifel im Sinne des Zulassungsrechts nicht vor (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 16. Juni 2005, - 1 L 141/05 -, Juris). Aus dem Abstellen auf die Ergebnisrichtigkeit folgt auch, dass dann, wenn eine Entscheidung in sie selbständig tragender Weise mehrfach begründet ist, im Hinblick auf jeden der Begründungsteile ein Zulassungsgrund dargelegt werden und gegeben sein muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01. Februar 1990, - BVerwG 7 B 19.90 -, Buchholz 310, § 153 VwGO, Nr. 22; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. März 2007, - 2 LA 1234/06 -, V.n.b.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 16. Juni 2005, a.a.O.).

Hiervon ausgehend bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit des vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses.

a) Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen das Anonymitätsprinzip des Prüfungsrechts deshalb rügt, weil die ihr zugeteilte Kennziffer 928/04 bei ihrer im Prüfungsdurchgang 2005 erfolgten Prüfung erkennen lasse, dass sie Wiederholerin sei, vermag dieser Vortrag keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu begründen. § 5 Satz 1 NJAVO (vom 2. November 1993, Nds. GVBl. S. 561, zuletzt geändert durch Verordnung vom 18. Mai 2007, Nds. GVBl. S. 198) bestimmt, dass den Prüferinnen und Prüfern vor der abschließenden Bewertung der schriftlichen Arbeit keine Mitteilungen über die Person und die bisherigen Leistungen des Prüflings gemacht werden dürfen. Bei der Vergabe einer Kennziffer an einen Prüfling handelt es sich aber begrifflich schon nicht um eine "Mitteilung über bisherige Leistungen" an den Prüfer im Sinne des § 5 Satz 1 NJAVO; denn Adressat dieser Mitteilung sind allein der Prüfling und die aktenführenden Stellen. Zudem enthält die Mitteilung einer Kennziffer aufgrund der vielfältigen, insbesondere krankheitsbedingten Möglichkeiten, wie es zu einer Verzögerung im Prüfungsverfahren kommen kann, keinerlei sicheren Erkenntniswert über etwaige bisherige Leistungen des Prüflings. Aus Verfassungsrecht folgt nichts anderes. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt entschieden, dass verfassungsrechtliche Maßstäbe, etwa die Chancengleichheit oder der Grundsatz der fairen Behandlung der Prüflinge (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG), nicht eine Kenntnis der negativen Bewertung von Teilleistungen durch andere Prüfer verbieten und auch nicht die Kenntnis der Prüfer davon, dass ein Prüfling Wiederholer ist oder dass der Prüfung ein Verwaltungsstreitverfahren vorausgegangen ist (BverwG, Beschluss vom 3. April 1997, - BVerwG 6 B 4.97 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 379). Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Prüfer die von ihnen zu bewertenden Leistungen unvoreingenommen und mit der nötigen Sorgfalt bewerten (BVerwG, Beschluss vom 25. April 1996, - BVerwG 6 B 49.95 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 364). Dem schließt sich der Senat an.

b) Soweit die Klägerin ernstliche Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit deshalb geltend macht, weil das Verwaltungsgericht sie - die Klägerin - mit ihren Rügen deshalb als ausgeschlossen angesehen habe, weil diese Rügen verfristet gewesen seien, genügt dieser Vortrag nicht dem Darlegungsgebot im oben umschriebenen Sinn. Denn aus der diesbezüglichen Formulierung am Ende des angefochtenen Urteils "Im Übrigen teilt das Gericht die Auffassung des Beklagten, dass die Klägerin in diesem Einzelfall auch deshalb mit ihren Rügen nicht durchdringen kann, weil sie aufgrund des Zeitablaufs mit ihren verspätet erhobenen Rügen ausgeschlossen ist" folgt hinreichend deutlich, dass diese Ausführungen begründungsalternativ ("auch deshalb") zu der zuvor dargelegten tragenden Erwägung der Zuordnung der erhobenen Rügen zum Bereich der prüfungsspezifischen Wertungen erfolgten. Da die Klägerin auf diese weitere, das Urteil tragende Erwägung in ihrem Zulassungsantrag nicht eingeht, genügt ihr Vortrag nicht dem Darlegungsgebot.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 36.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, in der Fassung der am 07./08. Juli 2004 in Leipzig beschlossenen Änderungen, www.bundesverwaltungsgericht.de).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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