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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 03.12.2008
Aktenzeichen: 2 LC 1270/04
Rechtsgebiete: NHG 2002
Vorschriften:
NHG 2002 § 11 | |
NHG 2002 § 13 Abs. 1 | |
NHG 2002 § 14 Abs. 2 |
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Langzeitstudiengebühren.
Die Klägerin studierte seit dem Wintersemester 1991/92 an der beklagten Universität im Studiengang Sonderpädagogik. Nach vorangegangener Anhörung zog die Beklagte sie mit Gebührenfestsetzungsbescheid vom 25. November 2002 gemäß § 13 Abs. 1 NHG erstmals für das Sommersemester 2003 zur Zahlung von Studiengebühren in Höhe von 500,-- EUR heran. Gegen diese Maßnahme erhob die Klägerin unter dem 19. Dezember 2002 Widerspruch und beantragte zugleich den Erlass der festgesetzten Entgelte. Unter der späteren Vorlage einer Bescheinigung des Niedersächsischen Landesprüfungsamtes für Lehrämter vom 6. März 2003 machte sie geltend, dass sie ab April 2003 beginnend mit der Examensarbeit die einzelnen Teilleistungen ihrer Abschlussprüfung erbringen würde. Sie finanziere seit zwei Jahren ihre Ausbildung durch eine Teilzeitbeschäftigung und sei mit dem hieraus resultierenden Einkommen von ca. 622,-- EUR im Monat nicht in der Lage, die geforderten Studiengebühren auszugleichen.
Dem Widerspruch blieb der Erfolg versagt; er wurde durch Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 11. April 2003 unter anderem mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Entrichtung der festgesetzten Gebühr die Klägerin nicht in eine wirtschaftliche Notlage führe, weil sie über ein Einkommen verfüge, das die insoweit maßgebliche und nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz anzunehmende Höchstgrenze von 585,-- EUR überschreite.
Daraufhin hat die Klägerin am 12. Mai 2003 den Verwaltungsrechtsweg beschritten und zur Begründung ihrer Klage im Wesentlichen ausgeführt, dass die Erhebung der beanstandeten Studiengebühren mit verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht zu vereinbaren sei. Die Einführung von Studiengebühren zum Sommersemester 2003 wirke sich für bereits immatrikulierte Studierende als unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG aus und habe gegenüber Studierenden, die kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung stünden, nicht ohne längere Übergangszeiträume erfolgen dürfen. Darüber hinaus könne sie, die Klägerin, einen besonderen Härtefall im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 3 NHG für sich in Anspruch nehmen, weil die Erfüllung der Gebührenpflicht sie in eine wirtschaftliche Notlage führen würde. Aus ihrer Teilzeitbeschäftigung stünden ihr monatliche Nettoeinkünfte in Höhe von 640,68 EUR zur Verfügung. Hiervon müsse sie für ihre freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung einen Teilbetrag von 127,47 EUR abführen, so dass ihr nicht einmal der Bedarfssatz des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verbleibe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 25. November 2002 und 11. April 2003 zu verpflichten, ihr die Studiengebühren für das Sommersemester 2003 und das Wintersemester 2003/04 zu erlassen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide und die Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen Rechtsgrundlagen verteidigt und die Annahme einer unbilligen Härte für die Klägerin verneint.
Durch Urteil vom 23. September 2004 hat das Verwaltungsgericht der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung der insoweit entgegen stehenden angefochtenen Bescheide verpflichtet, der Klägerin für das Sommersemester 2003 und das Wintersemester 2003/04 Studiengebühren in Höhe von jeweils 92,36 EUR zu erlassen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die im Niedersächsischen Hochschulgesetz getroffenen Regelungen über die Erhebung von Studiengebühren mit höherrangigem Recht vereinbar seien, insbesondere nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG verstießen und auch nicht mit einer unzulässigen Rückwirkung für Langzeitstudierende verbunden seien. Die Klägerin habe allerdings einen Anspruch darauf, dass ihr die Studiengebühren gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG teilweise erlassen würden, da sie im Sommersemester 2003 wie im Wintersemester 2003/04 mit ihrer Ausbildung in zeitlich unmittelbarer Nähe zum letzten Abschnitt der Abschlussprüfung gestanden und sich in dieser Zeit auch in einer wirtschaftlichen Notlage befunden habe. Soweit der Beklagte für die Bearbeitung von Härtefallanträgen einschließlich der Beurteilung wirtschaftlicher Notlagen Richtlinien erlassen habe, die an den höchsten Bedarfssatz nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz anknüpften, bestünden gegen eine derartige Norminterpretation oder Normkonkretisierung keine rechtlichen Bedenken. Denn es leuchte ein, dass der Studierende, der über ein den BAföG-Höchstsatz von 585,-- EUR übersteigendes Einkommen verfüge, nicht wirtschaftlich Not leidend sei. Mit der Regelung des BAföG-Höchstsatzes habe der Bundesgesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass der Bedarf der studentischen Lebensführung mit diesem Betrag hinreichend gedeckt werden könne. Hieran mit Blick auf einen teilweisen oder vollständigen Erlass der Studiengebühren anzuknüpfen, sei sachgerecht, weil kein Grund ersichtlich sei, der es nahe legen könnte, den Lebensunterhalt von Studierenden, die keine Leistungen nach dem BAföG erhielten, anders zu beurteilen als denjenigen der BAföG-Empfänger. Allerdings seien BAföG-Empfänger nach § 13 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 NHG von der Erhebung der Studiengebühr ausgenommen, während Studierenden, die über anderweitige Einkünfte nach dem BAföG-Höchstsatz verfügten, nach der Richtlinie der Beklagten die Studiengebühren nicht erlassen würden. Das wäre aber mit der gesetzlichen Regelung nach § 14 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 NHG dann nicht vereinbar, wenn der betroffene Studierende durch die Einziehung der Gebühr in eine wirtschaftliche Notlage geriete. Eine derartige Notlage könne daher nur dann angenommen werden, wenn angesichts der Pflicht zur Zahlung der Studiengebühr das sozialhilferechtliche Existenzminimum in Form des sozialhilferechtlichen Regelsatzes zuzüglich der Unterkunftskosten und des Bedarfs für die Kranken- und Pflegeversicherung nicht gewahrt würde. Dabei sei für die Kosten der Unterkunft allerdings nicht auf den sozialhilferechtlichen Bedarf, sondern auf den studentischen Unterkunftsbedarf nach § 13 Abs. 2 und Abs. 3 BAföG in Höhe von 133,-- EUR abzustellen. Anhand dieser drei genannten Positionen setze sich das sozialhilferechtliche Existenzminimum eines Studierenden aus dem sozialhilferechtlichen Regelsatz in Höhe von 296,-- EUR, dem Unterkunftsbedarf in Höhe von 133,-- EUR und den Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 55,-- EUR zusammen und belaufe sich in der Addition auf 484,-- EUR. Danach verblieben jedem Studierenden, der über ein monatliches Einkommen in Höhe von 585,-- EUR verfüge, hinreichende Mittel zum Ausgleich der Studiengebühren. Gehe man davon aus, dass bei der Begleichung einer Gebühr in Höhe von 500,-- DM ein Teilbetrag von 83,33 EUR auf den einzelnen Monat je Semester entfalle, so blieben dem Studierenden letztlich noch rund 502,-- EUR zur Bestreitung des allgemeinen Lebensbedarfs einschließlich der Kosten der Ausbildung und der Unterkunft sowie der studentischen Kranken- und Pflegeversicherung. Das sozialhilferechtliche Existenzminimum einschließlich der Versicherungsaufwendungen würde somit gewahrt, so dass auch die weitere in den Richtlinien der Beklagten getroffene Regelung keinen Bedenken begegne, wonach die wirtschaftliche Not eines Studierenden anerkannt werde, wenn er nachgewiesen habe, dass seine durchschnittlichen monatlichen Einkünfte den Betrag von 500,-- EUR nicht überstiegen, und ein teilweiser Erlass der Gebühr in Betracht komme, wenn die durchschnittlichen monatlichen Einkünfte den Betrag von 500,-- EUR überstiegen, aber die BAföG-Höchstgrenze von 585,-- EUR nicht überschritten. Nach diesen Maßstäben seien der Klägerin die Studiengebühren in Höhe von 92,36 EUR je Semester zu erlassen, weil sie lediglich über ein Einkommen in Höhe von 567,94 EUR verfügt habe, von dem sie zur Begleichung der Studiengebühren nur den die 500,-- EUR-Grenze überschreitenden Betrag, also 67,94 EUR x 6 = 407,64 EUR, habe einsetzen müssen. Der Klägerin seien monatlich Nettoeinkünfte in Höhe von 640,68 EUR zugeflossen, von denen allerdings der jeweilige Differenzbetrag zwischen der studentischen Kranken- und Pflegeversicherung (55,-- EUR) und der von ihr freiwillig zu entrichtenden Versicherungsbeiträge (127,74 EUR), also 72,74 EUR in Abzug gebracht werden müsse, so dass sich ihr Einkommen insgesamt auf 567,94 EUR belaufe (640,68 EUR - 72,74 EUR).
Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wendet sich die Klägerin mit ihrer von dem Verwaltungsgericht zugelassenen und am 28. Oktober 2004 erhobenen Berufung, zu deren Begründung sie ausführt: Sie bleibe dabei, dass die §§ 11 und 13 NHG keine tragfähige Rechtsgrundlage für ihre Heranziehung zu Studiengebühren bildeten. Die Einführung von Langzeitstudiengebühren bewirke für die Studierenden, die sich wie sie bereits in der Ausbildung befänden, eine unzulässige Rückwirkung. Darüber hinaus habe das Verwaltungsgericht die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, die streitbefangenen Studiengebühren nur teilweise zu erlassen, und damit verkannt, dass sie den geltend gemachten Erlass in vollem Umfang beanspruchen könne. Zuzustimmen sei dem Verwaltungsgericht in seinem rechtlichen Ansatzpunkt, dass das Existenzminimum eine Schranke für die Erhebung von Studiengebühren von den Studierenden bilde, deren Ausbildung in zeitlich unmittelbarer Nähe zur Abschlussprüfung stehe. Dieses Existenzminimum habe das Verwaltungsgericht jedoch zu gering bemessen. Insbesondere könne der Auffassung der Vorinstanz nicht gefolgt werden, dass für die Berechnung des Existenzminimums der sozialhilferechtliche Regelsatz, der Unterkunftsbedarf eines Studierenden nach dem BAföG und die Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung ebenfalls nach dem BAföG heranzuziehen seien. Eine solche Betrachtungsweise verkenne, dass hier zwei unterschiedliche Regelungsbereiche systemwidrig miteinander vermischt würden. Lege man dagegen die Konzeption des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zugrunde, so hätten ihr die geltend gemachten Studiengebühren erlassen werden müssen, da von ihrem monatlichen Einkommen in Höhe von 640,68 EUR die Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 127,74 EUR in Abzug zu bringen seien, so dass sie nicht mehr über den ausbildungsrechtlichen Bedarf verfügt habe. Das gelte umso mehr, als auch die von ihr aufzuwendenden Kosten für die Unterkunft in der tatsächlich entstandenen Höhe von 145,35 EUR zuzüglich Nebenkosten in Höhe von weiteren 52,-- EUR berücksichtigt werden müssten, da ein solcher Aufwand für eine ca. 29 qm große Wohnung nicht als überhöht oder gar luxuriös angesehen werden könne.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihr für das Sommersemester 2003 und Wintersemester 2003/04 Studiengebühren in Höhe von weiteren 407,64 EUR zu erlassen und die angefochtenen Bescheide aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, sieht sich dadurch in der Anwendung ihrer Richtlinien zur Bestimmung von Härtefällen bestätigt und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 124a Abs. 2 und 3 VwGO zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung befinden kann, hat lediglich zum Teil Erfolg und ist im Übrigen zurückzuweisen. Die Klägerin kann von der Beklagten verlangen, dass ihr die für das Sommersemester 2003 und das Wintersemester 2003/04 zu entrichtenden Langzeitstudiengebühren in Höhe von jeweils 165,92 EUR und damit um 73,56 EUR mehr als vom Verwaltungsgericht angenommen erlassen werden. In diesem Umfang sind die angefochtenen Bescheide aufzuheben, weil sie insoweit rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen.
Anders als die Klägerin meint, ergibt sich der Teilerfolg ihrer Klage wie ihrer Berufung jedoch noch nicht aus einer nicht gerechtfertigten Gebührenfestsetzung. Rechtliche Grundlage für die Erhebung der Studiengebühren für die streitbefangenen Semester ist § 13 Abs. 1 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes - NHG - in der Fassung des Gesetzes zur Hochschulreform in Niedersachsen vom 24. Juni 2002 (GVBl. 2002, 286) i. V. m. § 11 NHG. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 NHG erheben die niedersächsischen Hochschulen von Studierenden für jedes Semester, das das ihnen zustehende Studienguthaben überschreitet, eine Studiengebühr in Höhe von 500,-- EUR. Das Studienguthaben, über das jeder Studierende zur Erlangung eines berufsqualifizierenden Abschlusses verfügt, berechnet sich nach der Semesterzahl der Regelstudienzeit eines grundständigen Studienganges zuzüglich vier weiterer Semester, wobei für die Berechnung des Studienguthabens die Regelstudienzeit des gegenwärtig gewählten Studiengangs, bei einem Parallelstudium der Studiengang mit der längeren Regelstudienzeit, maßgeblich ist (§ 11 Abs. 2 Satz 1 NHG).
Wie vom Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, begegnen die Rechtsgrundlagen für die Erhebung von Langzeitstudiengebühren keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 13. Januar 2004 (- 2 ME 364/03 -, NdsVBl. 2004, 130 f.) erstmals und sodann in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt Beschl. v. 22.1.2008 - 2 LA 920/04 -) eingehend dargelegt, dass die zum 1. Oktober 2002 in Kraft getretene (s. § 72 Abs. 12 NHG) Bestimmung des § 13 Abs. 1 Satz 1 NHG mit den Grundrechten nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG ebenso vereinbar ist wie mit dem Rechtsstaatsprinzip, weil ihr nur eine so genannte unechte Rückwirkung beigemessen werden kann. Denn die Vorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 1 NHG bewirkt keine Rückwirkung für einen Zeitraum vor ihrer Verkündung (1.10.2002). Zwar verringern die vor dem 1. Oktober 2002 absolvierten (gebührenfreien) Hochschulsemester das Studienguthaben, hierbei handelt es sich aber um eine (zulässige) bloß tatbestandliche Rückanknüpfung, weil für die Belastung des Studierenden erst auf das Bestehen der Gebührenpflicht - für die Klägerin hier erst im Sommersemester 2003 - abzustellen ist und die Berechnung des Studienguthabens keine selbständige Belastung des Studierenden darstellt (vgl. ferner BVerwG, Urt. v. 25.7.2001 - 6 C 8.00 -, BVerwGE 115, 32, 47 f.; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 6.4.2000 - 2 S 1860/99 -, DVBl. 2000, 1732; OVG NRW, Urt. v. 1.12.2004 - 8 A 3358/04 -, DVBl. 2005, 518, 520). In dem Beschluss vom 13. Januar 2004 (a.a.O.) hat der Senat weiter ausgeführt, dass der niedersächsische Landesgesetzgeber mit der Einführung der Langzeitstudiengebühr in der Absicht, die Studierenden zu einem zügigen Abschluss ihres Studiums anzuhalten und damit zu einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit und Effizienz der Hochschulen beizutragen, ein legitimes Gemeinwohlanliegen verfolgt habe, auf das sich die Studierenden angesichts frühzeitiger Hinweise auf das Entstehen der Gebührenpflicht rechtzeitig einstellen konnten.
Nach Maßgabe der genannten rechtlichen Grundlagen ist die Beklagte zu Recht von einem Studienguthaben der Klägerin in Höhe von 13 Semestern ausgegangen, das mit Ablauf des Wintersemesters 2002/03 verbraucht war. Der Regelstudienzeit von neun Semestern und vier zusätzlichen Semestern stand bis zum Beginn des Sommersemesters 2003 ein Studium von insgesamt 23 Semestern gegenüber, von denen die Klägerin in einem Semester beurlaubt war. Infolgedessen ist für das Sommersemester 2003 für sie die Verpflichtung zur Zahlung einer Studiengebühr in Höhe von 500,-- EUR entstanden.
Die Klägerin kann jedoch von der Beklagten verlangen, dass ihr die Studiengebühr teilweise, und zwar in Höhe von 165,92 EUR für das jeweils streitbefangene Semester erlassen wird. Nach § 14 Abs. 2 NHG können die Gebühren nach § 13 NHG auf Antrag im Einzelfall teilweise oder ganz erlassen werden, wenn die Einziehung der Gebühr zu einer unbilligen Härte führen würde, wobei diese für die Langzeitstudiengebühren nach § 13 Abs. 1 in der Regel unter anderem dann anzunehmen ist, wenn der Gebühreneinzug zu einer wirtschaftlichen Notlage des Studierenden in zeitlich unmittelbarer Nähe zum letzten Abschnitt der Abschlussprüfung führen würde (§ 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 NHG).
Der Begriff der unbilligen Härte in Gestalt des Regelbeispiels einer wirtschaftlichen Notlage nach § 14 Abs. 2 NHG ist - wie der Senat bereits durch Beschluss vom 29. Mai 2007 - 2 ME 419/07 - entschieden hat - als unbestimmter Rechtsbegriff sowohl der Tatbestandsseite der Norm zuzuordnen, wie aber auch mit dem durch die Norm eingeräumten Ermessen verknüpft. Wie der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Beschl. v. 19.10.1971 - GmS-OGB 3/70 -, BVerwGE 39, 355) ausgeführt hat, kann nur nach Sinn und Zweck der jeweiligen Norm darüber entschieden werden, in welchem Verhältnis unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessen in einer Norm zueinander stehen. Da es Sinn und Zweck des § 14 Abs. 2 NHG ist, unbillige Härten zu vermeiden, prägt der Begriff der unbilligen Härte den Zweck der Ermessensermächtigung entscheidend und bestimmt maßgeblich das Steuerungsprogramm für das Ermessen sowie die hierfür beachtlichen Kriterien. Neben diesem Zweck, unbillige Härten zu vermeiden, sind andere für den Erlass der Langzeitstudiengebühr bedeutsame Ermessensgesichtspunkte nicht ersichtlich. So lassen sich keine Gründe finden, die es rechtfertigen könnten, gegen den Ermächtigungszweck die Gebühr trotz sonst eintretender unbilliger Härte zu fordern. Einerseits gibt § 14 Abs. 2 NHG daher nur dann, wenn und soweit die Entrichtung der Langzeitstudiengebühr zu einer unbilligen Härte führen würde, die Ermessensdirektive vor, diese auf Antrag ganz oder teilweise zu erlassen (eine sonst eintretende unbillige Härte als notwendige Bedingung auf der Tatbestandsseite der Norm); andererseits soll aber auch immer dann, wenn und soweit die Entrichtung der Langzeitstudiengebühr zu einer unbilligen Härte führen würde, diese erlassen werden (eine sonst eintretende unbillige Härte als notwendiges und zugleich hinreichendes Ermessenskriterium auf der Rechtsfolgeseite der Norm). Damit ist die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der unbilligen Härte des § 14 Abs. 2 NHG auch unmittelbar mit dem Ermessensbereich und der Ermessensausübung nach dieser Vorschrift verbunden (vgl. zur Systematik und zum Begriff der unbilligen Härte in § 25 Abs. 6 BAföG: BVerwG, Urt. v. 17.7.1998 - 5 C 14.97 -, BVerwGE 107, 164 ff.), so dass bei Vorliegen einer unbilligen Härte das durch § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG eingeräumte Ermessen grundsätzlich in Richtung auf Erlass der Langzeitstudiengebühr auszuüben ist, es sei denn, es liegen außergewöhnliche Umstände vor, die ausnahmsweise eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten (vgl. dazu auch Thür. OVG, Urt. v. 13.12.2007 - 1 KO 1019/06 -, juris).
Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin hinreichend dargelegt, dass sie sich im Sommersemester 2003 wie im folgenden Wintersemester 2003/04 in zeitlich unmittelbarer Nähe zum letzten Abschnitt der Abschlussprüfung befunden hat. Eine solche ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn - wie für die Klägerin mit Bescheinigung des Niedersächsischen Landesprüfungsamtes für Lehrämter vom 6. März 2003 bestätigt - davon ausgegangen werden kann, dass das Studium in dem Semester, für das der Gebührenerlass beantragt wird, spätestens aber in dem darauf folgenden Semester abgeschlossen wird.
Darüber hinaus würde die Einziehung der Langzeitstudiengebühr für die Klägerin teilweise auch eine wirtschaftliche Notlage bewirken. Eine solche ist dann anzunehmen, wenn dem Studierenden monatlich nur Mittel zur Verfügung stehen, die unterhalb des Höchstsatzes nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (hier anwendbar in der im maßgeblichen Erhebungszeitraum geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung vom 19.3.2001 - BGBl. I S. 390) gemäß §§ 13, 13 a BAföG verbleiben (ebenso OVG NRW, Urt. v. 6.2.2007 - 15 A 5228/04 -, NWVBl. 2007, 352; ferner VG Braunschweig, Urt. v. 23.1.2004 - 6 A 432/03 -; VG Göttingen, Urt. v. 4.3.2004 - 4 A 98/03 -; VG Sigmaringen, Urt. v. 31.10.2001 - 8 K 438/99 -; VG Köln, Urt. v. 26.4.2004 - 6 L 562/04 -). Die durch das Bundesausbildungsförderungsrecht gewährten Leistungen sind auf den spezifischen Bedarf für den Lebensunterhalt und die Ausbildung der Studierenden zugeschnitten (§ 11 Abs. 1 BAföG; dazu BVerwG, Beschl. v. 18.7.1994 - 5 B 25.94 -, Buchholz 436.0 § 26 BSHG Nr. 13). Mit der Ausbildungsförderung soll demjenigen, dem die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen, eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung ermöglicht werden (§ 1 BAföG). Deshalb wird der Empfänger von Ausbildungsförderung, solange er Leistungen erhält, nach § 13 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 NHG auch von der Gebührenpflicht für Langzeitstudiengebühren ausgenommen. Daher ist es mit Blick auf die einem Studierenden allein zur Verfügung stehenden Mittel sachgerecht, demjenigen, der staatliche Leistungen im Rahmen einer Studienausbildung in Anspruch nimmt, ohne hierfür Ausbildungsförderung zu erhalten, die deshalb angefallene Gebühr dann aus Gründen einer unbilligen Härte zu erlassen, wenn ihm die Mittel, die ihm nach dem Ausbildungsförderungsrecht im Falle eines Förderungsanspruchs zustünden, nicht verbleiben. Es ist somit, anders als vom Verwaltungsgericht angenommen, systemwidrig und verfehlt, den für eine wirtschaftliche Notlage anzunehmenden Maßstab anhand sozialhilferechtlicher Kriterien oder aus einer Kombination zwischen sozialhilferechtlichen und förderungsrechtlichen Berechnungen zu bemessen, da sich der sozialhilferechtliche Maßstab nach anderen Kriterien bestimmt als danach, welche Lebenssituation einem Studenten zumutbar ist.
Hieran gemessen ist für die Klägerin ein förderungsrechtlicher Bedarf in Höhe von insgesamt 585,-- EUR anzusetzen, der sich aus dem allgemeinen Bedarf für Studierende nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 BAföG in Höhe von 333,-- EUR, dem Bedarf für die Unterkunft nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 1 BAföG in Höhe von 197,-- EUR sowie den Kranken- und Pflegeversicherungszuschlägen nach § 13 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 BAföG in Höhe von 47,-- EUR und weiteren 8,-- EUR, also 55,-- EUR zusammensetzt. Dieser Bedarf ist nicht durch eine größere Verminderung des anzurechnenden Einkommens gemäß § 23 Abs. 1 BAföG zu erhöhen. Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass den Studenten nicht jedweder Anreiz einer Nebentätigkeit oder Semesterferienarbeit genommen wird, da sie sonst bei voller Anrechnung eine entsprechend geminderte Ausbildungsförderung erhielten (vgl. Humborg, in: Rothe/Blanke, BAföG, Stand: Mai 2008, § 23 Rn. 4). Um einen Anreiz zur Nebentätigkeit im Rahmen der Förderung der Ausbildung eines Förderungsbedürftigen geht es indes hier nicht, sondern um die Beurteilung der Frage, ob die Pflicht zur Zahlung einer Gebühr für die Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung eine wirtschaftliche Notlage bewirkt, die - wie vorstehend ausgeführt - anhand des förderungsrechtlichen Bedarfs zu würdigen ist (vgl. OVG NRW a. a. O.). Diesem Bedarf der Klägerin in Höhe von 585,-- EUR stand ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 640,68 EUR gegenüber, von dem weitere Teilbeträge nicht abgezogen werden können, da insbesondere für die Aufwendungen für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 i. V. m. Abs. 2 BAföG nicht vorliegen. Der Aufwand für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung wird daher nur durch den erhöhten Bedarf nach § 13 a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 BAföG abgegolten.
Aus der Gegenüberstellung von dem der Klägerin zufließenden durchschnittlichen Monatseinkommen in Höhe von 640,68 EUR und dem für sie förderungsrechtlich anzusetzenden Bedarf von 585,-- EUR ergibt sich ein einkommensmäßiger Überschuss in Höhe von 55,68 EUR, den die Klägerin in Höhe des Sechsfachen, also in Höhe von 334,08 EUR für den Ausgleich der Langzeitstudiengebühr einsetzen kann. Hieraus folgt weiter, dass die Klägerin für die streitbefangenen Berechnungszeiträume des Sommersemesters 2003 wie des Wintersemesters 2003/04 von der Beklagten einen Erlass der Studiengebühren in Höhe von jeweils 165,92 EUR (500,-- EUR - 334,08 EUR) beanspruchen kann. Aus der vorstehenden Würdigung ergibt sich ferner, dass die Beklagte in ihren Richtlinien für die Bearbeitung der Härtefälle auf Erlass der Langzeitstudiengebühren nach § 14 Abs. 2 NHG den Begriff der wirtschaftlichen Not im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 3 NHG zu eng bemessen hat, da nach den Richtlinien eine zum Erlass der Gebühr führende wirtschaftliche Not erst dann nachgewiesen sein soll, wenn das durchschnittliche monatliche Einkommen den Betrag von 500,-- EUR nicht übersteigt, während bei Einkünften, die zwischen 500,-- EUR und der BAföG-Höchstgrenze von 585,-- EUR liegen, die Gebühr teilweise erlassen werden kann. Danach können zu Unrecht Studierende ganz oder teilweise zu Langzeitstudiengebühren herangezogen werden, denen zur Bestreitung von Ausbildung und Lebensunterhalt nicht einmal der ausbildungsförderungsrechtliche Bedarf verbleibt, was nach Auffassung des Senats mit § 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 NHG nicht zu vereinbaren ist.
Ende der Entscheidung
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