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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 23.01.2003
Aktenzeichen: 2 ME 73/03
Rechtsgebiete: NHG, NHGS


Vorschriften:

NHG 16 I
NHG 16 III
NHGS 72 I
Ein emeritierter Professor, der an der Hochschule an der Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses mitwirkt sowie Aufgaben als Partnerschaftsbeauftragter für eine ausländische Universität wahrnimmt, ist nach dem niedersächsischen Hochschulgesetz (i.d.F. des Hochschulreformgesetzes) Kraft Gesetzes aktiv wahlberechtigt, ohne dass in der Grundordnung der Hochschule seine Wahlberechtigung festgelegt werden muss.
Gründe:

Die Beschwerde, mit der sich die Antragsgegnerin gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 13. Januar 2003 wendet, in der das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, den Antragsteller, einen emeritierter Professor, in das Wählerverzeichnis der aktiv Wahlberechtigten für die zwischen dem 21. und dem 23. Januar 2002 stattfindenden Wahlen zu Kollegialorganen der Antragsgegnerin (Fakultätsrat) einzutragen, bleibt erfolglos. Denn nach dem Kenntnisstand dieses Eilverfahrens gehört der Antragsteller zu den Hochschulangehörigen der Antragsgegnerin i. S. des § 16 Abs. 3 Satz 1 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (Art. 1 des Gesetzes zur Hochschulreform in Niedersachsen v. 24.6.2002, Nds.GVBl. S. 285 - NHG -), die aktiv wahlberechtigt sind.

Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss, dass der Antragsteller, ein emeritierter Professor an der medizinischen Fakultät der Antragsgegnerin, Hochschulangehöriger i. S. des § 16 Abs. 3 Satz 1 NHG ist und damit nach § 16 Abs. 3 Satz 3 NHG das aktive Wahlrecht besitzt, mithin in das Wählverzeichnis der aktiven Wahlberechtigten für die bei der Antragsgegnerin anstehenden Wahlen zum Fakultätsrat einzutragen ist. Der Senat verweist daher nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die von ihm auch als zutreffend angesehen Erwägungen in dem angefochtenen Beschluss vom 13. Januar 2003, die er deshalb nicht wiederholt. Lediglich ergänzend und auch mit Rücksicht auf das Vorbringen der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren bemerkt der Senat zusätzlich:

Zunächst ergibt sich auch nach Einschätzung des Senats das (aktive) Wahlrecht des Antragstellers unmittelbar aus dem Niedersächsischen Hochschulgesetz, und zwar aus § 16 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Satz 1 NHG. Einer näheren Bestimmung des Inhalts, dass emeritierte Professoren erst durch die - gem. § 72 Abs. 1 Satz 3 NHG noch bis zum 31. Dezember 2004 an das neue Hochschulrecht anzupassende - Grundordnung der Antragsgegnerin (Bek. des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst v. 26.6.1996, Nds.MBl. S. 1272) nach § 16 Abs. 3 Satz 2 NHG (fakultativ) für wahlberechtigt erklärt werden können, bedarf es entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht; denn bereits aus dem Wortlaut des § 16 Abs. 3 Satz 1 NHG und der Entstehungsgeschichte des § 16 Abs. 3 NHG ergibt sich, dass emeritierte Professoren, die wie der Antragsteller an der Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses für die Hochschule mitwirken sowie ebenfalls für die Hochschule eine besondere Funktion wahrnehmen - hier: Partnerschaftsbeauftragter für eine polnische Universität - , also an der Antragsgegnerin i. S. des § 16 Abs. 3 Satz 1 NHG "tätig" sind, zu den "Angehörigen der Hochschule" nach § 16 Abs. 3 Satz 1 NHG zu zählen sind. Der Gesetzgeber des Hochschulreformgesetzes hatte nämlich ursprünglich beabsichtigt, bei der Norm über die Mitgliedschaft und Mitwirkung an einer Hochschule lediglich den Begriff des Mitgliedes einer Hochschule näher zu bestimmen, die Einzelheiten der Mitwirkung der übrigen an der Hochschule Tätigen aber den Hochschulen selbst zu überlassen, die in ihren Grundordnungen und Wahlordnungen die entsprechenden Regelungen treffen sollten (vgl. LT-Drucks. 14/2541, S. 70 - § 12 des Entwurfs). Die ursprüngliche Fassung des die Mitgliedschaft und Mitwirkung an einer Hochschule regelnden § 12 sah daher in dessen Abs. 1 Satz 4 vor, dass die "Grundordnung .... den Status der übrigen an der Hochschule Tätigen und der anderen Angehörigen" regeln sollte. Diese Bestimmung ist aber nicht Gesetz geworden. Vielmehr wurde im Rahmen der Gesetzesberatungen im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst (63. Sitzung v. 1.11.2001 und 77. Sitzung v. 15.4.2002) erkannt, dass die "übrigen" an der Hochschule Tätigen ohnehin zu den "Angehörigen der Hochschule" gehörten und dass daher hinsichtlich des (aktiven) Wahlrechts eine Präzisierung erforderlich war (Ausschussprotokoll v. 1.11.2001, S. 5). Im weiteren Gesetzgebungsverfahren (s. Ausschussprotokoll v. 15.4.2002, S. 5) wurde daher die Bestimmung des § 12 Abs. 1 Satz 4 des Entwurfs gestrichen, auch wurden der Status sowie die Mitwirkungsrechte der nicht bereits als Mitglieder der Hochschule anzusehenden sonstigen an der Hochschule Tätigen in einem neuen Absatz 2/1, dem dann Gesetz gewordenen § 16 Abs. 3 NHG, in Abänderung zu dem ursprünglichen Gesetzesprogramm dahingehend geregelt, dass der Gesetzgeber den an der Hochschule tätigen Angehörigen der Hochschule bereits selbst das aktive Wahlrecht zuerkannt hat (§ 16 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Satz 3 NHG). Die Hochschulen können in ihren Grundsordnungen nunmehr lediglich den Kreis der (wahlberechtigten) Angehörigen erweitern, indem sie diese zu Angehöriger bestimmen (§ 16 Abs. 3 Satz 2 NHG), oder die Rechte und Pflichten der Angehörigen ausdehnen (§ 16 Abs. 3 Satz 4 NHG).

Wenn die Antragsgegnerin demgegenüber meint, der Begriff des wahlberechtigten Hochschulangehörigen in § 16 Abs. 3 NHG sei derart vage und vollzugsuntauglich, dass er einer Konkretisierung in einer noch neu zu fassenden Grundordnung bedürfe, so gibt dies nach dem Kenntnisstand dieses Eilverfahrens zu keiner anderen Beurteilung Anlass. Bei dem Begriff des an der Hochschule tätigen Angehörigen handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der durch Auslegung näher konkretisiert werden muss. Wie etwa das Beispiel der polizeilichen Generalklausel zeigt, ist diese Konkretisierung insbesondere mit Hilfe der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung durchaus möglich, und zwar in einer Weise, die den praktischen Vollzug des Gesetzes nicht in Frage stellt. Nach Ansicht des Senats lässt die von dem Gesetzgeber in § 16 Abs. 3 Satz 1 NHG gewählte Ausgestaltung des unbestimmten Rechtsbegriffs des "Angehörigen" auch noch eine hinreichende Konkretisierung zu; denn der Begriff wird sowohl negativ - der "Angehörige" darf nicht Mitglied der Hochschule i. S. des § 16 Abs. 1 NHG sein - als auch positiv - der "Angehörige" muss an der Hochschule auch Tätigkeiten entfalten - abgegrenzt. Die Antragsgegnerin kann auch nicht damit gehört werden, die Vielzahl der an ihr Tätigen stelle sie für die Aufstellung des Wählerverzeichnisses vor unüberwindliche Schwierigkeiten, so dass zumindest deshalb eine nähere Konkretisierung in der noch abzuändernden Grundordnung unabdingbar sei. Im Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung vermag dieser Einwand nicht zu überzeugen; denn der Antragsgegnerin haben etwa in Gestalt von Gehaltslisten, Vergütungsverträgen sowie dem Vorlesungsverzeichnis, um nur einige Hilfsmittel zu nennen, in ausreichendem Maße Unterlagen zur Verfügung gestanden, um mit deren Hilfe sowie mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung diejenigen zu bestimmen, die nach § 16 Abs. 3 Satz 1 und 3 NHG als aktiv wahlberechtigte Angehörige der Hochschule in Betracht kommen. Auch ist zu bedenken, dass die Gesetzesänderung mit der Ausdehnung der aktiv Wahlberechtigten bereits zum 1. Oktober 2002 in Kraft getreten ist (Art. 7 Abs. 1, 2. Altn. Hochschulreformgesetz, aaO) und dass das Gesetz selbst bereits am 4. Juli 2002 im Gesetzblatt verkündet worden ist, so dass der Antragsgegnerin für die Feststellung der zusätzlich Wahlberechtigten für die Wahlen vom 21. - 23. Januar 2003 - auch in Bezug auf Zweifelsfälle - ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung gestanden haben muss.

Der Senat hat ebenso wie das Verwaltungsgericht keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller zu den an der Antragsgegnerin tätigen Hochschulangehörigen gehört. Der Antragsteller ist auf Grund seiner Emeritierung nicht (mehr) Mitglied i. S. des § 16 Abs. 1 NHG. Andererseits hat er auch nach seiner Emeritierung für die Antragsgegnerin namentlich im Wintersemester 2002/2003 in nicht geringem Umfang Leistungen erbracht und damit für die Antragsgegnerin als Hochschule Tätigkeiten entfaltet, die es auch von ihrer Wertigkeit her als gerechtfertigt erscheinen lassen, ihn als Hochschulangehörigen einzustufen.

Bei den nach § 72 Abs. 1 Satz 1 NHG bis zum 31. Januar 2003 durchzuführenden Wahlen sind entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch die nach § 16 NHG zusätzlich wahlberechtigt gewordenen Personen zu beteiligen, so dass der Antragsteller auch insoweit einen Anspruch auf Eintragung in das Wählerverzeichnis hatte. Der Übergangsbestimmung des § 72 NHG oder dem § 16 NHG selbst kann nämlich nicht entnommen werden, dass für die bis zum 31. Januar 2003 durchzuführende Wahl die nach § 16 Abs. 3 NHG - kraft Gesetzes - Wahlberechtigten nicht teilnehmen, diese etwa erst nach dem Erlass der abgeänderten Grundordnung wahlberechtigt sein sollten. Vielmehr enthält § 72 Abs. 1 Satz 1 NHG für die Wahl lediglich die Maßgabe, dass ein neuer Senat nach § 97 NHG a. F. zu wählen ist, wodurch die Wahlberechtigung der in § 16 Abs. 3 NHG genannten Angehörigen erkennbar nicht eingeschränkt wird. Eine Einschränkung ergibt sich auch nicht aus § 5 Abs. 2 der Wahlordnung zu den Kollegialorganen an der Antragsgegnerin (Beschl. des Senats der Antragsgegnerin v. 3.7.1996, zuletzt geändert durch Beschl. v. 3.7.2002), der allerdings nur eine Eintragung der (wahlberechtigten) Hochschulmitglieder in das Wählerverzeichnis vorsieht. Diese Einschränkung ist nämlich unbeachtlich und kann hier der Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller in das Wählerverzeichnis einzutragen, nicht entgegenstehen, weil sich die Wahlberechtigung des Antragstellers - wie dargelegt - unmittelbar aus dem Gesetz (§ 16 Abs. 3 Satz 1 und 3 NHG) ergibt. Damit verstößt § 5 Abs. 2 der Wahlordnung in seiner jetzigen Form gegen höherrangiges Recht und ist deshalb für die Verwaltungsgerichte nicht beachtlich.

Schließlich ist mit dem Verwaltungsgericht der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund zu bejahen. Denn die Wahlen stehen nunmehr unmittelbar bevor und im Falle der Nichteintragung in das Wählerverzeichnis ginge der Antragsteller seines Wahlrechts für die anstehenden Wahlen verlustig; der Ausübung des Wahlrechts in einer Demokratie, insbesondere wenn es wie hier um die Wahlen in Selbstverwaltungsgremien geht, ist aber ein hoher Stellenwert einzuräumen.

Ende der Entscheidung

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