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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.06.2007
Aktenzeichen: 5 ME 63/07
Rechtsgebiete: NBG, VwGO
Vorschriften:
NBG § 37 Abs. 1 Nr. 3 | |
NBG § 226 | |
VwGO § 146 Abs. 4 S. 4 |
NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS
Aktenz.: 5 ME 63/07
Datum: 05.06.2007
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist Polizeikommissaranwärter. Die Antragsgegnerin stellte jeweils unter Anordnung des Sofortvollzugs mit Bescheid vom 11. Juli 2006, zugestellt am 14. Juli 2006, die Polizeidienstunfähigkeit des Antragstellers fest und entließ ihn mit weiterem Bescheid vom 3. August 2006, zugestellt am 7. August 2006, aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf wegen Dienstunfähigkeit. Wegen der Einzelheiten ihres Inhalts wird analog § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die Bescheide verwiesen, die sich in der Gerichtsakte befinden (GA Bl. 6 ff. und 10 ff.).
Hiergegen hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht am 14. August 2006 Klage erhoben (Az. 3 A 308/06), über die noch nicht entschieden worden ist, und gleichzeitig beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die beiden Bescheide wiederherzustellen. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass die medizinischen Feststellungen von Frau Dr. B., auf die die Antragsgegnerin ihre Bescheide gestützt habe, sachlich nicht haltbar seien. Es fehle an einer nachvollziehbaren Begründung ihrer Feststellungen sowie an einer fachärztlichen Klärung ihrer Diagnose, dass bei dem Antragsteller eine "vegetative Dysregulation" bzw. ein "psychovegetatives Syndrom" vorliege. Auch die festgestellte "chronische Veränderung oder Bewegungseinschränkung an wichtigen Gelenken" werde nicht medizinisch nachvollziehbar begründet. Gegenüber diesen Feststellungen bestätigten die ihn - den Antragsteller - behandelnden Ärzte eine günstige Prognose. Nach der ärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. C. sei die Funktionsstörung des Achsenorgans und der Schulter-Arm-Situation bei physiotherapeutischer Behandlung verbesserungsfähig, ein Aufenthalt in einer Klinik jedoch erforderlich. Unter Physiotherapie sei der Leidensdruck bereits rückläufig. Seine Schulter sei in einem altersentsprechendem Zustand. Eine ordnungsgemäße Beteiligung der Personalvertretung werde bestritten. Die Begründung der Vollziehungsanordnung sei unzureichend, weil sie ausschließlich auf fiskalische Interessen des Landes abstelle. Die Entlassung eines Beamten wegen Zweifeln an dessen gesundheitlicher Eignung bedürfe jedoch gerade aus Gründen der Fürsorgepflicht sorgfältigster vorheriger Aufklärung.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 24. Oktober 2006, dem Antragsteller am 3. November 2006 zugestellt, den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Die Begründungen in den angefochtenen Bescheiden für die Anordnung des Sofortvollzugs genüge in formeller Hinsicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, da nach der schriftlichen Begründung in den Bescheiden ersichtlich sei, dass sich die Antragsgegnerin des Ausnahmecharakters der Anordnung des Sofortvollzugs bewusst gewesen sei und worin sie die Gründe für diese Maßnahme gesehen habe. Die Antragsgegnerin habe als Begründung in beiden Bescheiden ausgeführt, das öffentliche Interesse verbiete, einen gesundheitlich für den Polizeiberuf ungeeigneten Anwärter weiter auszubilden, zu alimentieren und in ein weiterführendes Beamtenverhältnis zu übernehmen. Der Antragsteller könne nicht bis zum Abschluss eines Rechtsstreits sinnvoll in einer Polizeidienststelle eingesetzt werden. Auch die Fürsorgepflicht gebiete, keinen langwierigen Schwebezustand zuzulassen. Die Gründe der Antragsgegnerin für die Anordnung des Sofortvollzugs dürften sich mit der für den Erlass der angefochtenen Verfügung selbst entscheidungstragenden Erwägung decken, wenn nach der Überzeugung des Dienstherrn ein Beamter auf Widerruf dauernd dienstunfähig sei. Der Umstand, dass der Antragsteller krankheitsbedingt während des deutlich überwiegenden Teils der letzten zwei Jahre keinen Dienst geleistet habe und auch keine Besserung seiner Erkrankung in Sicht sei, rechtfertige es ausnahmsweise, die durch den Abbruch der Ausbildung für den Berufsweg des Antragstellers entstehenden Härten nicht ausdrücklich in Betracht zu ziehen. Die verfahrensrechtlichen Anforderungen lägen vor; insbesondere habe die Antragsgegnerin den Antragsteller jeweils angehört und der örtliche Personalrat der Polizei der beabsichtigten Entlassung zugestimmt. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die beiden Bescheide sei nicht gerechtfertigt, weil beide Verwaltungsakte bereits bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage offensichtlich rechtmäßig seien. Die von dem Antragsteller geäußerte Kritik an dem polizeiärztlichen Gutachten der Medizinaloberrätin Dr. D. gehe fehl, weil diesem Gutachten sehr wohl Begründungen zu beiden Tauglichkeitsfehlern zu entnehmen seien, indem die fehlende Stressresistenz sowohl mit Alternativdiagnosen von behandelnden Ärzten des Antragstellers als auch mit der sehr auffälligen Häufung seiner krankheitsbedingten Abwesenheit an Prüfungsterminen begründet und die erheblichen, seit rund anderthalb Jahren bestehenden Bewegungseinschränkungen des rechten Arm-/Schulterbereichs ausführlich dargelegt worden seien. Zudem bestreite auch der Antragsteller nicht, dass er ununterbrochen seit mehr als einem Jahr dienstunfähig erkrankt sei, dass seine Dienstunfähigkeit auf diesen diagnostizierten Tauglichkeitsmängeln mit Krankheitswert beruhe und nicht absehbar sei, wann und durch welche Maßnahmen seine Polizeidienstfähigkeit wieder hergestellt werden könne. Im Gegenteil sei seinem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu entnehmen, dass er einen Antrag auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente gestellt habe und eine stattgebende Entscheidung in absehbarer Zeit erwarte. Die Fachärztin Frau Dr. C. treffe keine Aussage zur Polizeidienstfähigkeit und habe weder vermocht anzugeben, wie lange eine Therapie des Arm-/Schulterkomplexes dauere, noch habe sie einen Hinweis darauf gegeben, dass sie eine vollständige, die Polizeidienstfähigkeit wiederherstellende Heilung erwarte. Zu prüfungsbedingten psychosomatischen Problemen äußere sie sich nicht. Demnach sei auch die Entlassung des Antragstellers gerechtfertigt.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 17. November 2006 eingelegten und unter dem 4. Dezember 2006, einem Montag, begründeten Beschwerde, mit der er unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 24. Oktober 2006 sein Begehren der Wiederherstellung der aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die angefochtenen Bescheide weiterverfolgt. Hierbei vertieft er sein erstinstanzliches Vorbringen und weist insbesondere auf eine neue Stellungnahme seiner ihn behandelnden Ärztin Frau Dr. C., Fachärztin für Orthopädie, vom 13. November 2006 hin, wonach sich durch eine nochmals vorgenommene MRT-Diagnostik der rechten Schulter ein subacromialer Knochensporn mit nachvollziehbar irritierender Wirkung auf die Rotatorenmanschette bestätigt habe, dies die Therapieresistenz unter konservativer Behandlung erklären lasse und nach erfolgreicher und notwendiger Operation sowie einer sechsmonatigen Rekonvaleszenz eine uneingeschränkte Dienstfähigkeit anzunehmen sei. In Anbetracht dessen seien die Feststellungen der Medizinaloberrätin B. in Frage gestellt.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 24. Oktober 2006 die aufschiebende Wirkung seiner Klage (3 A 308/06) gegen den Bescheid über die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit vom 11. Juli 2006 und gegen den Bescheid über die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf vom 03. August 2006 wiederherzustellen und dem Antragsteller für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtanwalts E. zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts und führt ergänzend aus, dass sie die Polizeidienstunfähigkeit des Antragstellers auf der Grundlage der ärztlichen Feststellungen zweifelsfrei habe feststellen können und die Einholung eines ergänzenden, gegebenenfalls fachärztlichen Gutachtens nicht erforderlich gewesen sei Der weitere Arztbericht von Frau Dr. C. vom 13. November 2006 ändere hieran nichts, da dieser Bericht wiederum Aussagen zu den psychosomatischen Problemen des Antragstellers nicht enthalte und die bisherigen Feststellungen somit nicht entkräfte.
Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird auf die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsvorgänge (Beiakte A) und die Gerichtsakte zu dem Aktenzeichen 3 A 308/06 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet.
Die nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründe der Beschwerde rechtfertigen es, den angefochtenen Beschluss zu ändern und dem Antragsteller den begehrten vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren.
Dem Verwaltungsgericht ist zunächst beizupflichten, dass in formeller Hinsicht die von der Antragsgegnerin in den angefochtenen Bescheiden gegebene Begründung entgegen der Auffassung des Antragstellers den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt. Diese Vorschrift erfordert eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem Vollzug des von ihm angefochtenen Verwaltungsakt verschont zu bleiben (vgl.: Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., 2005, § 80, Rn. 85). Diesen Anforderungen hat die Antragsgegnerin in ihren Bescheiden Rechnung getragen. Insoweit wird analog § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Gründe des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses Bezug genommen. Der Einwand des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe - wie auch die Antragsgegnerin - jegliche Abwägung unterlassen und nicht allein auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide abstellen dürfen, betrifft eine Frage der materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs. Dies gilt auch für die mit der Beschwerde geltend gemachte Unzulänglichkeit der Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs (vgl. dazu: Kopp/Schenke, a. a. O., § 80, Rn. 87), die der Antragsteller deshalb für nicht ausreichend hält, weil in die Interessenabwägung nicht eingestellt worden sei, dass ihm eine geschützte Position eines Beamtenstatus dauerhaft entzogen werde und er mit sofortiger Wirkung seinen Beihilfeanspruch verliere, was wiederum zur Folge habe, dass die zukünftigen Krankenbehandlungen nur zur Hälfte von seiner Versicherung abgedeckt seien und er aus finanziellen Gründen die zur Wiederherstellung der Polizeidienstfähigkeit erforderliche Operation nicht mehr werde durchführen lassen können.
Soweit das Verwaltungsgericht bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache in den Blick genommen und seine ablehnende Entscheidung auch auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide gestützt hat, ist diese Entscheidung nach der nunmehr von dem Antragsteller vorgelegten Stellungnahme seiner Ärztin Dr. C., Fachärztin für Orthopädie, vom 13. November 2006 nicht mehr aufrechtzuerhalten. Vielmehr bestehen begründete Anhaltspunkte für die Annahme, dass sich die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit und infolge dessen auch die Entlassung wegen Dienstunfähigkeit in Anwendung des § 37 Abs. 1 Nr. 3 NBG im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen werden, so dass die vorliegend gebotene Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers ausfällt. Im Einzelnen gilt Folgendes:
Rechtsgrundlage für die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit des Antragstellers mit Bescheid vom 11. Juli 2006 ist vorliegend § 226 Abs. 1, 1. HS. NBG. Danach ist der Polizeivollzugsbeamte dienstunfähig im Sinne von § 54 Abs. 1 NBG, wenn er den besonderen Anforderungen für den Polizeivollzugsdienst nicht mehr genügt und nicht zu erwarten ist, dass er seine volle Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wiedererlangt. Diese Voraussetzungen werden gemäß § 226 Abs. 2 NBG durch den Dienstvorgesetzten aufgrund des Gutachtens eines Amtsarztes oder eines beamteten Arztes gemäß § 226 Abs. 3 NBG festgestellt.
Maßgebend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit ist hierbei - wie bei der Entlassungsverfügung wegen Dienstunfähigkeit - die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also hier des Bescheides vom 11. Juli 2006 (vgl. zur Entlassungsverfügung wegen Dienstunfähigkeit: BVerwG, Urt. v. 16.10.1997 - BVerwG 2 C 7.97 -, BVerwGE 105, 267 <269 ff.> m. w. N.). Zu diesem Zeitpunkt muss sich eine Polizeidienstunfähigkeit objektiv feststellen lassen, d. h. nach diesem Zeitpunkt eingetretene wesentliche Veränderungen betreffend die Dienstfähigkeit des Beamten sind nicht zu berücksichtigen, wobei das Verwaltungsgericht ohne Einschränkung seiner Kontrollbefugnis und ohne Bindung an die behördlichen Beweismittel die Frage der Dienstunfähigkeit aufzuklären hat (vgl.: BVerwG, Urt. v. 16.10.1997 - 2 C 7.97 -, BVerwGE 105, 267 ff.; Nds. OVG, Beschl. v. 27.2.2007 - 5 LA 58/07 -).
Grundlage der Entscheidung der Antragsgegnerin waren die Stellungnahmen der Medizinaloberrätin Dr. B. vom 12. Dezember 2005 und 10. Juli 2006, wonach bei dem Antragsteller zwei Tauglichkeitsfehler gemäß der Polizeidienstvorschrift 300 (PDV), nach der sich die besonderen gesundheitlichen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes beurteilen (vgl. Kümmel, Beamtenrecht, § 226 NBG, Rn. 3), vorliegen, die die Annahme der Polizeidienstunfähigkeit rechtfertigen. Zum einen sei bei dem Antragsteller der Tauglichkeitsfehler Nr. 11.1.3 "vegetative Dysregulation, psychovegetatives Syndrom" festzustellen. Die im Polizeidienst auftretenden Stresssituationen verlangten ein belastbares vegetatives Nervensystem, das bei dem Antragsteller nicht gegeben sei. Die den Antragsteller behandelnden Ärzte hätten wiederholt eine psychosomatische Erkrankung bei den vorliegenden Beschwerden in Erwägung gezogen; der Neurologe Dr. F. habe aus seinem Fachbereich einen pathologischen Befund nicht erheben können und auch die Prognose der Amtsärztin Dr. G., Gesundheitsamt des Landkreises H., vom 5. August 2005, es sei davon auszugehen, dass die Erkrankung im Bereich des rechten Arms in Kürze ausgeheilt sein werde, habe sich nicht bestätigt. Zudem sei auffällig, dass schon durch Prüfungen auftretende Stresssituationen beim Antragsteller auffällige Fehlzeiten verursachten, die sich durch die ärztlich festgestellten Symptome nicht erklären ließen. Dies gelte für die Examensklausuren im Dezember 2004 und Juli 2005 sowie die Terminierungen der Nachschreibeklausuren. Hieraus ergebe sich nach ihrer Auffassung eine negative Prognose der Belastbarkeit des Nervensystems im Hinblick auf im Polizeidienst auftretende Stresssituationen. Zum anderen sei bei dem Antragsteller der Tauglichkeitsfehler Nr.4.4.1 "chronische Veränderungen oder Bewegungseinschränkungen an wichtigen Gelenken" festzustellen, da der rechte Arm des Antragstellers aufgrund von Schmerzen eine deutliche Schonhaltung aufweise und der Antragsteller bereits seit August 2005 ohne ersichtliche Verbesserung an diesem Schmerzbild leide, weshalb von einer eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit ausgegangen werden müsse, die den normalen Anforderungen im Polizeivollzugsdienst nicht entspreche.
Die Unrichtigkeit dieser Feststellungen kann der Antragsteller zwar nicht damit begründen, dass bereits die Amtsärztin des Gesundheitsamtes H. in ihren Stellungnahmen vom 5. und 11. Januar 2005 sowie vom 5. August 2005 hinsichtlich seiner Erkrankung des rechten Armes bescheinigt habe, dass von einer Heilung der Erkrankung seines rechten Armes in Kürze auszugehen sei. Denn Frau Dr. B. hat zutreffend darauf hingewiesen, dass jedenfalls die letzte amtsärztliche Prognose sich nicht erfüllt habe, der Antragsteller vielmehr seit August 2005 dienstunfähig erkrankt sei. Diese Annahme wird letztlich auch durch das Schreiben des Gesundheitsamtes vom 31. August 2005 bestätigt wird, wonach sich trotz der durchgeführte Therapie die Beschwerden nur geringfügig verbessert hätten. Entkräftet werden diese Feststellungen auch nicht durch die Ausführungen der Frau Dr. C., Fachärztin für Orthopädie, in ihrer Stellungnahme vom 14. März 2006, nach der der Befund als verbesserungsfähig angesehen wird und die Prognose des Erreichens einer zufriedenstellenden und auch alltags- und diensttauglichen Situation als günstig beurteilt wird. Denn in dieser Stellungnahme wird ein Zeitpunkt, bis zu dem die Dienstfähigkeit wiederhergestellt sein wird, nicht genannt.
Doch hat der Antragsteller zusätzlich eine weitere Stellungnahme von Frau Dr. C. vom 13. November 2006 vorgelegt, aus der sich nicht nur für den Zeitpunkt der Untersuchung am 9. November 2006, sondern auch rückwirkend auf den Zeitpunkt der Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit mit Bescheid vom 11. Juli 2006 Rückschlüsse ziehen lassen, die die Annahme rechtfertigen, dass damals die Voraussetzungen für die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit objektiv nicht vorgelegen haben. In dieser Stellungnahme hat Frau Dr. C. ausgeführt:
"Die Vorgeschichte darf ich als bekannt voraussetzen. Nach frustraner konservativer Therapie der Impingementsymptomatik und der hochschmerzhaften Bewegungsstörung der rechten Schulter und des rechten Armes wurde Herr I. nochmals zur Frage einer operativen Revision vorstellig.
Professor J. im K. hat hier noch einmal eine MRT-Diagnostik der rechten Schulter veranlasst.
Hier bestätigt sich ein subacromialer Knochensporn mit nachvollziehbar irritierender Wirkung auf die Rotatorenmanschette.
Man hat dies auch sehr schön in der Verlaufsstudie beschreiben können, die Therapieresistenz unter konservativer Behandlung hinreichen erklären lassen.
...
Ich persönlich denke, dass nach erfolgreicher Operation, wir haben hier ein adäquates morphologisches Korrelat gefunden, die uneingeschränkte Dienstfähigkeit auf Dauer nach erfolgreicher OP anzunehmen ist.
Mit einer gewissen Rekonvaleszenz nach OP bis zu 6 Monaten ist aber zu rechnen. ..."
In Anbetracht dieser Ausführungen vermag der Senat einen Vorrang der bisher von der Antragsgegnerin vorgelegten Stellungnahmen der beamteten Ärztin, nach denen bei dem Antragsteller Polizeidienstunfähigkeit besteht, nicht anzuerkennen. Die darin enthaltenen Feststellungen vermögen die Entscheidung der Antragsgegnerin zur Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit voraussichtlich nicht zu tragen. Aus der Stellungnahme von Frau Dr. C. vom 13. November 2006 folgt, dass erst aufgrund einer weiteren MRT-Diagnostik die Ursache für die Erkrankung des Klägers im Bereich des rechten Armes und der rechten Schulter erkannt worden ist und sich vor diesem Hintergrund die bisherige Therapieresistenz nachvollziehbar erklären lässt. Damit liegt eine nach dem erstinstanzlichen Beschluss eingetretene Änderung der Sachlage (hier: Erkenntnislage) vor, weil nunmehr die Ursache für die Erkrankung und die bisherige Therapieresistenz des Antragstellers festgestellt worden ist. Diese neue Erkenntnislage lässt nach Auffassung des Senats Rückschlüsse auf den Sachverhalt zu, der (bereits) im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides objektiv gegeben war und deshalb der Beurteilung der Polizeidienstfähigkeit zu Grunde zu legen ist. Sie erlaubt es aller Voraussicht nach eine psychosomatische Erkrankung des Antragstellers auszuschließen. Soweit die früher den Antragsteller behandelnden Ärzte eine psychosomatische Erkrankung mangels Feststellung eines pathologischen Befunds vermutet haben, ist dieser Vermutung die Grundlage entzogen. Auch dass eine solche Erkrankung Ursache für die Fehlzeiten während der angesetzten Prüfungen gewesen sein soll, lässt sich nicht mehr ohne weiteres nachvollziehen, zumal der Antragsteller für diese Fehlzeiten ärztliche und amtsärztliche Atteste vorgelegt hat, nach denen eine körperliche Erkrankung bzw. Schmerzen im rechten Schulter- und Armbereich Ursachen der Fehlzeiten waren. Ist mithin eine psychosomatische Erkrankung, die eine negative Prognose der Belastbarkeit des Nervensystems im Hinblick auf im Polizeidienst auftretende Stresssituationen begründet, von der Medizinaloberrätin Dr. B. hiernach voraussichtlich fehlerhaft festgestellt worden, beruht die Entscheidung der Antragsgegnerin insoweit auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage. Entsprechendes gilt für die Annahme, der Antragsteller genüge auch nicht den körperlichen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes und sei daher polizeidienstunfähig. Denn § 226 Abs. 1, 1. HS NBG setzt voraus, dass nicht zu erwarten ist, dass er seine volle Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wiedererlangt, wobei sich die Zwei-Jahres-Frist auf den Zeitpunkt bezieht, zu dem über die Entlassung förmlich entschieden wird (vgl.: Kümmel, a. a. O., § 226, Rn. 4). Diese von der Medizinaloberrätin getroffene Prognose ist durch die Stellungnahme von Frau Dr. C. vom 13. November 2006 ebenfalls nachvollziehbar in Zweifel gezogen, weil sie eine Heilung des Antragstellers bis zu sechs Monaten nach einer Operation in Aussicht stellt.
Der Senat ist durch § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nicht gehindert, eine Änderung der Sachlage (hier: Erkenntnislage) nach Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung zu Gunsten des Antragstellers im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zu berücksichtigen, solange der Antragsteller diese Änderung - wie hier - innerhalb der fristgerechten Darlegung der Beschwerdegründe nach § 146 Abs. 4 Satz 1 und 3 VwGO vorgetragen hat. Denn es kommt darauf an, ob das Verwaltungsgericht tatsächlich und nicht nur auf Grundlage der ihm bekannten Sach- und Rechtslage im Ergebnis richtig entschieden hat (vgl.: SächsOVG, 15.6.2004 - 5 BS 406/03 -, SächsVBl. 2004, 242 m. w. N.; Kopp/Schenke, a. a. O., § 146, Rn. 42).
Der Beurteilung der (Polizei-)Dienstunfähigkeit durch den Amtsarzt oder gemäß § 226 Abs. 3 NBG den beamteten Arzt kommt zwar grundsätzlich ein Vorrang gegenüber privatärztlichen Stellungnahmen zu. Wenn aber dessen medizinische Beurteilung hinsichtlich desselben Krankheitsbildes von der Beurteilung des behandelnden Privatarztes abweicht, ist ein Vorrang nur unter den Voraussetzungen anzuerkennen, dass keine begründeten Zweifel an der Sachkunde des Amtsarztes bestehen, die medizinischen Beurteilungen auf zutreffenden Tatsachengrundlagen beruhen sowie in sich stimmig und nachvollziehbar sind und der Amtsarzt bzw. beamtete Arzt auf die Erwägungen des Privatarztes, wenn dieser seinen medizinischen Befund näher erläutert hat, eingeht und nachvollziehbar darlegt, warum er ihnen nicht folgt (vgl.: BVerwG, Urt. v. 12.10.2006 - BVerwG 1 D 2.05 -, zitiert nach juris; Beschl. v. 8.3.2001 - BVerwG 1 DB 8.01 -, DVBl. 2001, 1079, zitiert nach juris). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insbesondere hat die Antragsgegnerin eine Stellungnahme der Medizinaloberrätin zu den Ausführungen von Frau Dr. C. vom 13. November 2006 nicht eingeholt, sondern sich lediglich dahingehend eingelassen, dass dieser Arztbericht wiederum eine Aussagen zu den psychosomatischen Problemen des Antragstellers nicht treffe und damit die bisherigen Feststellungen nicht entkräfte. Dem folgt der Senat nach den vorherigen Ausführungen nicht.
Auf die weitere mit dem Beschwerdevorbringen aufgeworfene Frage, ob die Medizinaloberrätin Dr. B. eine fachärztliche Stellungnahme zur Feststellung der von ihr angenommenen psychosomatischen Erkrankung als Ursache für die Beschwerden des Antragstellers hätte einholen müssen, kommt es nicht an. Gleiches gilt für die Frage der ordnungsgemäßen Beteiligung des Personalrates vor Erlass der Entlassungsverfügung mit Bescheid vom 3. August 2006, da - wie sich aus dem Vorstehenden ergibt - die Klage gegen diesen Bescheid unabhängig von dieser personalvertretungsrechtlichen Frage mangels Polizeidienstunfähigkeit des Antragstellers ebenfalls erfolgreich sein dürfte.
Unter Berücksichtigung der gegebenen Erfolgsaussichten der Hauptsache fällt die nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Antragsteller die Ausbildung zum Polizeianwärter abgeschlossen hat und sich bereits im letzten Stadium des Vorbereitungsdienstes, dem Prüfungsverfahren, befindet. Da die von der Antragsgegnerin getroffene Prognose, dass eine Wiedererlangung der Polizeidienstfähigkeit innerhalb der nächsten zwei Jahre nicht zu erwarten sein wird, nachvollziehbar in Zweifel gezogen ist, ist es ihr auch zuzumuten, den Antragsteller bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Beamtenverhältnis auf Widerruf zu belassen und ihm nach seiner Rekonvaleszenz die Möglichkeit der Prüfungsablegung zu geben.
Dem Antragsteller ist gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt E. beizuordnen. Die Entscheidung über die Beiordnung beruht auf § 166 VwGO i. V. m. § 121 ZPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG und folgt der Bemessung des Verwaltungsgerichts.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Ende der Entscheidung
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