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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.11.2009
Aktenzeichen: 8 LA 16/09
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, VwGO
Vorschriften:
AsylVfG § 3 | |
AufenthG § 25 Abs. 3 | |
AufenthG § 25 Abs. 5 | |
AufenthG § 60 Abs. 7 | |
VwGO § 124a Abs. 4 |
2. Die Berufung auf eine Verfolgungsgefahr und eine verfolgungsbedingte Traumatisierung wegen Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit im Kosovo stellt materiell ein Asylvorbringen dar, über das und damit auch über zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse ausschließlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu entscheiden hat.
Gründe:
Der Klägerin kann die beantragte Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug nicht bewilligt werden, weil ihr Antrag auf Zulassung der Berufung aus den nachfolgend angeführten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht, § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO.
Die nach ihren Angaben 1952 und 1959 jeweils im Kosovo geborenen Kläger sind serbische und ggf. auch kosovarische Staatsangehörige. Sie geben an, dem Volk der Roma anzugehören. Die Beklagte geht allerdings davon aus, dass es sich bei den Klägern um Angehörige der Aschkali handelt. Unter dem 11. Januar 2005 beantragten die Kläger die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse. Zur Begründung beriefen sie sich auf eine Gefährdung als Roma aus dem Kosovo und ergänzend auf eine Erkrankung der Klägerin zu 2). Sie leide an einer im Kosovo nicht behandelbaren posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Im September 2005 wurde ausdrücklich auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 AufenthG geltend gemacht. Die Beklagte beteiligte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das örtliche Gesundheitsamt und lehnte danach die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen ab. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG sei nicht gegeben. Etwaigen Übergriffen durch albanische Volkszugehörige im Kosovo könnten die Kläger jedenfalls durch eine Niederlassung im übrigen Staatsgebiet von Serbien und Montenegro entgehen. Dort sei auch eine bislang ohnehin nicht hinreichend nachgewiesene PTBS der Klägerin behandelbar. Die Klägerin sei reisefähig.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den angefochtenen Bescheid mit Urteil vom 21. Oktober 2008 abgewiesen. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG seien nicht gegeben. Insbesondere sei das Gericht nicht davon überzeugt, dass die Klägerin ein traumatisierendes Erlebnis erlitten habe und deshalb an einer PTBS erkrankt sei. Die Klägerin sei auch reisefähig.
Gegen dieses am 22. Dezember 2008 zugestellte Urteil beantragen die Kläger die Zulassung der Berufung. Mit ihrem am 23. Februar 2009, einem Montag, beim Oberverwaltungsgericht eingegangen Schriftsatz wenden die Kläger sich im Wesentlichen gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Klägerin leide nicht an einer PTBS, und ergänzend gegen die Feststellung ihrer Reisefähigkeit. Mit Schriftsatz vom 30. September 2009 ist vorgetragen worden, dass der Kläger am 18. August 2009 einen Hirninfakt erlitten habe und auf eine dauerhafte Behandlung im Bundesgebiet angewiesen sei.
Auf den letztgenannten Gesichtspunkt kann die Zulassung der Berufung schon im Hinblick auf die Vorschrift des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht erfolgreich gestützt werden. Danach sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils darzulegen. Diese Regelung schließt die Einführung neuer Tatsachen im Zulassungsverfahren nicht grundsätzlich aus, setzt ihr aber insoweit Grenzen, als nur solche Tatsachen berücksichtigt werden können, die innerhalb der Frist von zwei Monaten zur Begründung des Antrages auf Zulassung der Berufung vorgetragen werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.12.2003 - 7 AV 2/03 -, NVwZ 2004, 744, und v. 11.11.2002 - 7 AV 3/02 -, NVwZ 2003, 490 f., m. w. N.) und den Streitgegenstand nicht verändern (vgl. VGH München, Beschl. v. 17.7.2009 - 12 ZB 08.739 -; OVG Greifswald, Beschl. v. 30.6.2009 - 2 L 167/06 -, jeweils juris, m. w. N.). Vorliegend war zum Zeitpunkt der Mitteilung vom 30. September 2009 die Frist zur Begründung des Zulassungsantrages lange abgelaufen. Außerdem würde bei Berücksichtigung der am 30. September 2009 erstmals geltend gemachten Erkrankung des Klägers zu 1) der Streitgegenstand erweitert. Das diesbezügliche neue Vorbringen der Kläger kann deshalb im Zulassungsverfahren nicht berücksichtigt werden.
Die im Schriftsatz vom 23. Februar genannten Gesichtspunkte sind demgegenüber zwar fristgerecht vorgetragen worden, verhelfen dem Zulassungsantrag aber ebenfalls nicht zum Erfolg.
Insbesondere bestehen keine ernstlichen Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG nicht gegeben sind und den Klägern deshalb keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt werden kann. Insoweit kommt es auf die Richtigkeit des Ergebnisses und nicht der Begründung an (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 -, DVBl. 2004, 838 f.). Danach kann zu Gunsten der Kläger in diesem gegen die Beklagte als Ausländerbehörde gerichteten Verfahren schon deshalb nicht inzident das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG festgestellt werden, weil sich die Kläger zur Begründung materiell auf Asylgründe, d.h. auf Gründe zur Gewährung von Asyl und Flüchtlingsschutz berufen, und damit zwingend auf das Asylverfahren verwiesen sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.6.2009 - 1 C 11/08 -, AuAS 2009, 230 ff., und v. 3.3.2006 - 1 B 126/05 -, DVBl. 2006, 850 ff.). Denn die Kläger haben wiederholt vorgetragen, ihren Heimatort C. (Kosovo) als Roma aus Furcht vor weiteren Übergriffen albanischer Volkszugehöriger verlassen zu haben. In Ihrem Heimatort gebe es heute keine Roma- bzw. Aschkali-Familie mehr. Sie fürchteten bei ihrer Rückkehr um ihr Leben. Zur weiteren Begründung wurde auf die allgemeine Lage der Roma und Aschakli Bezug genommen und ein (jugoslawischer) Truppenausweis aus der Zeit vor dem Juni 1999 für einen Sohn der Kläger beigefügt. Im Juni 2003 hat sich der Kläger nochmals auf eine Rückkehrgefahr wegen der Volkszugehörigkeit als Roma, wegen der Militärangehörigkeit seines Sohnes (bis Juni 1999) und wegen der über 15 Jahre bis zum Jahr 1999 andauernden Tätigkeit zweier weiterer Verwandter als Polizisten in C. berufen. Im Januar 2005 ist der streitige Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausdrücklich auf die Volkszugehörigkeit der Kläger als Roma gestützt worden, die im Kosovo weiterhin von den "dominierenden Albanern verfolgt und misshandelt" würden. In diesem Zusammenhang ist dann erstmals auf die Krankheit der Klägerin zu 2) verwiesen worden, die nunmehr in den Mittelpunkt gerückt ist. Vertiefend ist insoweit vorgetragen worden, diejenigen, die die Klägerin zu 2) misshandelt hätten, seien albanische Volkszugehörige, noch heute in C. wohnhaft, hätten dort eine anerkannte gesellschaftliche Stellung und müssten keine strafrechtliche Verfolgung befürchten. Bei einer Rückkehr dorthin drohe ihr eine Retraumatisierung.
Die vorgetragene Krankheit der Klägerin zu 2) und eine Behandelbarkeit im Heimatland lassen sich somit nicht von der ursprünglich von den Klägern in den Vordergrund gerückten Gefährdung wegen ihrer Volkszugehörigkeit trennen. Damit werden inhaltlich Gründe geltend gemacht, bei denen die Gewährung von Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 Satz 1 und 4 c AufenthG in Betracht kommt und über die somit ausschließlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu entscheiden hat, ohne dass es zu dieser Feststellung einer Beiladung (§ 65 VwGO) des Bundesamtes bedarf. Dabei kann es auch keine Rolle spielen, dass die Kläger ihr diesbezügliches Vorbringen auf richterlichen Hinweis im Zulassungsverfahren pauschal fallen gelassen haben. Unter Berufung auf dieselbe Bedrohung durch militante albanische Volkszugehörige ist im Übrigen von D., einem Sohn der Kläger, im August 1999 auch ausdrücklich ein Asylantrag gestellt worden.
Ebenso wenig bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass den Klägern auch nach § 25 Abs. 5 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Nach Aktenlage sind die Kläger nicht im Besitz von gültigen Reisepässen und beziehen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG sind somit nicht erfüllt. Ob ihnen bereits deshalb eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu versagen oder hiervon gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abzusehen ist, kann offen bleiben. Jedenfalls liegen auch die zusätzlich erforderlichen besonderen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht vor. Den Klägern ist eine Ausreise möglich, insbesondere ist die Klägerin zu 2) hieran nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert. Sie ist unstreitig flugreisetauglich. Soweit sie sich unter Berufung auf das ärztliche Attest von Herrn E. vom 11. September 2008 gleichwohl auf eine Reiseunfähigkeit beruft, wird schon nicht ganz deutlich, woraus sich eine solche ergeben soll. Sollte damit die Gefahr eines Suizids gemeint sein, so ergibt sich auch insoweit keine Unmöglichkeit der Ausreise i. S. d. § 25 Abs. 5 AufenthG. Denn die vorgelegten ärztlichen Atteste beziehen die Annahme einer erhöhten Suizidgefahr jeweils auf eine Abschiebung in den Kosovo. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG muss aus gesundheitlichen Gründen aber auch eine freiwillige Ausreise der Klägerin in den Kosovo oder nach Serbien auf absehbare Zeit ausgeschlossen sein. Dafür bestehen jedoch nach der amtsärztlicher Stellungnahme und dem Schreiben von Frau Dr. F., die die Klägerin in der Vergangenheit untersucht hat, keine hinreichenden Anhaltspunkte. Im Übrigen hat die Beklagte bereits in angefochtenen Bescheid zugesagt, dass die Klägerin bei einer Rückführung zur Abwendung eines Suizids ärztlich begeleitet werde und Kosten für eine Anschlussbehandlung im Heimatland übernommen werden.
Die Klägerin beruft sich weiterhin auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 2, 4 und 5 VwGO. Soweit geltend gemacht wird, dass die Rechtssache wegen der "Fragen um das Vorliegen einer PTBS bei der Klägerin" besondere Schwierigkeiten aufweise, das Verwaltungsgericht insoweit durch Berufung auf eine eigene Sachkunde von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen sei, jedenfalls aber den Sachverhalt diesbezüglich nicht hinreichend von Amts wegen aufgeklärt habe, kommt eine Zulassung der Berufung schon mangels Entscheidungserheblichkeit nicht in Betracht. Denn aus den zuvor genannten Gründen hat hier nicht die Beklagte als Ausländerbehörde, sondern allein das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (auch) über das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses aus gesundheitlichen Gründen, d.h. auch über das Vorliegen einer PTBS, zu entscheiden. Wenn sich das Zulassungsvorbringen auch darauf beziehen soll, dass das Verwaltungsgericht den Sachverhalt hinsichtlich der Reisefähigkeit der Klägerin nicht hinreichend aufgeklärt habe, so wird dies aus der Begründung im Schriftsatz vom 23. Februar 2009 schon nicht hinreichend deutlich. Im Übrigen träfe dieser Vorhalt auch in der Sache nicht zu. Dem Verwaltungsgericht lagen dazu mehrere fachärztliche Stellungnahmen vor, so dass es gemäß § 98 VwGO i. V. m. §§ 404 Abs. 1, 412 Abs. 1 ZPO in entsprechender Anwendung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.3.2009 - 4 B 63/08 -, juris, sowie Beschl. v. 8.3.2006 - 1 B 84/05 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs 2 ff. AufenthG Nr. 11) kein weiteres Gutachten einholen musste.
Ende der Entscheidung
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