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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 14.05.2009
Aktenzeichen: 8 LB 18/07
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, EMRK


Vorschriften:

AsylVfG § 26
AufenthG § 27
AufenthG § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
AufenthG § 82
EMRK Art. 8
1. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufes einer Niederlassungserlaubnis nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ist unverändert die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich.

2. Die Ausländerbehörde kann die Begründung ihrer Ermessensentscheidung nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG um nachträglich bekannt gewordene Tatsachen über die fehlgeschlagene Integration des - hier minderjährigen - Ausländers bezogen auf den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ergänzen.

3. Zu den Grundsätzen für die Ermessensausübung nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG, wenn die widerrufene Niederlassungserlaubnis auf der Familienasylberechtigung eines im Bundesgebiet geborenen Kindes beruhte.


Tatbestand:

Die am ..... 1993 in E. geborene Klägerin, serbische und ggf. auch kosovarische Staatsangehörige, wendet sich gegen den Widerruf einer Aufenthaltserlaubnis, die ihr auf Grund ihrer frühren Asylanerkennung unbefristet erteilt worden war und die nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes als Niederlassungserlaubnis fort gilt.

Die im Kosovo geborenen Eltern der Klägerin und vier dort geborene Geschwister reisten im August 1992 in das Bundesgebiet ein und beantragten Asyl. Sie bezeichneten sich als albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo. Vor der Ausreise hatte der Vater der Klägerin seinen Wohnsitz in F. (Bosnien-Herzegowina), der Rest der Familie seinen Wohnsitz im Kosovo gehabt. Die Asylklage der Eltern der Klägerin und ihrer Geschwister war in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht Göttingen erfolgreich (Urt. v. 22.2.1995 - 3 A 3097/95 -). In der Berufungsinstanz wurde die Klage durch Urteil des erkennenden Gerichts (v. 18.2.1997 - 10 L 1260/ 96 -) abgewiesen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen (Beschl. v. 22.8.1997 - 9 B 428/97 -). Für die Mutter der Klägerin wurde nach Durchführung eines Folgeverfahrens im Jahr 2002 ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG aus gesundheitlichen Gründen festgestellt. Diese Feststellung wurde im Januar 2006 bestandskräftig widerrufen. Der Aufenthalt der Eltern der Klägerin wird bis jetzt geduldet. Der Lebensunterhalt der Klägerin und ihrer Eltern wird nach Aktenlage seit der Einreise durch zumindest ergänzende Sozialleistungen sichergestellt.

Für die Klägerin wurde am 9. März 1995 ein Asylantrag gestellt. Das Verwaltungsgericht Göttingen nahm an, dass die Klägerin familienasylberechtigt sei, und sprach durch rechtskräftiges Urteil vom 25. Juni 1996 (- 3 A 3759/95 -) eine entsprechende Verpflichtung des damaligen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge aus. Die Klägerin wurde deshalb am 1. August 1996 als Asylberechtigte anerkannt. Mit Verfügung vom 10. Dezember 1997 wurde insoweit ein Widerrufsverfahren eingeleitet. Die Eltern der Klägerin wurden dazu am 2. Januar 1998 angehört. Der Widerruf erfolgte aber erst durch Bescheid vom 20. August 2002. Die Klage gegen den Widerruf wurde zurückgenommen, das beklagte Bundesamt durch Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 25. Juni 2004 (3 A 3395/02) im Übrigen aber wegen des Verdachts einer Epilepsie unklarer Ursache zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG (bezüglich Serbiens und Montenegro einschließlich des Kosovo) verpflichtet. Ein entsprechender Bescheid erging am 28. Juli 2004. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Februar 2006 erfolgte auch insoweit ein Widerruf, der nach dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 17. Juli 2008 (4 A 6/08) inzwischen bestandskräftig ist.

Die Beklagte erteilte der Klägerin auf Grund ihrer Asylanerkennung am 12. August 1996 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes ab Jahresbeginn 2005 als Niederlassungserlaubnis (§ 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) fort gilt. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2004 hörte die Beklagte die anwaltlich vertretene Klägerin zu dem beabsichtigten Widerruf der damaligen Aufenthaltserlaubnis an. Die Beklagte gab als ermessensrelevante Umstände für die beabsichtigte Entscheidung u. a. die wirtschaftlichen, familiären und sonstigen Bindungen der Klägerin an das Bundesgebiet sowie die Dauer ihres rechtmäßigen Aufenthaltes an und führte weiter aus, dass nach den ihr bekannten, im Einzelnen genannten Umständen solche schutzwürdigen, die öffentlichen Interessen an einem Widerruf überwiegenden Bindungen an das Bundesgebiet für die Klägerin nicht bestehen würden. Der Klägerin wurde bis zum 30. November 2004 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Zugleich wurde sie auf ihre Mitwirkungsobliegenheit nach § 70 Abs. 1 AufenthG hingewiesen. Innerhalb dieser Frist erfolgte keine Stellungnahme. Die Beklagte widerrief am 20. Januar 2005 im Wesentlichen aus den bereits im Anhörungsschreiben genannten Gründen die "unbefristete Aufenthaltserlaubnis" und wies ergänzend darauf hin, dass der Klägerin bei Vorlage eines gültigen Nationalpasses wegen der zum damaligen Zeitpunkt noch wirksamen Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AufenthG ersatzweise eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG mit einer Geltungsdauer von zunächst einem Jahr ausgestellt werde.

Die Klägerin hat am 3. Februar 2005 den Verwaltungsrechtsweg beschritten und sich zur Begründung der Klage auf ein Ermessensdefizit der "holzschnittartigen Entscheidung" der Beklagten berufen. Die Beklagte habe schon einen der Klägerin aus anderen Gründen zustehenden Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis übersehen. Sie habe ferner verkannt, dass die Klägerin seit ihrer Geburt rechtmäßig im Bundesgebiet lebe und faktisch zu einer Inländerin geworden sei. Die aus den - erst im Gerichtsverfahren vorgelegten - Zeugnissen der 1. - 4. Klasse ersichtliche schulische Entwicklung der Klägerin sei ebenso unberücksichtigt gelassen worden wie ein Einbürgerungsanspruch der Klägerin nach § 85 AuslG und die schwierige Lage der Roma aus dem Kosovo, zu denen die Klägerin gehöre. Aus den Zeugnissen erkennbare schulische Defizite und Fehlzeiten der Klägerin seien auf ihre Epilepsie zurückzuführen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2005 aufzuheben, soweit darin ihre unbefristete Aufenthaltserlaubnis widerrufen worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit auf die Sachlage im Zeitpunkt des Erlasses ihres Bescheides abzustellen sei. Zu diesem Zeitpunkt hätten ihr keine anderen als die im Bescheid gewürdigten Erkenntnisse vorgelegen. Die ihr erst nachträglich bekannt gewordene schulische Entwicklung spreche im Übrigen gegen eine Integration der Klägerin. Es gebe laut Mitteilung der Schule vom 17. Juni 2006 massive Auffälligkeiten der Klägerin, die u. a. den Unterricht ständig störe, in keinster Weise integriert sei und sich ständig in ihrer Heimatsprache unterhalte. Die Eltern übten auf die schulische Entwicklung ihrer Tochter keinen positiven Einfluss aus und reagierten auf Nachfragen der Schule nicht. Weder die Klägerin noch ihre Eltern hätten eine langfristige Aufenthaltsperspektive im Bundesgebiet. Die Krankheit der Klägerin habe sich gebessert. Nach dem u. a. deshalb erfolgten Widerruf der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG werde der Klägerin auch nicht mehr die ursprünglich in Aussicht gestellte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt. Ein Anspruch auf Erteilung einer asylunabhängigen Niederlassungserlaubnis habe der Klägerin in der Vergangenheit nicht zugestanden und stehe ihr auch jetzt nicht zu.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil des Einzelrichters vom 1. November 2006 ohne mündliche Verhandlung entsprochen. Zwar lägen Tatbestandsvoraussetzungen des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG vor. Der Klägerin stehe auch kein anderweitiger Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zu. Den im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides gegebenen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG habe die Beklagte zutreffend berücksichtigt. Die Beklagte habe aber im Übrigen ihr Ermessen fehlerhaft, nämlich unzureichend betätigt. Sie habe insbesondere die gegen die Aufenthaltsbeendigung der Klägerin sprechenden Belange nicht hinreichend ermittelt, wie etwaige Auswirkungen ihrer Krankheit auf die Integrationsleistungen der Klägerin. Dazu hätte die Beklagte die Klägerin oder ihre Eltern vorladen oder sich bei der Schule erkundigen müssen. Dass die nachträglich vorgelegten Zeugnisse die Vermutung fehlender Integration bestätigt hätten, sei unerheblich. Zudem mangele es an der nach Art. 8 EMRK gebotenen Abwägung der aktuellen Verhältnisse.

Auf den Antrag der Beklagten hat der Senat durch Beschluss vom 20. Februar 2007 gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG die Berufung zugelassen. Die Beklagte hat die Berufung am 27. Februar 2007 unter Bezugnahme u. a. auf ihren Zulassungsantrag sowie auf vorhergehende Schriftsätze aus der ersten Instanz begründet. Sie bekräftigt ihre Ansicht, die ihr bei Erlass des Bescheides bekannten Belange hinreichend gewürdigt zu haben. Nachträglich gewonnene Erkenntnisse sprächen zusätzlich für den Widerruf. Die Klägerin sei nach einer Mitteilung ihrer Ärzte vom 28. November 2006 in ihrer Lebensführung nicht krankheitsbedingt eingeschränkt, sondern altersentsprechend entwickelt. Die Rolando Epilepsie heile meist folgenlos aus, auch in dem Alter, in dem sich die Klägerin befinde. Die weitere schulische Entwicklung sei negativ verlaufen. Die Klägerin besuche seit dem 5. Schuljahr eine Förderschule für Lernen. Dort sei sie zum Schuljahresende 2005/2006 für 14 Tage vom Unterricht ausgeschlossen worden. Sie sei laut Mitteilung der Schule vom August 2008 bereits seit einiger Zeit von den Eltern nicht mehr zur Schule geschickt werden, da sie psychisch krank sein solle. Erbetene Atteste seien dazu nicht vorgelegt worden. Nach der aktuellsten - hier vorlegten - Mitteilung der Schule vom Februar 2009 habe sich die Klägerin sehr verändert, komme jeden Tag zu spät zum Unterricht, fehle teilweise ganz und arbeite nicht mit. Einen Schulabschluss werde sie voraussichtlich nicht bekommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 1. November 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Die Beklagte sei ihrer Ermittlungspflicht nicht hinreichend nachgekommen und habe sich stattdessen auf Vermutungen gestützt. Die fehlende Sicherung des Lebensunterhaltes der Eltern dürfe der Klägerin nicht entgegengehalten werden. Fehlende Ermessenserwägungen könnten nicht erst im zweiten Rechtszug nachgeschoben werden. Überragende Bedeutung im Rahmen der Ausübung des Widerrufsermessens müsse hier der zeitlichen Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes beigemessen werden.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge (Beiakten A - G) verwiesen. Die Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat nach §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig und begründet.

Die Beklagte hat ihre Berufung fristgerecht und auch in der Sache hinreichend begründet. Die Berufungsbegründung nach § 124a Abs. 6, Abs. 3 Satz 4 VwGO kann auch durch Bezugnahme auf das Zulassungsvorbringen erfolgen, wenn sich daraus substantiiert und fallbezogen ergibt, warum das angefochtene Urteil nach Auffassung des Berufungsführers unrichtig ist und geändert werden muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.4.2001 - 1 C 33/00 -, BVerwGE 114, 155 ff.; Senatsurt. v. 12.9.2007 - 8 LB 34/06 -, EZAR-NF 48 Nr. 10, jeweils m. w. N.). Danach durfte die Beklagte in ihrer am 27. Februar 2007 eingegangen Berufungsbegründung hinsichtlich der Berufungsgründe auf die Begründung ihres Antrages auf Zulassung der Berufung vom 13. Dezember 2006 verweisen. Darin ist ausführlich dargelegt worden, warum das angefochtene Urteil nach Ansicht der Beklagten zu ändern ist.

Die demnach zulässige Berufung ist begründet, da das Verwaltungsgericht der Anfechtungsklage zu Unrecht stattgegeben hat. Der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 20. Januar 2005 ist rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für den Widerruf ist § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG. Danach kann der Aufenthaltstitel widerrufen werden, wenn die Anerkennung eines Ausländers als Asylberechtigter erlischt.

Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind hier gegeben. Der Widerrufsbescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 20. August 2002 ist seit dem Juli 2004, d. h. vor Erlass des hier streitigen Widerrufsbescheides vom 20. Januar 2005 bestandskräftig und die Asylanerkennung der Klägerin damit erloschen.

Dem Widerruf stand und steht kein Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer asylunabhängigen Niederlassungserlaubnis entgegen. Dazu bedürfte es jeweils (§§ 9, 26 Abs. 3 und 4, 35 Abs. 1 AufenthG) einer vorhergehenden Mindestzeit, in der der Ausländer im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sein muss. Zeiten, in denen der Ausländer allein auf Grund seiner Asylanerkennung im Besitz einer solchen Aufenthaltserlaubnis war, bleiben jedoch im Rahmen der nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG durchzuführenden Inzidentprüfung unberücksichtigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2003 - 1 C 13/02 -, BVerwGE 117, 380 ff.). Die Klägerin war allein auf Grund ihrer Asylanerkennung im Besitz eines Aufenthaltstitels. Diesen hinweg gedacht hätte ihr keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis i. S. d. Ausländergesetzes erteilt werden können. Folglich kann ihr schon mangels anrechenbarer, aber notwendiger "Voraufenthaltszeiten" auch kein dem Widerruf entgegenstehender Anspruch auf Erteilung einer asylunabhängigen Niederlassungserlaubnis nach einer der zuvor genannten Bestimmungen zugestanden haben bzw. zustehen.

Die der Beklagten deshalb eröffnete Ermessensentscheidung ist nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu überprüfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2003, a. a. O., sowie Senatsurt. v. 12.9.2007, a. a. O.). Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. etwa Urt. v. 28.2.2008 - 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330 ff., m. w. N.) und die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. für eine Ausweisung Urt. v. 13.1.2009 - 1 C 2/08 -, juris, und v. 15.11.2007 - 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 ff.) zur Maßgeblichkeit der Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung (in der Tatsacheninstanz) bezieht sich auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen und ist deshalb auf den hier zu beurteilenden Widerruf nicht anzuwenden (ebenso Nds. OVG, Urt. des 13. Senats v. 10.9.2008 - 13 LB 82/07 -, juris, Rn. 24 f.). Denn mit dem Widerruf wird lediglich über die Aufhebung der Niederlassungserlaubnis, nicht aber zugleich auch verbindlich über das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen eines anderen, geringwertigeren Aufenthaltstitels und damit nicht zugleich auch zwingend über eine Aufenthaltsbeendigung entschieden (vgl. Senatsurt. v. 12.9.2007, a.a.O.). Im vorliegenden Fall wird dies besonders deutlich. Die Beklagte hat in ihrem Bescheid auf Grund der damaligen Sachlage zu Recht auf die der Klägerin seinerzeit zustehende Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG hingewiesen, d. h. der Widerruf der Niederlassungserlaubnis war gerade nicht aufenthaltsbeendend. Aus Art. 8 EMRK und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, an die das Bundesverwaltungsgericht anknüpft, lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass auch ein Rechtsstreit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Aufenthaltstitels nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen ist. Dem Ausländer bleibt es im Falle eines Widerrufs im Übrigen generell unbenommen, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis etwa nach § 25 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 8 EMRK anderweitig geltend zu machen. Daher besteht auch kein Anlass, wie in der Vergangenheit vom 10. Senat des erkennenden Gerichts (vgl. Beschl. v. 30.1.2007 - 10 ME 264/06 -, InfAuslR 2007, 259 ff.) und hieran anknüpfend auch vom Verwaltungsgericht angenommen worden ist, bei dem für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt zwischen der Vereinbarkeit des Widerrufs nach nationalem Recht - Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides - und der Vereinbarkeit mit Art. 8 EMRK - Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - zu differenzieren.

Der Gesetzgeber hat das der Ausländerbehörde nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG eröffnete Widerrufsermessen nicht ausdrücklich an bestimmte Vorgaben geknüpft, sondern ihr insoweit einen weiten Spielraum eröffnet. Die Behörde darf dabei grundsätzlich davon ausgehen, dass in der Regel ein gewichtiges öffentliches Interesse an dem Widerruf des Aufenthaltstitels besteht. Bei ihrer Ermessensausübung muss die Ausländerbehörde allerdings sämtliche Umstände des Einzelfalls und damit auch die schutzwürdigen Belange des Ausländers an einem weiteren Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland in den Blick nehmen. Dazu gehören insbesondere auch die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2003, a. a. O.). Diese noch zu § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG als Vorgängervorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch auf den Widerruf gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG zu übertragen (vgl. Senatsurt. v. 12.9.2007, a. a. O.).

Die Ausländerbehörde hat ihrer Ermessensentscheidung die offenkundigen und die ihr bekannten Umstände zu Grunde zu legen (vgl. hierzu und zum Folgenden: Nds. OVG, Beschl. v. 6.11.2007 - 8 LA 67/07 -, juris, und Urt. v. 12.9.2007, a. a. O., sowie Beschl. v. 5.3.2007 - 10 ME 64/07 -, EZAR-NF 48 Nr. 6). Hinsichtlich der seine persönlichen Verhältnisse betreffenden Belange traf den Ausländer nach § 70 Abs. 1 AuslG und trifft ihn nunmehr nach § 82 Abs. 1 AufenthG eine Mitwirkungspflicht. Er hat seine Belange und die für ihn günstigen, der Ausländerbehörde nicht bekannten Umstände unter Vorlage von Nachweisen unverzüglich geltend zu machen. Auf diese Mitwirkungspflicht ist die anwaltlich vertretene Klägerin unter Fristsetzung ausdrücklich hingewiesen worden. Nimmt der Ausländer diese Gelegenheit zur Stellungnahme nicht wahr, so trifft die Ausländerbehörde hinsichtlich der in die Sphäre des Ausländers fallenden Umstände nicht ersatzweise eine Ermittlungspflicht von Amts wegen, etwa bezüglich des Gesundheitszustandes des Ausländers oder seiner schulischen Entwicklung. Die Ausländerbehörde kann insoweit vielmehr von den ihr bekannten und sonstigen offensichtlichen Umständen ausgehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.12.1987 - 1 C 29/85 -, BVerwGE 78, 285 ff.). Im Übrigen ist eine ausländerrechtliche Ermessensentscheidung ohnehin nicht stets wegen eines etwaigen Aufklärungsdefizits rechtswidrig. Entscheidend ist vielmehr, ob die behördliche Ermessensentscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruht (BVerwG, Urt. v. 1.12.1987, a. a. O., m. w. N.). Insoweit sind bei der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die erst nach der letzten Verwaltungsentscheidung zugänglich geworden sind und Anhaltspunkte für die Richtigkeit der getroffenen Einschätzung enthalten (BVerwG, Beschl. v. 23.5.2001 - 1 B 125/00 -, NVwZ 2001, 1288 f.). Auf solche nachträglich entstandenen oder bekanntgewordenen Erkenntnisse kann sich die Behörde grundsätzlich auch noch im laufenden gerichtlichen Verfahren berufen und diese Erkenntnisse als weitere Begründung ihres Bescheides in den Grenzen des § 114 Satz 2 VwGO und des materiellen Rechts nachschieben (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.5.1998 - 1 C 17/97 -, BVerwGE 106, 351 ff.), wie dies hier die Beklagte mit den von ihr vorgelegten Mitteilungen der von der Klägerin besuchten Schule und der sie behandelnden Ärzte getan hat.

Hieran gemessen ist die Ermessensentscheidung im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides, also im Januar 2005, rechtmäßig gewesen. Die Beklagte hat zutreffend erkannt, dass es im damaligen Zeitpunkt zunächst "nur" um die Herabstufung des Aufenthaltstitels von einer Niederlassungs- zu einer Aufenthaltserlaubnis ging; zugleich hat sie aber die bei einem - zwischenzeitlich auch eingetretenen - Wegfall des Anspruchs auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG potentiell aufenthaltsbeendende Wirkung des Widerrufs berücksichtigt. Zu Gunsten der Klägerin hat die Beklagte weiterhin - wenn auch mit knappen Worten und unglücklicher Formulierung - berücksichtigt, dass die Klägerin im Bundesgebiet geboren ist und sich seither rechtmäßig hier aufgehalten hat. Dass die Beklagte im Übrigen keine durchgreifenden Bindungen der Klägerin an das Bundesgebiet festgestellt hat, war zutreffend. Ihre Eltern verfügten über kein Aufenthaltsrecht. Das für die Mutter der Klägerin festgestellte Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG war widerrufen; der Widerruf ist inzwischen bestandskräftig. Der Lebensunterhalt der Familie wurde und wird aus öffentlichen, nicht beitragsfinanzierten Mitteln bestritten. Die Annahme der Beklagten, dass die Klägerin noch stark den heimatlichen Verhaltensregeln und Gebräuchen ihrer Eltern verpflichtet ist, hat sich als zutreffend erwiesen. Dies wird aus dem Inhalt der Berichte der Schule deutlich, die aus den vorgenannten Gründen für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung berücksichtigungsfähig sind. Zu weiteren Ermittlungen war die Beklagte insoweit nicht verpflichtet. Dass die Beklagte die schulische Entwicklung der Klägerin ursprünglich nicht weiter berücksichtigt hat, ist mangels näherer Informationen hierzu ebenfalls nicht zu beanstanden. Im Übrigen spricht auch diese Entwicklung deutlich gegen eine Integration der Klägerin. Denn sie hat auch schon in der Zeit vor Januar 2005 die Schule wiederholt nicht besucht, dort wiederkehrend gestört und den Lernanforderungen bereits der Grundschule nicht entsprochen, ohne dass dies auf ihre Erkrankung zurückzuführen ist. Ihre Krankheit schränkte die Klägerin nach den vorliegenden fachärztlichen Stellungnahmen in ihrer Lebensführung auch nicht entscheidend ein. Den von ihr behaupteten und beim Widerruf angeblich zu Unrecht unberücksichtigt gelassenen Anspruch auf Einbürgerung hat die Klägerin nach Aktenlage selbst nicht geltend gemacht. Außerdem hätte sie dazu grundsätzlich ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben oder verlieren müssen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG). Dass diese Voraussetzungen hier gegeben waren oder die Aufgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit für die Klägerin zum Jahresbeginn 2005 i. S. d. § 12 StAG unmöglich oder unzumutbar schwierig gewesen wäre, ist nicht zu erkennen. Der Klägerin stand also kein Einbürgerungsanspruch zu, den sie durch den Widerruf verloren hat. Auch insoweit liegt kein Ermessensmangel des Widerrufsbescheides vor.

Im Übrigen konnte die Klägerin bzw. konnten ihre Eltern für sie ohnehin nicht auf ein asylbedingtes Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet vertrauen. Denn die Asylanerkennung der Klägerin war nur in Abhängigkeit von der Anerkennung der Eltern erfolgt, ohne dass die Anerkennung der Eltern bestandskräftig war - wie dies heute nach § 26 Abs. 2 AsylVfG ausdrücklich erforderlich ist. Dementsprechend ist bereits ein Jahr nach der im Jahr 1996 bestandskräftig gewordenen Anerkennung der Klägerin und kurze Zeit nach der bestandskräftigen Ablehnung des Asylantrages der Eltern noch im Jahr 1997 vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ein Verfahren zum Widerruf der Asylanerkennung der damals gerade 4 Jahre alten Klägerin eingeleitet worden. Dazu sind die Eltern der Klägerin im Januar 1998 auch angehört worden. Zwar wird dieses Verwaltungsverfahren nicht zeitnah weitergeführt, sondern erst im Jahr 2002 mit dem Widerruf abgeschlossen. Die Klägerin bzw. ihre Eltern konnten aber spätestens seit der Einleitung des Widerrufsverfahrens nicht mehr darauf vertrauen, die Klägerin werde ihre Asylanerkennung und damit auch ihren Aufenthaltstitel dauerhaft behalten. Abgesehen davon ist es zwar nicht ausgeschlossen (vgl. etwa die dem Senatsbeschl. v. 8.12.2008 - 8 LA 72/08 -, InfAuslR 2009, 104 ff., zu Grunde liegende Fallgestaltung), dass Eltern und minderjährige Geschwister abgeleitet von einem Kind ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet erhalten. Der Systematik des Aufenthaltsgesetzes (vgl. §§ 27 ff. AufenthG) und auch des Asylverfahrensgesetzes (vgl. § 26 Abs. 2 AsylVfG) liegt aber der Normalfall zu Grunde, dass sich das Aufenthaltsrecht minderjähriger Kinder, die im Familienverband leben, umgekehrt nach dem ihrer Eltern richtet. Vor diesem Hintergrund war kein durchgreifender Grund ersichtlich, der Klägerin und damit mittelbar auch ihren Eltern und ihren noch nicht volljährigen Geschwistern durch ein Absehen vom Widerruf ein Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu verschaffen.

Der Widerruf des Aufenthaltstitels war auch mit dem in Art. 8 EMRK geregelten Schutz des Privatlebens vereinbar. Zum Zeitpunkt seines Erlasses im Januar 2005 hatte der Widerruf - wie dargelegt - lediglich die Folge, dass der Klägerin statt der Niederlassungserlaubnis ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zustand. Aus Art. 8 EMRK ist jedoch grundsätzlich keine normative Vorgabe zu entnehmen, welcher von mehreren nach nationalem Recht in Betracht kommenden Aufenthaltstiteln einem Ausländer zu erteilen ist, soweit sein Aufenthalt nur überhaupt - wie im Falle der Klägerin im Januar 2005 - sichergestellt war bzw. ein Anspruch darauf bestand (EGMR, Urt. v. 15.1.2007 - 60654/00 -, NVwZ 2008, 979 ff., Nr. 91, m. w. N.). Dass die Klägerin aus anderen nach Art. 8 EMRK geschützten Gründen, etwa zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, im Januar 2005 auf den Besitz einer Niederlassungserlaubnis angewiesen war, hat sie nicht vorgetragen und ist angesichts ihres damaligen Alters von 11 Jahren fernliegend. Aus den vorgenannten Gründen konnte sie bzw. konnten ihre Eltern schließlich auch nicht schutzwürdig darauf vertrauen, mit der allein der Klägerin erteilten Aufenthaltserlaubnis sei der gesamten Familie dauerhaft eine Integrationsperspektive eröffnet worden.

Der Widerruf ist damit ermessensfehlerfrei erfolgt.

Für den Widerruf spricht außerdem noch ein anderer, von der Beklagten nicht gewürdigter Umstand, ohne dass abschließend geklärt werden muss, ob deshalb das Widerrufsermessen nicht sogar im Sinne einer Widerrufspflicht reduziert war (vgl. dazu das o. a. Urteil des 13. Senats v. 10.9.2008 sowie GK-AufenthG, § 52, Rn. 92). Die Asylanerkennung der Klägerin beruhte tragend auf der Annahme, sie sei wie ihre Eltern albanische Volkszugehörige. Hätten die Eltern der Klägerin entsprechend ihrem nunmehrigen Vorbringen bereits bei ihrer Einreise im Jahr 1992 angegeben, sie gehörten dem Volk der Roma an, so wäre es nicht zu der Anerkennung der Klägerin gekommen. Denn eine Gruppenverfolgung von Roma hat es in Jugoslawien nicht gegeben. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Klägerin und mittelbar auch ihre Eltern durch diese Falschangabe dauerhaft begünstigt werden sollten.

Im Übrigen ergibt sich auch keine andere Beurteilung, wenn man annimmt, die Rechtmäßigkeit des Widerrufes bestimme sich nach der Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats. Denn die persönlichen Verhältnisse der Klägerin und ihrer Eltern haben sich im Sinne einer Integration seit dem Januar 2005 nicht verbessert, sondern eher verschlechtert und sprechen daher zusätzlich für den Widerruf, worauf die Beklagte zu Recht hinweist. So sind jetzt die zu Gunsten der Klägerin und ihrer Mutter im Januar 2005 noch bestehenden Abschiebungsverbote nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht mehr gegeben. Gesundheitliche Einschränkungen hat die Klägerin trotz gerichtlicher Nachfrage nicht mehr vorgetragen. Ihre schulische Entwicklung ist seit dem Januar 2005 weiter negativ verlaufen. Sie wird die von ihr besuchte Förderschule für Lernen in diesem Sommer mutmaßlich ohne Abschluss verlassen. Schließlich sprechen auch die weiteren Berichte ihrer Schule, zu denen die Klägerin nicht substantiiert Stellung genommen hat, deutlich gegen eine Integration der Klägerin. Danach unterhält sich die Klägerin u. a. auch im Unterricht trotz Verbotes auf "roma", ist entsprechend moslemisch/albanischen Sitten und Gebräuchen erzogen und lehnt jedes Gespräch z.B. über andere Essensgewohnheiten strikt ab. In der Freizeit sieht die Klägerin fast ausschließlich fern und geht kaum nach draußen. Die Eltern der Klägerin könnten schriftliche Mitteilungen kaum lesen. Schutzwürdige Bindungen an das Bundesgebiet sind angesichts dieser Sachlage nicht erkennbar.

Dass deshalb die Niederlassungserlaubnis widerrufen und damit der Klägerin und mittelbar ihren Eltern ein Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet entzogen wird, ist somit nicht ermessensfehlerhaft und widerspricht insbesondere auch nicht Art. 8 EMRK.

Ende der Entscheidung

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