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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 21.09.2006
Aktenzeichen: 9 LA 2/06
Rechtsgebiete: NGO, NKAG, NWG
Vorschriften:
NGO § 22 | |
NKAG § 6 I | |
NWG § 149 III |
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu einem Kanalbaubeitrag für die Niederschlagswasserbeseitigung. Das Verwaltungsgericht hat seine Beitragspflicht verneint und daher den angefochtenen Bescheid aufgehoben, weil die betriebsfertige Herstellung des Niederschlagswasserkanals dem Kläger einen besonderen wirtschaftlichen Vorteil im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG nicht vermittele. Denn der Kläger sei gemäß § 149 Abs. 3 NWG verpflichtet, das Niederschlagswasser auf seinem Grundstück zu beseitigen. Dies ergebe sich jedenfalls aus der ihm erteilten Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang, aber auch daraus, dass ein den Anschluss- und Benutzungszwang rechtfertigendes öffentliches Bedürfnis nicht mit fiskalischen Erwägungen begründet werden könne.
Der dagegen gerichtete und auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Weder bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils noch hat die vorliegende Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung.
Zur Darlegung ernstlicher Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO trägt die Beklagte vor: Entscheidend für die Beitragspflicht des Klägers sei nicht das Bestehen einer Anschlusspflicht, sondern sein Recht auf Anschluss an den Niederschlagswasserkanal. Zur Annahme eines beitragsrelevanten Vorteils im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG müsse es bei der Beitragserhebung für die Niederschlagswasserbeseitigung - wie im Straßenausbaubeitragsrecht - ausreichen, dass der Grundstückseigentümer die Möglichkeit zur Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung habe und ihm dadurch besondere wirtschaftliche Vorteile, vor allem eine verbesserte Erschließungssituation, erwüchsen. § 149 Abs. 3 NWG rechtfertige eine gegenüber dem Straßenausbaubeitragsrecht einschränkende Auslegung des Vorteilsbegriffs nicht. Die Vorschrift wolle zwar Anreize zur Versickerung schaffen, ihr lasse sich für den Grundstückseigentümer jedoch weder eine Versickerungspflicht noch ein Anschlussverbot bei bestehender Versickerungsmöglichkeit entnehmen. Der Grundstückseigentümer könne sich zur Erfüllung seiner Beseitigungspflicht aller in § 148 Abs. 2 NWG umschriebenen Möglichkeiten bedienen, so dass er selbst bei bestehender Versickerungsmöglichkeit sein aus § 22 Abs. 1 NGO folgendes Recht zum Anschluss an den Niederschlagswasserkanal ausüben dürfe. Dieses Recht werde weder durch die Abwasserbeseitigungssatzung der Beklagten vom 17. Dezember 2002 noch durch die dem Kläger erteilte Genehmigung zur Versickerung des auf seinem Grundstück anfallenden Niederschlagswassers eingeschränkt. Bei Bejahung eines Anschlussrechts erhalte der Grundstückseigentümer durch die betriebsfertige Herstellung des Niederschlagswasserkanals eine zusätzliche, leistungsfähige, betriebssichere und wenig störanfällige Möglichkeit zur Abwasserbeseitigung, die auch wegen ihrer Verlässlichkeit und Dauerhaftigkeit vorteilhaft gegenüber der Möglichkeit einer Versickerung von Niederschlagswasser auf dem Grundstück sei. Die darin liegende abstrakte Besserstellung gegenüber der Allgemeinheit vermittele den besonderen wirtschaftlichen Vorteil im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG.
Ein Vorbringen im Zulassungsverfahren vermag ernstliche Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nach der ständigen Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. z.B. Beschl. v. 10.3.2006 - 4 LA 140/04 - u. v. 31. Juli 1998 - 1 L 2696/98 - NVwZ 1999, 431 = NdsVBl. 1999, 93 = NdsRpfl. 1999, 87) nur zu belegen, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis - auf dieses und nicht auf einzelne Begründungselemente kommt es dabei an - "die besseren Gründe sprechen", d.h. wenn ein Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Dabei dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458, 1459) die Anforderungen an die Darlegungslast der Beteiligten nicht überspannt werden. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils sind schon dann anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. z.B. Beschl. d. Nds. OVG v. 10.3.2006 - 4 LA 140/04 -).
Bei Anwendung dieser Maßstäbe lässt sich dem Vorbringen der Beklagten nicht entnehmen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen. Insbesondere kann der Beklagten nicht in ihrer Ansicht beigepflichtet werden, der Kläger habe ein Recht zum Anschluss an den vor seinem Grundstück liegenden Niederschlagswasserkanal und deswegen einen beitragsrelevanten Vorteil im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG. In der Rechtsprechung des beschließenden Senats ist bereits geklärt, dass Grundstückseigentümer, die gemäß § 149 Abs. 3 NWG zur Eigenentsorgung von Niederschlagswasser auf ihrem Grundstück verpflichtet sind, sich nicht zwecks Ableitung von Niederschlagswasser an einen Abwasserkanal anschließen dürfen und dass sie wegen der fehlenden Möglichkeit zur Inanspruchnahme des Kanals auch keine besonderen wirtschaftlichen Vorteile im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG haben (Nds. OVG, Urt. v. 6.11.2000 - 9 L 2566/99 - NSt-N 2001, 127 = NdsVBl. 2001, 255 = NVwZ-RR 2001, 782). Diese Rechtsauffassung wird auch von anderen Obergerichten und vom überwiegenden Schrifttum geteilt (vgl. z.B. OVG Münster, Urt. v. 15.2.2000 - 15 A 772/97 zu § 51a LWG NRW; Klausing, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: Mai 2006, § 8 Rdnrn. 1031c und 1056b; Dietzel, ebenda, § 8 Rn. 540; Queitsch, Regenwasser und Grundwasser im Spannungsfeld von Beitrags-, Gebühren- und Haftungsrecht, ZKF 2002, 170 f.; anders Rosenzweig/Freese, Niedersächsisches Kommunalabgabengesetz; Stand: Oktober 2005, § 6 Rdnr. 188). Das Vorbringen der Beklagten im Zulassungsverfahren gibt keinen Anlass, von ihr abzuweichen.
Die Erhebung eines Beitrags nach § 6 Abs. 1 NKAG setzt sowohl im Straßenausbau- als auch im Kanalbaubeitragsrecht voraus, dass der Grundstückseigentümer die auf Dauer gesicherte Möglichkeit zur Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung hat und ihm dadurch dauerhaft besondere wirtschaftliche Vorteile erwachsen (st. Rspr. d. Sen. , vgl. Beschl. v. 13.7.1995 - 9 M 1462/95 -, v. 31.5.1999 - 9 L 1960/99 -, v. 31.3.1995 - 9 M 7995/94 - und v. 10.1.1995 - 9 M 527/94 -, siehe ferner z.B. Dietzel, a.a.O., § 8 Rn. 543). Im Bereich der Abwasserbeseitigung kann vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ausgegangen werden, wenn der Grundstückseigentümer ein Recht zum Anschluss an den vor seinem Grundstück betriebsfertig hergestellten Kanal hat (ebenso OVG Münster, Urt. v. 1.4.2003 - 15 A 2254/01 - KStZ 2004, 33, Dietzel, a.a.O., § 8 Rn. 543; Queitsch, a.a.O., S, 170). Dieses Recht kann in einem Gesetz, in der kommunalen Abwasserbeseitigungssatzung oder in einem Verwaltungsakt ausdrücklich festgelegt sein, kann sich aber auch mittelbar daraus ergeben, dass der Grundstückseigentümer nach der kommunalen Abwasserbeseitigungssatzung einem Anschluss- und Benutzungszwang hinsichtlich der Abwasserbeseitigung unterliegt. Besteht ein solches Anschlussrecht bereits dem Grunde nach nicht oder ist der Grundstückseigentümer aus tatsächlichen und/oder besonderen rechtlichen Gründen gehindert, ein an sich bestehendes Recht zum Anschluss an den Niederschlagswasserkanal auszuüben, so fehlt die dauerhaft gesicherte Möglichkeit zur Inanspruchnahme des Kanals und kann folglich auch nicht angenommen werden, der Grundstückseigentümer habe vom Kanal besondere wirtschaftliche Vorteile, die eine Beitragserhebung nach § 6 Abs. 1 NKAG rechtfertigen.
Die Hinderungsgründe rechtlicher Art können sich aus einer behördlichen Einzelfallregelung in einem Verwaltungsakt, aus der gemeindlichen Abwasserbeseitigungssatzung oder aus dem Gesetz ergeben (vgl. z. B. OVG Lüneburg, Urt. v. 16. 2. 1990 - 9 L 97/89 - zum Wegfall der Beitragspflicht bei einer Untersagung des Anschlusses). In Fällen der vorliegenden Art stellt § 149 Abs. 3 NWG einen rechtlichen Hinderungsgrund dar. Nach dieser Vorschrift ist der Grundstückseigentümer an Stelle der Gemeinde zur Beseitigung des auf seinem Grundstück anfallenden Niederschlagswassers verpflichtet, wenn nicht die Gemeinde den Anschluss an den Niederschlagswasserkanal und dessen Benutzung vorschreibt oder ein gesammeltes Fortleiten erforderlich ist, um eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu verhüten. Die Vorschrift geht der vom Beklagten angeführten Regelung in § 22 NGO vor, weil letztere den Zugang zu kommunalen öffentlichen Einrichtungen nur "im Rahmen der bestehenden Vorschriften", zu denen auch § 149 Abs. 3 NWG zählt, gewährleistet. Durch § 149 Abs. 3 NWG soll aus wasserwirtschaftlichen Gründen eine Versickerung des Niederschlagswassers an Ort und Stelle erreicht und zugleich die öffentliche Kanalisation von "überflüssigen" Regenwassermengen entlastet werden (vgl. Nds. Landtag - Drucks. 11/1870, S. 31 -; OVG Lüneburg, Urt. v. 11.12.1990 - 9 L 237/89 - dng 1991,163; Nds. OVG, Urt. v. 11.8.1992 - 9 L 4536/91 - u. v. 23.11.1994 - 9 L 1458/93 -; Haupt/Reffken/Rhode, Niedersächsisches Wassergesetz, Stand: August 2006, § 149 Rn. 14). Folglich kann der Grundstückseigentümer kraft Gesetzes nicht gesichert beanspruchen, dass ihm die Gemeinde das auf seinem Grundstück anfallende Niederschlagswasser trotz dort bestehender Versickerungsmöglichkeiten abnimmt (vgl. Haupt/Reffken/Rhode, a.a.O.). Er darf Niederschlagswasser nicht mit Hilfe des Kanals ableiten, so dass ihm der Anschluss an den Niederschlagswasserkanal mit dem Zweck der Einleitung von Niederschlagswasser sogar gesetzlich untersagt ist (ebenso Klausing, a.a.O., § 8 Rn. 1056b; Queitsch, a.a.O., S. 170 f; vgl. ferner die dem Rechnung tragende Regelung in § 5 Abs. 2 der Muster-Entwässerungssatzung für NRW, Mitteilungen StGB NRW 1995, 317 ff., Nr. 508; anders Rosenzweig/Freese, a.a.O.). Der Beklagten kann somit wegen der Spezialregelung in § 149 Abs. 3 NWG nicht in ihrer Ansicht gefolgt werden, dass dem Grundstückseigentümer trotz bestehender Versickerungsmöglichkeiten alle in § 148 Abs. 2 NWG genannten Möglichkeiten zur Abwasserbeseitigung offen stünden. Vielmehr muss er das auf seinem Grundstück anfallende Niederschlagswasser gerade dort zur Versickerung bringen, wo es angefallen ist.
Die begehrte Zulassung der Berufung kommt auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache in Betracht. Die Beklagte hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob der einheitliche Vorteilsbegriff des § 6 NKAG bei der Niederschlagswasserbeseitigung anders zu definieren sei als im gesamten übrigen Beitragsrecht. Diese Fragestellung vermag einen Klärungsbedarf in einem Berufungsverfahren nicht aufzuzeigen, weil sie sich schon im Zulassungsverfahren ohne weiteres dahingehend beantworten lässt, dass der Vorteilsbegriff des § 6 Abs. 1 NKAG einheitlich ist und uneingeschränkt auch für die Beitragserhebung im Bereich der Niederschlagswasserbeseitigung gilt. Dort gibt es allerdings die behandelten spezialgesetzlichen Besonderheiten, die zwar nicht den einheitlich zu verstehenden Vorteilsbegriff gemäß § 6 Abs. 1 NKAG, wohl aber die Bewertung der Vorteilslage verändern.
Ende der Entscheidung
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