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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.10.2007
Aktenzeichen: 9 LC 345/04
Rechtsgebiete: AO, NKAG


Vorschriften:

AO § 171 Abs. 3 a
NKAG § 11 Abs. 1 Nr. 4b
NKAG § 6 Abs. 8 S. 1
NKAG § 6 Abs. 8 S. 4
Mitglieder einer Erbengemeinschaft sind wegen ihrer Eigentümerstellung nebeneinander in voller Höhe beitragspflichtig gemäß § 6 Abs. 8 Satz 1 NKAG. Sie haften nach § 6 Abs. 8 Satz 4 NKAG als Gesamtschuldner.

§ 171 Abs. 3 a AO kann den Lauf der Verjährungsfrist in Niedersachsen trotz des Umstands hemmen, dass § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG ausdrücklich nur auf § 171 Absätze 1 bis 3 AO, nicht aber auch auf § 171 Abs. 3 a AO verwiesen hat.


NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS

Aktenz.: 9 LC 345/04

Datum: 11.10.2007

Gründe:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für ihr Grundstück B. ... zu einem Straßenausbaubeitrag herangezogen werden darf.

Wegen des Anfang der 90iger Jahre abgeschlossenen Ausbaus der Straße B. zog die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 6. Februar 1996 den Ehemann der Klägerin als damaligen Eigentümer des Grundstücks B. ... zu einem Straßenausbaubeitrag heran. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Ehemann dagegen Klage, die vom Verwaltungsgericht als unbegründet abgewiesen wurde. Während des Berufungsverfahrens, nämlich am 14. Februar 2000, verstarb der Ehemann. Er wurde von der Klägerin sowie deren Tochter beerbt. Die Erbengemeinschaft besteht hinsichtlich des Grundstücks B. ... fort. In dem seinerzeitigen Berufungsverfahren hob der beschließende Senat den Heranziehungsbescheid vom 6. Februar 1996 durch einen Beschluss vom 23. Juni 2000 (9 L 4701/99) wegen Unwirksamkeit der Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten auf. Mit den angefochtenen Bescheiden zog die Beklagte sodann die Klägerin zu einem Straßenausbaubeitrag in Höhe von 17.246,07 € heran. Ihre dagegen erhobene Klage hat die Klägerin im Wesentlichen mit den Einwänden der Verjährung und der fehlerhaften Bekanntgabe des Heranziehungsbescheids begründet.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Zur Wirksamkeit der Bekanntgabe des angefochtenen Heranziehungsbescheids sei nicht auch die gleichzeitige Inanspruchnahme der Tochter der Klägerin als Miterbin erforderlich. Die Klägerin könne als Gesamtschuldnerin in voller Höhe zum Straßenausbaubeitrag herangezogen werden, weil Eigentum im Sinne von § 6 Abs. 8 Satz 1 NKAG auch Gesamthandseigentum sei. Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten, weil der Ablauf der Verjährungsfrist durch § 171 Abs. 3 a Satz 1 AO gehemmt gewesen sei. Die Verweisung in § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG erstrecke sich trotz des insoweit missverständlichen Wortlauts auch auf diese Regelung.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 28. November 2002 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 23. September 2003 sowie den Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (vgl. § 130 b Satz 1 VwGO) und auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung gemäß § 130 a VwGO durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht als erforderlich ansieht. Auf diese Entscheidungsform sind die Beteiligten durch das gerichtliche Schreiben vom 13. Juli 2007 hingewiesen worden.

Die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (Anwendbarkeit des § 171 Abs. 3a AO) zugelassene Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Wegen der Entscheidungsgründe verweist der Senat zunächst gemäß § 130b VwGO auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine abweichende Betrachtungsweise nicht. Weder liegt eine fehlerhafte Bekanntgabe des angefochtenen Heranziehungsbescheids vor, noch ist die streitige Beitragsforderung verjährt:

Die Klägerin stützt ihr Rechtsschutzbegehren auch im Berufungsverfahren weiterhin darauf, dass der angefochtene Heranziehungsbescheid nicht wirksam bekanntgegeben worden sei. Bereits das Verwaltungsgericht hat - ohne dass die Klägerin darauf näher eingeht - zu diesem Einwand ausgeführt, dass die Rechtmäßigkeit der Bekanntgabe nicht zweifelhaft sein könne. Auch der Senat sieht das Vorbringen der Klägerin zur Fehlerhaftigkeit der Bekanntgabe als neben der Sache liegend an. Die Bekanntgabe eines Bescheids ist rechtmäßig erfolgt, wenn der Bescheid dem in ihm genannten Adressaten zugeht, wenn also derjenige, für den er bestimmt ist oder demgegenüber die behördliche Regelung getroffen wird, den Bescheid erhält (vgl. § 122 Abs. 1 Satz 1 AO sowie Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl. 2004, § 24 Rdnrn. 25 und 33). Die Klägerin will der Sache nach offensichtlich gar nicht bestreiten, dass der angefochtene Heranziehungsbescheid ihr gegenüber eine Regelung (Heranziehung zu einem Straßenausbaubeitrag) trifft und nach dem Willen der Beklagten treffen soll und dass er ihr zugegangen ist. Daher verfolgt sie mit ihren Einwänden gegen die Bekanntgabe einen offensichtlich fehlerhaften Begründungsansatz.

Der Sache nach will die Klägerin - auch das hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt - bestreiten, dass die Beklagte berechtigt ist, allein sie als Beitragsschuldnerin in Anspruch zu nehmen. Die Begründetheit dieses Einwands beurteilt sich entgegen der Ansicht der Klägerin in erster Linie nicht nach dem Charakter einer Gesamthandsgemeinschaft im Sinne von § 2032 BGB, sondern nach der beitragsrechtlichen Spezialregelung in § 6 Abs. 8 Satz 1 NKAG. Danach ist beitragspflichtig, wer im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheids Eigentümer des Grundstücks ist. Eine Eigentümerstellung in diesem Sinn begründet nicht nur das Alleineigentum oder das Eigentum nach Bruchteilen (vgl. §§ 741 ff. BGB), sondern auch das gesamthänderisch gebundene Eigentum, wie es z. B. bei einer Erbengemeinschaft im Sinne von § 2032 BGB oder bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB) besteht. Aus der maßgeblichen beitragsrechtlichen Sicht gibt es keine Rechtfertigung, die Mitglieder einer Erbengemeinschaft nur deshalb anders zu behandeln als Miteigentümer einer Bruchteilsgemeinschaft, weil die Erben hinsichtlich des beitragspflichtigen Grundstücks eine Gesamthandsgemeinschaft bilden, ihnen also das Grundstück als Sondervermögen in der Weise gemeinsam gehört, dass jedem daran ein ideeller Anteil in Höhe seines Erbteils zusteht. Entscheidend muss bei § 6 Abs. 8 Satz 1 NKAG sein, dass jeder Gesamthänder im Grundbuch als Eigentümer eingetragen ist und gemeinsam mit den übrigen Erben alle Rechte des Grundstückseigentümers hat. Außerdem werden die besonderen wirtschaftlichen Vorteile, die mit einem Straßenausbau regelmäßig in Form der Steigerung des Gebrauchswerts des Grundstücks einhergehen und die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen rechtfertigen, allen Mit- und Gesamthandseigentümern gemeinsam und gleichermaßen geboten, ohne dass eine Beschränkung auf bestimmte Eigentumsanteile oder Anteile der Gesamthandsgemeinschaft stattfindet. Alle Mitglieder der Erbengemeinschaft sind wegen ihrer Eigentümerstellung daher nebeneinander in voller Höhe beitragspflichtig (ebenso z.B. VG Braunschweig, Urt. vom 21.6.2000 - 8 A 383/99 - NJW 2001, 3281; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2007, § 8 Rdnr. 62 b; Dietzel, in: Driehaus, aaO, § 8 Rdnr. 576 unter Verweis auf die Rechtsprechung des OVG Münsters; Lichtenfeld, in: Driehaus, aaO, § 6 Rdnr. 718 d). Die Beklagte durfte daher gemäß § 6 Abs. 8 Satz 4 NKAG nach ihrem Ermessen eine der beitragspflichtigen Miterbinnen, hier die Klägerin, als Gesamtschuldnerin in Anspruch nehmen.

Der Senat folgt auch nicht der Ansicht der Klägerin, die streitige Beitragsforderung sei verjährt. Denn die §§ 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG, 171 Abs. 3 a AO stehen einer Verjährung entgegen:

Die letztgenannte Vorschrift sieht (sinngemäß) vor, dass die Festsetzungsfrist in Fällen, in denen - wie vorliegend - ein Abgabenbescheid im gerichtlichen Verfahren aufgehoben worden ist, so lange in ihrem Ablauf gehemmt ist, bis in dem neuen Verwaltungsverfahren, dass sich aufgrund der gerichtlichen Entscheidung anschließt, ein unter Beachtung des aufhebenden Urteils erlassener Bescheid unanfechtbar geworden ist. § 171 Abs. 3 a AO ist durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2601) mit Wirkung vom 30. Dezember 1999 (vgl. Art. 28 Abs. 2 StBereinG) in die Abgabenordnung eingefügt worden. Vor dem 30. Dezember 1999 sah § 171 Abs. 3 AO vor, dass die Festsetzungsfrist durch eine Anfechtung des Festsetzungsbescheids gehemmt wird. Durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 ist dieser Abs. 3 dahingehend geändert worden, dass er nur noch für Anträge außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens gilt. Die früher im Abs. 3 weiterhin enthaltene Regelung über den Eintritt der Hemmung durch ein Rechtsbehelfsverfahren findet sich seit dem Steuerbereinigungsgesetz 1999 im Abs. 3 a (vgl. dazu auch Rosenzweig/Freese, NKAG, Stand: August 2007, § 11 Rdnr. 104). § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG in der Fassung vom 23. Januar 2007 (Nds. GVBl S. 41) erklärt § 171 Absätze 1 bis 3 a AO auf kommunale Abgaben anwendbar. In der früheren Fassung verwies die Vorschrift lediglich auf § 171 Absätze 1 bis 3 AO.

Der Senat geht mit dem Verwaltungsgericht und der deutlich überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. zum Meinungsstand Franz, KStZ 2007, 129) davon aus, dass § 171 Abs. 3 a AO den Lauf der Verjährungsfrist trotz des Umstandes hemmen konnte, dass § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG vor der Neufassung vom 23. Januar 2007 ausdrücklich nur auf § 171 Absätze 1 bis 3 AO, nicht aber auch auf § 171 Abs. 3 a AO verwiesen hat. Denn die Verweisung in § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG hat sich auch schon vor dessen Neufassung in der Sache auch auf § 171 Abs. 3 a AO bezogen. (ebenso OVG Magdeburg, Beschl. vom 12.7.2002 - 1 M 273/01 - NVwZ-RR 2003, 233; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl. 2004, § 19 Rdnr. 34 unter Bezugnahme auf die enge sachliche Verknüpfung von alter und neuer Regelung). Diese Annahme entspricht dem Charakter des § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG als dynamischer Verweisung sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift, was das OVG Magdeburg (aaO) zutreffend wie folgt umschrieben hat:

Denn der Gesetzgeber wollte mit der Verweisung erreichen, dass die Regelungen in der Abgabenordnung über die Hemmung der Festsetzungsverjährung auch auf kommunalabgabenrechtliche Verfahren angewendet werden. Dabei sollten etwaige Änderungen der sachlichen Regelungen im Bundesgesetz ohne besonderen weiteren Gesetzesbefehl des Landesgesetzgebers auch für die landesrechtlich geregelten kommunalabgabenrechtlichen Verfahren angewendet werden. Unter diesen Umständen jedoch kann nicht von Belang sein, ob die vom Landesgesetzgeber in Bezug genommene Regelung durch den Bundesgesetzgeber in einem anderen Absatz derselben Rechtsvorschrift erfolgt ist.

Ergänzend merkt der Senat für das niedersächsische Landesrecht an, dass der frühere Verweis in § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG auf § 171 Abs. 3 AO mit der Maßgabe erfolgt ist, dass in Satz 3 an die Stelle der Worte "§ 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, § 101 der Finanzgerichtsordnung" die Worte "§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung" treten. Dieser Wortlaut von § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG spricht zusätzlich für die Annahme, dass auch auf die in § 171 Abs. 3 a AO enthaltene Regelung über die Ablaufhemmung verwiesen werden sollte. Denn die genannte Maßgabe ergäbe keinen Sinn, wenn sich die Bezugnahme nicht auf § 171 Abs. 3 a AO erstrecken würde.

Die von diesem Wortlauf sowie Sinn und Zweck geforderte Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG widerspricht auch nicht dem Verhalten des niedersächsischen Gesetzgebers. Zwar ist - worauf sich die Klägerin beruft - der Wortlaut des § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG nicht umgehend - auch nicht im Änderungsvorschriften zum NKAG enthaltenden "Euro-Anpassungsgesetz" vom 20. November 2001 (Nds. GVBl 701, 703) - an die in Rede stehende Neufassung des § 171 AO angepasst worden. Dies beruhte indessen nicht auf einem Willen zur Änderung der in Niedersachsen geltenden Rechtslage, sondern auf dem Fehlen des Bewusstseins, dass § 171 Abs. 3 AO geändert und durch einen neuen Absatz 3 a ergänzt worden war. Der Wille des niedersächsischen Gesetzgebers zur Beibehaltung der Rechtslage ist nunmehr deutlich dadurch zu Tage getreten, dass § 11 Abs. 1 Nr. 4b NKAG seit der Neufassung vom 23. Januar 2007 auf § 171 Absätze 1 bis 3 a AO verweist (vgl. dazu auch Landtagsdrucksache 15/3000, S. 26).

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