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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.03.2008
Aktenzeichen: 1 LA 38/07
Rechtsgebiete: NBauO, VwVfG


Vorschriften:

NBauO § 12 Abs. 1
NBauO § 12 Abs. 3
VwVfG § 48
VwVfG § 50
1. Zur Rücknahme einer Baugenehmigung für eine Grenzgarage auf einem Standort, dessen Hängigkeit sich aus den Bauvorlagen nicht ergeben hat.

2. Die Zulassung einer Ausnahme für eine mehr als 3 m hohe Grenzgarage (§ 12 Abs. 3, 85 NBauO) allein wegen Hängigkeit des Geländes setzt grundsätzlich voraus, dass sich eine Garage auf dem Grundstück sonst nur mit Schwierigkeiten errichten ließe.


Gründe:

Die Kläger wenden sich gegen die Rücknahme einer Änderungsbaugenehmigung für einen Carport auf ihrem Grundstück Waldweg 17 in E., der inzwischen in geänderter Gestalt genehmigt ist.

Eine ursprüngliche Baugenehmigung vom 21. April 1994 für ein Wohnhaus mit offener Garage sah einen ebenerdigen, 2,60 m hohen "Doppelcarport" (mit Abstellraum) in Holzkonstruktion von 6 m x 9 m vorn an der Straße Waldweg vor. Der genehmigte Lageplan enthielt folgende Höhenangaben:

- jeweils global für das Baugrundstück und die beiden Nachbargrundstücke in dem nach dem Bebauungsplan bebaubaren Bereich: "OKG ±0.00"

- für das Wohnhaus: "OKD +7,35"

- für den Carport: "OKD +2,60".

Unter dem 24. März 1994 hatte der Beklagte mit folgendem Hinweis Unterlagen nachgefordert: "Die Nordansicht zeigt nur die Breite der Abgrabung vor den Aufenthaltsräumen im Keller - nicht deren Tiefe (mind. 2 m) gem. § 28 DVNBauO. Darstellung im Grundriß (KG) erforderlich." Am 31. März 1994 eingegangene und genehmigte Zeichnungen für den Erdgeschoss-Grundriss und Nordansicht des Wohnhauses zeigen für dessen Nordseite "OKG - 2,42" an.

Die Baugenehmigung besagt unter Nummer 7 der Nebenbestimmungen und Hinweise: "In den Bauvorlagen ist kein Unterschied zwischen vorhandenem und geplanten Gelände angegeben. Es wird daher davon ausgegangen, dass sich alle zur Geländehöhe gemachten Angaben auf das vorhandene Gelände beziehen, eine Veränderung ist nicht genehmigt."

Mit der Änderungsbaugenehmigung vom 19. Juli 1995 ("Nachtrag - Lageänderung des Carports"), die Gegenstand des Rücknahmeverfahrens ist, wurde der Standort des Carports nördlich hinter das Wohnhaus zurückverlegt, mit 9 m Länge an der östlichen Nachbargrenze und mit per Grüneintragung auf 6 m reduzierter Breite. Im genehmigten Lageplan verblieb es bei den bisherigen Angaben zur Höhe des Geländes und des Gebäudes.

Nach einem Nachbarhinweis 9. Dezember 2001 darauf, dass auf zwei Autostellplätzen hinter dem Haus der Kläger nunmehr eine Garage gebaut werde, hörte der Beklagte die Kläger an; diese legten zum Nachweis, dass die Ausführung des Bauvorhabens nicht mehr als drei Jahre unterbrochen worden sei, Rechnungen mit dem Betreff "Stellplatz für ein Carport" vom 8. Oktober 1997 und für "Pflasterarbeiten im Bereich der Auffahrt und Stellfläche" vom 21. Juli 1999 vor. Der Beklagte teilte der Nachbarin zunächst mit, dass das Vorhaben genehmigt sei und dass sie ihr Widerspruchsrecht gegen Zu- und Abfahrtsverkehr zu zurückliegenden Stellplätzen durch Hinnahme über einen Zeitraum von drei bis dreieinhalb Jahren verwirkt habe. Die Nachbarin erhob unter dem 24. Januar 2002 förmlichen Widerspruch. Gegenüber der Bezirksregierung als Widerspruchsbehörde gab sie mit Fax vom 18. März 2002 erstmals an, dass die Garagenmauer an ihrer Grundstücksgrenze eine Höhe von 4 m habe.

Der Beklagte stellte daraufhin bei einer Ortsbesichtigung vom 20. März 2002 fest, dass die Anlage abweichend von der Baugenehmigung errichtet werde, nämlich in massiver Mauerwerkskonstruktion und geänderten Abmessungen (z.B. mit 7,18 m statt 6 m Breite und mit 3,80 bis 4,20 m Höhe). Hinsichtlich der Geländehöhe ging er vom Nachbargrundstück als gewachsenem Gelände aus. Nach seiner Schnittzeichnung steht die (noch ohne Dach) 2,82 m hohe Grenzmauer auf einem Betonsockel mit einer Höhe von 1 m bis 1,45 m; in Richtung Westen folgte eine durch Lichtbilder dokumentierte Aufschüttung, an die sich vor der Nordseite des Wohngebäudes eine Abgrabung anschließen soll.

Mit Bescheid vom 27. März 2002 ordnete der Beklagte die Einstellung der Bauarbeiten und die Beseitigung der begonnenen baulichen Anlage an; insoweit nahmen die Kläger ihre Klage später nach Erteilung der geänderten Genehmigung zurück. Mit dem hier noch angefochtenen Bescheid vom 18. September 2002 nahm der Beklagte die Baugenehmigung für die Lageänderung nach vorheriger Anhörung gemäß § 50 VwVfG zurück, weil der neue Standort nicht ebenerdig sei, sondern ein Gefälle aufweise, was die Kläger verschwiegen hätten. Im Hinblick auf den Nachbarwiderspruch bestehe kein Vertrauensschutz.

Nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat das Verwaltungsgericht die Klage mit dem angegriffenen Urteil vom 1. Juli 2005 abgewiesen, auf das hinsichtlich der Einzelheiten seiner Begründung Bezug genommen wird.

Zwischenzeitlich hat die Beklagte unter dem 12. Mai 2005 eine neue Baugenehmigung für einen Carport erteilt, der im Wege der Ausnahme nach § 12 Abs. 3 NBauO im Grenzbereich von 2,90 m Höhe an der Vorderseite bis auf 3,40 m an der Rückseite ansteigen darf, jeweils gemessen ab der vorhandenen Geländehöhe nach § 16 NBauO. Den Widerspruch der Nachbarin gegen diese Baugenehmigung hat der Beklagte mit Bescheid vom 11. September 2007 unter anderem mit der Begründung zurückgewiesen, die Grenzgarage werde inzwischen fast vollständig von der seitlichen Bepflanzung auf dem Grundstück der Nachbarin verdeckt. Deren Terrassenbereich sei von der hinteren Grenzbebauung weit entfernt. Der Carport habe keine Auswirkungen auf die Besonnung des Terrassenbereichs, er sei von dort nahezu nicht wahrnehmbar. Wenn er weiter vorn auf dem Grundstück angeordnet würde, werde der Terrassenbereich weit mehr beeinträchtigt. Das Verfahren ist jetzt unter dem Aktenzeichen 2 A 276/07 beim Verwaltungsgericht anhängig.

Mit ihrem Zulassungsantrag machen die Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend, weil die Änderungsbaugenehmigung vom 19. Juli 1995 genauso wenig rechtswidrig sei wie die Baugenehmigung vom 12. Mai 2005. Die Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung ergebe sich nach dem Rechtsgedanken des § 46 VwVfG nicht aus der mangelnden Qualität von Bauvorlagen. Die Baugenehmigung verstoße nicht gegen zwingende planungsrechtliche Vorschriften. Eine abweichende Ausführung des Vorhabens habe keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung selbst; sie rechtfertige allenfalls eine Stilllegungsverfügung. Sie könnten sich außerdem entgegen der Auffassung des Beklagten darauf berufen, dass dieser die Änderungsbaugenehmigung in Kenntnis der Hängigkeit des Geländes erteilt habe. Da sie hierfür in erster Instanz Beweis angetreten hätten, sei die Richtigkeit ihres Sachvortrages im Berufungsverfahren zu unterstellen. Es gebe ferner keine Verfahrensnorm, die zur Rechtswidrigkeit einer mit dem öffentlichen materiell Baurecht übereinstimmenden Genehmigung führe, weil in den eingereichten Lageplänen keinerlei Höhenangaben enthalten seien, die auf ein hängiges Gelände schließen ließen. Schließlich hätte auch die Frage der ausnahmsweisen Erhöhung nach § 12 Abs. 3 NBauO geprüft werden müssen. Es sei ermessensfehlerhaft, einen Verwaltungsakt zurückzunehmen, der danach deckungsgleich erneut zu erlassen sei.

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr.1 VwGO liegen nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Beschl. v. 31.7.1998 - 1 L 2696/98 -, NVwZ 1999, 431) erst dann vor, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis die "besseren Gründe" sprechen, das heißt wenn ein Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Dabei dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (2. Kam. d. 1. Sen., Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458) die Anforderungen an die Darlegungslast der Beteiligten nicht überspannt werden. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils sind schon dann anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.

Das ist den Klägern nicht gelungen.

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Änderungsbaugenehmigung vom 19. Juli 1995 rechtswidrig war. Eine Baugenehmigung ist rechtswidrig, wenn das im Zeitpunkt ihrer Erteilung geltende Recht unrichtig angewendet oder bei der Entscheidung von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist (vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 75 Nr. 81). Richtig ist, dass es auf tatsächliche Abweichungen von der Baugenehmigung bei der Bauausführung in diesem Zusammenhang nicht ankommt. Zu Unrecht gehen die Kläger aber davon aus, dass die Mängel der Bauvorlagen nur Verfahrensfehler darstellten, die den Anwendungsbereich des § 46 VwVfG betreffen. Tatsächlich ergibt sich erst durch die inhaltliche Bezugnahme der schriftlichen Baugenehmigung (§ 75 Abs. 3 NBauO) auf den Bauantrag und die ggfs. durch Grünvermerk geänderten Bauvorlagen (§ 71 NBauO), was überhaupt genehmigt worden ist und auf welcher tatsächlichen Grundlage. Geben diese mit Genehmigungsvermerk versehenen Unterlagen die tatsächlichen Verhältnisse in einer Weise unzutreffend wieder, die sich auf die Anwendung des materiellen Rechts auswirkt, kann darauf die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung beruhen.

Das ist hier der Fall, denn auf der Grundlage mängelbehafteter Bauvorlagen ist ein "Gebäude besonderer Art" im Sinne des § 12 Abs. 1 NBauO unter Verstoß gegen die Höhenbeschränkung auf 3 m genehmigt worden. Das ergibt sich zunächst aus dem Lageplan und den Bauzeichnungen zur Ursprungsbaugenehmigung vom 21. April 1994, die den Baugrund als eben deklarierten. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Nordansicht ein tieferes Niveau darstellt (OKG -2,42), der sich auch im Erdgeschossgrundriss wiederfindet. Den Klägern war durch die Unterlagennachforderung vom 24. März 1994 bekannt, dass der Beklagte davon ausging, an der Nordseite des Wohngebäudes sei (nur) eine Abgrabung vorgesehen; dieser nachvollziehbaren Interpretation der Bauvorlagen sind sie nicht entgegengetreten, auch später nicht angesichts der Nr. 7 der Nebenbestimmungen und Hinweise zur Baugenehmigung. In verschärftem Maße unrichtig ist der dann für die Nachtragsgenehmigung vorgelegte Lageplan, der trotz der Hängigkeit des neuen Carportstandorts daran festhält, dass das Gelände eben sei. Zwar enthalten die Bauakten auch einen Ausschnitt aus dem maßgeblichen Bebauungsplan, der Höhenlinien aufweist. Da diese aber weitläufig verteilt sind, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass die Hängigkeit sich auf den Bauplatz auswirkt.

Wird eine Baugenehmigung für ein vermeintlich ebenes, tatsächlich aber hängiges Gelände erteilt, kann sie nicht dahin ausgelegt werden, dass sich die tatsächliche bauliche Ausführung nach dem vorgefundenen Geländeverlauf zu richten und damit insbesondere auf die Grenzabstandsbestimmungen Rücksicht zu nehmen habe. Ihr objektiver Erklärungswert geht vielmehr dahin, dass alle Baulichkeiten auf einer durchgehenden Ebene genehmigt sind. Das hat zwangsläufig zur Folge, dass die Genehmigung baulicher Anlagen, die auf ebener Fläche gerade noch den erforderlichen Abstand halten würden, für hängige Bereiche gegen die Grenzabstandsbestimmungen verstößt, bei Garagen also gegen § 12 Abs. 1 NBauO.

Zwar kann bei Garagen nach § 12 Abs. 3 NBauO ausnahmsweise eine größere Höhe als 3 m zugelassen werden, wenn das Gelände hängig ist. Eine solche Ausnahme ist hier weder ausdrücklich noch konkludent erteilt worden; auch die hierfür erforderliche Nachbarbeteiligung nach § 72 Abs. 2 Satz 1 NBauO hat nicht stattgefunden. Ihre Erteilung kam für eine Überschreitung um bis zu 1,20 m auch nicht in Betracht. Nach § 85 Abs. 1 NBauO können Ausnahmen, die in der NBauO vorgesehen sind, zugelassen werden, wenn sie mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift waren gegeben, weil § 12 Abs. 3 NBauO in einer Alternative die Hängigkeit des Geländes ausreichen lässt. Mit öffentlichen Belangen ist eine Ausnahme aber nur vereinbar, wenn sie unter Beachtung des Schutzgutes der Norm, von der die Ausnahme erteilt werden soll, den mit der NBauO verfolgten Zielen nicht zuwiderläuft; insofern kommt es bei Ausnahmen von Abstandsbestimmungen gerade auf die Nachbarverträglichkeit an (vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 85 Rdnrn. 5 ff). Grundsätzlich sind mit hängigem Gelände verbundene Probleme zuvörderst mit architektonischen Mitteln auf dem jeweils eigenen Grundstück zu lösen. Für eine Verringerung des grundsätzlich einzuhaltenden Abstands besteht nur Anlass, wenn und soweit sich eine Grenzgarage ansonsten nur mit Schwierigkeiten errichten ließe (vgl. auch Barth/Mühler, Abstandvorschriften der Niedersächsischen Bauordnung, 2. Aufl. 2000, § 12 Rdnr. 51). Geht es dem Bauherrn dagegen nur um die Erfüllung besonderer architektonischer Wünsche, die sich bei Einhaltung des "normalen" Grenzabstandes nicht verwirklichen lassen, muss er sich um die Zustimmung des betroffenen Nachbarn bemühen (§ 12 Abs. 3 1. Alternative NBauO). Hinsichtlich des Nachbargrundstücks beurteilt sich die "Verträglichkeit" der Ausnahme im Übrigen nicht nur nach der aktuellen Nutzung, sondern auch potentielle Nutzungserweiterungen sind in die Betrachtung einzubeziehen; der Nachbar muss sich eigene zulässige Nutzungen baulicher oder sonstiger Art (Terrassennutzung o.ä.) nicht beschneiden lassen, nur weil der Garagenbauherr mit seiner überhöhten Grenzgarage "zuerst kommt". Bei alledem kommt eine Ausnahme um so eher in Betracht, je geringfügiger sie ist. Geht es nur um wenige Zentimeter, sind nachbarliche Interessen schwächer betroffen als bei einer Höhenüberschreitung von - wie hier - bis zu 1,20 m oder noch mehr.

Hier liegt ein tragfähiger Grund für eine Überschreitung in dem genannten Umfang nicht vor. Es ist weder geltend gemacht noch ersichtlich, dass die Anlage nicht von vornherein im Rahmen der normalen Abstandsregelungen hätte geplant werden können. Dass dabei möglicherweise eine gewisse Höhendifferenz zwischen Carport und Hauseingang in Kauf genommen werden muss, ist zur Vermeidung einer Ausnahme von der Höhenbegrenzung für Grenzgaragen zumutbar und erträglich.

Die damit rechtswidrige Baugenehmigung durfte der Beklagte nach § 1 NdsVwVfG i.V.m. 48 VwVfG zurücknehmen, auch noch nach Abgabe des Vorgangs an die Widerspruchsbehörde (vgl. Senat, Beschl. v. 15.7.2002 - 1 LA 2816/01 -, NVwZ-RR 2003, 326). Dabei gelten die Absätze 2 bis 4 dieser Vorschrift nicht, weil der Rücknahmebescheid in Anwendung des § 50 VwVfG ergangen ist, nämlich einem zulässigen und begründeten Nachbarwiderspruch abgeholfen hat.

Der Widerspruch war nicht verfristet, denn die Nachbarin hatte von dem Vorhaben eines Carports erst mit Baubeginn erfahren. Zwar mag ihr Begehren hinsichtlich der Störungen durch die Zu- und Abfahrt zu den rückwärtigen Stellplätzen verwirkt sein; das erfasst aber nicht zugleich auch ihr Abwehrrecht gegen neue Bauwichverletzungen.

Der Umstand, dass die Nachbarin gegen ein abweichend von der Baugenehmigung ausgeführtes Gebäude vorgegangen ist, entzieht ihren Widerspruch nicht dem Anwendungsbereich des § 50 VwVfG. Zwar hat sie sich mit ihrer ersten Eingabe vom 9. Dezember 2001 zunächst nur gegen das gewandt, was sich ihr auf dem Grundstück der Kläger faktisch darbot. Nach Mitteilung des Beklagten mit Schreiben vom 14. Januar 2002, dass hierfür eine Baugenehmigung mit Nachtrag vom 19. Juli 1995 erteilt worden und diese auch nicht durch Zeitablauf erloschen sei, hat sie hiergegen unter dem 24. Januar 2002 förmlich Widerspruch erhoben.

Allerdings würde die von allen Beteiligten übereinstimmend vertretene Auffassung, dass die angefochtene Baugenehmigung bis zu ihrer Rücknahme wirksam war, den Senat nicht daran hindern, dies rechtlich anders zu bewerten mit der Folge, dass sich der Widerspruch nur noch gewissermaßen gegen den Rechtsschein einer Baugenehmigung gerichtet hätte. Dafür spricht auch einiges. Die Baugenehmigung dürfte schon vor ihrer Rücknahme nach § 77 NBauO erloschen gewesen sein, weil die Kläger nicht das genehmigte Vorhaben errichtet haben, sondern (schon wegen der massiven Bauweise, der geänderten Anordnung von Carport und Abstellraum zueinander, abweichender Anordnung der Tür und eines zusätzlichen Fensters) ein anderes, nicht genehmigtes, und darüber die Dreijahresfrist abgelaufen ist. Außerdem kommt ihnen der Umstand nicht zugute, dass sie - mit entsprechenden Rechnungen belegt - an der für den Carport vorgesehenen Stelle einen dort schon seit 1995 vorhandenen Stellplatz haben befestigen lassen, was nach anwaltlichem Schriftsatz vom 8. Januar 2003 zur Sache 2 B 135/02 auch die "Stützmauer" einschloss, die im Frühherbst 1997 errichtet worden sein soll, denn ein befestigter Stellplatz ist nun einmal kein Carport mit Abstellraum. Darüber braucht aber nicht abschließend entschieden werden, weil beide Alternativen zum Nachteil der Kläger ausgehen. War die Baugenehmigung erloschen, fehlt ihnen bereits das Rechtschutzbedürfnis für die Klage gegen ihre Rücknahme. War sie noch wirksam, dann stellte sie auch einen geeigneten Angriffsgegenstand für den Widerspruch der Nachbarin dar mit der im Anschluss zu erörternden Folge, dass nach § 50 VwGO Vertrauensschutzgesichtspunkte ausgeschlossen sind.

Infolge der Anwendbarkeit des § 50 VwVfG ist das nach § 48 Abs. 1 VwVfG grundsätzlich eröffnete Ermessen auf Null reduziert (BVerwG, Urt. v. 8.11.2001 - 4 C 18.00 -, NVwZ 2002, 730). Es kommt nicht darauf an, ob die Kläger die Baugenehmigung durch Angaben erwirkt haben, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG), und ob die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG abgelaufen ist. Ebensowenig schlägt bei der Ermessensbetätigung noch durch, ob dem Beklagten die Hängigkeit des Geländes aus anderen Gründen bekannt war. Denn im Anwendungsbereich des § 50 VwVfG hat ausschlaggebende Bedeutung, ob der betroffene Dritte die Rechtsverletzung hinnehmen muss; dieser muss eine Bauwichverletzung nicht etwa deshalb dulden, weil die Bauaufsichtsbehörde auch selbst Fehler gemacht hat. Die auf § 50 VwVfG gestützte Rücknahmeentscheidung unterliegt im Anfechtungsprozess des Bauherrn keinem anderen materiellen Maßstab als dem, der Rahmen einer Nachbarklage nach Genehmigungserteilung gelten würde (OVG Münster, Beschl. v. 4.6.1998 - 10 A 1318/97 -, BauR 1999, 478).

Dafür, dass die Hängigkeit des Geländes dem Beklagten bekannt war, gibt es im Übrigen aber auch keine ausreichenden Anhaltspunkte; das Vorbringen der Kläger ist insoweit unsubstantiiert und nicht mit einem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag untermauert. Nach dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge ist das Baugenehmigungsverfahren insgesamt nur schriftlich geführt worden. Ausweislich der Unterlagennachforderung des Beklagten vom 24. März 1994 und der Nr. 7 der Nebenbestimmungen und Hinweise zur Baugenehmigung vom 21. April 1994 ist der zuständige Sachbearbeiter von einer Abgrabung nördlich des Wohnhauses ausgegangen, ohne dass die Kläger dem entgegengetreten sind. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass ein "Bauprüfer" sein Augenmerk gerade auf die Frage zu richten hatte, ob der Geländeverlauf in den Bauvorlagen richtig dargestellt war. Besteht kein bestimmter Anlass, dass ein "Bauprüfer" die von ihm wahrgenommenen Umstände mit dem Inhalt der Bauakten abgleicht, spielt seine - unterstellte - allgemeine Vertrautheit mit den örtlichen Verhältnissen im Baugenehmigungsverfahren keine Rolle. Es ist nicht Sinn des Baugenehmigungsverfahrens, die Fähigkeiten der Bauaufsichtsbehörde auszutesten, falschen oder unvollständigen Angaben auf die Spur zu kommen.

Unrichtig ist schließlich, dass die zurückgenommene Baugenehmigung sogleich wieder erteilt werden musste. Die erneute Baugenehmigung vom 12. Mai 2005 weicht von der zurückgenommenen Baugenehmigung in wesentlichen Punkten ab. Unter anderem ist die maximale Höhe von 4,20 m auf 3,40 m reduziert. Aus der Erteilung dieser Genehmigung - deren gerichtliche Überprüfung im Übrigen noch aussteht - kann deshalb nicht auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Änderungsgenehmigung geschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG. Anders als im erstinstanzlichen Verfahren ist im Zulassungsverfahren nur noch die Rücknahme der Baugenehmigung im Streit, die der Senat so bewertet wie die Erteilung einer selbständigen Baugenehmigung für einen Carport (vgl. Nr. 2 e der Streitwertannahmen der Bausenate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, NdsVBl. 2002, 192).

Ende der Entscheidung

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