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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 09.09.2004
Aktenzeichen: 1 ME 194/04
Rechtsgebiete: NBauO
Vorschriften:
NBauO § 86 I |
2. Grundstücke, welche im wesentlichen nur den Zweck von Verkehrsflächen erfüllen, genießen nicht den Schutz der Grenzabstandsvorschriften. Dasselbe kann für private Wasserflächen gelten, die nicht im Eigentum eines bestimmten Anliegers stehen.
3. Bei der Frage, ob sich der Nachbar trotz eigener Überschreitung auf die Verletzung des Grenzabstandes durch das angegriffene Vorhaben berufen kann, ist eine wertende, nicht allein auf die Fläche des "Abstandsschattens" abstellende Betrachtung anzustellen.
Tatbestand:
Die Antragsteller sind Miteigentümer des Grundstücks Am Leinewehr 20 bis 30 (Flurstück 20/44, Flur 2 der Gemarkung Döhren). Dieses im Wesentlichen west-östlich verlaufende Grundstück liegt südlich des Teiches, der inmitten der sogenannten Leineinsel auf dem ehemaligen Betrieb der "Döhrener Wolle" im Süden von Hannover auf der Grundlage des Bebauungsplanes der Antragsgegnerin Nr. 1000 angelegt worden ist. Dieser Bebauungsplan setzt das Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs um, den die Antragsgegnerin Mitte 1978 für diesen Bereich, welcher einst insgesamt im Eigentum der Neuen Heimat stand, hatte durchführen lassen. Der mit dem 1. Preis ausgezeichnete Entwurf von insgesamt 6 eingegangenen Arbeiten sah die Anlegung dieses Teiches vor, der ringförmig mit mehrgeschossigen Bauten unterschiedlicher Höhe umgeben wird. Das Grundstück der Antragsteller bildet dabei die südliche Spange, die nordwestliche (Hausnummern 25 - 29 A) ist ebenfalls schon verwirklicht worden. Bislang unbebaut war der nordöstliche und der östliche Teil. Für den erstgenannten (Flurstück 20/95 der gleichen Flur) erhielt die Beigeladene zu 2) eine Baugenehmigung, welche die Antragsteller im Verfahren des ersten Rechtszuges ebenfalls attackierten. Das Beschwerdeverfahren richtet sich nur noch gegen die Bebauung des Flurstücks 20/93, für welches die Beigeladene zu 1) die hier in ihrer Ausnutzung angegriffene Baugenehmigung vom 19. April 2004 erhielt. Deren Bebauung soll unmittelbar an diejenige der Antragsteller (Haus-Nr. 20) anschließen. Die Antragsgegnerin erteilte eine ganze Reihe von Befreiungen, weil das Vorhaben der Beigeladenen zu 1) die im Bebauungsplan der Antragsgegnerin Nr. 1000 festgesetzte Geschoss- und Geschossflächenzahl und die Baugrenzen sowie daneben den Grenzabstand sowohl zum sogenannten Teichgrundstück (Flurstück 20/18) als auch zum Grundstück der Antragsteller hin überschreitet.
Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag mit der hier hinsichtlich der Beigeladenen zu 1) noch angegriffenen Entscheidung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, und im Wesentlichen folgender Begründung abgelehnt: Es unterliege zwar Zweifeln, ob die Voraussetzungen für eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes vorgelegen hätten. Hieraus könnten die Antragsteller positive Rechtsfolgen indes nicht herleiten, weil die Festsetzungen zum Nutzungsmaß hier nicht nachbarschützend seien. Zu einer unangemessenen Zurücksetzung nachbarlicher Interessen führe die Befreiung nicht. Das Vorhaben habe keine erdrückende Wirkung und wirke sich auch sonst nicht in unangemessener Weise zu Lasten der Antragsteller aus. Aus der Verletzung der Grenzabstandsvorschriften könnten die Antragsteller ebenfalls keine positiven Rechtsfolgen ableiten. Auch hier sei zwar zweifelhaft, ob die Voraussetzungen für eine Befreiung vorgelegen hätten. Darauf komme es indes nicht entscheidend an. Die im Miteigentum der Antragsteller stehende Parzelle 20/19 stelle eine Wegeparzelle dar, für welche die Grenzabstandsvorschriften nicht reklamiert werden könne. Ob das auch für das Teichgrundstück gelte, könne letztlich offen bleiben, weil auch die Antragsteller den Abstand zu diesem Teichgrundstück, welches zugleich im Miteigentum der Beigeladenen zu 1) und 2) stehe, überschreite. Bei einer wertenden Betrachtung entsprächen die Überschreitungen des Grenzabstandes einander. Das gelte schließlich auch im Verhältnis der Baugrundstücke der Antragsteller zu dem der Beigeladenen zu 1). Die Abstandsschatten seien flächenmäßig betrachtet zwar nicht identisch. Wegen der Himmelsrichtungen wirke sich jedoch die Grenzüberschreitung, welche vom Grundstück der Antragsteller ausgehe, ganz erheblich mehr zu Lasten der Beigeladenen zu 1) aus, als dies in umgekehrter Richtung der Fall sei. Daher sei bei der gebotenen wertenden Betrachtung im Ergebnis anzunehmen, dass sich die Auswirkungen der Abstandsrechtsverletzungen in etwa entsprächen.
Hiergegen richtet sich die zunächst uneingeschränkt formulierte, mit zeitgleichem Eingang des Schriftsatzes vom 19. Juli 2004 dann aber wirksam, d.h. ohne die Wirkungen, die eine teilweise Rücknahme hervorruft, auf das Vorhaben der Beigeladenen zu 1) beschränkte Beschwerde der Antragsteller. Diese hat keinen Erfolg.
Zu den Entscheidungsmaßstäben ist Folgendes auszuführen:
In Verfahren nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO ist "ausgewogener" Rechtsschutz zu gewähren. Nicht nur auf Seiten des Nachbarn drohen vollendete, weil unumkehrbare Tatsachen einzutreten, wenn das Vorhaben verwirklicht wird. Auch auf der Seite des Bauherrn können solche nicht mehr wieder gut zu machende Folgen eintreten. Diese bestehen im Falle einer Antragsstattgabe darin, dass die durch den Aufschub verlorene Zeit nicht nachgeholt werden kann und die in dieser Zeit erzielbaren Gewinne nicht mehr realisiert werden können. Von den Folgen des § 945 ZPO bleibt der Antragsteller im verwaltungsgerichtlichen Nachbarstreit verschont. Aus diesem Grunde kommt in Verfahren des einstweiligen Nachbarrechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichtlichen den Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs ausschlaggebende Bedeutung zu. Der Sachverhalt ist damit in aller Regel nur summarisch zu überprüfen. Das Ergebnis dieser Prüfung gibt dem Vollzugsinteresse des Bauherrn nicht erst dann den Vorrang, wenn die Baugenehmigung danach mehr oder minder zweifelsfrei Nachbarrechte des Antragstellers nicht verletzt. Ein derartiger Rechtsschutz wäre nicht ausgewogen, weil er das Risiko, die Rechtmäßigkeit des Bauscheins bei nur summarischer Prüfung nicht vollständig und zweifelsfrei ermitteln zu können, einseitig auf den Bauherrn überwälzte. Es fehlt die innere Rechtfertigung dafür, dem Bauherrn eine Zurückstellung seiner Bauabsichten schon dann zuzumuten, wenn noch nicht vollständig erwiesen ist, dass sein Bauschein Nachbarrechte nicht verletzt, und damit den Belangen des Nachbarn selbst dann einstweilen Vorrang einzuräumen, wenn derzeit Überwiegendes (wenngleich nicht vollständig Zweifelsfreies) für die Annahme spricht, dass der nachbarliche Rechtsbehelf voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Das wäre nicht nur unausgewogen, sondern widerspräche auch der Wertung des Gesetzgebers, der durch § 212 a BauGB tendenziell den Bauabsichten Vorrang eingeräumt hat.
Die sonach anzustellende Prüfung führt aus den Gründen, welche das Verwaltungsgericht aufgeführt hat, zur Zurückweisung der Beschwerde. Zu deren Angriffen sind die folgenden Ausführungen veranlasst:
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass nach der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. Beschl. v. 23.6.1995 - 4 B 52.95 -, NVwZ 1996, 170 = BRS 57 Nr. 209) Festsetzungen eines Bebauungsplanes zum Maß der baulichen Nutzung anders als solche, welche die Nutzungsart betreffen, kraft Bundesrechts grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion entfalten. Diese Festsetzungen schließen die Planbetroffenen nicht wie diejenigen zur Nutzungsart zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen. Öffentlich-rechtlichen Nachbarschutz vermitteln die Festsetzungen eines Bebauungsplanes zum Maß der baulichen Nutuzung daher erst dann, wenn der Plangeber dies gewollt hat.
Das hat das Verwaltungsgericht für die Festsetzungen des Planes 1000 mit zutreffenden Erwägungen, auf welche gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug genommen wird, verneint. Das Beschwerdevorbringen beschränkt sich demgegenüber auf die Behauptung, wenn schon der Plangeber das Maß der baulichen Nutzung zwischen dem Südteil und den übrigen Umrandungen des Binnenteiches differenziert und auf der Grundlage des 1978 durchgeführten städtebaulichen Wettbewerbes in unterschiedlicher Weise ausgestaltet habe, dann müsse gerade ein solcher städtebaulicher "Wurf" den Einzelgrundstückseigentümern zugleich den Anspruch verschaffen, die Einhaltung der dabei gefundenen Festsetzungen zu reklamieren. Diese Argumentation ist nicht schlüssig und findet auch in der Planbegründung keine ausreichende Stütze. Gerade wenn besondere städtebauliche, d.h. in allererster Linie im Allgemeinwohl wurzelnde Absichten die abgestuften Festsetzungen zum Nutzungsmaß bestimmt haben, bedarf es besonderer Rechtfertigung, weshalb deren Einhaltung außerdem von den Planunterworfenen als eigene subjektiv öffentliche (Abwehr-)Rechte reklamiert werden können sollen. Solche Anhaltspunkte sind in der Planbegründung nicht enthalten. Hiernach wird das Maß der baulichen Nutzung - neben den Erwägungen, welche den prämierten Entwurf zum städtebaulichen Wettbewerb/1978 bestimmt haben - im Wesentlichen mit technisch bedingten Erwägungen begründet, welche den Uferausbau betreffen. Ziel des städtebaulichen Wettbewerbs, d.h. Vorgabe der Antragsgegnerin war, unterschiedlichen Wohnformen mit unterschiedlichen Vollgeschossen Raum zu schaffen und die Uferzonen öffentlich zugänglich zu machen. Das einzige Ziel, dessen Reklamierung als öffentliches Abwehrrecht in Betracht käme, besteht darin, jeder Wohneinheit einen Blick auf den zu schaffenden Binnenteich zu ermöglichen. Dieses Ziel wird durch die Überschreitung der Geschossflächen- und Geschosszahl sowie der Baugrenzen nicht nachteilig tangiert.
Anlass, die Festsetzungen zum Nutzungsmaß abwehrrechtlich gleichsam aufzuladen, bestand zudem deshalb nicht, weil das gesamte Planareal seinerzeit im Eigentum der Neuen Heimat stand und Grundlage des Bebauungsplans daher die Annahme war, das gesamte Areal werde durch ein und denselben Bauträger bebaut werden. Für einen solchen Fall stellt sich die Frage öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes hinsichtlich des Nutzungsmaßes nicht.
Aus der möglichen Verletzung von Grenzabstandsvorschriften können die Antragsteller im Ergebnis Abwehrrechte ebenfalls nicht herleiten.
Hinsichtlich des Flurstücks 20/19 hat das Verwaltungsgericht das Zutreffende ausgeführt. Wie schon am Ende seines Beschlusses vom 22. Juli 2003 (- 1 ME 129/03 -, NordÖR 2003, 451 = NdsVBl. 2004, 21 = NdsRPfl. 2004, 52) ausgeführt, teilt der Senat die Erwägungen, welche das OVG Münster in seinem Beschluss vom 30. September 1996 (- 10 B 2276/96 -, BRS 58 Nr. 180) angestellt hat. Danach verleiht das Eigentum an reinen Wegeparzellen regelmäßig dem Eigentümer kein Abwehrrecht gegenüber einer Verletzung der Abstandsvorschriften gegenüber dem Wegegrundstück. Denn diese sind nicht dazu bestimmt, den Eigentümer einer reinen Wegeparzelle zu schützen; die Abstandsflächen dienen nämlich der ausreichenden Belichtung und Belüftung der angrenzenden Grundstücke sowie in gewissem Umfang der Sicherstellung eines sogenannten Sozialabstandes. In einer Weise, welche diesen Zwecken gerecht werde, kann eine reine Wegeparzelle nicht genutzt werden.
Daran hält der Senat fest. Abstandsvorschriften (vgl. zum Folgenden Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO 7. Aufl., § 7 Rdnrn. 6 ff.; Barth/Mühler, Abstandsvorschriften der Niedersächsischen Bauordnung, 2. Aufl., Einleitung Rdnrn. 1 und 20) dienen in erster Linie dazu, für einen ausreichenden Abstand zwischen Gebäuden zu sorgen. Dieser soll so bemessen sein, dass die ausreichende Belichtung und Belüftung sowie Versorgung mit Tageslicht sichergestellt wird. Daneben mögen die Abstandsvorschriften zwar auch andere, namentlich den Zweck verfolgen, eine ungestörte Nutzung der Freiflächen sicherzustellen und deren unangebrachte Verschattung durch zu nahe heranrückende Gebäude zu verhindern. Auch diese Nebenzwecke der Abstandsvorschriften rechtfertigen es nicht, solchen Grundstücksparzellen Abwehrbefugnisse zu verleihen, welche nach den Festsetzungen eines Bebauungsplans, wie hier im Bebauungsplan der Antragsgegnerin Nr. 1000 geschehen, mit einem Gehrecht zu Gunsten der Allgemeinheit belastet worden sind. Solche Flächen stellen nicht mehr einen gleichsam "nach außen gestülpten" Wohnbereich dar. Sie sind nach ihrer Nutzung nicht mit den Freiflächen vergleichbar, welche sich typischerweise zwischen den Gebäuden und den Grundstücksgrenzen befinden. Dass diese planerische Festsetzung mit der weiteren Festsetzung "private Grünfläche" unterlegt ist, ändert entgegen dem Beschwerdevorbringen daran nichts. Denn die Antragsteller können kraft ihres Eigentums nicht verhindern, dass diese Flächen von der Allgemeinheit begangen werden, um so insbesondere die private Wasserfläche zu erfahren und zu erleben.
In der Konsequenz der vorstehenden Ausführungen liegt es, dass die Antragsteller auch aus ihrem Miteigentum an der privaten Wasserfläche (Flurstück 20/18) keine abstandsrechtlich begründeten Abwehrrechte herleiten können. Dieser Teich ist nicht gleichsam exklusiv zu ihren Gunsten Außenbereich. Nach dem unstreitigen Vorbringen aller Beteiligten steht diese private Wasserfläche (Flurstück 20/18) im Eigentum aller Beteiligten, d.h. auch der Beigeladenen zu 1) und 2). Das hat zur Folge, dass die Teichfläche den Antragstellern nicht exklusiv als Außenwohnfläche oder in ähnlicher Weise als Raum zugeordnet worden ist, auf dem sie sich aufhalten und die Vorteile des Abstandsrechts dadurch genießen könnten, dass sie von anderen Gebäuden die Einhaltung des Grenzabstandes verlangen könnten. Der Teich erfüllt sowohl eigentumsrechtlich als auch nach dem Zweck des Bebauungsplans 1000 die Aufgabe, eine künstlich geschaffene reizvolle Mitte der Leine-Insel zu schaffen mit der Möglichkeit, von jedem der Anlieger eingesehen zu werden. Er erfüllt damit nur eine Aufgabe, wie sie üblicherweise Straßen und Plätzen zukommt. Er ist nach seiner Funktion eine von keinem der Anlieger zu betretende Freifläche, "auf die" lediglich geblickt werden kann, "auf der" aber nicht gerade die Antragsteller unter Ausschluss der übrigen Anlieger des Teiches "leben" und wirtschaften können. Selbst wenn der Teich - was nicht ganz klar ist - von allen Anliegern als Ruderfläche genutzt würde, erfüllte er beurteilt nach dem Zweck der Abstandsvorschriften ebenfalls nur denjenigen, den auch öffentliche Plätze erfüllen. Dann aber ist es nach den Grundsätzen, welche das Verwaltungsgericht zutreffend herangezogen und welche der Senat in dem oben angegebenen Beschluss vom 22. Juli 2003 - 1 ME 129/03 - ohne weiteres geteilt hat, nicht gerechtfertigt, den Antragstellern eine Berufung darauf zuzulassen, die Beigeladene zu 1. habe von diesem Teil den vollen nach der NBauO erforderlichen Abstand zu halten.
Entgegen der Auffassung der Beschwerde können die Antragsteller im Ergebnis auch keine sie begünstigende Rechtsfolgen daraus herleiten, dass das Vorhaben der Beigeladenen zu 1) im Verhältnis zu ihrem Baugrundstück - und unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 9 Abs. 1 NBauO auch über die Mitte des Wegegrundstückes Flurstück 20/19 hinaus - den Grenzabstand möglicherweise verletzt. Auch der Senat lässt unentschieden, ob die von der Antragsgegnerin im Bescheid vom 19. April 2004 angestellten Überlegungen ausreichen, um den Tatbestand des § 86 NBauO oder des dort nicht genannten § 13 NBauO auszufüllen. Der dort angezogene § 10 NBauO dürfte kaum einschlägig sein, weil er den abstandsrechtlichen Konflikt innerhalb eines einzigen Grundstückes betrifft.
Darauf kommt es indes nicht entscheidend an. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend zur Auffassung gelangt, den Antragstellern stehe insoweit wegen eigener Verletzung der Grenzabstandsvorschriften aller Voraussicht nach ein Abwehranspruch nicht zu und es sei daher im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gerechtfertigt, allein deswegen die Ausnutzung des Bauscheins vom 19. April 2004 vorerst zu verhindern. Die dazu maßgeblichen Grundsätze hat das Verwaltungsgericht zutreffend zusammen gefasst. Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. z.B. Urt. v. 12.9.1984 - 6 A 49/83 -, BRS 42 Nr. 196) besteht ein Abwehranspruch wegen der Verletzung der Abstandsvorschriften dann und insoweit nicht, als der sich wehrende Nachbar den Bauwich seinerseits in vergleichbarer Weise in Anspruch nimmt. Die Inanspruchnahme des Bauwichs durch den Nachbar führt allerdings nicht dazu, dass jedwede Abwehransprüche wegen Bauwichsverletzungen des Bauherrn ausgeschlossen sind. Nur soweit das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis gestört wird, d.h. die Verletzungen der Grenzabstandsvorschriften bei wertender Betrachtung einander entsprechen, ist ein Abwehranspruch ausgeschlossen. Das ist anhand der konkreten Auswirkungen zu beurteilen.
Eine danach vorgenommen Würdigung ergibt auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, dass der Beigeladenen zu 1) die Ausnutzung des Bauscheins vom 19. April 2004 nicht einstweilen versagt werden darf.
Das Beschwerdevorbringen beruht im Wesentlichen auf der Annahme, man müsse die Bereiche des angegriffenen sowie des eigenen Baukörpers in den Blick nehmen, welche den abstandsrechtlich unzulässigen Schatten werfen. Darauf kommt es bei dieser Würdigung indes nicht oder zumindest im untergeordneten Umfang an. Nicht die Gebäudeteile, welche die Abstandsvorschriften nicht mehr einhalten, sind würdigend nebeneinander zu stellen. Es kommt vielmehr darauf an, welche "Abstandsschatten" diese Gebäudeteile auf das Grundstück des jeweils anderen werfen und in welcher Weise sie hierdurch bei Würdigung der konkreten Verhältnisse diejenigen Belange beeinträchtigen, welche die Grenzabstandsvorschriften zu schützen bestimmt sind. Dabei sind - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - die betroffenen Flächen nicht lediglich gleichsam quadratzentimetergenau gegeneinander zu stellen. Maßgeblich ist vielmehr eine Würdigung, welche das Gewicht der abstandsrechtlich relevanten Beeinträchtigungen gegeneinander stellt und zu ermitteln versucht, ob der Saldo einander in etwa entspricht oder die Beeinträchtigungen des einen schwerer wiegt als die des anderen.
Eine danach vorgenommene Würdigung ergibt nicht mit der für eine Antrags- und Beschwerdestattgabe erforderlichen Eindeutigkeit, das Grundstück der Antragsteller werde durch den "Abstandsschatten" des hier allein angegriffenen Vorhabens der Beigeladenen zu 1) stärker in Anspruch genommen, als dies in umgekehrter Richtung der Fall ist. Richtig und vom Verwaltungsgericht konzidiert ist zwar, dass rein flächenmäßig betrachtet das Grundstück der Antragsteller durch den "Abstandsschatten" des hier noch angegriffenen Vorhabens der Beigeladenen zu 1. stärker in Anspruch genommen wird als dies umgekehrt der Fall ist (vgl. dazu den handkolorierten Auszug aus der Baugenehmigung, Anlage 3 zum Vermerk der Mitarbeiterin der Antragsgegnerin Heeren vom 17. Mai 2004 sowie die Abstandspläne, welche die Architekten und Stadtplaner GmbH unter dem 16. März 2004 an die Delta Bau AG übersandt haben; Beiakte F). Das Verwaltungsgericht hat indes zutreffend dargelegt, dass eine würdigende Betrachtung eher zu dem Ergebnis führt, die Beeinträchtigungen hielten sich im Wesentlichen die Waage, aus Gründen von Treu und Glauben könnten die Antragsteller daher aus der Verletzung von Abstandsvorschriften resultierende Abwehrrechte im Ergebnis nicht mit Erfolg geltend machen. Insoweit wird zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Darlegung des Verwaltungsgerichts Bezug genommen. Das Beschwerdevorbringen setzt sich mit diesen Ausführungen zwar auseinander, ohne aber diese wirkungsvoll widerlegen zu können. Das fußt - wie oben dargelegt - im Wesentlichen auf der oben schon verworfenen Annahme, es komme ganz wesentlich auf die Betrachtung der Gebäudeteile an, welche weggedacht bzw. wieder beseitigt werden müssten, um den Grenzabstand einzuhalten.
Neben den vom Verwaltungsgericht angestrebten Erwägungen ist noch Folgendes zu beachten:
Der "Abstandsschatten", den das angegriffene Vorhaben zu Lasten des Grundstücks der Antragsteller (genauer: des Gebäudes Nr. 20) wirft, trifft dort auf einen Bereich, der nach den genehmigten Bauzeichnungen nicht als Außenwohnbereich genutzt wird, sondern "hinter" den im Erdgeschoss des Hauses Nr. 20 eingerichteten Pkw-Einstellplätzen liegt. Diese Art der Nutzung ist deutlich weniger schutzwürdig als Wohnräume, welche auf den Schutz der Vorschriften stärkeren Umfangs angewiesen sind (vgl. Beschl. d. Sen. v. 11.7.2003 - 1 MN 165/03 - NordÖR 2003, 452; Senatsurt. v. 26.2.2003 - 1 LC 75/02 -, Baurecht 2004, 68 = NVwZ 2003, 820 = NVwBl. 2003, 180). Demgegenüber fällt der Abstandsschatten, den das Gebäude der Antragsteller wirft, auf einen Bereich, in dem die Beigeladene zu 1. nach dem Inhalt der genehmigten Bauzeichnungen Wohnnutzung angesiedelt hat. Dort wirken sich die Abstandsüberschreitungen ungleich stärker aus als in der Nähe von Einstellplätzen und dort lediglich schießschartenartig angelegten Entlüftungsöffnungen.
Nimmt man noch den vom Verwaltungsgericht zutreffend herangezogenen Gesichtspunkt hinzu, die Himmelsrichtungen führten dazu, dass sich die Abstandsunterschreitungen durch das Vorhaben der Beigeladenen zu 1) im Ergebnis deutlich weniger auswirkten als dies von dem westlich davon gelegenen Gebäude der Antragsteller der Fall sei, dann ist es nicht gerechtfertigt, der Beigeladenen zu 1) die Ausnutzung des Bauscheins vom 19. April 2004 einstweilen zu versagen.
Ende der Entscheidung
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