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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 04.03.2008
Aktenzeichen: 1 ME 2/08
Rechtsgebiete: NdsSOG, VwVfG


Vorschriften:

NdsSOG § 64 Abs. 1
NdsSOG § 66
VwVfG § 41 Abs. 1
VwVfG § 41 Abs. 2
VwVfG § 43 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Antragsteller wenden sich gegen die bauaufsichtliche Anordnung der Beseitigung eines Nebengebäudes auf ihrem Grundstück und die Festsetzung der Ersatzvornahme.

Nach vorheriger Anhörung mit Schreiben vom 5. Juni 2007 ordnete die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 9. Juli 2007 unter Sofortvollzug die Beseitigung des fraglichen Nebengebäudes an und drohte gleichzeitig die Ersatzvornahme an. Die Zustellung ist nach ihren Angaben am 12. Juli 2007 durch Einwurf in den Briefkasten der Antragsteller erfolgt; diese bestreiten den Zugang der Verfügung. Mit der ebenfalls angegriffenen Verfügung vom 12. September 2007 setzte die Antragsgegnerin die Ersatzvornahme fest.

Unter dem 10. Oktober 2007 erhoben die Antragsteller Widerspruch gegen das Anhörungsschreiben und die genannten Verfügungen, wobei sie erklärten, dass ihnen die in der Verfügung vom 12. September 2007 genannte Beseitigungsanordnung nicht zugegangen sei, und um Übersendung einer Kopie dieser Verfügung baten.

Die Verwaltungsvorgänge sind auf dem Weg zum Verwaltungsgericht verlorengegangen; in den rekonstruierten Akten sind Zustellungsnachweise nicht enthalten.

Die Antragsteller haben beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Verfügungen der Antragsgegnerin vom 5. Juni 2007, vom 9. Juli 2007 und vom 12. September 2007 wiederherzustellen.

Das Verwaltungsgericht hat vorläufigen Rechtsschutz versagt, wobei es offen gelassen hat, ob fristgerecht Widerspruch gegen die Verfügung vom 9. Juli 2007 erhoben worden sei.

Die Beschwerde der Antragsteller hat überwiegend Erfolg.

Das auf § 89 Abs. 3 NBauO gestützte Anhörungsschreiben vom 5. Juni 2007 ist allerdings kein tauglicher Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens, weil es sich dabei nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Infolgedessen ist auch kein Raum für eine gerichtliche Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.

Soweit die Verfügung vom 9. Juli 2007 betroffen ist, ist dagegen vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren. Denn es ist zweifelhaft und wird erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden können, ob diese Verfügung nach § 43 Abs. 1 VwVfG wirksam geworden ist. Das setzt nach § 41 Abs. 1 VwVfG eine Bekanntgabe voraus, die hier bestritten ist. Zwar spricht das Vorbringen der Antragsgegnerin dafür, dass die Verwaltungsvorgänge einen Zustellungsnachweis auch für diese Verfügung enthalten haben, zumal der Ausdruck der Verfügung über dem Adressfeld den Zusatz "mit Postzustellungsurkunde" aufweist. Infolge des Verlustes der Verwaltungsvorgänge lässt sich jedoch im Rahmen des Eilverfahrens nicht zweifelsfrei feststellen, ob Zustellung korrekt ausgeführt worden ist. Da die Antragsteller an ihrem gegenteiligen Vortrag festhalten, käme es insoweit wahrscheinlich auf das Ergebnis einer Vernehmung des Zustellers als Zeugen an, für die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kein Raum ist.

Auch die Fiktion des § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, führt hier nicht weiter. Denn es ist nicht bekannt, ob die Verwaltungsvorgänge einen entsprechenden "Ab"-Vermerk enthalten, und es bestehen hier Zweifel im Sinne des Satzes 2 dieser Vorschrift. Zwar reicht das reine Behaupten eines unterbliebenen oder verspäteten Zugangs für solche Zweifel vielfach nicht aus; erforderlich sein kann der substantiierte Vortrag eines atypischen Geschehensablaufs (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, a.a.O. § 41 Rdnr. 45 m.w.N.). Insoweit dürfen die Anforderungen jedoch nicht überspannt werden, wenn - wie hier - nur "negative" Tatsachen in Rede stehen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.3.2007 - 5 LA 136/06 -, NVwZ-RR 2007, 365). Hier ist zu berücksichtigen, dass die Antragsteller den Zugang fristauslösender Schriftstücke durchaus nicht habituell in Abrede nehmen; hinzu kommt, dass auch das Verschwinden der Verwaltungsvorgänge noch keine Erklärung gefunden hat.

Mangels Nachweises des Zugangs der Verfügung vom 9. Juli 2007 kann nicht von deren Wirksamkeit ausgegangen werden (§ 43 Abs. 1 VwVfG). Soweit ersichtlich, hat die Antragsgegnerin den Antragstellern die fragliche Verfügung auch nicht erneut bekannt gegeben oder auch nur zugänglich gemacht, obwohl die Antragsteller ihre Bitte aus dem Widerspruchsschreiben mit Schriftsatz vom 29. November 2007 wiederholt haben; eine Heilung nach bzw. entsprechend § 9 Abs. 1 VwZG (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, a.a.O., § 41 Rdnr. 28) ist damit nicht eingetreten. Ohne Bekanntgabe beginnt keine Rechtsmittelfrist zu laufen und kann keine Bestandskraft eintreten. Die Bezugnahme auf die genannte Verfügung in der nachfolgenden Verfügung vom 12. September 2007 ändert daran nichts; positive Kenntnis von der Existenz einer bauaufsichtlichen Anordnung ersetzt nicht die Bekanntgabe im Sinne des § 41 Abs. 1 VwVfG als Wirksamkeitsvoraussetzung. Die Antragsteller hatten deshalb auf der Grundlage ihrer Sachdarstellung keinen Anlass, Wiedereinsetzung zu beantragen. Auch der Widerspruch vom 10. Oktober 2007 geht unter dieser Voraussetzung - vorbehaltlich besserer Erkenntnis im Hauptsacheverfahren - an sich noch ins Leere, ist aber schon deshalb als zulässig anzusehen, weil jedenfalls die Antragsgegnerin von einer wirksamen Bekanntgabe ausgeht (vgl. auch Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, Rdnr. 28 a).

Berühmt sich die Behörde einer vollziehbaren Anordnung, deren wirksame Bekanntgabe durchgreifenden Zweifeln unterliegt, muss das Gericht ähnlich wie in den Fällen "faktischer Vollziehung" (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 80 Rdnr. 181; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2005, § 80 Rdnr. 164; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rdnr. 238 ff.) bei der Tenorierung auf die Besonderheiten dieser Situation Rücksicht nehmen. Von den Fällen der "faktischen Vollziehung", in denen ein Feststellungsausspruch üblich ist, unterscheidet sich der vorliegende Fall jedoch gerade dadurch, dass hier ein in Bezug auf die Wirkungen des § 80 Abs. 1 VwGO ungeklärter Sachverhalt zugrunde liegt und es deshalb zu einer Entscheidung nach Beweislastregeln kommt. Die Zweifel an der Wirksamkeit der Bekanntgabe lassen sich im weiteren Verlauf des Verfahrens aber möglicherweise noch auflösen, etwa bei Wiederauffinden des Verwaltungsvorgangs oder der Verfügung selbst. Dem wird ein Anordnungsausspruch besser gerecht als ein Feststellungsausspruch.

Die nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 66 Abs. 4 Nds. SOG nicht schon kraft Gesetzes eingetretene aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Anordnung der Ersatzvornahme (§ 89 Abs. 4 NBauO i.V.m. § 66 Nds. SOG) ist anzuordnen, weil es nach dem oben Gesagten an einem durchsetzbaren Verwaltungsakt im Sinne des § 64 Abs. 1 Nds. SOG fehlt; einer der Ausnahmefälle des § 64 Abs. 2 Nds. SOG liegt nicht vor.

Es bedarf daher keiner Erörterung der Frage, ob in der hier gegebenen Sachlage eine sofort vollziehbare Beseitigungsanordnung wirklich zu rechtfertigen ist. Die vorliegenden Fotografien zeigen zwar, dass die grenzständige Bretterwand keinen "übermäßig ästhetisch durchgebildeten Eindruck" vermittelt. Es ist allerdings sehr diskussionswürdig, ob der vorhandene Zustand schon die Grenze zur Verunstaltung überschreitet und dies noch dazu in einem Maße eindeutig sein soll, dass den Antragstellern nicht etwa eine Kaschierung der Abschlusswand, sondern gleich die Beseitigung des gesamten Vorhabens aufgegeben werden darf. Diskussionswürdig ist des Weiteren, ob allein der Umstand, dass der Beigeladene diesen Zustand als "belastend" empfindet, die Anordnung des Sofortvollzugs zu rechtfertigen vermag. Der zweite dazu angeführte Gesichtspunkt - mangelnde Standfestigkeit - legt eher die Durchführung von einfacheren Sicherungsmaßnahmen (Aufnageln von Traversen o. ä.) denn die Anordnung einer Beseitigung nahe; diese hat eher "ultima ratio" zu bleiben.

Nicht ganz geklärt ist möglicherweise auch, ob eine mangelhafte Bauausführung wirklich die Annahme rechtfertigt, das Vorhaben sei von der Baugenehmigung vom 15. August 2006 nicht mehr umfasst.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 3, 161 Abs. 2 VwGO; da das Unterliegen der Antragsteller nur geringfügig ist, werden die Kosten der Antragsgegnerin insgesamt auferlegt.

Ende der Entscheidung

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