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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.12.2003
Aktenzeichen: 1 ME 302/03
Rechtsgebiete: BauNVO 1990, BauNVO 1968


Vorschriften:

BauNVO 1990 § 1 IV
BauNVO 1968 § 8 IV
Gliedert die Gemeinde die Nutzungsart auf der Grundlage von § 1 Abs. 4 ff. BauNVO 1990 oder § 8 Abs. 4 BauNVO 1968, so entfalten diese Festsetzungen nur dann nachbarschützende Wirkungen, wenn dies die Gemeinde damit bezweckt. Ein uneingeschränkter Gebietserhaltungsanspruch steht den übrigen Planunterworfenen insoweit nicht zu.
Gründe:

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des mit einem Bürogebäude bebauten Grundstücks Karlsruher Straße 2 B und möchte die Errichtung eines Einzelhandelmarktes mit einer Verkaufsfläche von 800 m² auf dem östlich benachbarten Grundstück Karlsruher Straße 2 A mit der Begründung verhindern, das widerspreche den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes der Antragsgegnerin Nr. 685. Dieser wurde am 6. Oktober 1976 bekannt gemacht und setzt für das Grundstück der Antragstellerin sowie das Baugrundstück Gewerbegebiet mit Einschränkungen fest. Für den östlichen Teil des Baugrundstücks gilt § 3 der textlichen Festsetzungen, der folgenden Wortlaut hat:

"Das Gewerbegebiet entlang der Karlsruher Straße ist gegliedert.

Zulässig sind Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude.

Ausnahmsweise können zugelassen werden

1. Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter,

2. Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke.

8 Abs. 4 BauNVO)."

Für den westlichen Teil des Baugrundstücks, in dem die hier streitige Anlage überwiegend hergestellt werden soll, gilt § 4 der textlichen Festsetzungen. Diese hat unter anderem den folgenden Wortlaut:

"Das Gewerbegebiet ostwärts der Bundesbahn mit Ausnahme des Bereichs entlang der Karlsruher Straße ist gegliedert.

Zulässig sind

1. Gewerbebetriebe aller Art mit Ausnahme von gemeindlichen und übergemeindlichen Einkaufszentren und Verbrauchermärkten,

2. Lagerhäuser ...,

3. Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude,

4. Tankstellen.

Ausnahmsweise können zugelassen werden ...

8 Abs. 4 BauNVO)."

Der hier angegriffene Vorbescheid der Antragsgegnerin vom 5. September 2002 betrifft einen SB-Markt der Fa. D.. Seiner Erteilung widersprach die Antragstellerin mit der Begründung, beide textlichen Festsetzungen stünden der Genehmigung des Vorhabens entgegen; sie vermittelten zu ihren Gunsten Nachbarschutz. Deswegen sei die Vollziehung des Bauvorbescheides auszusetzen.

Den nach Ablehnung dieses Antrages gestellten Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit der angegriffenen Entscheidung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, abgelehnt und dazu unter anderem das Folgende ausgeführt: Das Vorhaben verstoße zwar gegen die textlichen Festsetzungen des § 3 und § 4 Nr. 1 des Bebauungsplanes der Antragsgegnerin Nr. 685. Diese Maßnahmen der Feinsteuerung vermittelten jedoch nach der Rechtsprechung des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs (Urt. v. 11.3.1997 - 10 S 2815/96 -, NVwZ 1999, 439), welcher sich die Kammer anschließe, nur dann Nachbarschutz, wenn und soweit die planende Gemeinde hiermit den Schutz bestimmter Personen bezweckt habe. Eine Auslegung der textlichen Festsetzungen ergebe, dass Einkaufszentren und Verbrauchermärkte nicht zum Schutz der im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 685 sich ansiedelnden Gewerbetreibenden, sondern der außerhalb davon vorhandenen Wohnbebauung im Stadtteil E. ausgeschlossen worden seien.

Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte Beschwerde der Antragstellerin. Mit dieser macht sie im Wesentlichen geltend, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts entfalteten Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung auch dann unabhängig vom Willen der planenden Gemeinde Nachbarschutz, wenn damit ein von der Baunutzungsverordnung vorgesehener Nutzungstyp modifiziert werde.

Antragsgegnerin und Beigeladene treten der Beschwerde entgegen. Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung, soweit darin eine zugunsten der Antragstellerin streitende nachbarschützende Wirkung der textlichen Festsetzungen verneint worden ist, und machen ergänzend geltend, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts verstoße das Vorhaben nicht gegen die §§ 3 und 4 des Bebauungsplanes der Antragsgegnerin Nr. 685.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Entgegen der Annahme der Beigeladenen ist sie allerdings zulässig. Namentlich bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Statthaftigkeit des Eilantrages. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. insbes. Beschl. v. 30.3.1999 - 1 M 897/99 -, BauR 1999, 1163 = NdsVBl. 2000, 10) entfaltet ein Nachbarwiderspruch gegen einen Bauvorbescheid keine aufschiebende Wirkung. Das gilt unabhängig davon, ob der Bauherr alsbald sich auf die Bindungswirkungen des Bauvorbescheides zu berufen gedenkt oder - wie hier - ein anderes Vorhaben für das Baugrundstück zur Baugenehmigung stellt. Dieser Umstand ließe das Rechtsschutzbedürfnis allenfalls unter der Voraussetzung entfallen, dass der Bauherr auf die sofortige Vollziehbarkeit des Bauvorbescheides rechtswirksam verzichtete. Das hat die Beigeladene gerade nicht getan. In ihrer Antragserwiderung vom 1. Dezember 2003 (Seite 2) stellt sie vielmehr ausdrücklich klar, auf die Rechte aus dem Bauvorbescheid vom 5. September 2002 weder verzichten zu können noch zu wollen; deshalb behalte sie es sich ausdrücklich vor, auf diesen Bescheid zumindest hilfsweise zurückzugreifen. Unter diesen Umständen kann von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses nicht die Rede sein.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das folgt schon daraus, dass die allein zur Beschwerdebegründung geltend gemachte These, welche gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu Lasten der Antragstellerin die Nachprüfung beschränkt, die textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans der Antragsgegnerin Nr. 685 vermittelten Nachbarschutz, nicht zutrifft. Aus diesem Grunde erübrigen sich Ausführungen zu der in der Beschwerdeerwiderungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen aufgeworfenen Frage, ob das streitige Vorhaben überhaupt einen Verbrauchermarkt im Sinne des § 4 Nr. 1 der textlichen Festsetzungen zum Bebauungsplan Nr. 685 darstellt.

Die auf § 8 Abs. 4 der Baunutzungsverordnung in der hier noch anzuwendenden Fassung der Neubekanntmachung vom 26. November 1968 (BGBl. I S. 1237, berichtigt BGBl. 1969 I S. 11) gestützten Feinsteuerungen entfalten keine nachbarschützenden Wirkungen zugunsten der Antragstellerin. Bei Modifikationen, welche - wie hier - auf § 8 Abs. 4 BauNVO 1968 oder auf § 1 Abs. 4 ff. BauNVO 1990 fußen, kommt es darauf an, ob und wieweit die Gemeinde dieses Instrument der Feinsteuerung auch im Interesse desjenigen eingesetzt hat, der sich nunmehr auf diese Modifikationen beruft und deren Einhaltung reklamiert. Das ist nach der mit Beschwerdegründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) nicht angegriffenen Auslegung des Bebauungsplanes der Antragsgegnerin Nr. 685 zu verneinen. Im Einzelnen ist auszuführen:

Die Frage, ob und welchen Umfangs jeder Planunterworfene die Einhaltung der zur Feinsteuerung des Nutzungsgeschehens eingesetzten Festsetzungen nach § 1 Abs. 4 ff. BauNVO 1990 beziehungsweise § 8 Abs. 4 BauNVO 1968 in Fortsetzung der Grundsätze, welche das Bundesverwaltungsgericht in seinen Entscheidungen vom 16. September 1993 (- 4 C 28.91 -, DVBl. 1994, 285) und vom 23. August 1996 (- 4 C 13.94 -, NVwZ 1997, 384) aufgestellt hat, reklamieren kann, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt und in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Zum Teil wird vertreten, jeder Planunterworfene könne sich uneingeschränkt auf all die Festsetzungen zur Nutzungsart berufen, welche der Plan festsetzt; es mache keinen Unterschied, ob der Plangeber einen der in §§ 2 ff. der Baunutzungsverordnung vorgesehenen Gebietstypen uneingeschränkt übernehme oder durch Feinsteuerungsmaßnahmen modifiziere. Zur Begründung dieser Auffassung wird angeführt, der Verordnungsgeber habe alle nach § 1 Abs. 4 ff. BauNVO möglichen Abwandlungen mit bedacht und es sei daher kein Grund erkennbar, Festsetzungen zur Feinsteuerung von dem "absoluten Gebietsschutz" auszunehmen, den Festsetzungen der Nutzungsart allen Planunterworfenen vermittelten (so König/Roeser/Stock, BauNVO, 2. Aufl. 2003, § 8 Rdn. 56). Die der Gemeinde eingeräumte Ausgestaltungsbefugnis zur Feinjustierung betreffe lediglich den Festsetzungsinhalt, nicht jedoch den nachbarschützenden Gehalt aller Festsetzungen zur Nutzungsart (Kraft, VerwArch. 1998, 264, 284 Fußnote 108). Der Umstand, dass § 1 Abs. 4 ff. BauNVO 1990 ebenso wie § 8 Abs. 4 BauNVO 1968 lediglich zu bestimmten Festsetzungen berechtige, ohne dass damit die durch die Eigentumsgarantie und das Abwägungsgebot garantierten Vorgaben für die subjektiv-rechtliche Komponente ausgeschaltet wären, sei unerheblich, wenn sich Nachbarschutz "lediglich" aus einer textlichen Feinsteuerung ergebe (so Seidel, öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Nachbarschutz 2000, Rdn. 385 sowie Mampel, BauR 1998, 697, 701 ff. namentlich unter Hinweis auf die Eigentumsgarantie). Auch wenn es Ziel einer Feinsteuerung sei, eine benachbarte (insbesondere: Wohn-)Bebauung zu schützen, diene sie doch dazu, das Plangebiet harmonisch in die Umgebung einzubetten und dadurch die Nutzungsmöglichkeiten zu erhalten und zu schützen, die der Plan eröffne. Sein Konfliktschlichtungsprogramm entfalte damit auch zugunsten der planunterworfenen Grundstücke nachbarschützende Wirkung (Mampel, BauR 2003, 1824, 1832).

Nach der Gegenmeinung ist zu differenzieren und danach zu entscheiden, welchen Kreis von Grundstücken die Gemeinde mit der Maßnahme der Feinjustierung habe schützen wollen. Seien dies - wie dies nach der mit ausreichenden Beschwerdegründen nicht angegriffenen Auffassung des Verwaltungsgerichts hier der Fall ist - Grundstücke außerhalb des Baugebiets, könnten sich Eigentümer von innerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstücken auf diese Festsetzungen nicht als eigene Rechte berufen. Ebenso verhalte es sich mit Nutzungsausschlüssen oder Modifikationen, welche allein städtebaulich begründet seien (vgl. Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 6. Aufl. 2001, Rdn. 2061, 2062; Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl., § 1 Rdn. 31; BWVGH, Urt. v. 11.3.1997 - 10 S 2815/96 -, NVwZ 1999, 439 = BRS 59 Nr. 26 sowie Beschl. v. 19.3.1998 - 10 S 1765/97 -, UPR 1998, 358 = BRS 60 Nr. 177; ihm folgend OVG Koblenz, Urt. v. 14.1.2000 - 1 A 11751/99 -, BauR 2000, 527 = ZfBR 2000, 268; BayVGH, Beschl. v. 17.10.2002 - 15 CS 02.2068 -, BayVBl. 2003, 307). Anders als bei der Festsetzung des generellen Gebietstyps seien deren Modifikationen nicht in jedem Falle drittschützend, weil sie das durch die Gebietstypisierung vorgegebene nachbarliche Austauschverhältnis nicht zwingend beträfen und zum Vorteil eines bestimmten Planunterworfenen ausgestalteten.

Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Das vom Bundesverwaltungsgericht (u.a.) in den genannten zwei Entscheidungen gefundene Ergebnis darf nicht formelhaft und ohne Rücksicht auf seine dogmatische Ableitung auf die Fälle angewandt werden, in denen die Gemeinde die Nutzungsart durch Festsetzungen nach § 1 Abs. 4 ff. BauNVO 1990 beziehungsweise nach § 8 Abs. 4 BauNVO 1968 planerisch "feingesteuert" hat. Maßgeblich für die Beantwortung dieser Frage haben vielmehr die Gründe zu sein, aus denen das Bundesverwaltungsgericht nur "grundsätzlich" folgert, jeder Planunterworfene könne im Verhältnis zu anderen Eigentümern die Einhaltung der die Grundstücksnutzungsart betreffenden Vorschriften verlangen und als eigene Rechte reklamieren. Das folgt entgegen Mampel (BauR 1998, 697, 710 ff.) insbesondere nicht aus der Eigentumsgarantie. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der zitierten Entscheidung vom 23. August 1996 vielmehr ausdrücklich festgehalten, Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG - die Vorschrift, welche dem Gesetzgeber die inhaltliche Ausgestaltung auch des Grundeigentums auferlegt - zwinge in aller Regel nicht zu einem bestimmten Ergebnis, daher seien keineswegs alle baurechtlichen Vorschriften potentiell drittschützend. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung von Eigentum hat der Gesetzgeber dem Grundstückseigentümer etwas zuzuordnen, dessen Nutzung ihm als Grundlage für eine selbstbestimmte Lebensführung dienen kann. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass sämtliche Bestimmungen zur Nutzungsart, die der Ortsgesetzgeber für dritte Grundstücke trifft, auch dem Grundstück desjenigen, der sich nun gegen eine bestimmte Nutzungsart wehrt, als Eigentum zugeordnet sind. Ebenso wie der Bundesgesetzgeber hat auch der Ortsgesetzgeber bei der Festsetzung der Nutzungsarten nicht nur zu bedenken, dass die dem einen gewährte Vergünstigung nur dann ausgenutzt werden kann, wenn andere Grundstückseigentümer bestimmte Einschränkungen hinnehmen. Soweit dies geschieht, besteht zwischen den Festsetzungen ein Korrespondenz-, das heißt ein Austauschverhältnis, welches erst die Anerkennung öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes gewährleistet. Daneben hat der Gesetzgeber bei der Konkretisierung des Grundeigentumsinhalts aber auch Belange der Allgemeinheit zu berücksichtigen (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG). Es fehlt ein innerer Grund, jedem Grundstückseigentümer auch das Recht zu geben, deren Einhaltung als eigenes Recht zu reklamieren. Insoweit rüstet der Gesetzgeber das Grundeigentum durch die Festsetzungen des Bebauungsplanes gerade nicht in wehrfähiger Weise aus. Auch wenn, wie Mampel in seiner Äußerung aus dem Jahre 1998 nicht ganz unzutreffend hervorhebt, die dogmatische Grundlage für die Zuerkennung öffentlich-rechtlichen Drittschutzes durch Festsetzung der Nutzungsart in den beiden oben zitierten Entscheidungen schwankt - in der Entscheidung vom 16. September 1993 war noch das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB als Grundlage genannt worden, in der Entscheidung vom 23. August 1996 soll es demgegenüber die Ermächtigungsgrundlage für den Bebauungsplan sein -, kommt das Bundesverwaltungsgericht dementsprechend in beiden Entscheidungen zutreffend zu dem Ergebnis, dass sich inhaltlich der öffentlich-rechtliche Nachbarschutz nur daraus rechtfertigt, dass und soweit zwischen verschiedenen Festsetzungen ein Austauschverhältnis zumindest dergestalt besteht, dass die Einhaltung der für alle oder einen Teil der Grundstücke geltenden Einschränkungen das Ziel verfolgt, eine schleichende Verschlechterung des Gebietscharakters zu verhindern und damit im Vorfeld auszuschließen, dass aufgrund einer solchen Veränderung des Gebietscharakters die Verheißungen der Planfestsetzungen am Ende dann doch nicht (vollständig) ausgenutzt werden können. Soweit dies nicht der Fall ist, fehlt die innere Rechtfertigung dafür, öffentlich-rechtlichen Nachbarschutz anzuerkennen, und ist insoweit nicht mehr die "grundsätzliche" Anerkennung von nachbarschützender Wirkung für Festsetzungen der Nutzungsart gerechtfertigt. Dementsprechend hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 29. März 1996 (- 1 M 6354/95 -, NVwZ 1997, 1012 = UPR 1996, 451 = BRS 58 Nr. 163) angenommen, trotz Verstoßes gegen die festgesetzte Nutzungsart "Gewerbegebiet" stehe dem Planunterworfenen kein Abwehranspruch gegen einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb zu, der "an sich" nur in einem Kern- oder Sondergebiet zugelassen werden dürfte. Denn die Ausnutzung der Planverheißungen werde hierdurch nicht gefährdet.

Dem lässt sich nicht mit Mampel (BauR 2003, 1824, 1830 ff.) die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2000 (- 4 C 23.98 -, BauR 2000, 1306 = DVBl. 2000, 1340 = NVwZ 2000, 1054) entgegenhalten. Auch hier besteht das Bundesverwaltungsgericht nicht gleichsam formelhaft auf der Meinung, Festsetzungen zur Nutzungsart hätten "nun einmal" stets und uneingeschränkt nachbarschützende Wirkung; schon deshalb könne sich der Antragsteller (Autoteilehandel) gegen die Zulassung einer Diskothek in einem Industriegebiet wehren. Das Gericht widmet sich vielmehr der Erörterung der bei deren Zulassung möglicherweise eintretenden Folgen "schleichender Gebietsverfälschung", welche das Austauschverhältnis der Planunterworfenen zu gefährden geeignet sei.

Der Rekurs auf die Ermächtigungsgrundlage hilft nicht viel weiter. Wenn § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB sowohl die Art als auch das Maß der baulichen Nutzung als zwingenden Teil eines qualifizierten Bebauungsplanes festsetzt, so zeigt schon dies, dass nicht jedwede Festsetzung über die Nutzungsart Nachbarschutz vermitteln kann; denn für das Nutzungsmaß ist eine nachbarschützende Wirkung grundsätzlich gerade nicht anerkannt.

Maßnahmen der Feinsteuerung nach § 1 Abs. 4 ff. BauNVO 1990/§ 8 Abs. 4 BauNVO 1968 sind vom Gesetzgeber nicht in jeder Facette als ein Planziel betrachtet worden, welches dem Schutze gleichsam aller Planunterworfenen zu dienen bestimmt ist. Schon die für alle Abweichungen nach § 1 Abs. 4 ff. BauNVO 1990 geltende Einschränkung, der Gebietscharakter müsse gewahrt werden, zeigt nicht nur, dass die Festsetzung im Einzelnen nicht unbedingt etwas mit dem Charakter dieses Gebiets zu tun haben und dementsprechend auch nicht dazu bestimmt sein muss, zumindest flankierend die Ausnutzung anderer Festsetzungen der Nutzungsart schon im Vorfeld zu sichern. Wenn die Gebietsart auch bei ganz unterschiedlichen Maßnahmen der "Feinsteuerung" gewahrt werden kann, so zeigt dies vor allem, dass die Einzelfestsetzung gerade nicht immer dazu dienen muss, den Unterworfenen dieses Planes deren Ein- und Erhaltung zu sichern. Das zeigt sich namentlich dann, wenn eine Gemeinde Baugebiete im Randbereich gliedert, um außerhalb dieses Bebauungsplans gelegenen Grundstücken einen gewissen Schutz zu verschaffen. In einem solchen Falle fehlt die innere Rechtfertigung, jedem Planunterworfenen ein subjektiv-öffentliches Recht zur Einhaltung der Gebietsart zu gewähren; denn eine Gefährdung der vom Bebauungsplan für das eigene Grundstück verheißenen Nutzungsmöglichkeiten wird dadurch gerade nicht hervorgerufen.

Dem tritt Mampel (BauR 2003, 1824, 1832) nur vermeintlich überzeugend mit der Bemerkung entgegen, in diesem Falle habe die "Randmodifikation" die Aufgabe, das Plangebiet harmonisch in die Umgebung einzubetten und so für einen konfliktfrei auszunutzenden Bebauungsplan zu sorgen. Selbst wenn sich durch Außerachtlassung der so verstandenen "Außenflankierung" ein "Reibungspotential" ergibt, ist damit nicht in jedem Fall die Ausnutzung der Planverheißungen für jeden Planunterworfenen gefährdet. Wehren sich die außerhalb des Planes gelegenen Grundstücke gegen die Usurpation der sie schützenden Puffer, kommt ebenfalls in Betracht anzunehmen, dass die Planunterworfenen um so einfacher die ihr Grundstück betreffende Festsetzung der Nutzungsart ausnutzen können.

Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich auch aus der Überlegung, dass Feinsteuerungen nach § 1 Abs. 4 ff. BauNVO 1990/§ 8 Abs. 4 BauNVO 1968 im Baugebiet "an sich" zulässige Nutzungen betreffen. Es bedarf auch deshalb besonderer Rechtfertigung, wenn sich ein Planunterworfener abstrakt, d.h. ohne Geltendmachung konkreter Beeinträchtigungen gegen deren Zulassung soll wehren dürfen, obwohl diese nach dem "Konfliktsteuerungsprogramm" der Baunutzungsverordnung grundsätzlich in diesem Gebiet zulässig sein sollen/sind.

Die Richtigkeit dieser Annahme zeigt sich außerdem bei der Betrachtung des einen Begründungsstrangs, den das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 16. September 1993 angeführt hat. Darin wird das Abwägungsgebot als letztlich ausschlaggebende Grundlage für die Zuerkennung von typisiertem Nachbarschutz wegen Festsetzung einer Nutzungsart genannt. Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 1969 (- IV C 105.66 -, BVerwGE 34, 301, 309) ist anerkannt, dass die Gemeinde bei ihren planerischen Festsetzungen - innerhalb bestimmter Grenzen - einen Planungsspielraum besitzt, den sie auch zum Nachteil eines Grundstückseigentümers ausnutzen kann, ohne dass dieser daraufhin die Verletzung des Abwägungsgebotes zu reklamieren vermöchte. Es fehlt die innere Rechtfertigung dafür, die Ausnutzung dieses Planungsspielraums durch Feinsteuerung nach § 1 Abs. 4 ff. BauNVO 1990 unabhängig vom Ziel dieser Feinsteuerung stets durch Nachbarschutz bewehrt anzusehen. Wird die allgemeine Eigenart des Gebiets - wie dies § 1 Abs. 4 ff. BauNVO 1990 für jede Abweichung vom Regelfall fordert - gewahrt, fehlt auch von daher die zwingende Rechtfertigung für die Annahme, der Gesetzgeber habe durch die Zuerkennung der Feinsteuerungsmöglichkeiten gleichwohl jedweder Facette ihrer Ausnutzung von vornherein und unabhängig vom Ziel ihrer Ergreifung öffentlich-rechtlichen Nachbarschutz zuerkennen wollen. "Automatisch mitbedacht" ist entgegen der Auffassung von König/Roeser/Stock (a.a.O.) lediglich die Eigenart des Gebiets, nicht jedoch jede einzelne Festsetzung, welche der Ortsgesetzgeber auf der Grundlage dieser Vorschriften trifft.

Gegen die Auslegung des Bebauungsplans Nr. 685, namentlich die Würdigung, die textlichen Festsetzungen nach §§ 3 und 4 dienten nicht dem Schutz der Antragstellerin, sondern benachbarter Wohnbebauung, hat die Antragstellerin Einwendungen nicht erhoben; dementsprechend ist dies gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO der Nachprüfung entzogen.

Auf die in den Beschwerdeerwiderungen breit erörterte Frage, ob das Vorhaben "wirklich" gegen § 4 der textlichen Festsetzungen zum Bebauungsplan der Antragsgegnerin Nr. 685 verstößt, kommt es daher nicht mehr an. Daher erübrigt sich eine Diskussion der unter anderem von der Beigeladenen bejahten Frage, ob das streitige Vorhaben plangemäß ist. Anzumerken ist allerdings, dass die Argumentation gewissen Bedenken unterliegt. Da § 4 der textlichen Festsetzung auf § 8 Abs. 4 BauNVO 1968 fußt, ist anzunehmen, dass nur Einkaufszentren und Verbrauchermärkte ausgeschlossen werden sollten, die wegen § 11 Abs. 3 BauNVO 1968 außer in Kern- nur in Sondergebieten zulässig sind/waren. Bei der Beurteilung, was - noch - als dort zulässiger Markt hätte angesehen werden können, dürften die damals vorherrschenden Verkaufs- und Konsumgewohnheiten ausschlaggebend sein. Es ist vor diesem Hintergrund zumindest fragwürdig, unter diesen Umständen einen 800 m² Verkaufsfläche umfassenden Markt als noch "gewerbegebietstauglich 1968" anzusehen. Das mag heutigen Einkaufsgewohnheiten entsprechen (auch das wäre zu erörtern). Diese Sicht ex post dürfte aber gerade nicht angezeigt sein.

Ende der Entscheidung

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