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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 23.12.2003
Aktenzeichen: 1 ME 303/03
Rechtsgebiete: BauGB, StBauFG


Vorschriften:

BauGB § 179 Abs. 2 Satz 1
BauGB § 182
BauGB § 182 Abs. 1
BauGB § 182 Abs. 2 Satz 1
StBauFG § 27 Abs. 1 Satz 2
Die Aufhebung eines Mietverhältnisses nach § 182 BauGB setzt nicht voraus, dass der angemessene Ersatzwohnraum bereits im Zeitpunkt der Aufhebungsverfügung konkret und rechtlich abgesichert zur Verfügung steht. Es reicht aus, wenn im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses angemessener Ersatzwohnraum zur Verfügung steht.

Wer selbst Eigentümer verfügbaren, angemessenen Ersatzwohnraums ist, kann nicht verlangen, dass ihm angemessener Ersatzwohnraum auf Kosten der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird.


Gründe:

Der Antragsteller, der im Haus Schlesierdamm 12 in A. eine Dreizimmerwohnung im dritten Obergeschoss bewohnt, sucht um vorläufigen Rechtsschutz gegen die Aufhebung des Mietverhältnisses nach § 182 BauGB nach.

Das Gebäude Schlesierdamm 12 gehört zur Wohnanlage Schlesierdamm 12 bis 22 mit 144 Wohneinheiten, die im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet "Altländer Viertel" der Antragsgegnerin liegt. Der am 27. März 2003 bekannt gemachte Bebauungsplan ALV I sieht den Abbruch der Wohnanlage vor und setzt für diesen Bereich allgemeines Wohngebiet, zweigeschossig, offene Bauweise und nur Einzel- und Doppelhäuser beziehungsweise nur Doppelhäuser beziehungsweise nur Hausgruppen zulässig fest.

Am 30. April 2003 beantragte der Beigeladene als Eigentümer der Wohnanlage Schlesierdamm 12 bis 22 bei der Antragsgegnerin die Aufhebung der Mietverhältnisse in den genannten Gebäuden nach § 182 BauGB. Nach Anhörung des Antragstellers hob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 22. Mai 2003 das Mietverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem Beigeladenen mit Wirkung vom 30. November 2003 auf und ordnete die sofortige Vollziehung an. Als Ersatzwohnraum schlug die Antragsgegnerin die vom Antragsteller erworbene Zweizimmerwohnung Breslauer Straße 27 in A. vor, die derzeit leer stehe.

Der Antragsteller hat am 25. Juni 2003 Widerspruch eingelegt und vorläufigen Rechtsschutz beantragt.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 15. Oktober 2003 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Aufhebung des Mietverhältnisses angeordnet.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet.

Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts setzt die Aufhebung eines Mietverhältnisses nach § 182 BauGB nicht voraus, dass der Ersatzwohnraum bereits im Zeitpunkt der Aufhebungsverfügung konkret und rechtlich abgesichert zur Verfügung steht. Nach § 182 Abs. 1 BauGB kann die Gemeinde ein Mietverhältnis auf Antrag des Eigentümers mit einer Frist von sechs Monaten aufheben, wenn die Verwirklichung der Ziele und Zwecke der Sanierung im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet dies erfordern. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift darf die Gemeinde ein Mietverhältnis über Wohnraum nur aufheben, wenn im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses angemessener Ersatzwohnraum für den Mieter und die zu seinem Hausstand gehörenden Personen zu zumutbaren Bedingungen zur Verfügung steht. Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss der Ersatzwohnraum "im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses" zur Verfügung stehen. Auch wenn die Verfügbarkeit von Ersatzwohnraum im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses Voraussetzung der Aufhebung eines Mietverhältnisses ist und die Gemeinde daher bereits vor dem Erlass der Aufhebungsverfügung prüfen muss, ob sie dem Mieter im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses angemessenen Ersatzwohnraum anbieten kann, muss der Ersatzwohnraum im Zeitpunkt des Erlasses der Aufhebungsverfügung noch nicht konkret und rechtlich abgesichert verfügbar sein. Welche Anforderungen an die Sicherstellung von Ersatzwohnraum im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses zu stellen sind, hängt weitgehend von den Marktverhältnissen ab. In Zeiten knappen Wohnraums darf die Gemeinde nicht allein auf das Prinzip Hoffnung setzen und die Aufhebung eines Mietverhältnisses daher nicht verfügen, bevor ihr konkrete Angebote für den Ersatzwohnraum vorliegen. Anders ist die Situation aber in Zeiten eines Mietermarktes, in denen ständig eine größere Zahl von Wohnungen angeboten wird, die die Voraussetzungen für angemessenen Ersatzwohnraum erfüllen.

Der Schutz des Mieters rechtfertigt es nicht, die Verfügbarkeit des Ersatzwohnraums vom Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses (hier 30. November 2003) auf den Zeitpunkt des Erlasses der Aufhebungsverfügung (hier 22. Mai 2003) vorzuverlegen. Dies würde darauf hinauslaufen, dass die Gemeinde den Ersatzwohnraum vor Erlass der Aufhebungsverfügung anmieten muss und während der Aufhebungsfrist des § 182 BauGB von sechs Monaten auf ihre Kosten vorhält. Wenn im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses kein angemessener Ersatzwohnraum vorhanden ist, ist der Mieter der Gemeinde nicht schutzlos ausgeliefert. Vielmehr kann sich der Mieter auch im Vollstreckungsverfahren auf das etwaige Fehlen einer angemessenen Ersatzwohnung berufen. Da das Gesetz die konkrete und rechtlich abgesicherte Verfügbarkeit des Ersatzwohnraums ausdrücklich erst im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses verlangt, kann nicht unterstellt werden, dass die Frage des Ersatzwohnraums im Aufhebungsverfahren abschließend geklärt werden müsse und das Vollstreckungsverfahren unter keinen Umständen damit belastet werden dürfe.

Der unterschiedliche Wortlaut von § 179 Abs. 2 Satz 1 BauGB und § 182 Abs. 2 Satz 1 BauGB rechtfertigt nicht die Auslegung des Verwaltungsgerichts, die Gemeinde dürfe die Aufhebung eines Mietverhältnisses nicht verfügen, solange der im Gesetz geforderte angemessene Ersatzwohnraum nicht konkret und rechtlich gesichert zur Verfügung stehe. Es trifft zwar zu, dass § 179 Abs. 2 BauGB "nur" einen Vollstreckungsschutz gewährt, während § 182 Abs. 2 Satz 1 BauGB einen Aufhebungsschutz vorschreibt (vgl. Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl. 2002, § 179 Rdn. 10). Der unterschiedliche Ansatz beider Vorschriften wird aber dadurch relativiert, dass auch nach § 182 Abs. 2 Satz 1 BauGB der Ersatzwohnraum erst im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses zur Verfügung stehen muss.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers besteht kein Vorrang des zivilrechtlichen Kündigungsrechts vor dem Aufhebungsrecht nach § 182 BauGB. Abweichend von § 27 Abs. 1 Satz 2 StBauFG, der hoheitliche Eingriffe der Gemeinde in private Vertragsverhältnisse nur dann erlaubte, wenn der erstrebte Erfolg auf privatrechtlichem Weg nicht erreicht werden konnte, regeln die §§ 182 ff. BauGB die Aufhebung von Mietverhältnissen eigenständig und unabhängig vom Zivilrecht (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand: 1. Mai 2003, Vorb. §§ 182 bis 186 Rdn. 18; HessVGH, Beschl. v. 15.12.1997 - 4 TG 4597/96 -, BRS 60 Nr. 230). Dementsprechend ist es auch unbedenklich, dass das Aufhebungsrecht nach § 182 BauGB eine unter Umständen kürzere Aufhebungsfrist als die Kündigungsfrist des BGB vorsieht, weil dieser Nachteil durch den Vorteil der Stellung angemessenen Ersatzwohnraums ausgeglichen wird.

Schließlich ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin im Aufhebungsbescheid die vom Antragsteller erworbene Zweizimmerwohnung in der Breslauer Straße, die derzeit leer steht, als Ersatzwohnraum benannt hat. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung darf die Antragsgegnerin den Antragsteller auf eine eigene leer stehende Wohnung verweisen, selbst wenn der Antragsteller sie nicht erworben hat, um sie selbst zu nutzen. Wer selbst Eigentümer angemessenen Ersatzwohnraums ist, kann nicht darauf pochen, dass ihm auf Kosten der Allgemeinheit angemessener Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt wird. Der Vortrag des Antragstellers, die Wohnung sei "noch nicht bezugsfertig", stellt dies nicht in Frage. Es fehlen insoweit bereits nachvollziehbare Angaben. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 8. Dezember 2003 erklärt, nicht nur bei der Beschaffung notwendiger neuer Möbel bzw. Kücheneinbauten, sondern auch bei der Renovierung zu helfen, worum sich der Antragsteller auch im Hinblick auf seine eigene Wohnung bemühen kann. Darin liegt kein Abwälzen der Nachweis- und Beschaffungsverpflichtungen für angemessenen Ersatzwohnraum, sondern nur eine angemessene Betonung der Mitwirkungspflicht des Antragstellers, die im Verhältnis zu dem von der Antragsgegnerin zu vertretenen Allgemeinwohl zu sehen ist.

Das pauschale Bestreiten der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides stellt nicht in Frage, dass nach den Darlegungen der Antragsgegnerin die Verwirklichung der Ziele und Zwecke der Sanierung in dem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet die Aufhebung seines Mietverhältnisses erfordert.

Dem Antragsteller war auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren (§ 166 VwGO i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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