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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 28.02.2005
Aktenzeichen: 1 ME 314/04
Rechtsgebiete: NBauO, VwGO


Vorschriften:

NBauO § 69
NBauO § 89 I
VwGO § 80 II Nr. 4
1. Ein Verkaufsstand, an dem der Landwirt Feldfrüchte verkauft, die rund 30 km entfernt davon erzeugt worden sind, ist nicht nach Nr. 11.10 des Anhangs zu § 69 NBauO von der Genehmigungspflicht befreit.

2. Ein solcher Verkaufsstand wird auch nicht mehr durch § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert.


Tatbestand:

Mit Sofortvollzug ordnete der Antragsgegner durch die hier umstrittene Verfügung an, der Antragsteller, ein Landwirt, dürfe auf einem Verkaufswagen, den dieser von Mai bis November regelmäßig am Nordrand der B 1 zwischen A. und B. (Bereich Nordstemmen) auf seinem Feld (Flurstück 34, Flur 11 der Gemarkung B.) aufstellt, nur auf diesem oder benachbarten Feldern erzeugte landwirtschaftliche Produkte feilhalten und müsse den Wagen unverzüglich wieder entfernen, sofern keine Feldfrüchte dieser Art angeboten würden.

Schon seit Jahren streiten die Beteiligten darum, ob der Antragsteller, dessen Hof in C. bei Uetze liegt, an der B 1 in baurechtmäßiger Weise Feldfrüchte und anderes verkauft. Am 9. Juli 1998 stellten Mitarbeiter des Antragsgegners erstmals fest, dass der Antragsteller dort einen Verkaufsstand in den Maßen 4 x 5 m sowie einen Wohnwagen und ein Toilettenhäuschen aufgestellt hatte. Auf dem Verkaufswagen wurden Obst und Gemüse zum Verkauf angeboten. Eine Verfügung erging seinerzeit nicht. Im Folgejahr stellten Mitarbeiter des Antragsgegners am 7. Oktober 1999 fest, dass der Antragsteller und ein weiterer Verkäufer dort neben heimischen landwirtschaftlichen Produkten Zitronen, Apfelsinen, Weintrauben, Knoblauch sowie Birnen verkauften, welche weniger als 10% des Warenangebots ausgemacht haben sollen. Die heimischen Produkte waren auf den Feldern im Umkreis von C. /Uetze erzeugt worden. Durch Verfügung vom 8. November 1999 untersagte er ihm daraufhin unter Anordnung des Sofortvollzuges die Nutzung dieses Verkaufsstandes zum Verkauf von Obst, Gemüse und ähnlichem, und ordnete seine Beseitigung an (BA A). Eine ähnliche Verfügung erging gegen einen Herrn D.. Dieser legte hiergegen Widerspruch ein und bemühte sich um eine straßenrechtliche Genehmigung. Diese Streitigkeit zog sich das Jahr 2000 über hin.

In den Folgejahren ergaben sich im wesentlichen keine Beanstandungen. Die von Mitarbeitern des Antragsgegners durchgeführten Ortsbesichtigungen hatten zum Ergebnis, dass im wesentlichen nur Früchte von den benachbarten Feldern verkauft wurden. Im Herbst 2003 war das zwar anders. Nach einem Anhörungsschreiben vom 12.8.2003, in dem der Antragsgegner unter anderem ausführte, die Aufstellung bedürfe einer Baugenehmigung, wurde der Verkaufsstand entfernt (BA C).

Am 13. Mai 2004 (Vermerk vom 17.5.2004, Bl. 13 BA C) stellten Mitarbeiter des Antragsgegners fest, dass der Antragsteller den Verkaufswagen erneut dort aufgestellt hatte und Spargel sowie Kartoffeln aus der Heide anbot. Außerdem standen dort ca. 30 Blumenampeln zum Verkauf. Daraufhin erließ der Antragsgegner unter dem 8. Juni 2004 die im Eingangssatz genannte bauaufsichtsbehördliche Verfügung.

Den am 13. September 2004 gestellten Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit dem im Tenor genannten Beschluss, auf dessen Einzelheiten Bezug genommen wird, abgelehnt. Zur Begründung hat es im einzelnen ausgeführt, die Aufstellung des Verkaufsstandes sei nicht durch § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert. Dort würden zwar überwiegend eigene Produkte angeboten. Diese würden indes nicht, wie zur Privilegierung erforderlich, in diesem Bereich, sondern zu ganz wesentlichen Teilen auf den landwirtschaftlichen Flächen erzeugt, welche der Antragsteller in der Umgebung von Uetze bewirtschafte. Damit diene der Verkaufswagen nicht mehr im Sinne der zitierten Privilegierungsvorschrift seinem landwirtschaftlichen Betrieb. Ein vernünftiger Landwirt, der mit dem Außenbereich schonend umgehe, würde diese Waren nur auf dem Hof bei Uetze sowie auf Wochenmärkten, nicht jedoch so weit entfernt anbieten.

Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte Beschwerde des Antragstellers. Zu deren Begründung macht er geltend, gerade ein auf die Schonung des Außenbereichs bedachter Landwirt handele so wie er. Denn wolle er jeweils dort, wo seine verstreut liegenden landwirtschaftlichen Flächen lägen, seine Verkaufsstände aufbauen, würde der Außenbereich baulich noch viel mehr baulich in Anspruch genommen. Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht zudem aus den vermeintlich fehlenden Erfolgsaussichten seines Rechtsbehelfs auf das für die Anordnung des Sofortvollzuges erforderliche besondere Vollstreckungsinteresse geschlossen. Der Antragsgegner habe den Zustand jahrelang geduldet. Schon deshalb müsse sein Eilantrag Erfolg haben. Negative Vorbildwirkung entfalte sein von der B 1 kaum wahrzunehmender Verkaufsstand nicht.

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.

Die Beschwerde hat schon deshalb keinen Erfolg, weil die formelle Illegalität die Anordnung des Sofortvollzuges rechtfertigt. Nach ständiger Rechtsprechung der Bausenate des Nds. Oberverwaltungsgerichts (vgl. die Nachweise bei Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, Komm., 7. Aufl., § 89 Rdnr. 93) dürfen Nutzungsverbot und die Beseitigung von ohne Substanzverletzung zu entfernenden baulichen Anlagen in der Regel schon bei formeller Illegalität angeordnet werden. Diese Grundsätze greifen hier zum Nachteil des Antragstellers ein. Bei dem Verkaufsstand handelt es sich um eine bauliche Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 NBauO und von § 29 Abs. 1 BauGB. Denn er ist aus Baustoffen hergestellt. Er dient auch nach dem Vorbringen des Antragstellers als Ersatz für eine dauerhaft aufgestellte Verkaufsbude. Das reicht für die Annahme einer baulichen Anlage aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.1976 - IV C 6.75 -, NJW 1977, 2090 = BauR 1977, 109). Sie besitzt auch in der dafür zu unterstellenden gehäuften Aufstellung (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.12.1992 - 4 C 27.91 -, UPR 1993, 216, 217 = BRS 54 Nr. 126) städtebauliche Relevanz.

Die Aufstellung des Verkaufswagens ist nicht von der Genehmigungspflicht (§ 68 Abs. 1 NBauO) freigestellt. Nr. 11.10 des Anhangs zu § 69 NBauO greift nicht zum Vorteil des Antragstellers ein. Hiernach sind nur solche baulichen Anlagen von der Genehmigungspflicht freigestellt, welche dem Verkauf landwirtschaftlicher Produkte durch den Erzeuger dienen. Diese Vorschrift ist sogar noch enger gefasst als beispielsweise die Nrn. 1.2, 1.4 oder 11.4 des Anhangs zu § 69 NBauO, indem sie nicht an die landwirtschaftliche Privilegierung im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB anknüpft. Nach ihrem Sinn und Zweck soll sie nur solche mobilen, weil nicht fest mit dem Boden verbundenen baulichen Anlagen, die keine Gebäude sein dürfen, vom Genehmigungserfordernis freistellen, welche der Direktvermarktung der landwirtschaftlichen Produkte dienen (vgl. Fraktionsentwurf zum Siebten Gesetz zur Änderung des NBauO vom 15.6.1995, GVBl. S. 158, LTDr. 13/40, S. 70 zu Nr. 59 lit. r des Entwurfes; vgl. a. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, aaO, § 69 Rdnr. 57). Von einer Direktvermarktung kann aber nur dann die Rede sein, wenn die Produkte in der nächsten Umgebung des Standes angebaut worden sind. Vom Genehmigungserfordernis sind nach Sinn und Zweck der als Ausnahmevorschrift ohnedies eng auszulegenden Bestimmung somit nur solche Stände freigestellt, welche sozusagen frisch von der Scholle weg dem Verkauf der an Ort und Stelle erzeugten landwirtschaftlichen Produkte dienen. Typischer Fall sind Stände zum Verkauf an dort wachsenden, nach Wahl von den Käufern selbst zu pflückenden Erd- oder Blaubeeren oder von Spargel, der unmittelbar dort gestochen worden sein muss. Dabei mag es unschädlich sein, wenn der Verkaufsstand in die Nähe einer stärker befahrenen Straße verlagert wird, weil die Anbauflächen davon entfernt sind und daher nennenswerten Umfangs Interessenten nur auf diese Weise zu gewinnen sind. Hier aber liegt der Hof des Antragstellers etwa 30 bis 40 km davon entfernt. Uetze liegt auf halbem Wege zwischen Celle und Peine, A. und B. hingegen westlich von Hildesheim.

Schon diese formelle Illegalität rechtfertigt die Anordnung des Sofortvollzuges. Der Verkaufsstand ist ohne Substanzverlust jederzeit zu beseitigen.

Es liegt auch kein Ausnahmefall vor, der es rechtfertigte, von dem Grundsatz abzuweichen, dass schon die formelle Illegalität die getroffenen Anordnungen rechtfertigt. Der Antragsgegner hat die bauliche Anlage gerade nicht "längere Zeit" sehenden Auges geduldet und sich dadurch der Möglichkeit beraubt, den Sofortvollzug anzuordnen. Wie der Antragsgegner auf Seite 2 seiner Antragserwiderung vom 28. September 2004 unwidersprochen und in Einklang mit der Aktenlage vorgetragen hat, ist er vielmehr ab dem Jahre 1998, da ihm dies bekannt geworden ist, gegen diese Art des Verkaufs durch den Antragsteller sowie einen Herrn D. vorgegangen, soweit nicht die auf dem Verkaufsstand angebotenen Waren doch den Anschein vermittelten, sich in dem durch Nr. 11.10 des Anhangs zu § 69 NBauO gesteckten Rahmen zu halten. Als dies im Jahre 2003 anders war, schritt der Antragsgegner ein. Das Verfahren erledigte sich durch Nachgeben des Antragstellers. Sowohl deshalb als auch wegen des Umstandes, dass der Antragsteller trotz Diskussion der Genehmigungsfrage auch in der Folgezeit keinen Anlass sah, einen Bauantrag zu stellen, sondern seine Sicht der Dinge durch eigenmächtiges Verhalten durchzusetzen versuchte, ist die Anordnung des Sofortvollzuges gerechtfertigt.

Mit dieser Würdigung wird der Bescheid des Antragsgegners vom 8. Juni 2004 nicht verfälscht. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. B. v. 28.1.1999 - 1 M 5603/98 -, Vnb, unter Hinweis auf B. v. 26.8.1993 - 1 M 2888/93 -, Vnb.) darf sich die gerichtliche Überprüfung eines mit Sofortvollzuges versehenen Nutzungsverbotes zwar nicht auf die grundsätzlich ausreichende formelle Rechtswidrigkeit beschränken, wenn die Bauaufsichtsbehörde sie (auch) auf die materielle Rechtswidrigkeit gestützt hat. Voraussetzung ist indes, dass die Bauaufsichtsbehörde mit dieser Prüfung erkennbar ihre Ermessensausübung sowie Entscheidung, mit dem Mittel des Sofortvollzuges vorzugehen, vom Ergebnis dieser materiellen Baurechtmäßigkeit abhängig gemacht hat. Das ist hier nicht der Fall. Der Antragsgegner widmete im Bescheid vom 8. Juni 2004 Ausführungen zwar auch der materiellen Baurechtmäßigkeit. Dies geschah indes, wie die Ausführungen auf Seite 3 des Bescheides zeigen, nur als zusätzliche Argumentationsstütze und um dem Antragsteller zu bedeuten, auch bei gestelltem Bauantrag hätte sein Anliegen keinen Erfolg gehabt. Mit der Wendung, es gehe ihr mit der Verfügung um die rasche Durchsetzung "bauordnungsrechtlicher Vorschriften" zeigte der Antragsgegner, dass er das Schicksal der Verfügung - sowohl im Hinblick auf die Ermessensausübung als auch hinsichtlich des Sofortvollzuges - nicht von der Beurteilung hatte abhängig machen wollen, dass der Verkaufsstand auch bauplanungsrechtlich unzulässig ist.

Der Ausnahmefall offensichtlicher Baurechtmäßigkeit ist ebenfalls nicht gegeben. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass nicht jedes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB einem landwirtschaftlichen Betrieb "dient", dessen Erträgnisse ihm von Vorteil sind. Erforderlich ist vielmehr, dass das Vorhaben auch äußerlich erkennbar dem Hof zugeordnet sein muss (BVerwG, Urt. v. 19.6.1991 - 4 C 11.89 -, BRS 52 Nr. 78) und ein vernünftiger Landwirt es auch unter Berücksichtigung des ihn gleichermaßen treffenden Gebots, den Außenbereich größtmöglich zu schonen, an dieser Stelle errichtet haben würde (BVerwG, B. v. 1.12.1995 - 4 B 271.95 -, BRS 57 Nr. 100). Davon kann hier keine Rede mehr sein. Der Aufstellungsort ist von der Hofstelle des Antragstellers viel zu weit entfernt, um dieser äußerlich erkennbar zugeordnet zu sein. Der Antragsteller nutzt vielmehr den zufälligen Umstand, dort ein aufgelassenes, eigenem Bekunden nach nicht richtig genutztes Spargelfeld zu besitzen dazu, in verkehrsgünstiger Weise (B 1!) Kunden anzulocken und seine im wesentlichen weit entfernt erzeugten Produkte feil zu halten. Auch auf Nachfrage des Berichterstatters (Verfügung vom 20. Dezember 2004) und trotz der Ausführungen des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe die Herkunft seiner dort offerierten Feldfrüchte nicht substantiiert bezeichnet (S. 7 BA), hat sich dieser auch in seiner ergänzenden Äußerung vom 7. Februar 2005 insoweit "sehr bedeckt" gehalten. Daher muss angenommen werden, dass auf dem streitigen Verkaufsstand schwerpunktmäßig die bei Uetze erzeugten Feldfrüchte (Kartoffeln und Spargel) verkauft werden sollen. Schon deshalb kommt es nicht auf die Frage an, ob auch die ersichtlich feldfremden "Früchte" im eigentlichen Sinn und Blumen zusätzlich verdeutlichen, dass der Antragsteller an günstiger Stelle eine Verkaufsstelle zu führen wünscht, die überhaupt nicht mehr in erkennbarer Weise seinem Hof zugeordnet ist.

Mit dieser Verneinung der Privilegierung wird entgegen der Auffassung des Antragstellers der Außenbereich auch nicht sinnwidrig verstärkt mit baulichen Anlagen belastet. Schon die Zahl der zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörigen Personen setzt der Zahl der Verkaufsstände regelmäßig eine natürliche Grenze. Wenn noch dazu die Verkaufsstände nur während der Erntesaison aufgestellt sein dürfen, wird der Außenbereich gerade nicht mit solchen Anlagen vollgestellt.

Ende der Entscheidung

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