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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.07.2008
Aktenzeichen: 1 ME 98/08
Rechtsgebiete: GG, NBauO


Vorschriften:

GG Art. 14
NBauO § 89
NBauO § 99
§ 99 NBauO stellt keine Rechtsgrundlage dafür dar, bei einem nach Inkrafttreten der Niedersächsischen Bauordnung (1.1.1974) genehmigten Gebäude die Anforderungen durchzusetzen, die § 20 Abs. 2 NBauO erst aufgrund des Fünften NBauO-Änderungsgesetzes 1986 stellt.
Gründe:

Der Antragsteller wendet sich gegen das auf § 99 NBauO gestützte, mit Sofortvollzug versehene Gebot, in der Gestalt zweier Leitern zweite Rettungswege herzustellen. Der Antragsteller ist Eigentümer eines an der Südseite der A. allee im Bereich der Antragsgegnerin stehenden Gebäudes. Das Bauwerk besteht aus zwei Flügeln. Der straßenseitige schließt beiderseits bündig an benachbarte Bebauung an; der Südflügel steht im rechten Winkel dazu auf der Westgrenze des Baugrundstücks. Zum Hof und damit zum Südflügel kann man nur durch einen etwa drei Meter breiten Durchgang gelangen, der das Erdgeschoss knapp östlich des Südflügels durchmisst. Errichtet wurde das Vorhaben (von einem anderen Bauherrn) mit Bauschein der Antragsgegnerin vom 18. Januar 1982 mit Nachtrag vom 1. Juli 1983. Mit der hier maßgeblichen Verfügung vom 29. Januar 2008 gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller auf, an den von ihr bezeichneten Stellen zwei mit einem korbartigen Rückenschutz versehene "Notleitern" nach DIN 14094 anzubringen, um so zweite Rettungswege für die Wohnungen Nummern 8, 11 und 12 im 3. Obergeschoss sowie die Wohnung Nr. 14 im Dachgeschoss herzustellen.

Die in Rede stehende Maßnahme geht zurück auf eine hauptamtliche Brandschau, welche Mitarbeiter der Berufsfeuerwehr B. im Februar 2007 vorgenommen hatten. Dabei kamen sie zum Ergebnis, für das dritte und vierte Obergeschoss des straßenseitigen Flügels und das dritte Obergeschoss des "Hinterhauses" fehle der zweite unabhängige Rettungsweg.

Nach Anhörung erließ die Antragsgegnerin den streitigen Bescheid vom 29. Januar 2008, versah die darin getroffene, bis zum 29. Februar 2008 zu befolgende Anordnung mit Sofortvollzug und drohte für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,-- € an. Zur Begründung führte sie insbesondere aus: Rechtsgrundlage für die Anordnung zur Herstellung des zweiten Rettungsweges sei § 99 Abs. 2 NBauO. Nach Erteilung der Baugenehmigung sei § 20 Abs. 2 NBauO geändert worden. Habe nach dem bisher anzuwendenden § 15 Abs. 3 DVNBauO ein außen liegendes Treppenhaus ausgereicht, müsse nunmehr ein zweiter Rettungsweg für die oben genannten Wohnungen existieren. Denn diese Wohnungen könnten von der Feuerwehr wegen der geringen Höhe und Breite des Durchgangs nicht mit Drehleitern erreicht werden. Diese in Konkretisierung des § 1 Abs. 1 NBauO angeordnete Verschärfung der Brandschutzvorschriften rechtfertige es auch bei bestandsgeschützten, nach früherem Recht genehmigten Vorhaben Anpassungsverlangen zu stellen. Denn der gegenwärtige Bauzustand stelle nicht nur eine abstrakte, sondern eine konkrete Gefahr dar. Die getroffene Anordnung sei ermessensgerecht, geeignet und erforderlich. Ein milderes Mittel sei nicht zu erkennen. Ein Vertrauen des Antragstellers, das Gebäude in Einklang mit den erteilten Baugenehmigungen nutzen zu dürfen, sei angesichts der gewandelten Anschauungen zum vorbeugenden Brandschutz, welche sich in § 20 Abs. 2 NBauO in der Fassung des Fünften

Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Bauordnung niederschlage, nicht schützenswert. Aus diesem Grunde werde entsprechend § 99 Abs. 4 NBauO die seinerzeit erteilte Baugenehmigung widerrufen, soweit darin auf einen zweiten Rettungsweg verzichtet worden sei. Wegen der drohenden Gefahren habe sie die sofortige Vollziehung angeordnet. Das Zwangsgeld sei erforderlich, weil sich der Antragsteller in mehreren Gesprächen geweigert habe, den modernen Auffassung vorbeugenden Brandschutzes Rechnung zu tragen.

Dem nach Widerspruchseinlegung gestellten Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit der hier angegriffenen Entscheidung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, und im Wesentlichen folgender Begründung stattgegeben:

§ 99 Abs. 2 NBauO stelle keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die getroffene Anordnung dar. Die Absätze 2 ff. knüpften ersichtlich an Absatz 1 der Vorschrift an. Danach gälten die Absätze 2 bis 4 ausschließlich für Vorhaben, die vor dem Inkrafttreten der Niedersächsischen Bauordnung am 1. Januar 1974 rechtmäßig errichtet bzw. mit deren Errichtung an diesem Tage rechtmäßigerweise begonnen worden sei. Eine Ermächtigungsgrundlage für Anpassungsverlangen an Vorhaben, die, wie hier, erst unter der Geltung der Niedersächsischen Bauordnung genehmigt worden seien, sei das aber nicht. Der eindeutige Wortlaut schließe die von der Antragsgegnerin favorisierte analoge Anwendung aus. Wenn die Antragsgegnerin das verschärfte Brandschutzrecht zum Nachteil des Antragstellers durchsetzen wolle, dann gehe das nur auf der Grundlage des § 89 NBauO und dementsprechend nach ggf. entschädigungspflichtigem Widerruf der 1982/1983 erteilten Baugenehmigung. Eine Umdeutung der Verfügung in eine solche, die auf der Grundlage des § 89 NBauO erlassen worden sei, scheitere schon an dem im angegriffenen Bescheid erklärten anders lautenden Willen der Antragsgegnerin. Zu beanstanden seien schließlich die Zwangsmittelandrohung und die Ausführungsfrist. Zu Unrecht habe die Antragsgegnerin ein einheitliches Zwangsgeld für zwei Maßnahmen angedroht. Außerdem sei die Ausführungsfrist zu kurz bemessen, nachdem die Antragsgegnerin erst am 14. Februar 2008 mündlich einen anderen Aufstellungsort festgelegt habe.

Hiergegen richtet sich die rechtzeitig erhobene Beschwerde der Antragsgegnerin, welcher der Antragsteller entgegen tritt.

Eine wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die rechtzeitig geltend gemachten Gründe zu beschränkende Prüfung ergibt, dass die Beschwerde keinen Erfolg haben kann. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend zu der Auffassung gelangt, dass die von der Antragsgegnerin gewählte Ermächtigungsgrundlage (§ 99 NBauO) die getroffene Maßnahme nicht stützt und eine Umdeutung in eine solche nach § 89 NBauO nicht möglich ist.

§ 99 NBauO hat folgenden Wortlaut:

Anforderungen an bestehende und genehmigte bauliche Anlagen

(1) Bauliche Anlagen, die vor dem 1. Januar 1974 rechtmäßig errichtet oder begonnen wurden oder am 1. Januar 1974 aufgrund einer Baugenehmigung oder Bauanzeige errichtet werden dürfen, brauchen an Vorschriften dieses Gesetzes, die vom bisherigen Recht abweichen, nur in den Fällen der Absätze 2 bis 4 angepasst zu werden.

(2) Die Bauaufsichtsbehörde kann eine Anpassung verlangen, wenn dies zur Erfüllung der Anforderungen des § 1 Abs. 1 erforderlich ist.

(3) Wird eine bauliche Anlage geändert, so kann die Bauaufsichtsbehörde verlangen, dass auch von der Änderung nicht betroffene Teile der baulichen Anlage angepasst werden, wenn sich die Kosten der Änderung dadurch um nicht mehr als 20 vom Hundert erhöhen.

(4) Soweit bauliche Anlagen an die Vorschriften dieses Gesetzes anzupassen sind, können nach bisherigem Recht erteilte Baugenehmigungen ohne Entschädigung widerrufen werden. Dies gilt sinngemäß für Vorbescheide und Bauanzeigen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Anpassung baulicher Anlagen an Vorschriften, die aufgrund dieses Gesetzes ergehen.

Dem Verwaltungsgericht ist darin Recht zu geben, dass schon der Wortlaut die Annahme nahe legt, § 99 Abs. 2 NBauO sei nur anzuwenden, wenn ein Fall des Absatzes 1 gegeben ist, d. h. das in Rede stehende Gebäude vor Inkrafttreten der Niedersächsischen Bauordnung am 1. Januar 1974 rechtmäßig errichtet oder mit seiner rechtmäßigen Errichtung begonnen worden war. Das Ergebnis erhärtet sich angesichts der systematischen Stellung in Teil XII der Niedersächsischen Bauordnung "Ausführungsbestimmungen, Übergangs- und Schlussvorschriften". Hätte der Gesetzgeber eine für alle baulichen Anlagen (und/oder Grundstücke) geltende Ermächtigungsgrundlage schaffen wollen, hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit § 89 NBauO zu tun.

Diese Auslegung entspricht im Übrigen auch ersichtlich dem Willen des Gesetzgebers. Der insoweit maßgebliche § 82 des Regierungsentwurfs zur Niedersächsischen Bauordnung (vom 21.8.1970, LTDr. 7/50) war zwar im Zuge der Ausschussberatungen deutlich verändert worden (vgl. Anträge des Ausschusses für Bau- und Wohnungswesen vom 8.6.1973, LTDr. 7/2040, Anlage I S. 115). Diese (dann Gesetz gewordenen) Änderungsvorstellungen ändern aber nichts an der Maßgeblichkeit der schon im Regierungsentwurf (aaO, Seite 141 f.) wiedergegebenen Erwägungen, deretwegen es überhaupt Übergangs- und Schlussvorschriften mit Anforderungen an bestehende und genehmigte bauliche Anlagen geben sollte. Dort heißt es unter anderem:

"Die Vorschrift legt den zeitlichen Geltungswillen des Gesetzes fest. Da das Gesetz, wie im Allgemeinen Teil der Begründung (Nr. 5) näher ausgeführt wurde, nur wenige grundlegende Neuerungen enthält und da zudem für einen Teil dieser Neuerungen (z. B. Garagen einschließlich der Ablösungspflicht) eigene Rückwirkungsbestimmungen bestehen, kommt der Vorschrift nur verhältnismäßig geringe praktische Bedeutung zu. In Übereinstimmung mit der Musterbauordnung und den Bauordnungen anderer Länder und entsprechend dem geltenden Recht beschränkt sich der Entwurf darauf, eine Rückwirkung nur unter den Voraussetzungen der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorzusehen. So wünschenswert es von der Sache her sein könnte, auch einzelnen anderen, nicht der Gefahrenabwehr dienenden Regelungen der Bauordnung (z. B. Gestaltungsvorschriften) Rückwirkung zu verleihen, so scheitert dieser Wunsch doch am Rechtsstaatsprinzip (.....), im Baurecht darüber hinaus an der durch Art. 14 des Grundgesetzes gewährleisteten Baufreiheit (.....). ....

Die Vorschrift gilt nur für die materiellen Bestimmungen des Gesetzes, Für das Verfahren trifft § 84 Abs. 1 eine selbständige Regelung. ...."

Das zeigt: Die Vorschrift sollte insgesamt nur eine Überleitungsvorschrift sein, welche lediglich in begrenztem Umfang zu Lasten vorhandener Baulichkeiten "Rückwirkung"

sollte entfalten können, d. h. die Geltung neuen Rechts für schon vorhandene Gebäude regeln sollte. Dass der Ausschuss für Bau- und Wohnungswesen (aaO) diese Regelung dann auf vor dem 1. Januar 1974 mit Genehmigung rechtmäßig errichtete Gebäude beschränkte (und dadurch zu Lasten anderer Gebäude die "Rückwirkungsfolgen" möglicherweise verschärfte), ändert an dem Anwendungsbereich der Vorschrift, nur vor dem 1. Januar 1974 geschaffene oder begonnene Gebäude zu erfassen, nichts.

Der Gesetzgeber hat in der Folge hieran festgehalten. Im Fünften Gesetz zur Änderung der Niedersächsischen Bauordnung (vom 11.4.1986, GVBl. S. 103) hat er nicht nur in § 20 NBauO den hier interessierenden und streitauslösenden Absatz 2 eingefügt (Art. I Nr. 20 des 5. NBauOÄndG). In Art. I Nr. 92 dieses Fünften Änderungsgesetzes hat er vielmehr auch den damaligen § 99 Abs. 4 NBauO gestrichen und in der Gesetzesbegründung (LTDr. 10/3480, S. 89 zu Art. I Nr. 91 des Entwurfs) dazu ausgeführt:

"In § 99 wird bestimmt, unter welchen Voraussetzungen bauliche Anlagen, die vor Inkrafttreten der Niedersächsischen Bauordnung errichtet wurden, an die Vorschriften der Niedersächsischen Bauordnung anzupassen sind. Eine solche Anpassungspflicht kann nur in Betracht kommen, soweit die materiell-rechtlichen Anforderungen der Niedersächsischen Bauordnung von den bisher gültigen materiell-rechtlichen Anforderungen abweichen. Unter diesem Vorbehalt steht die gesamte Vorschrift des § 99. Dies wird in Absatz 1 ausdrücklich hervorgehoben. ......"

Das bekräftigt: § 99 NBauO ist nach dem Willen des Gesetzgebers insgesamt eine Vorschrift, welche nur auf Bauvorhaben anzuwenden ist/sein soll, welche - anders das das hier in Rede stehende, weil erst im Jahre 1981/1983 genehmigt - schon vor Inkrafttreten der Niedersächsischen Bauordnung am 1. Januar 1974 genehmigt bzw. vor diesem Tag (rechtmäßig) begonnen worden waren. Aus den Ausführungen in der Gesetzesbegründung zur Ur-Fassung der Niedersächsischen Bauordnung ergibt sich außerdem, dass der Gesetzgeber sehr wohl die Möglichkeit kannte, aus Gründen der Gefahrenabwehr bestimmten Vorschriften dann doch "Rückwirkung" beizumessen, d. h. diese mit der (unter Umständen tatbestandlich eingeschränkten) Möglichkeit zu versehen, sie auf bereits bestehende bauliche Anlagen anzuwenden. Das ist jedenfalls unter Umständen auch dann mit Art. 14 Abs. 1 GG zu vereinbaren, wenn dies ohne Entschädigungspflicht geschieht (vgl. BVerwG, B. v. 11.4.1989 - 4 B 65.89 -, UPR 1989, 349 = NJW 1989, 2638 = BRS 49 Nr. 143). Das ist für nachträgliche Anforderungen im Immissionsschutzrecht zu Frage der Geruchs- und Lärmimmissionen durch §§ 22 und 24 BImSchG so geregelt. Für das Bauordnungsrecht Niedersachsens fehlt eine solche alle Vorhaben erfassende Vorschrift.

Art. I Nr. 20 des Fünften Gesetz zur Änderung der Niedersächsischen Bauordnung (vom 11.4.1986, GVBl. S. 103, dort Art. I Nr. 20) hat die Anforderungen an den Brandschutz durch Einfügung des § 20 Abs. 2 NBauO verschärft, ohne die gesteigerten Anforderungen durch eine Überleitungsvorschrift auf bereits bestehende Bauten zu erstrecken. Art. II des Gesetzes enthält zwar Überleitungsvorschriften. Diese betreffen jedoch nur örtliche Bauvorschriften, die Qualifikation von Entwurfsverfassern, die Geltungsdauer von Bescheiden, die vor Inkrafttreten dieses Änderungsgesetzes (Art. V des 5. NBauOÄndG: 1.5.1986) erlassen worden sind, und Baulasten, die nicht bis zum 30. Juni 1986 in das Baulastenverzeichnis eingetragen worden sind. Eine Überleitungsvorschrift zu § 20 Abs. 2 NBauO fehlt. Das lässt nur den Schluss zu, der Gesetzgeber habe die in § 99 NBauO für "Alt-Vorhaben" geltende Vorschrift nicht auf Vorhaben angewandt sehen wollen, die - wie hier - nach Inkrafttreten der Niedersächsischen Bauordnung und unter der Geltung "alten Brandschutzrechts" genehmigt worden sind. Es fehlt damit auch an einer Regelungslücke, welche die von der Antragsgegnerin mit der Beschwerdebegründung favorisierte analoge Anwendung des § 99 NBauO gestattete.

Der Senat hat mit Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert (NBauO, Komm., 8. Aufl., § 99 Rdnr. 18) noch erwogen, ob die in § 99 Abs. 5 NBauO vorgeschriebene entsprechende Anwendung der Absätze 1 bis 4 des § 99 NBauO es gestattete, bei Vorhaben, die erst nach Inkrafttreten der Niedersächsischen Bauordnung mit Genehmigung errichtet worden sind, dann doch eine Anpassung zu verlangen, wenn die Durchführungsvorschriften zur Niedersächsischen Bauordnung sich nach der Genehmigung in einer Weise geändert haben, die materiell gegenüber früherem Durchführungsverordnungs-Recht verschärfte Anforderungen stellen. Der Senat braucht nicht zu entschieden, ob eine solche Handhabung des § 99 Abs. 5 NBauO nach den vorstehend wiedergegebenen Gesetzesbegründungen überhaupt möglich ist. Denn § 13 Abs. 1 Satz 2 DVNBauO in der Fassung der Verordnung vom 11. März 1987 (GVBl. S. 29) stellt materiell keine verschärften Anforderungen gegenüber § 15 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zur Niedersächsischen Bauordnung vom 24. Juni 1976 (GVBl. S. 141, geänd. nur hinsichtlich § 37 durch Art. I Nr. 3 der Verordnung vom 25.1.1983, GVBl. S. 8). § 13 Abs. 1 Satz 2 DVNBauO definiert vielmehr lediglich, was schon § 20 Abs. 2 NBauO n. F. (5. NBauO-ÄndG) in der Gestalt eines zweiten unabhängigen Rettungswegs an materiellrechtlicher Verschärfung der Rechtslage bestimmt. Eine eigenständige materielle Verschärfung geltender Vorschriften enthält § 13 Abs. 1 Satz 2 DVNBauO Fassung 1987 mithin nicht.

Die angegriffene Verfügung lässt sich aller Voraussicht nach auch nicht mit anderer Begründung "halten". Baugenehmigungen attestieren zwar nur, dass das Vorhaben in Einklang steht mit dem derzeit geltenden öffentlichen Baurecht. Gleichwohl entfaltet eine Baugenehmigung auch dann Schutzwirkungen, wenn, was vergleichsweise häufig vorkommt, das öffentliche Baurecht geändert wird. Solange erteilte Baugenehmigungen nicht zurückgenommen oder widerrufen worden sind und das Vorhaben nicht in einer Weise die Genehmigungsfrage neuerlich aufwerfenden Weise verändert wird, schützen diese das Vorhaben gegen Rückgriffe auf veränderte materiellrechtliche Anforderungen (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, aaO, § 89 Rdnr. 21). Anderes gilt nur, wenn und soweit das Änderungsrecht dies bestimmt. Damit soll das Vertrauen des Bauherrn geschützt werden, den mit Genehmigung geschaffenen Baubestand nutzen zu können, ohne unübersehbaren Kostenfolgen ausgesetzt zu sein, welche mit der Befolgung neuerer Rechtsvorschriften verbunden sind/sein können. § 89 NBauO ist daher eine Ermächtigungsgrundlage nur für solche Maßnahmen, die sich entweder gegen Anlagen richten, die ungenehmigt sind oder deren Genehmigung ausgelaufen ist, oder solche, welche die Baugenehmigung unberührt lassen (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, aaO, § 99 Rdnr. 15). Bauaufsichtsbehördliche Maßnahmen können daher auf der Grundlage von § 89 NBauO ungeachtet erteilter und noch immer wirksamer Baugenehmigungen insbesondere nur dann ergriffen werden, wenn sie der Instandhaltung des Vorhabens dienen und gelten. Es ist jedoch nicht möglich, die angegriffene Maßnahme in eine solche der Instandhaltung "umzudeuten". Als Maßnahmen der Instandhaltung sind solche nicht mehr anzusehen, welche den vorhandenen Bestand erweitern. Wird etwas angefügt, d. h. das äußere Erscheinungsbild verändert, oder eine Maßnahmen durchgeführt, welche nicht mehr auf die Ersetzung nachteilig veränderter Bausubstanz gerichtet ist, kann dies nicht mehr als Maßnahme der Instandhaltung angesehen werden. Das gilt ungeachtet des Umstandes, dass diese Maßnahme unter Umständen erforderlich ist, um den vorhandenen Baubestand sachgerecht und gefahrenfrei weiter nutzen zu können. Eine erweiternde Auslegung des Instandhaltungsbegriffs würde zu nachteiligen Konsequenzen hinsichtlich der nur eingeschränkten Genehmigungsfreiheit von Baumaßnahmen führen (vgl. § 69 Abs. 5 NBauO).

Eine Umdeutung der Verfügung in eine solche, die auf § 89 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Nr. 1 NBauO iVm. §§ 48 oder 49 VwVfG gestützt ist, d. h. implizit eine Rücknahme oder einen Widerruf der Genehmigungen vom 18. Januar 1982 mit Nachtrag vom 1. Juli 1983 enthält, scheidet aus. Das würde, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin verfälschen und damit dem Bescheid vom 29. Januar 2008 einen anderen Charakter geben. Denn die Antragsgegnerin war ersichtlich der Auffassung, die in den Jahren 1982 und 1983 getroffenen Genehmigungen wegen § 99 Abs. 4 NBauO entschädigungslos widerrufen zu können. Steht hingegen in Rede, für die Rücknahme/den Widerruf der genannten Genehmigungen Entschädigung zahlen zu müssen, wird die Antragsgegnerin andere Erwägungen anstellen.

Nur zur Abrundung weist der Senat darauf hin, es möchte vielleicht nicht vollständig geklärt sein, dass das 1982/1983 genehmigte Vorhaben uneingeschränkt den kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Satz 2 DVNBauO Fassung 1976 entsprach. Sollte dies nicht der Fall sein, würde sich die Frage einer Entschädigung möglicherweise nicht mehr stellen. Anlass zu dahingehenden Überlegungen gibt unter anderem der Hinweis in der Gesetzesbegründung (LTDr. 10/3480, S. 56), der neue Absatz 2 enthalte zwar eine Grundsatzanforderung. Diese Forderung solle wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung entsprechend der Musterbauordnung in das Gesetz aufgenommen werden, "auch wenn den Anforderungen in den §§ 1 und 15 DVNBauO bereits diese Konzeption zugrunde liegt." Das könnte eine genauere Prüfung veranlassen, ob im Jahre 1982/1983 § 15 Abs. 3 DVNBauO wirklich vollständig zutreffend angewandt worden ist.

Außerdem wäre es eine Überlegung wert, ob eine Teilrücknahme der seinerzeit erteilten Genehmigungen angesichts des Umstandes wirklich vollen Umfangs eine Entschädigungspflicht auslöst, dass der Antragsteller möglicherweise erst bei Befolgung des § 20 Abs. 2 NBauO seiner Verkehrssicherungspflicht genügt.

Nach den vorstehenden Ausführungen kommt es auf die übrigen von den Beteiligten erstinstanzlich diskutierten Fragen nicht mehr an. Ob es sich bei der Verpflichtung, zwei Leitern anzubringen, um zwei verschiedene Anordnungen handelt mit der Folge, dass dementsprechend auch ein geteiltes Zwangsgeld für den Fall einer Teilbefolgung hätte angedroht werden müssen, lässt der Senat unentschieden. Allerdings unterliegt doch gewissen Zweifeln, ob die Ausführungsfrist von nur etwa vier Wochen (der Bescheid vom 29. Januar 2008 musste ja erst noch zugehen) angesichts des Umstandes noch verhältnismäßig ist, dass die maßgebliche Gesetzesänderung aus dem Jahre 1986 stammt, die streitauslösende Brandschau schon im Februar 2007 stattgefunden hatte und zudem auch einige Zeit zwischen dem Beginn der Tätigkeit der Antragsgegnerin und Erlass des Bescheides vom 29. Januar 2008 vergangen war.

Ende der Entscheidung

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