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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.01.2005
Aktenzeichen: 1 NDH L 6/03
Rechtsgebiete: NBG, NDO


Vorschriften:

NBG § 62 S. 1
NBG § 85 Abs. 1 S. 1
NDO § 12 Abs. 2
Der Rückfall in die nasse Phase der Alkoholsucht ist nur dann disziplinarisch relevant, wenn die Entziehungskur erfolgreich war, d. h. den Beamten in die Lage versetzt hat, der Gefahr eines Rückfalls mit Erfolg zu begegnen, und wenn die erneute Alkoholabhängigkeit negative Auswirkungen auf den dienstlichen Betrieb hat.
Gründe:

I.

Der 1964 geborene Ruhestandsbeamte besuchte zwischen 1970 und 1979 die Grund- und Hauptschule und erwarb 1981 an der Realschule den erweiterten Sekundarabschluss I.

Am 1. April 1982 trat er als Polizeihauptwachtmeister-Anwärter in den Polizeivollzugsdienst des Landes Niedersachsen ein. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1984 wurde er zum Polizeihauptwachtmeister z. A. ernannt. Zum 1. April 1986 erfolgte die Ernennung zum Polizeihauptwachtmeister. Am 18. April 1991 wurde der Ruhestandsbeamte in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen. Am 23. Dezember 1992 wurde er zum Polizeimeister ernannt.

II.

Mit Verfügung vom 16. April 1996 leitete die Polizeidirektion C. disziplinarische Vorermittlungen gegen den Ruhestandsbeamten mit der Begründung ein, dieser sei nach einer 1994 durchgeführten Alkoholentziehungstherapie rückfällig geworden. Diese Vorermittlungen wurden mit Verfügung vom 17. Mai 1996 auf das alkoholbedingte Fernbleiben vom Dienst ausgedehnt.

Am 22. August 1996 verursachte der Ruhestandsbeamte einen Verkehrsunfall. Daraufhin verurteilte ihn das Amtsgericht D. durch rechtskräftigen Strafbefehl vom 1. Oktober 1996 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 80,- DM.

Mit Verfügung vom 5. Dezember 1996 leitete die Polizeidirektion C. das förmliche Disziplinarverfahren gegen den Ruhestandsbeamten ein und enthob ihn zugleich vorläufig des Dienstes. Dem Ruhestandsbeamten wurde zur Last gelegt, nach der 1994 durchgeführten Alkoholentziehungstherapie wieder in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit zurückgefallen zu sein. Außerdem sei er mehrfach ungenehmigt dem Dienst ferngeblieben und habe keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Darüber hinaus habe er am 22. August 1996 - ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein - unter Alkoholeinwirkung einen Verkehrsunfall verursacht. Schließlich habe er eine Jugendliche am Hauptbahnhof E. aufgegriffen, unter Vorlage seines Dienstausweises zu einem Jugendzentrum gebracht und anschließend gegen ihren Willen von dort wieder mitgenommen.

Durch rechtskräftigen Strafbefehl vom 12. März 1997 verurteilte das Amtsgericht C. den Ruhestandsbeamten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 18 Fällen zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 50,- DM.

Mit Verfügung vom 11. Juni 1997 ordnete die Polizeidirektion C. die Einbehaltung von 30 % der Dienstbezüge des Ruhestandsbeamten an. Außerdem wurde das Disziplinarverfahren auf das Fahren ohne Fahrerlaubnis ausgedehnt.

Mit Beschluss vom 26. November 1997 holte die Untersuchungsführerin ein fachärztliches Gutachten des Landeskrankenhauses F. dazu ein, ob der Ruhestandsbeamte nach der 1994 durchgeführten Alkoholentziehungstherapie infolge seelischer Störungen im Sinne der §§ 20 und 21 StGB außerstande war, abstinent zu leben und einen Rückfall in den Alkoholmissbrauch zu vermeiden, und ob der Ruhestandsbeamte nach seiner geistigen Verfassung Bedeutung und Tragweite des Disziplinarverfahrens erfassen und sich sachgerecht verteidigen kann.

In seinem Gutachten vom 23. Februar 1998 gelangte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. G. nach einer testpsychologischen Untersuchung des Ruhestandsbeamten zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen der §§ 20 f. StGB nicht vorlägen. Der Ruhestandsbeamte sei aber aufgrund seiner Kritik- und Urteilsminderung, seiner fehlenden Einsicht, seiner gestörten Beziehung zur Realität und einer Interesseneinengung nicht in der Lage, sich sachgerecht zu verteidigen.

Daraufhin bestellte das Amtsgericht D. durch Beschluss vom 8. Mai 1998 einen Betreuer zwecks Wahrnehmung der Rechte des Ruhestandsbeamten in einem förmlichen Disziplinarverfahren.

Anschließend stellte die Polizeidirektion C. das Disziplinarverfahren gegen den Ruhestandsbeamten durch Verfügung vom 22. Juli 1998 wegen eines Verfahrensfehlers nach § 63 Abs. 1 Nr.1 NDO ein. Zugleich leitete sie ein neues förmliches Disziplinarverfahren ein, in dem sie dem Ruhestandsbeamten den Rückfall in die Alkoholabhängigkeit, das Führen eines Pkw im öffentlichen Verkehr unter Alkoholeinfluss, fortgesetztes Führen eines Pkw ohne Fahrerlaubnis und ungenehmigtes Fernbleiben vom Dienst zur Last legte.

Mit Verfügung vom 25. September 1998 enthob die Polizeidirektion C. den Ruhestandsbeamten vorläufig des Dienstes und ordnete die Einbehaltung von 20 % seiner Dienstbezüge an.

III.

Durch Bescheid vom 10. Dezember 1999 versetzte die Polizeidirektion C. den Ruhestandsbeamten mit Ablauf des Monats Mai 1998 in den Ruhestand. Zur Begründung führte sie aus, dass der Ruhestandsbeamte nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Polizeidirektion C. vom 15. April 1997 gesundheitlich weder für den Polizeivollzugsdienst noch den allgemeinen Verwaltungsdienst geeignet sei. Die Gutachterin Medizinaldirektorin Dr. med. H. sei zu dem Ergebnis gelangt, dass es bei dem Ruhestandsbeamten keine Hoffnung auf Einsicht in die Notwendigkeit einer Therapie seiner langjährigen Alkoholerkrankungen gebe.

IV.

Mit der am 17. April 2001 bei der Disziplinarkammer bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Anschuldigungsschrift hat der Vertreter der Einleitungsbehörde dem Ruhestandsbeamten zur Last gelegt, ein Dienstvergehen begangen zu haben, indem er

1. am 22. August 1996 in I. im öffentlichen Verkehrsraum unter Alkoholeinfluss (2,91 g o/oo) einen Verkehrsunfall verursacht habe, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein,

2. in 18 Fällen ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr vorsätzlich geführt habe, ohne die dafür erforderliche Fahrerlaubnis zu besitzen,

3. eine Jugendliche ohne hoheitliche Befugnis zum Jugendzentrum "uferlos" verbracht habe, sich unerlaubt in therapeutische Gespräche eingemischt habe und anschließend die Jugendliche gegen ihren Willen von dort wieder mitgenommen habe,

4. entgegen seiner Dienstpflichten und ohne die dienstlichen Folgen zu bedenken durch einen erneuten Alkoholmissbrauch rückfällig geworden sei, so dass er sich seit 1995 in eine Alkoholabhängigkeit begeben habe,

5. sich mehrfach in volltrunkenem Zustand in der Öffentlichkeit (Hotelpersonal und eingesetzte Polizeibeamte) als Polizeibeamter aus C. ausgegeben und dem Ansehen der Beschäftigten der Polizeidirektion C. einen schweren Schaden zugefügt habe sowie

6. entgegen dienstlicher Anordnungen wiederholt ungenehmigt dem Dienst ferngeblieben sei und seine unmittelbaren Dienstvorgesetzten über sein Fernbleiben nicht unterrichtet habe.

Der Vertreter der Einleitungsbehörde hat beantragt,

auf Aberkennung des Ruhegehalts zu erkennen.

Der Ruhestandsbeamte hat beantragt,

auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

V.

Die Disziplinarkammer bei dem Verwaltungsgericht C. hat durch Urteil vom 8. April 2003 festgestellt, dass der Ruhestandsbeamte eines Dienstvergehens schuldig ist, und auf eine Kürzung des Ruhegehalts um ein Fünftel auf die Dauer von drei Jahren erkannt. Dabei ist die Disziplinarkammer von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

Anschuldigungspunkt 1:

Am 22. August 1996 verursachte der Ruhestandsbeamte im öffentlichen Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss einen Verkehrsunfall, indem er in I. auf ein parkendes Fahrzeug fuhr. Sein Alkoholgehalt im Blut betrug 2,91 g o/oo. Dem Ruhestandsbeamten war bereits am 4. Juni 1987 die Erlaubnis zum Führen von Dienstkraftfahrzeugen entzogen worden. Der Ruhestandsbeamte hatte den Dienstführerschein nicht auf einen privaten Führerschein umtragen lassen, so dass er auch nicht im Besitz einer allgemeinen Fahrerlaubnis war. Der Ruhestandsbeamte nahm zumindest billigend in Kauf, dass er aufgrund der zuvor genossenen Menge alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Ihm war auch bewusst, dass er nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis verfügte.

Anschuldigungspunkt 2:

Im Rahmen seiner Tätigkeit als Polizeibeamter führte der Ruhestandsbeamte

a) am 6. April 1996 zwischen 9.00 Uhr und 13.00 Uhr,

b) am 6. April 1996 zwischen 16.00 Uhr und 18.30 Uhr,

c) am 7. April 1996 zwischen 6.30 Uhr und 13.00 Uhr,

d) am 8. April 1996 zwischen 9.00 Uhr und 11.00 Uhr,

e) vom 9. auf den 10. April 1996 zwischen 21.30 Uhr und 6.30 Uhr,

f) am 11. April 1996 zwischen 16.00 Uhr und 21.30 Uhr,

g) am 12. April 1996 zwischen 9.00 Uhr und 13.00 Uhr,

h) am 19. April 1996 zwischen 21.30 Uhr und 24.00 Uhr,

i) am 22. April 1996 zwischen 13.00 Uhr und 21.30 Uhr,

j) am 23. April 1996 zwischen 6.30 Uhr und 13.00 Uhr,

k) am 19. Mai 1996 zwischen 13.00 Uhr und 16.00 Uhr,

l) am 19. Mai 1996 zwischen 17.00 Uhr und 21.00 Uhr,

m) am 20. Mai 1996 zwischen 13.00 Uhr und 15.00 Uhr,

n) am 24. Mai 1996 zwischen 13.00 Uhr und 21.30 Uhr,

o) am 25. Mai 1996 zwischen 21.00 Uhr und 23.00 Uhr,

p) am 26. Mai 1996 zwischen 2.00 Uhr und 6.30 Uhr,

q) am 29. Mai 1996 zwischen 6.30 Uhr und 14.00 Uhr und

r) in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1996 zwischen 21.30 Uhr und 5.00 Uhr

einen Funkstreifenwagen, obwohl ihm bekannt war, dass er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht besaß.

Anschuldigungspunkt 3:

Im Oktober 1996 brachte der Ruhestandsbeamte in E. eine Jugendliche unter Vorlage seines Dienstausweises zu einem Jugendzentrum, mischte sich in das Beratungsgespräch ein und nahm sie schließlich gegen ihren Willen wieder mit. Der Ruhestandsbeamte stand zwar unter Alkoholeinfluss, trat aber zielorientiert und bestimmt auf und wusste, dass er sich außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs als Polizeibeamter bewegte und es für sein Einschreiten keine Rechtsgrundlage gab.

Anschuldigungspunkt 4:

Am 17. Januar 1987 wurde der Ruhestandsbeamte wegen eines epileptischen Anfalls durch den Polizeiarzt behandelt. Kurz danach erlitt er während eines Lehrgangs einen weiteren Anfall. Am 30. März 1987 diagnostizierte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. J. einen hirnorganischen Anfall nach Schlafentzug. Auf Befragen gab der Ruhestandsbeamte an, seit April 1986 erhebliche Alkoholprobleme zu haben. Nach einer nochmaligen klinisch-neurologischen Untersuchung stellte der Arzt eine erhebliche Übererregbarkeit des vegetativen Nervensystems, eine psychomotorische Unruhe und einen feinschlägigen Fingertremor fest. Die hirnorganischen Anfälle stünden im Zusammenhang mit einem chronischen Alkoholmissbrauch. Ohne eine Entziehungskur könne der Ruhestandsbeamte aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur nicht alkoholabstinent werden. Am 1. April 1987 wurde der Ruhestandsbeamte in die Notambulanz der Unfallklinik der Stadt C. eingewiesen. Danach empfahl der Polizeiarzt L. auf den Außendienst, das Tragen von Schusswaffen und das Führen von Dienstkraftfahrzeugen zu verzichten. Am 28. Mai 1987 wurde der Ruhestandsbeamte mit akuten Alkoholproblemen in M. aufgegriffen. Danach unterzog er sich in der Zeit vom 9. bis zum 22. Juni 1987 einer Entgiftungskur im N. in O.. Anschließend wurde er rückfällig und trank wöchentlich vier Flaschen Whisky und Weinbrand. Daraufhin entzog ihm die Polizeiausbildungsstelle für Technik und Verkehr P. am 6. Juni 1987 die Fahrerlaubnis zum Führen von Dienstkraftfahrzeugen. Anschließend wurde der Ruhestandsbeamte auf Veranlassung des Polizeiarztes Q. vom 1. Juli bis zum 23. September 1987 in der Fachklinik für Abhängigkeitskrankheiten in R. stationär behandelt. Am 28. September 1987 trat er seinen Dienst wieder an. Unter dem 9. November 1987 bestätigte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. S. dem Polizeiarzt Q., dass der Ruhestandsbeamte zur Zeit trockener Alkoholiker sei. Am 31. Mai 1990 wurde auf Anordnung der Polizeidirektion C. eine amtsärztliche Untersuchung des Ruhestandsbeamten durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass der Ruhestandsbeamte nach einer anfallfreien Zeit von mehr als drei Jahren und reduziertem Alkoholkonsum körperlich, geistig und seelisch voll belastbar sei. Laborkontrollen hätten normale Leberwerte ergeben. Der untersuchende Arzt Dr. T. und der Polizeiarzt Medizinalrat U. gelangten am 18. Dezember 1990 bzw. 9. Januar 1991 zu der Einschätzung, dass der Ruhestandsbeamte uneingeschränkt polizeiexekutivdienstfähig sei. In der Zeit vom 6. bis 14. Dezember 1992 befand sich der Ruhestandsbeamte in ärztlicher Behandlung. Vom 21. Januar bis 3. März 1993 wurde er im Niedersächsischen Landeskrankenhaus F. behandelt. Am 17. Mai 1993 meldete sich der Ruhestandsbeamte fernmündlich krank. Daraufhin trafen ihn Kollegen in seiner Wohnung alkoholisiert an. Der Ruhestandsbeamte gab an, wieder mit dem Trinken angefangen zu haben und völlig fertig zu sein. Er wünsche eine sofortige Aufnahme in ein Krankenhaus. Daraufhin veranlassten die Kollegen einen sofortigen Transport in das V.. Nach kurzer stationärer Behandlung wurde er von dort in das Klinikum der W., Abteilung für Suchtkrankheiten, überwiesen. Dort wurde er bis zum 2. Juni 1993 stationär behandelt. Anschließend erfolgte eine ambulante Weiterbehandlung. Mit Schreiben vom 1. Dezember 1993 missbilligte der Leiter der Schutzpolizeiinspektion II bei der Polizeidirektion C. das Verhalten des Ruhestandsbeamten. Er wies ihn darauf hin, dass er zur Überwindung seiner Krankheit beitragen müsse, und belehrte ihn darüber, dass ein schuldhaft herbeigeführter Rückfall in die Trunksucht pflichtwidrig sei und zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen könne. Nachdem der Ruhestandsbeamte am 30. Januar 1994 erneut unentschuldigt nicht zum Dienst erschienen war, suchten sein Dienstabteilungsführer und der Leiter Innendienst des 10. Polizeireviers ihn am darauffolgenden Tag zu Hause auf. Sie fanden ihn dort stark alkoholisiert vor. Daraufhin wurde er auf Veranlassung des Polizeiarztes U. in die Nervenklinik X. zur Entgiftung eingewiesen. Danach erfolgte vom 14. März bis zum 1. Juni 1994 eine stationäre Langzeittherapie im Fachkrankenhaus für Abhängigkeitskranke in Y.. Anschließend missbilligte der Leiter der Schutzpolizeiinspektion II bei der Polizeidirektion C. mit Schreiben vom 7. Juni 1994 das Verhalten des Ruhestandsbeamten. Er äußerte ferner die Erwartung, dass der Ruhestandsbeamte künftig seinen Dienstpflichten gewissenhaft nachkommen werde. Außerdem erinnerte er ihn an die ihm am 1. Dezember 1993 erteilte Belehrung. Der Ruhestandsbeamte müsse sich darüber klar sein, dass es im Wiederholungsfall zu einem Disziplinarverfahren kommen werde, das zu seiner Entlassung führen könne. Am 27. Februar 1995 wurde der Ruhestandsbeamte mit der Diagnose "Alkoholkrankheit mit symptomatischem cerebralen Anfallsleiden" in das Niedersächsische Landeskrankenhaus F. eingewiesen und dort bis zum 7. Mai 1995 stationär behandelt. Bei seiner Aufnahme in das Krankenhaus hatte er 2,89 g o/oo Alkohol in der Ausatmungsluft. Zwischen dem 9. November 1995 und dem 4. April 1996 unterzog sich der Ruhestandsbeamte in der Z. -Klinik in AA. einer Langzeittherapie mit psychosomatischer Behandlung. Nachdem er seinen Dienst wieder angetreten hatte, erfolgten erneut Krankmeldungen. In der Zeit vom 9. bis zum 19. Juni 1996 befand er sich zur stationären Entgiftungsbehandlung im Niedersächsischen Landeskrankenhaus F.. Die Diagnose lautete auf chronische Alkoholerkrankung, Verdacht auf Persönlichkeitsstörung und akute Gastritis. Vom 29. Juni bis zum 6. Juli 1996 wurde der Ruhestandsbeamte wegen seiner desolaten psychischen Verfassung im AB. behandelt. Vom 15. bis zum 26. Juli 1996 befand er sich wiederum im Städtischen Krankenhaus D.. Am 1. August 1996 wurde er ein weiteres Mal in das Niedersächsische Landeskrankenhaus F. eingeliefert, nachdem er zu Hause hilflos aufgefunden worden war und mit Selbstmord gedroht hatte. Im Krankenhaus wurden bei ihm 3,98 g o/oo Alkohol in der Ausatmungsluft festgestellt. Einen Tag nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus am 21. August 1996 verursachte der Ruhestandsbeamte mit einem Blutalkoholwert von 2,91 g o/oo einen Auffahrunfall. Vom 30. August bis zum 16. September 1996 befand er sich wiederum in stationärer Behandlung im Landeskrankenhaus F.. Nach seiner Entlassung war er zunächst unbekannten Aufenthalts. In der Zeit vom 11. bis zum 18. November 1996 erfolgte eine weitere stationäre Behandlung. Am 20. Januar 1997 wurde der Ruhestandsbeamte nach einem Krampfanfall alkoholisiert ins Kreiskrankenhaus AC. eingeliefert. Während der Behandlung kam es zu einem massiven Alkoholentzugsdelirium. Daraufhin wurde er in das Landeskrankenhaus F. verlegt. Kurz nach der Entlassung wurde er erneut unter erheblichem Alkoholeinfluss stehend von der Polizei aufgegriffen und in das Niedersächsische Landeskrankenhaus F. verbracht. Dort befand er sich vom 17. Juni bis zum 27. Juni 1997 in stationärer Behandlung. Vom 1. Dezember 1997 bis zum 2. Januar 1998 wurde er in der geschlossenen suchttherapeutischen Entgiftungsstation des Niedersächsischen Landeskrankenhauses F. behandelt. Dort erlitt er bereits am zweiten Behandlungstag Entzugskrampfanfälle. In der Zeit vom 10. Januar bis zum 30. Januar 1998 und im Juni 1998 fanden erneut stationäre Behandlungen in der Suchtabteilung des Niedersächsischen Landeskrankenhauses F. statt. Daran schloss sich ein Aufenthalt in einer Fachklinik in AD. an.

Anschuldigungspunkt 5:

Der Ruhestandsbeamte versuchte am 19. September 1997 in alkoholisiertem Zustand, mit einem falschen Schlüssel in das AE. in AF. einzudringen. Am 2. Januar 1998 wurde er im AG. Hauptbahnhof in alkoholisiertem Zustand angetroffen, als er eine Person vom Bahnhof verweisen wollte. Gegenüber dem Bediensteten des Sicherheitsdienstes stellte er sich als Kriminalbeamter aus C. vor. Dabei war ihm bewusst, pflichtwidrig zu handeln.

Anschuldigungspunkt 6:

Der Ruhestandsbeamte blieb am 30. Januar 1994, 4. Mai 1996, 6. Mai 1996, 6. Juni 1996 und 7. Juni 1996 ungenehmigt dem Dienst fern, obwohl er wusste, dass er zur Dienstleistung verpflichtet war. Er unterließ es auch, seine Vorgesetzten zu unterrichten und seine Dienstunfähigkeit nachzuweisen.

Zur Begründung ihrer Entscheidung hat die Disziplinarkammer ausgeführt, dass der Ruhestandsbeamte mit dem ihm im Anschuldigungspunkt 1 zur Last gelegten Verhalten seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten außerhalb des Dienstes (§ 62 Satz 3 NBG) verletzt habe. Das Fahren ohne Fahrerlaubnis in 18 Fällen (Anschuldigungspunkt 2) stelle einen Verstoß gegen Strafrechtsnormen und die Pflicht zu rechtmäßigem dienstlichen Handeln sowie zur Treue und Offenheit gegenüber seinem Dienstherrn (§§ 64 Abs. 1, 63 NBG) dar. Durch sein Verhalten gegenüber der Jugendlichen im Jugendzentrum " AH." (Anschuldigungspunkt 3) sowie das unter 5. angeschuldigte Verhalten habe er seine Dienstpflicht zur rechtmäßigen Amtsausübung (§ 64 Abs. 1 NBG) verletzt. Mit dem ungenehmigten Fernbleiben vom Dienst (Anschuldigungspunkt 6) habe er schließlich seine Dienstpflicht zur vollen Hingabe an seinen Beruf (§ 62 Satz 1 NBG) missachtet. Hinsichtlich dieser Dienstpflichtverletzungen habe der Ruhestandsbeamte mindestens bedingt vorsätzlich gehandelt. Er habe die ihm obliegenden Dienstpflichten gekannt und sei trotz des zeitweiligen Alkoholgenusses nicht außerstande gewesen, diese einzuhalten. Die im Anschuldigungspunkt 4. angeführte Dienstpflichtverletzung könne dem Ruhestandsbeamten hingegen nicht nachgewiesen werden. Der disziplinare Vorwurf des schuldhaften Rückfalls in die Alkoholabhängigkeit setze u. a. voraus, dass die Entziehungstherapie erfolgreich war, d. h. den Beamten in der Lage versetzt hat, der Gefahr eines Rückfalls mit Erfolg zu begegnen. Aufgrund der vorliegenden ärztlichen Gutachten und Berichte sowie der Einlassung des Ruhestandsbeamten sei die Disziplinarkammer aber nicht davon überzeugt, dass auch nur eine einzige der zahlreichen Alkoholentziehungskuren erfolgreich gewesen sei. In den ärztlichen Stellungnahmen wechselten positive Befunde mit deutlichen Hinweisen auf eine ungebremste Fortsetzung des Alkoholismus und das Fehlen jeglicher Einsicht in die Notwendigkeit therapeutischer Maßnahmen. Der von der Untersuchungsführerin beauftragte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. G. gehe in seinem Gutachten vom 23. Februar 1998 unkritisch von der Richtigkeit der Angaben des Ruhestandsbeamten aus, dass er nach seiner Entlassung aus der 1994 durchgeführten Alkoholentziehungskur "trocken" gewesen sei. Für die Richtigkeit der Annahme des Gutachters, der von dem Ruhestandsbeamten eingeräumte Rückfall in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit sei nicht infolge schwerwiegender seelischer Störungen erfolgt, finde sich in dem Gutachten auch kein Nachweis. Deshalb sei dem Ruhestandsbeamten die Einlassung in der Hauptverhandlung, er sei erst seit zwei Jahren trocken, nicht zu widerlegen. Folglich könne ihm keine schuldhafte Verletzung der Dienstpflicht zur Gesunderhaltung zur Last gelegt werden. Die in den Anschuldigungspunkten zu 1. bis 3. und 5. bis 6 aufgeführten Dienstpflichtverletzungen stellten ein einheitliches Dienstvergehen dar, das mit einer Kürzung des Ruhegehalts zu ahnden sei. Die einzelnen Pflichtverstöße wögen schwer. Der Ruhestandsbeamte habe dem Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit erheblichen Schaden zugefügt und das Vertrauen seines Dienstherrn erheblich erschüttert. Zugunsten des Ruhestandsbeamten dürfe aber nicht übersehen werden, dass die Pflichtenverstöße vor dem Hintergrund seines sozialen Abgleitens erfolgt seien.

VI.

Gegen dieses am 12. Mai 2003 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Vertreters der Einleitungsbehörde, die am 6. Juni 2003 eingelegt worden ist.

Zur Begründung der Berufung trägt der Vertreter der Einleitungsbehörde im wesentlichen vor, dass die Annahme der Disziplinarkammer, ein schuldhafter Rückfall des Ruhestandsbeamten in die Alkoholsucht lasse sich nicht nachweisen, unzutreffend sei. Die 1987 in R. durchgeführte Alkoholentziehungstherapie sei erfolgreich gewesen. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. S. habe in seinen Berichten vom 9. November 1987, 22. Dezember 1988 und 23. März 1990 ausgeführt, dass kein weiterer Alkoholmissbrauch vorliege. Nachdem der Ruhestandsbeamte am 1. April 1988 zur Polizeidirektion C. versetzt worden sei, seien auch keine dienstlichen Auffälligkeiten festgestellt worden, obwohl die Vorgesetzten von der Alkoholproblematik Kenntnis gehabt hätten. Außerdem sei bei einer polizeiärztlichen Untersuchung im Mai 1990 festgestellt worden, dass der Ruhestandsbeamte nach einer anfallfreien Zeit von mehr als drei Jahren und reduziertem Alkoholkonsum körperlich, geistig und seelisch voll belastungsfähig und somit uneingeschränkt dienstfähig sei. Kontrolluntersuchungen von Dr. med. T. am 31. Mai 1990, 5. Juli 1990, 20. September 1990 und 2. November 1990 belegten, dass der Ruhestandsbeamte nur anfangs leicht erhöhte Leberwerte aufgewiesen habe. Somit sei der Ruhestandsbeamte nach der 1987 durchgeführten Alkoholentziehungskur einige Jahre lang "trocken" gewesen. Das bestätige, dass diese Alkoholentziehungstherapie erfolgreich gewesen sei. Entsprechendes gelte auch für die im Frühjahr 1994 durchgeführte Alkoholentziehungstherapie. Nach dieser Therapie und der anschließenden Belehrung des Ruhestandsbeamten über seine Dienstpflichten und die möglichen disziplinarischen Folgen eines erneuten Abgleitens in die nasse Phase der Alkoholsucht sei monatelang kein alkoholbedingtes Fehlverhalten des Ruhestandsbeamten bekannt geworden. Ein Rückfall sei erst im Februar 1995 erfolgt. Dieser sei nach dem Gutachten von Dr. G. vom 23. Februar 1998 aber auf die Neigungen des Ruhestandsbeamten und keineswegs auf seelische Störungen zurückzuführen. Daher sei der Ruhestandsbeamte auch für diesen Rückfall in die Alkoholabhängigkeit verantwortlich.

Der Vertreter der Einleitungsbehörde beantragt,

das Urteil der Disziplinarkammer bei dem Verwaltungsgericht Hannover vom 8. April 2003 zu ändern und dem Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt abzuerkennen.

Der Verteidiger des Ruhestandsbeamten beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt ergänzend vor: Die vom Vertreter der Einleitungsbehörde angesprochenen ärztlichen Stellungnahmen seien nicht geeignet, seine Einlassung zu widerlegen, dass er schon seit seiner Laufbahnprüfung Alkoholiker sei und mit Ausnahme kurzer Abstinenzphasen bis zu der letzten Entziehungstherapie exzessiv Alkohol konsumiert habe. Er sei ein sogenannter Quartalstrinker, bei dem es immer wieder Abstinenzphasen gebe. Nach den Alkoholentziehungstherapien sei er stets mehrere Wochen oder Monate lang trocken gewesen. Seiner Erinnerung nach sei er auch nach der Langzeittherapie in Y. etwa drei bis vier Monate lang ohne Alkohol ausgekommen. Inzwischen sei er "trocken". Von April 2003 bis Januar 2004 habe er sich einer ambulanten Langzeittherapie unterzogen. Nun besuche er regelmäßig einmal pro Woche einen Verein, in dem Alkoholiker zusammenkommen. Außerdem habe er bis August des vergangenen Jahres seine Leberwerte regelmäßig überprüfen lassen. Der GGT-Wert liege seit längerem zwischen 5 und 6.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die Beiakten A bis J ergänzend Bezug genommen.

VII.

Die Berufung des Vertreters der Einleitungsbehörde hat Erfolg.

Die Disziplinarkammer hat zu Recht entschieden, dass der Ruhestandsbeamte eines Dienstvergehens schuldig ist. Die von ihr verhängte Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts ist aber unzureichend, weil nicht nur die dem Ruhestandsbeamten unter den Anschuldigungspunkten 1, 2, 3, 5 und 6 zur Last gelegten Pflichtverletzungen, sondern auch die Rückfälle in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit (Anschuldigungspunkt 4) als Dienstvergehen zu ahnden sind.

Gegenstand der berufungsgerichtlichen Würdigung ist der von der Einleitungsbehörde in der Anschuldigungsschrift umrissene Sachverhalt. Dieser Sachverhalt steht nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung zur Überzeugung des Senats fest.

In Bezug auf die Anschuldigungspunkte 1, 2, 3, 5 und 6 kann auf die Feststellungen der Disziplinarkammer verwiesen werden, die durch die Erkenntnisse im Verwaltungsverfahren belegt werden und von den Beteiligten auch nicht in Zweifel gezogen worden sind. Danach hat der Ruhestandsbeamte gegen die sich aus den §§ 62 Satz 1, 63 Sätze 1 und 2 und 64 Abs. 1 NBG ergebenden Pflichten zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten außerhalb des Dienstes (Anschuldigungspunkte 1 und 5), zu rechtmäßigem dienstlichen Handeln (Anschuldigungspunkte 2, 3 und 5), zur Treue und Offenheit gegenüber seinem Dienstherrn (Anschuldigungspunkt 2) und zur vollen Hingabe an seinen Beruf (Anschuldigungspunkt 6) verstoßen. Insoweit hat er auch schuldhaft im Sinne des § 85 Abs. 1 NBG gehandelt, weil er die ihm obliegenden Dienstpflichten kannte und trotz des zeitweisen Alkoholeinflusses in der Lage war, diesen Pflichten nachzukommen.

Darüber hinaus hat der Ruhestandsbeamte auch durch die Rückfälle in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit (Anschuldigungspunkt 4) seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt.

Nach § 62 Satz 1 NBG hat sich der Beamte mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen. Daraus folgt die Verpflichtung, dem Dienstherrn seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen und diese zu erhalten. Zu den konkreten Pflichten in diesem Zusammenhang gehört es, nach einer Alkoholentziehungstherapie den Griff zum sogenannten "ersten Glas Alkohol" zu unterlassen, weil jeglicher Genuss von Alkohol nach einer Entziehungstherapie das Verlangen nach weiterem Alkohol wieder aufleben lässt und erfahrungsgemäß in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit zurückführen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.11.2001 - 1 D 64/01 -; BVerwG, Urt. v. 11.02.1998 - 1 D 21.97 -; NDH, Urt. v. 13.05.2004 - 1 NDH L 3/03 -). Gleichwohl begründet nicht der Griff zum Alkohol den Vorwurf der Verletzung beamtenrechtlicher Pflichten. Disziplinarrechtlich relevant ist der Rückfall in die nasse Phase der Alkoholsucht vielmehr erst dann, wenn die Entziehungskur erfolgreich war, d. h. den Beamten in der Lage versetzt hat, der Gefahr eines Rückfalls in die Alkoholabhängigkeit mit Erfolg zu begegnen, und wenn die erneute Alkoholabhängigkeit negative Auswirkung auf den dienstlichen Betrieb hat (BVerwG, Urt. v. 27.11.2001, a.a.O.; BVerwG, v. 12.10.1999 - 1 D 25.98 -; NDH, Urt. v. 13.05.2004, a.a.O.). Diese Voraussetzungen für einen disziplinarrechtlich vorwerfbaren Rückfall in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Der Ruhestandsbeamte ist wegen seiner Alkoholerkrankung vom 1. Juni bis zum 23. September 1987 in der Fachklinik für Abhängigkeitskranke in R. stationär behandelt worden. Diese Langzeittherapie, die nach dem Abschlussbericht der Klinik vom 23. September 1997 mit einer günstigen Prognose beendet worden ist, ist erfolgreich verlaufen, weil der Ruhestandsbeamte in der Folgezeit mehrere Jahre lang abstinent gelebt hat. Nach dem Bericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 9. November 1987 an den Polizeiarzt Q. ist der Ruhestandsbeamte "trocken" gewesen. Nach den Feststellungen von Dr. S. in seinen Schreiben vom 22. Dezember 1988 an Dr. AI. und vom 23. März 1990 an die Polizeidirektion C. gab es auch damals keine Hinweise auf einen Alkoholmissbrauch. Schließlich hat auch der Polizeiarzt Dr. T. in seinem polizeiärztlichen Zeugnis vom 18. Dezember 1990 ausgeführt, dass der Ruhestandsbeamte nach der Alkoholentziehungstherapie in R. trocken zu sein scheine und dass die Kontrolle der Leberenzymwerte bis Mai 1990 Normalwerte gezeigt hätten. Diese ärztlichen Feststellungen widerlegen die Behauptung des Ruhestandsbeamten, nach den Alkoholentziehungstherapien allenfalls einige Monate ohne Alkohol ausgekommen zu sein. Deshalb ist davon auszugehen, dass der Ruhestandsbeamte nach der o. g. Alkoholentziehungstherapie jahrelang abstinent gelebt hat und auch imstande war, der Gefahr eines Rückfalls in die nasse Phase der Alkoholsucht mit Erfolg zu begegnen.

Die vom 14. März bis zum 1. Juni 1994 im Fachkrankenhaus für Abhängigkeitskranke in AJ. am 21. Mai 1996 wie folgt beschrieben: "Nach dem Krankenhausaufenthalt in Y. (Entlassung 1.6.94) habe ich keinen Alkohol zu mir genommen. ... Im Februar 95 habe ich das erste Mal nach der Therapie wieder Alkohol angerührt. Damals dachte ich, dass ich kontrolliert Alkohol zu mir nehmen könnte. Ich war mir sehr sicher, dass ein Glas Bier nicht schaden könnte. Das war ein Irrtum, ich konnte mein Handeln nicht mehr frei steuern. Mein Trinkverhalten richtete sich damals nach meinen Dienstzeiten, zwischen Spät- und Frühschicht trank ich keinen Alkohol, wohl aber nach dem Früh- und Nachtdienst. Ich erkannte wohl die Gefahr, dass ich, wenn ich nach dem Spätdienst Alkohol getrunken hätte, zum Frühdienst vermutlich nicht hätte erscheinen können. Wenn ich trank, trank ich so lange, bis ich ein bestimmtes Level erreicht hatte. D. h. ich wollte meine privaten Probleme vergessen und einfach abschalten."

Dieser Aussage ist zu entnehmen, dass der Ruhestandsbeamte im Februar 1995 aus freiem Entschluss wieder Alkohol konsumiert hat und in der Lage gewesen wäre, einen Rückfall in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit zu vermeiden. Für letzteres spricht u. a. sein Hinweis darauf, zwischen der Spät- und der Frühschicht wegen der Gefahr, zur Frühschicht nicht erscheinen zu können, keinen Alkohol getrunken zu haben. Entsprechendes gilt auch für die Erklärung, er habe durch das Trinken seine "privaten Probleme vergessen und einfach abschalten" wollen. Außerdem ist der Ruhestandsbeamte im zweiten Halbjahr 1994 im Dienst nicht alkoholbedingt aufgefallen, was zu erwarten gewesen wäre, wenn er damals wieder zum Alkohol gegriffen hätte. Daher ist davon auszugehen, dass auch die im Frühjahr 1994 durchgeführte Alkoholentziehungstherapie erfolgreich gewesen ist und den Ruhestandsbeamten in die Lage versetzt hat, auf Alkohol zu verzichten und abstinent zu leben. Dies wird durch das im Auftrag der Untersuchungsführerin erstellte nervenärztliche Gutachten von Dr. med. G. vom Niedersächsischen Landeskrankenhaus F. vom 23. Februar 1998 bestätigt. Danach hat es der Ruhestandsbeamte im Februar 1995 wie auch in den anderen Fällen in vollem Bewusstsein zu den Rückfällen in die Alkoholabhängigkeit kommen lassen. Bei seiner Aufnahme in das Landeskrankenhaus F. am 27. Februar 1995 habe er erklärt, nach seiner Entlassung aus der letzten Entziehungskur "trocken" gewesen zu sein, bis es zu einem erneuten Rückfall gekommen sei. Dieser Rückfall sei keineswegs auf schwerwiegende seelische Störungen zurückzuführen.

Folglich ist festzustellen, dass der Ruhestandsbeamte zweimal trotz erfolgreicher Alkoholentziehungstherapien in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit zurückgefallen ist und dadurch die ihm nach § 62 Satz 1 NBG obliegenden Dienstpflichten verletzt hat. Diese Dienstpflichtverletzungen sind auch schuldhaft erfolgt. Denn der Ruhestandsbeamte hat jedenfalls mit bedingtem Vorsatz gehandelt, als er nach den Alkoholentziehungstherapien allen Erkenntnissen und Ermahnungen zum Trotz wieder Alkohol zu sich genommen hat.

Der Gutachter Dr. AK. hat in seinem Gutachten vom 23. Februar 1998 festgestellt, dass der Ruhestandsbeamte bezüglich der Rückfälle in die nasse Phase der Alkoholsucht weder schuldunfähig (§ 20 StGB) noch vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) gewesen ist. Der Ruhestandsbeamte hat den Rückfall in die nasse Phase der Alkoholsucht und die damit verbundenen Folgen auch billigend in Kauf genommen. Dabei war er sich insbesondere der Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens bewusst. Der Leiter der Schutzpolizeiinspektion II der Polizeidirektion C. hat ihn mit Schreiben vom 18. Mai 1994 darauf hingewiesen, dass ein Beamter sich mit voller Hingabe seinem Beruf widmen und daher dazu beizutragen müsse, sich gesund zu erhalten bzw. eine Krankheit zu überwinden. Ferner ist der Ruhestandsbeamte darüber belehrt worden, dass ein schuldhaft herbeigeführter Rückfall in die Trunksucht pflichtwidrig sei und im Rahmen eines förmlichen Disziplinarverfahrens zur Entfernung aus dem Dienst führen könne. Darüber hinaus hat der Leiter der Schutzpolizeiinspektion II der Polizeidirektion C. mit Schreiben vom 7. Juni 1994 den Rückfall des Ruhestandsbeamten in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit missbilligt und den Ruhestandsbeamten erneut über die disziplinarrechtlichen Konsequenzen eines Rückfalls in die Trunksucht belehrt. Dennoch hat der Ruhestandsbeamte das erneute Abgleiten in die Alkoholsucht in Kauf genommen und damit die Pflicht, sich mit aller Kraft um die Erhaltung seiner in den Entziehungskuren wiedergewonnenen Dienstfähigkeit zu bemühen, vorsätzlich verletzt.

Die Rückfälle des Ruhestandsbeamten in die nasse Phase der Alkoholsucht haben zudem erhebliche negative Auswirkungen auf dem Dienstbetrieb der Behörde gehabt, weil der Ruhestandsbeamte in den Jahren 1993 und 1994 wegen seiner Alkoholsucht häufig nicht dienstfähig gewesen ist, ab 1995 wegen zahlreicher alkoholbedingter Erkrankungen und Krankenhausaufenthalte kaum noch Dienst geleistet hat und mit Ablauf des Monats Mai 1998 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt werden musste. Dass die Krankmeldungen des Ruhestandsbeamten, die in der Folgezeit durchgeführten Krankenhausaufenthalte und letztlich auch die Versetzung in den Ruhestand u. a. auf die wiederholten Rückfälle in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit zurückzuführen sind, steht nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Polizeidirektion C. vom 15. April 1997, dem Gutachten von Dr. G. vom 23. Februar 1998 und dem Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge außer Frage.

Die vorstehend aufgeführten Pflichtverletzungen des Ruhestandsbeamten stellen ein einheitliches Dienstvergehen im Sinne der §§ 2 Abs. 1 Nr. 1 NDO, 85 Abs. 1 Satz 1 NBG dar, das mit der Aberkennung des Ruhegehalts (§ 12 Abs. 2 NDO) zu ahnden ist.

Das Gewicht eines schuldhaften Rückfalls in die Alkoholsucht wird wesentlich durch die Schuldform und das Ausmaß der dienstlichen Auswirkungen des Rückfalls bestimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.11.2001, a.a.O., m.w.N.). Bei einem vorsätzlich verursachten Rückfall und erheblichen dienstlichen Auswirkungen ist regelmäßig die höchste Disziplinarmaßnahme erforderlich (BVerwG, Urt. v. 27.11.2001, a.a.O.). Das gilt auch im vorliegenden Fall. Der Ruhestandsbeamte hat durch die vorsätzlich verursachten Rückfälle in die nasse Phase der Alkoholsucht und die immer häufigeren Ausfallzeiten seine Dienstpflichten über einen langen Zeitraum massiv verletzt. Die Vorgesetzten des Ruhestandsbeamten haben ihn wiederholt auf die möglichen disziplinarischen Folgen des Rückfalls in die Alkoholabhängigkeit hingewiesen und ihn nachdrücklich aufgefordert, "trocken" zu bleiben. Gleichwohl ist der Ruhestandsbeamte nach erfolgreichen Alkoholentziehungstherapien zweimal wieder rückfällig geworden. Damit hat er nicht nur die Geduld seines Dienstherrn und seiner Kollegen über jedes erträgliche Maß hinaus strapaziert, sondern auch das Vertrauen des Dienstherrn in seine Zuverlässigkeit und seine Bereitschaft, den Anforderungen seines Amtes gerecht zu werden, unwiederbringlich zerstört. Folglich hat er sich für seinen Dienstherrn untragbar gemacht. Das gilt umso mehr, als ihm neben den Rückfällen in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit (Anschuldigungspunkt 4) auch die unter den Anschuldigungspunkten 1, 2, 3, 5 und 6 aufgeführten zahlreichen Verfehlungen zur Last zu legen sind, durch die er dem Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit erheblichen Schaden zugefügt und das Vertrauen seines Dienstherrn nachhaltig erschüttert hat.

Daher wäre der Ruhestandsbeamte, wenn er sich noch im Dienst befände, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Folglich ist nach § 12 Abs. 2 NDO auf die Aberkennung des Ruhegehalts zu erkennen. In der Literatur wird zwar die Auffassung vertreten, dass ein Dienstvergehen, das die Entfernung aus dem Dienst rechtfertigt, nach dem Eintritt in den Ruhestand eine geminderte disziplinare Relevanz habe und damit eine mildere Beurteilung gerechtfertigt sein könne (vgl. Claussen/Janzen, BDO-Kommentar, 8. Aufl., Rn. 3 zu § 12; Köhler/Ratz, BDO-Kommentar, 2. Aufl., Rn. 5 zu § 12). Das Gesetz geht aber - wie sich auch aus § 117 Abs. 7 NDO ergibt - von der Gleichwertigkeit beider Disziplinarmaßnahmen aus und setzt deshalb für die Aberkennung des Ruhehalts lediglich voraus, dass bei einem aktiven Beamten die Entfernung aus dem Dienst gerechtfertigt wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.8.1978 - 1 D 98.77 -; Urt. v. 5.9.1979 - 1 D 32.78 -, BVerwGE 63, 262; NDH, Urt. v. 13.6.2002 - 1 NDH L 1820/01 -).

Gegen die Aberkennung des Ruhegehalts im Disziplinarverfahren bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.11.2001 - 2 BvR 2138/00 -, NVwZ 2002, 467).

Dem Ruhestandsbeamten wird in Anwendung der §§ 76 Abs. 1, 110 Abs. 1 NDO ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 v. H. des ihm im Zeitpunkt der Rechtskraft dieser Entscheidung zustehenden Ruhegehalts auf die Dauer von sechs Monaten bewilligt, weil er dessen nicht unwürdig ist und nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung bedarf.



Ende der Entscheidung

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