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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.08.2003
Aktenzeichen: 10 ME 82/03
Rechtsgebiete: NGO


Vorschriften:

NGO § 22b IV 2
Zu den Anforderungen an den Kostendeckungsvorschlag für ein Bürgerbegehren.
Gründe:

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO zulässige Beschwerde hat Erfolg. Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung sich die Entscheidung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hätte die einstweilige Anordnung nicht erlassen dürfen, denn die Antragstellerinnen haben einen Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO nicht glaubhaft gemacht.

Die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens beurteilt sich nach § 22 b der Niedersächsischen Gemeindeordnung - NGO - in der Fassung vom 22. August 1996 (NdsGVBl. S. 382), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 27. Januar 2003 (NdsGVBl. S. 36). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts genügt das von den Antragstellerinnen initiierte Bürgerbegehren den Anforderungen des § 22 b Abs. 4 Satz 2 NGO insoweit nicht, als es einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag zur Deckung der mit der Ausführung der Entscheidung verbundenen Kosten oder Einnahmeausfälle enthalten muss. Das Gesetz verlangt mithin Angaben darüber, welche Kosten (auf der Ausgabenseite) mit der Maßnahme verbunden sind und wie diese (auf der Einnahmenseite) im Rahmen des Haushaltsrechts gedeckt werden können. Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass die Anforderungen an den Kostendeckungsvorschlag nicht überspannt werden dürfen, weil die Antragsteller regelmäßig nicht über das Fachwissen einer Behörde verfügen (Beschl. d. Sen. v. 24.3.2000 - 10 M 986/00 -, NdsVBl. 2000, 195). Deshalb genügen überschlägige, aber schlüssige Angaben über die geschätzte Höhe der anfallenden Kosten und die Folgen der Umsetzung der Maßnahme für den Gemeindehaushalt. Soweit die Maßnahme nicht nur einmalige Herstellungs- oder Anschaffungskosten verursacht, sind für darüber hinaus entstehende Folgekosten auch insoweit eine zu beziffernde Prognose und ein Vorschlag zur Deckung dieser Kosten notwendig (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 6.7.1982 - 1 S 1526/81 -, VBlBW 1983, 269 ff.; Hessischer VGH, Urt. v. 28.10.1999 - 8 UE 3683/97 -, DVBl. 2000, 929). Bei der Bewertung dieser Prognose ist jedoch zu beachten, dass angesichts der Krise der öffentlichen Haushalte der Kostenfaktor der die Realisierung eines kommunalen Projekts maßgeblich bestimmende Gesichtspunkt ist. Deshalb darf der Aspekt der finanziellen Realisierbarkeit nicht vernachlässigt werden. Damit die Bürger und Bürgerinnen sich ihrer Verantwortung bei der Abstimmung bewusst werden, ist eine möglichst umfassende Information über die finanziellen Folgen eines Projekts unerlässlich. Dies schließt die Beschreibung der Mittel und Wege ein, auf denen sie aufgebracht werden sollen (vgl. Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, Baden-Baden 1997, S. 142). Ob dazu auch eine Information über die mit dem Verzicht auf das vom Rat beschlossene Projekt verbundenen Aufwendungen, die sich bei Realisierung des Alternativvorschlags als nutzlos erweisen, gehört, wie von Ritgen (a.a.O., S. 144) mit beachtlichen Gründen angenommen wird, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung; denn auch wenn diese nutzlos aufgewendeten Planungskosten als Folgekosten des von den Antragstellerinnen favorisierten Alternativvorschlags ausgeklammert werden, genügt ihr Kostendeckungsvorschlag hinsichtlich der Folgekosten nicht den Anforderungen des § 22 b Abs. 4 Satz 2 NGO.

Der dem Bürgerbegehren beigefügte Kostendeckungsvorschlag, auf den hier allein abzustellen ist, erweist sich als unzureichend, soweit es um die Darlegung der Mittel und Wege geht, auf denen die Folgekosten aufgebracht werden sollen. Die gewählte Formulierung - "Für die attraktivere 50-m-Becken-Lösung ist aufgrund geringerer Kapitaldienstkosten und höherer Einnahmen aus Eintrittsgeldern und unter Berücksichtigung höherer Energiekosten von einer jährlichen Unterdeckung von ca. 450.000,-- € auszugehen." - lässt bereits hinsichtlich der erwarteten höheren Einnahmen aus Eintrittsgeldern offen, ob diese durch höhere Besucherzahlen oder höhere Eintrittspreise gewonnen werden sollen. Da die Kosten für die Benutzung einer öffentlichen Einrichtung ein nicht unerheblicher Faktor sind, der die Unterstützung eines Bürgerbegehrens maßgeblich beeinflussen kann, hätten die Initiatoren des Bürgerbegehrens darlegen müssen, auf welche Weise höhere Einnahmen aus Eintrittsgeldern erzielt werden sollten. Dies wäre ihnen auch unschwer möglich gewesen.

Aber selbst wenn zugunsten der Antragstellerinnen davon auszugehen wäre, dass der Kostendeckungsvorschlag höhere Eintrittsgelder aufgrund höherer Besucherzahlen zugrunde legt, wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen, erweist sich der Kostendeckungsvorschlag als unzureichend. Dabei geht der Senat mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die Ermittlung der die Zukunft betreffenden Betriebs- und Folgekosten eine mit nicht unerheblichen Risiken behaftete Prognoseentscheidung ist. Auch wenn diese - wie das Verwaltungsgericht weiter ausführt - nicht durch dem Beweis zugängliche Umstände ermittelt werden können, kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass dem Vorschlag der Antragsgegnerin für die Umgestaltung des Huntebades die Machbarkeitsanalyse Sport- und Freizeitbad am Standort Huntebad der E. Aktiengesellschaft zugrunde liegt, die für den Senat nachvollziehbar und überzeugend die künftigen Besucherzahlen ermittelt und für die von der Antragsgegnerin vorgeschlagene Lösung 430.000 Besucher jährlich errechnet. Diese Analyse zeigt, dass Prognoseentscheidungen nicht bloße Spekulationen sind, sondern sich durch eine sorgfältige Datenermittlung weitgehend absichern lassen.

Soweit die Antragstellerinnen abweichend von den Annahmen der Antragsgegnerin von einer jährlichen Besucherzahl von 610.000 allein aufgrund der höheren Attraktivität der von ihnen vorgeschlagenen Lösung ausgehen und damit ihrem Kostendeckungsvorschlag eine um mehr als 40 % höhere Besucherzahl zugrunde legen, ist nicht erkennbar, dass diese Schätzung auf einer gesicherten Datenbasis beruht. Jedenfalls hinsichtlich der in diese Schätzung eingerechneten Zahl von 100.000 Besuchern des Freibads F., von denen angenommen wird, diese würden wegen der aufgrund der größeren Wasserfläche höheren Attraktivität des Huntebades künftig dieses Bad besuchen, begegnet nicht nur erheblichen Zweifeln, vielmehr erscheint die Annahme, ein Drittel der Besucher des Freibads F. werde aus dem genannten Grund künftig das Huntebad aufsuchen, als reine Spekulation.

Aber abgesehen von diesen Bedenken erweist sich der auf einer Besucherzahl von 610.000 beruhende Kostendeckungsvorschlag der Antragstellerinnen auch deshalb als unzureichend, weil ihm ungeachtet der höheren Besucherzahlen die von der Antragsgegnerin angenommenen Kosten für Personal, Unterhaltung und Instandhaltung zugrunde liegen. Wenngleich Personalkosten weitgehend von den Besucherzahlen unabhängig sein mögen, sind Kosten für Unterhaltung und Instandhaltung vom Umfang und der Nutzung abhängig. Ein Kostendeckungsvorschlag, der auf der Annahme beruht, bei 610.000 Besuchern sei mit Unterhaltungs- und Instandhaltungskosten in derselben Höhe wie bei 430.000 Besuchern zu rechnen, erweist sich deshalb als fehlerhaft. Schließlich begegnet der Kostendeckungsvorschlag hinsichtlich der Unterhaltungs- und Instandhaltungskosten auch insoweit Bedenken, als er unberücksichtigt lässt, dass für die von den Antragstellerinnen vorgeschlagene Lösung eines Ganzjahresbads mit aufschiebbaren Wänden und Dach höhere Unterhaltungs- und Wartungskosten zu veranschlagen sind als bei einem Hallenbad in massiver Bauweise.

Unabhängig von diesen Erwägungen erscheint ebenfalls zweifelhaft, ob eine Besucherzahl in der Größenordnung von 610.000 über längere Zeit hinaus aufrechtzuerhalten sein wird. Selbst wenn die besondere Attraktivität des Huntebades in der von den Antragstellerinnen vorgeschlagenen Alternative zunächst Besucher in großer Zahl anziehen mag, ist nicht davon auszugehen, dass die Besucherzahl sich auf diesem Niveau halten lassen wird, wenn das Huntebad damit ständig bis zum Rande seiner Kapazität oder darüber hinaus genutzt wird. Eine öffentliche Einrichtung, die in dieser Weise in Anspruch genommen wird, erfordert nicht nur höhere Instandhaltungs- und Wartungskosten als bei einer weniger umfangreichen Nutzung, sondern verliert aufgrund der ständig großen Nachfrage auch an Attraktivität.

Der Senat verkennt nicht, dass die Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die Vorbereitungen des Bürgerentscheids am 24. August 2003 bereits weit fortgeschritten sind. Der Senat sah sich aber zu der von der Antragsgegnerin angeregten vorläufigen Aussetzung des angefochtenen Beschlusses nicht in der Lage, ohne den Antragstellerinnen zuvor zu der umfangreichen Beschwerdebegründung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass die Antragsgegnerin die Beschwerdefrist bis zum letzten Tag ausgeschöpft hat. Vor diesem Hintergrund hätte es dem Gebot der Fairness widersprochen, ohne Anhörung der Antragstellerinnen eine vorläufige Entscheidung zu treffen oder diesen eine wesentlich kürzere Frist zur Erwiderung einzuräumen, als die Antragsgegnerin sie für die Begründung ihrer Beschwerde in Anspruch genommen hat.

Ende der Entscheidung

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