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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 30.07.2009
Aktenzeichen: 11 LA 360/08
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 8 Abs. 1
AufenthG § 25 Abs. 2
AufenthG § 104
AufenthG § 104 Abs. 4
1. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 Abs. 4 AufenthG an das volljährige ledige Kind eines Ausländers, bei dem bis zum Inkrafttreten des Gesetzes das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG unanfechtbar festgestellt worden ist, erfordert eine positive Prognose über die zu erwartende Integration. Dies gilt nach § 8 Abs. 1 AufenthG auch für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.

2. Liegen nach einer zunächst positiven Integrationsprognose neue konkrete Anhaltspunkte für eine negative Entwicklung vor, ist im Rahmen der Entscheidung über den Verlängerungsantrag eine neue Prognose zu erstellen.


Gründe:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

Der 1986 geborene Kläger, der türkischer Staatsangehöriger ist, begehrt die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis. Das Verwaltungsgericht hat nach Ablehnung des Antrags durch Bescheid des Beklagten vom 15. März 2007 mit dem angefochtenen Urteil die Klage des Klägers abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 Abs. 4 i.V.m. § 25 Abs. 2 AufenthG habe, weil seine Integration nicht zu erwarten sei. Er sei wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten und habe sich vorausgehende Maßnahmen nicht zur Warnung dienen lassen. Dass dem Kläger am 24. Januar 2005 auf der Grundlage von

§ 104 Abs. 4 i.V.m. § 25 Abs. 2 AufenthG eine bis zum 19. Januar 2006 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei, könne der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Die weitere jugendstrafrechtliche Verurteilung des Klägers sowie das Schreiben des Job-Centers Hildesheim hätten Anlass zu einer neuen Prognose geboten. § 104 Abs. 4 AufenthG sei auch nicht dahingehend zu verstehen, dass nur bei der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift deren Voraussetzungen zu prüfen. Nach § 8 Abs. 1 AufenthG seien auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis dieselben Vorschriften wie für ihre erste Erteilung anzuwenden. Daher setze auch die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 Abs. 4 AufenthG voraus, dass die Integration des volljährigen Kindes eines anerkannten Flüchtlings in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten sei. Auf andere Anspruchsgrundlagen könne sich der Kläger ebenfalls nicht berufen.

Die von dem Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts geltend gemachten Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend dargelegt worden.

Insbesondere sind die vom Kläger dargelegten Gründe nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufzuzeigen.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass nach § 8 Abs. 1 AufenthG auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis dieselben Vorschriften Anwendung finden wie auf die Erteilung. Dies bedeutet, dass bei einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die Erteilungsvoraussetzungen erneut zu prüfen sind. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn von der Anwendung des § 8 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich befreit wird oder wenn die Voraussetzungen im Einzelfall nach ihrem Inhalt, Sinn und Zweck auf die erstmalige Erteilung der Aufenthaltserlaubnis (z.B. die Altersgrenze für den Kindernachzug) oder auf einen bestimmten Zeitpunkt (z.B. den der Begründung des rechtmäßigen Aufenthalts) bezogen sind. Diese Voraussetzungen werden bei einer späteren Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gegenstandslos (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Komm., Stand: Juni 2009, § 8 Rn. 3, 5). Keiner dieser Fälle liegt hier jedoch vor.

Nach § 104 Abs. 4 Satz 1 AufenthG wird dem volljährigen ledigen Kind eines Ausländers, bei dem bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes unanfechtbar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt wurde, in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn das Kind zum Zeitpunkt der Asylantragstellung des Ausländers minderjährig war und sich mindestens seit der Unanfechtbarkeit der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG im Bundesgebiet aufhält und seine Integration zu erwarten ist. Letzteres erfordert eine positive Prognose über die zu erwartende Integration des Ausländers. Dass die Voraussetzung der zu erwartenden Integration nur bei der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vorliegen muss, ergibt sich aus der Vorschrift nicht. Insbesondere trifft § 104 Abs. 4 AufenthG keine Regelung dahingehend, dass die Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 8 Abs. 1 AufenthG zu verlängern ist. Auch dem Inhalt, Sinn und Zweck der Regelung lässt sich nicht entnehmen, dass die Prognose bezüglich der zu erwartenden Integration nur auf die erstmalige Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bezogen ist. Mit der Übergangsregelung des § 104 Abs. 4 AufenthG sollte eine als unbillig empfundene Härte korrigiert werden, die sich daraus ergibt, dass durch die Änderung des § 26 AsylVfG im Zeitpunkt der Asylantragstellung minderjährige ledige Kinder eines Ausländers, dem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuerkannt wird, auch dann einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel haben, wenn sie im Zeitpunkt des Abschlusses des Verfahrens bereits volljährig geworden sind, während nach der bisher geltenden Rechtslage während des Verfahrens volljährig gewordene Kinder keine Möglichkeit haben, einen Aufenthaltstitel zu erlangen (vgl. BT-Drucks. 15/420 S. 100 f.). Insofern soll durch § 104 Abs. 4 AufenthG erreicht werden, dass den vor dem Inkrafttreten des Gesetzes während des Verfahrens im Bundesgebiet volljährig gewordenen Kindern eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Dies gilt aber nur dann, wenn sie die in § 104 Abs. 4 AufenthG aufgestellten Voraussetzungen erfüllen, zu denen auch gehört, dass ihre Integration zu erwarten ist. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung ist die positive Integrationsprognose damit unabdingbare Voraussetzung für eine auf der Grundlage von § 104 Abs. 4 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis. Für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis kann daher nichts anderes gelten. Liegen somit nach einer zunächst positiven Integrationsprognose neue konkrete Anhaltspunkte für eine negative Entwicklung vor, ist im Rahmen der Entscheidung über einen Verlängerungsantrag eine neue Prognose zu erstellen.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine andere Beurteilung auch nicht deshalb geboten, weil die Aufenthaltserlaubnis nach § 104 Abs. 4 AufenthG in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt wird. Dies bedeutet, dass mit der Erteilung die Rechtsfolgen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG (z.B. besonderer Ausweisungsschutz und Familiennachzug unter erleichterten Bedingungen) eintreten. Zudem ist nach § 5 Abs. 3 AufenthG von der Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzungen abzusehen. Wegen dieser weit reichenden Folgen der nach § 104 Abs. 4 i.V.m. § 25 Abs. 2 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis bestimmt Ziff. 104.4.3 der Vorl. Nds. Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Stand: 31.7.2008), dass die Erteilungsvoraussetzungen besonders sorgfältig zu prüfen sind. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass die Voraussetzungen des § 104 Abs. 4 AufenthG bei einem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis entgegen § 8 Abs. 1 AufenthG nicht mehr zu prüfen sind.

Wie das Verwaltungsgericht weiter zu Recht ausgeführt hat, ist die Prognose der Beklagten, nach der eine Integration des Klägers nicht zu erwarten ist, nicht zu beanstanden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte nicht auf abgeschlossene Sachverhalte zurückgegriffen hat, die ihr schon im Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 Abs. 4 AufenthG bekannt waren und über die sie bereits abschließend entschieden hat. Vielmehr lagen im Zeitpunkt der Entscheidung über den Verlängerungsantrag neue Erkenntnisse vor, die Anlass für eine neue Prognose geboten haben. Dabei handelt es sich um das Urteil des Amtsgerichts Hildesheim - Jugendgericht - vom 3. März 2005, mit dem der Kläger wegen Leistungserschleichung in drei Fällen zu drei Wochen Dauerarrest verurteilt worden ist, sowie um das Schreiben des Job-Centers Hildesheim vom 22. November 2006, aus dem hervorgeht, dass der Kläger sich im Rahmen der Beschäftigungssuche nicht bemüht bzw. an einer Arbeitsaufnahme nicht interessiert gezeigt hat und nach seinen eigenen Angaben einen Arbeitsvertrag nur zum Schein bei der Ausländerbehörde vorgelegt hat, um seine Abschiebung zu verhindern. In den Gründen des Urteils des Jugendgerichts wird u.a. ausgeführt, dass in den Straftaten wiederum schädliche Neigungen des Klägers hervorgetreten seien, da er sich trotz einer laufenden Bewährung nicht von der Begehung der Straftaten habe abhalten lassen, dass das Bewährungsverfahren nicht problemlos verlaufe und er Einladungen des Bewährungshelfers wiederholt ignoriert habe und dass vieles für die Annahme spreche, dass der Kläger durch Erziehungsmaßregeln nur unzureichend positiv beeinflusst werden könne. Aufgrund dieser veränderten Sachlage war die Beklagte berechtigt, eine neue Prognose zur möglichen Integration des Klägers zu erstellen. Dass die Beklagte unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung anders als bei der ersten Prognose zu dem Ergebnis gekommen ist, dass eine Integration des Klägers nicht mehr zu erwarten ist, begegnet keinen Bedenken. Diese Prognose wird auch dadurch bestätigt, dass der Kläger nach Erlass des ablehnenden Bescheides der Beklagten erneut mit Urteil des Amtsgerichts Hildesheim - Jugendgericht - vom 18. Oktober 2007 wegen Betruges verurteilt und ihm eine Geldbuße auferlegt worden ist.

Die Berufung kann zudem nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Komm., § 124 Rn. 30 ff.). Hier fehlt es schon an einer hinreichenden Darlegung des Zulassungsgrundes nach § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Denn der Kläger hat keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage bezeichnet, die seiner Auffassung nach grundsätzlich klärungsbedürftig sein soll. Dass, wie er vorträgt, zu der Problematik bisher keine obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt, genügt den Darlegungserfordernissen nicht.

Ende der Entscheidung

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