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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 16.12.2008
Aktenzeichen: 11 LB 31/08
Rechtsgebiete: BJagdG, WaffG


Vorschriften:

BJagdG § 17 Abs. 1 S. 2
WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 1 a
Die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG kann grundsätzlich nicht durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Persönlichkeit des Betroffenen widerlegt werden.
Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Jagdscheins.

Der Kläger war seit 2002 Inhaber eines Jagdscheins. Durch Strafurteil vom 14.6.2004, rechtskräftig mit bestätigendem Berufungsurteil vom 16.9.2004, wurde er wegen Nötigung im Straßenverkehr in zwei Fällen zu einer Gesamtstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Das Strafurteil stellt fest, der Kläger habe dadurch eigenmächtige Verkehrserziehung praktiziert, dass er am 12. Januar 2004 andere Verkehrsteilnehmer am Überholen gehindert und zum Bremsen genötigt sowie durch Versperren der Fahrbahn unter Einsatz seines Fahrzeugs an der Weiterfahrt gehindert habe; wegen der Einzelheiten wird auf das mit den Verwaltungsvorgängen beigezogene Strafurteil Bezug genommen.

Den Antrag des Klägers auf Erteilung eines Dreijahresjagdscheins für die Jagdjahre 2006 bis 2009 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.5.2006 mit der Begründung ab, aufgrund der Verurteilung fehle es dem Kläger an der der erforderlichen Zuverlässigkeit. Der Jagdschein sei gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG zwingend zu versagen, da die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG gegeben seien. Besondere Umstände, die ein Abweichen von der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG gestatteten, seien nicht erkennbar. Ein atypischer Sachverhalt liege der strafgerichtlichen Verurteilung nicht zugrunde. Im Übrigen lägen Voreintragungen des Klägers im Verkehrszentralregister vor.

Im Klageverfahren hat der Kläger sein Begehren im Wesentlichen mit der Begründung weiterverfolgt, die Beklagte habe das ihr eingeräumte Ermessen nicht betätigt. Auch habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass seine Verurteilung dem untersten Rahmen der Regelvermutung entspreche. Im strafrechtlichen Verfahren habe sein damaliger Strafverteidiger die jagd- und waffenrechtlichen Konsequenzen verkannt und deshalb auf eine nochmalige Beweisaufnahme verzichtet. Bei dem Vorfall sei keine Person zu Schaden gekommen. Er habe den Anzeigeerstatter nur auf einen Fahrfehler aufmerksam machen wollen. Bei dem Versuch, dessen Kennzeichen zu ermitteln, sei es zu einer hitzigen Debatte gekommen. Es habe sich um eine einmalige Ausnahmesituation gehandelt, in der er möglicherweise über das Ziel hinausgeschossen sei. Im Übrigen sei er unbescholten und lebe in geordneten Verhältnissen. Aus den aktenkundigen Vorgängen habe er ausreichende Lernprozesse und Einsichten abgeleitet, so dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ihm zukünftig ein sachgemäßer und umsichtiger Umgang mit Waffen und Munition gelingen werde. Dies ergebe sich aus dem von ihm vorgelegten Gutachten des Medizinisch-Psychologischen Instituts des TÜV Nord vom 27.3.2007.

Nach der zusammenfassenden Beurteilung dieses Gutachtens erfolgte eine fachpsychologische Exploration, eine medizinische Eignungsuntersuchung sowie eine testpsychologische Untersuchung des Klägers. In medizinischer Sicht werden eignungsausschließende Beeinträchtigungen oder bedeutsame organische Erkrankungen des Klägers verneint. Bei testpsychologischer Untersuchung hätten sich keine Hinweise auf eine reduzierte psychophysische Belastbarkeit ergeben. In den für die Zuverlässigkeit für Waffenträger spezifischen Fragebogenverfahren sei deutlich geworden, dass der Kläger in der Selbstbeschreibung eine erhöhte soziale Risikobereitschaft zeige, die jedoch nicht eignungsausschließend sei. Dabei sei weiterhin zu berücksichtigen, dass der Kläger zur Selbstkontrolle und -reflexion in der Lage sei. Der Schwerpunkt der Untersuchung liege bei der Frage, inwiefern die persönlichen Voraussetzungen des Klägers es zuließen, dass er zukünftig rational und risikobewusst mit Waffen und Munition umgehe. Nach dem persönlichen fachpsychologischen Eindruck hätten sich im Untersuchungsgespräch keine Hinweise auf eine generelle Neigung ergeben, Regeln und Normen zu missachten. Der Kläger habe keine grundsätzlichen Schwierigkeiten erkennen lassen, sich zukünftig angepasst zu verhalten. Er sei durchaus in der Lage, die eigenen Ursachenanteile bei seinen bisherigen Verhaltensauffälligkeiten zu erkennen, so dass von adäquaten Vermeidungsstrategien auszugehen sei. In der Gesamtschau sei festzustellen, dass der Kläger eine angemessene Aufarbeitung der früheren Verhaltensauffälligkeiten sowie eine als tragfähig einzuschätzende Vermeidungsplanung habe darstellen können. Abschließend wird die erforderliche jagd- und waffenrechtliche Zuverlässigkeit bzw. Eignung trotz der Verurteilung bejaht.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 23.5.2006 zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag vom 17.5.2006 einen Dreijahresjagdschein für die Jagdjahre 2006 bis 2009 zu erteilen,

hilfsweise,

seinen Antrag vom 17.5.2006 auf Erteilung eines Dreijahresjagdscheins für die Jagdjahre 2006 bis 2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht: Hinsichtlich der gesetzlich gebotenen Versagung des Jagdscheins sei ihr kein Ermessen eingeräumt. Eine medizinisch-psychologische Untersuchung stelle die gebotene tatbezogene Prüfung und Würdigung des vom Strafrichter festgestellten Sachverhalts nicht in Frage. Der Untersuchungsansatz des vorgelegten Gutachtens verfehle den eigentlichen Gegenstand des Verfahrens; eine mögliche missbräuchliche Verwendung von Waffen durch den Kläger habe sie nicht prognostiziert.

Mit Urteil vom 13.12.2006 hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger den beantragten Jagdschein zu erteilen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG knüpfe an die strafgerichtliche Verurteilung an. Die Würdigung des Strafgerichts sei grundsätzlich nicht erneut zu prüfen. Das Verwaltungsgericht dürfe seine Entscheidung auch auf die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts stützen und nur in Ausnahmefällen weitere Ermittlungen anstellen. Seien Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ausnahmefalles ersichtlich, müsse dem Kläger zumindest die Möglichkeit eingeräumt werden, die gesetzliche Regelvermutung der Unzuverlässigkeit im waffenrechtlichen Sinn zu widerlegen. Das Strafgericht habe zu Lasten des Klägers einen Hang zu schneller Fahrweise berücksichtigt. Aus dem vorgelegten medizinisch-psychologischen Gutachten ergebe sich indes, dass der Kläger trotz der in der Selbstbeschreibung gezeigten höheren Risikobereitschaft zur Selbstkontrolle und Selbstreflektion fähig ist und nach seinen persönlichen Voraussetzungen künftig in der Lage sein werde, sich angepasst zu verhalten und rational und risikobewusst mit Waffen und Munition umzugehen. Aus der Vorgeschichte ergäben sich keine Hinweise auf eine generelle Neigung, Regeln und Normen zu mißachten. Dem Kläger werde durch das Gutachten vielmehr bescheinigt, dass er durchaus in der Lage sei, die eigenen Ursachenanteile bei seinen bisherigen Verhaltensauffälligkeiten zu erkennen und adäquate Vermeidungsstrategien zu entwickeln. In der Gesamtschau der erhobenen Befunde werde dem Kläger eine angemessene Aufarbeitung der früheren Verhaltensauffälligkeiten und eine tragfähige Vermeidungsplanung bescheinigt. Diese Feststellungen seien geeignet, einen Ausnahmefall zu begründen. Unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Klägers, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck komme, und der Schwere der konkreten Verfehlung sei es diesem gelungen, die Zweifel an seiner jagd- und waffenrechtlichen Zuverlässigkeit auszuräumen.

Dagegen richtet sich die vom Senat gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassene Berufung der Beklagten.

Die Beklagte führt im Berufungsverfahren aus: Die gesetzliche Regelvermutung begründe die Unzuverlässigkeit des Klägers. Es fehle an tatsächlichen Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Ausnahmefalls. Auszugehen sei von den tatsächlichen Feststellungen und der rechtlichen Würdigung im Strafurteil. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei eine Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck komme, geboten. Aus den Strafakten ergebe sich nicht, worin in der Begehungsweise und dem Verhalten des Klägers besondere Umstände gelegen hätten. Fehle es daran, sei für eine weitere Überprüfung kein Raum. Das Strafurteil betreffe ein typisches Tatverhalten; es handele sich nicht um ein Bagatelldelikt. Gegen die Annahme eines Ausnahmefalls spreche, dass der Kläger nicht geständig gewesen sei. Der Zeitpunkt des Geschehens (12.1.2004) liege auch noch nicht solange zurück, dass aus diesem Grund die Annahme eines Ausnahmefalls gerechtfertigt wäre. Es widerspreche Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, wenn nach einer gewissen Zeitspanne der Betroffene allein durch ein Gutachten die Regelvermutung widerlegen könne. Da bereits eine einzelne Verurteilung die Regelvermutung begründe, könne eine bisherige Straffreiheit des Klägers und sein bisher unauffälliger Umgang mit Waffen und Munition keine abweichende Beurteilung rechtfertigen.

Aufgrund der Regelvermutung werde nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich die Unzuverlässigkeit vermutet. Deshalb sei die Verwaltungsbehörde nicht verpflichtet, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob möglicherweise ein atypischer Sachverhalt vorgelegen habe. Vielmehr sei es Sache des Betroffenen darzulegen, dass es sich bei der Straftat nicht um einen Regelfall handele. Hiefür reichten allgemeine Floskeln und Vermutungen oder der Vortrag der Rechtswidrigkeit der Verurteilung nicht aus. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, eine Auskunft aus dem zentralen staatsanwaltschaftlichen Verkehrsregister und die Stellungnahme der örtlichen Polizeidienststelle einzuholen, weil die Unzuverlässigkeit des Klägers bereits festgestanden habe.

Für die Bewertung des Verhaltens eines Betroffenen bedürfe es grundsätzlich nicht der Einholung eines fachpsychologischen Gutachtens. Dies setze hier fehlende Besonderheiten des Sachverhalts voraus, deren Bewertung eine dem Gericht nicht gegebene Sachkunde erfordere. Die Berücksichtigung des Gutachtens sei daher nicht zulässig. Das Gutachten treffe keine tatbezogenen Feststellungen, sondern treffe nur Aussagen zur Persönlichkeit des Klägers im Zeitpunkt der Begutachtung.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger macht sich die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu eigen und trägt vor: Bereits im Verwaltungsverfahren sei die Prüfung einer Ausnahme geboten gewesen. Die Beklagte habe vorgeschriebene Erkundigungen (§ 5 Abs. 5 WaffG) einholen und sich mit der Strafakte im Einzelnen auseinandersetzen müssen. So hätten ihr zahlreiche - im Einzelnen dargelegte - "Ungereimtheiten" auffallen müssen. Im strafrechtlichen Berufungsverfahren habe sich sein damaliger Verteidiger auf die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis konzentriert und in Absprache mit dem Berufungsgericht die Berufung auf das Strafmaß beschränkt. Das Berufungsgericht habe die Fahrerlaubnisentziehung entsprechend in ein Fahrverbot gemildert. Im Lauf des Verfahrens sei der erhobene Vorwurf somit deutlich abgeschwächt worden. Seitens der Beklagten zitierte verwaltungsgerichtliche Entscheidungen beträfen durchweg anders gelagerte Sachverhalte. Er erkläre sich bereit, auf eigene Kosten ein Ergänzungsgutachten in Auftrag zu geben, damit der Sachverständige auch die besonderen Umstände der seinerzeitigen Tat beleuchten könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Jagdscheins oder auf erneute Entscheidung über seinen Antrag. Die Beklagte hat seinen Antrag zu Recht abgelehnt. Dies gilt auch bezogen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats.

Fehlt die Zuverlässigkeit im Sinne des Waffengesetzes, darf nur ein Falknerjagdschein erteilt werden (§ 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 15 Abs. 7 BJagdG). Andere Jagdscheine dürfen nicht erteilt werden, so dass entsprechende Anträge abzulehnen sind. Ein Ermessen ist der Behörde nicht eingeräumt.

Die waffenrechtliche Zuverlässigkeit beurteilt sich nach § 5 WaffG. Danach sind unzuverlässig in der Regel Personen, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden sind, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG). Die Regeltatbestände des § 5 Abs. 2 WaffG typisieren die Unzuverlässigkeitsmerkmale in der Weise, dass die in ihnen genannten Tatsachen schon für sich allein den Mangel der erforderlichen Zuverlässigkeit begründen, sofern nicht besondere Umstände diese Annahme im Einzelfall entkräften (vgl. OVG NRW, B. v. 25.10.2007 - 20 A 1881/07, juris). Diese gesetzliche Regelung steht im Einklang mit höherrangigem Recht (vgl. BVerwG, U. v. 13.12.1994 - 1 C 31/92 -, NVwZ-RR 1995, 525). Damit hat der Gesetzgeber bewusst hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit gestellt, da ein überragendes Interesse der Allgemeinheit daran besteht, das mit dem Privatbesitz an Waffen verbundene erhebliche Sicherheitsrisiko möglichst gering zu halten. Dieses Risiko soll nur bei Personen hingenommen werden, die nach ihrem Verhalten Vertrauen dahin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (VGH Bad.-Württ., B. v. 13.4.2007 - 1 S 2751/06 -, NJW 2007, 2346; Nds. OVG, B. v. 21.7.2005 - 8 PA 105/05 -; B. v. 18.3.2005 - 8 ME 316/04 -). Der Kläger ist seit dem 16.9.2004 rechtskräftig wegen Nötigung im Straßenverkehr in zwei Fällen zu einer Gesamtstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Die gesetzliche Regel spricht deshalb für seine Unzuverlässigkeit.

Eine Ausnahme von dieser gesetzlichen Regelvermutung setzt voraus, dass die Umstände der Straftat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Erforderlich ist danach eine tatbezogene Prüfung in Gestalt einer Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt (st. Rspr. d. Bundesverwaltungsgerichts, vgl. B. v. 21.7.2008 - 3 B 12/08 -, DÖV 2008, 922 m. w. Nachw.; ebenso BayVGH, B. v. 15.8.2008 - 19 CS 08.1471 -, juris; OVG NRW, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., a.a.O.; Nds. OVG, B. v. 5.2.2003 - 11 LA 5/03 -). Dabei ist grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung auszugehen, und die Prüfung darauf zu beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder die Regelvermutung aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist (vgl. BVerwG, a. a. O.; OVG NRW, a.a.O.).

Ausweislich des Strafurteils und der Ermittlungsakten sprechen die Tatumstände nicht für die Annahme einer Ausnahme. Soweit der Kläger das Strafurteil in Zweifel zu ziehen versucht, sind diese Einwände unbeachtlich. Eine ohne weiteres erkennbare, irrtumsbehaftete Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Entscheidungen ist nicht gegeben; auch ist nicht erkennbar, dass die Beklagte ausnahmsweise in der Lage gewesen wäre, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (vgl. Nds. OVG, B. v. 1.6.2004, 8 ME 116/04, juris, unter Bezugnahme auf BVerwG, B. v. 22.4.1992 - 1 B 61/92 -, Buchholz 402.5 WaffG Nr. 63). Es gibt auch keine Besonderheiten, die das Verhalten des Klägers in einem milderen Licht erscheinen lassen. Dabei legt der Senat die strafgerichtlichen Feststellungen zugrunde. Danach sind die Taten des Klägers keine Bagatelldelikte. Es handelt sich vielmehr um den typischen Fall vorsätzlicher Verstöße gegen Strafvorschriften.

Der Kläger hat die Nötigung anderer als Mittel eigenmächtiger Verkehrserziehung eingesetzt. Er hat die Betroffenen verfolgt, so dass sich diese unter Druck gesetzt fühlten und zur Änderung ihrer Fahrtrichtung gezwungen sahen. Er hat sie unter Einsatz seines Fahrzeuges an der Weiterfahrt gehindert und zur Rede gestellt. Er wollte nach Feststellung des Strafgerichts "von Angesicht zu Angesicht mit dem Verkehrsrüpel abrechnen". Die Absicht, das Kennzeichen des Fahrzeugs der Betroffenen zu ermitteln, hat das Strafgericht als Schutzbehauptung gewürdigt. Sein nach erzwungenem Halt gegenüber den Betroffenen gezeigtes aufgebrachtes Verhalten lässt gerade keinen Rückschluss auf eine gefestigte Persönlichkeit zu, bei der die Straftaten im Sinn eines "Ausreißers" als wesensfremd zu bewerten wären. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch im strafrechtlichen Berufungsverfahren keine durchgreifende "Herabschwächung" des erhobenen Vorwurfs erfolgt. Vielmehr hat das Landgericht ausweislich der Gründe seines Urteils vom 14.6.2004 sich ausdrücklich die Erwägungen des Amtsgerichts zu eigen gemacht und eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen als angemessen bewertet. Auch das Argument des Klägers, diese Geldstrafe entspreche dem absoluten Mindestmaß der gesetzlichen Regelvermutung, wiederholt letztlich nur die gesetzgeberische Entscheidung und verkennt, dass im Gesetzgebungsverfahren eine niedrigere Strafmaßgrenze gerade mit der Begründung verworfen wurde, dass diese gesetzliche Regelung nicht nur außergewöhnlich geringfügige, sondern gemessen an der Spruchpraxis der Gerichte geringfügige Strafaussprüche außer Betracht lässt (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Waffenrechts, BT-Drucks. 14/7758, S. 12). Deshalb teilt der Senat auch nicht die in der mündlichen Verhandlung vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragene Würdigung des Tatgeschehens als alltäglichen Vorfall, "wie er jedem von uns jeden Tag passieren kann". Es gibt somit keine tragfähigen Anhaltspunkte, die im Falle des Klägers für eine Abweichung von der Regelvermutung der Unzuverlässigkeit sprechen könnten.

Diese Beurteilung erfordert nicht die Zuziehung medizinisch-psychologischen Sachverstands. Die gewürdigten Lebens- und Erkenntnisbereiche sind der richterlichen Einschätzung allgemein zugänglich. Die tatbezogene Prüfung erfordert grundsätzlich nicht die Zuziehung eines Sachverständigen (BVerwG, B. v. 14.9.1998 - 6 B 94/98 -, NordÖR 1999, 73; U. v. 13.12.1994 - 1 C 31/92, BVerwGE 97, 245). Die vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Hess. VGH, U. v. 28.3.1995 - 11 UE 1283/93 -, VRS 90, 471; U. v. 22.11.1994 - 11 UE 1428/93 -, DVBl 1995, 380; offen gelassen im B. v. 14.10.2004 - 11 TG 2490/04 -, NVwZ-RR 2005, 324) zu der bis zum 31.3.2003 geltenden Regelung (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 a) WaffG a.F.) vertretene Auffassung, ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten sei bei der Prüfung, ob Bedenken gegen die waffenrechtliche Zuverlässigkeit bestehen, zu berücksichtigen und könne im Einzelfall die Regelvermutung widerlegen, macht sich der Senat nicht zu eigen. Die derzeitige Bestimmung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG geht zurück auf das Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts. Die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 5 Abs. 2 macht sich unter Anführung der o.g. Entscheidung (BVerwGE 97, 245) die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu eigen. Ausweislich der weiteren Begründung führt die Anknüpfung an ein Strafmaß von 60 Tagessätzen nach Würdigung des Gesetzgebers dazu, dass die Regelvermutung an Verurteilungen anknüpft, die ein erhebliches Unwerturteil darstellen, das einiges Gewicht der konkreten Tat voraussetze (BT-Drucks. 14/7758, S. 54). Einen Vorschlag des Bundesrats (BT-Drucks. 14/7758, S. 54), die Strafmaßgrenze auf 30 Tagessätze zu senken, und Bagatellfälle vorrangig einer einzelfallbezogenen behördlichen Entkräftungsprüfung zu überlassen, lehnte die Bundesregierung ab (BT-Drucks. 14/7758, S. 128). Wie bereits ausgeführt verwies sie darauf, dass es geboten sei, nicht nur außergewöhnlich geringfügige, sondern gemessen an der Spruchpraxis der Gerichte geringfügige Strafaussprüche von Gesetzes wegen außer Betracht zu lassen. Gemäß dieser ausdrücklich auf das "Massendelikt der fahrlässigen Trunkenheitsfahrt" bezogenen Gesetzesbegründung führen erstmalige Verurteilungen wegen dieses Tatbestands nur dann zur Regelvermutung der Unzuverlässigkeit, wenn besondere Umstände hinzutreten. Der geltenden Regelvermutung liegt somit eine gesetzgeberische Grundentscheidung zugrunde, die gerade die vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof (a. a. O.) zum Anlass seiner Rechtsauffassung genommenen Verurteilungen wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) betrifft. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber die Regelvermutung im Sinn der Rechtsauffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs abschwächen wollte. Zutreffend hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, die Beibehaltung der Regelungstechnik spreche dafür, dass der Gesetzgeber an das bisherige Verständnis von einem Ausnahmefall anknüpfen wollte (BVerwG, B. v. 21.7.2008 - 3 B 12/08 -, a. a. O.). Dem schließt sich der Senat an.

Das medizinisch-psychologische Gutachten zur Persönlichkeit des Klägers ist nicht geeignet, die gesetzliche Regelvermutung zu widerlegen. Die gesetzgeberische Entscheidung knüpft allein an die strafrechtliche Verurteilung an. Die sich im ausgesprochenen Strafmaß ausdrückende Würdigung des Strafgerichts begründet die Annahme der Unzuverlässigkeit (vgl. BT-Drucks. 14/7758, S. 54 u. 128). Das Gutachten setzt sich mit dem Strafurteil und dem Inhalt der Ermittlungsakten im Übrigen nicht näher auseinander, obwohl sie den Gutachtern - jedenfalls in wesentlichen Teilen - vorgelegen haben. Für eine tatbezogene Prüfung lassen sich dem Gutachten deshalb keine Angaben entnehmen. Es beschränkt sich vielmehr auf eine Begutachtung des Klägers zum Zeitpunkt eigener Untersuchungen. Hinsichtlich der gesetzlichen Regelvermutung ist es deshalb ohne Aussagekraft (vgl. VGH Bad.-Württ., a. a. O.; OVG NRW, B. v. 2.9.2003 - 20 A 1523/03, juris).

Die inhaltlich wie begrifflich überwiegend auf Eignungsgesichtspunkte abstellenden Ausführungen lassen im Übrigen zweifeln, ob dem Gutachten Aussagekraft für die Beurteilung der Zuverlässigkeit zukäme. Sie geben Anlass zu der Annahme, dass die dem geltenden Waffenrecht zugrunde liegende Unterscheidung zwischen Zuverlässigkeit und Eignung (§§ 5 und 6 WaffG) von den Gutachtern nicht ausreichend beachtet wurde. So lag der Schwerpunkt der Untersuchung (so Gutachten, S. 11 a.E.) bei der dem Eignungserfordernis zuzuordnenden Frage, inwiefern die persönlichen Voraussetzungen des Untersuchten künftig ein vorschriftenkonformes Verhalten zulassen. Das Gesetz unterscheidet ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 14/7758, S. 54) die der Zuverlässigkeit zugeordneten Fälle des "vorwerfbaren Handelns von denen nicht vorwerfbarer körperlicher Einschränkungen", die vom Rechtsbegriff der persönlichen Eignung erfasst werden. Soweit das Gutachten beleuchtet, ob die physische und psychische Konstitution des Klägers ein rationales und risikobewusstes Verhalten ermöglicht, betrifft dies nicht Aspekte vorwerfbaren Verhaltens, sondern Fragen der Eignung des Klägers. Die Einschätzung der Gutachter, für eine generelle Neigung, Regeln und Normen zu missachten, hätten sich im Untersuchungsgespräch keine Hinweise ergeben, und der Kläger lasse keine grundsätzlichen Schwierigkeiten erkennen, sich zukünftig angepasst zu verhalten, sind bereits aufgrund der inhaltlich auf das "generelle" bzw. "grundsätzliche" beschränkten Aussagen nicht geeignet, eine waffenrechtlich geforderte uneingeschränkte Zuverlässigkeit zu begründen. Ob die Feststellung der Gutachter, der Kläger sei durchaus in der Lage, die eigenen Ursachenanteile bei seinen bisherigen Verhaltensauffälligkeiten zu erkennen, deren Folgerung trägt, von adäquaten Vermeidungsstrategien sei auszugehen, mag dahinstehen. Zuverlässigkeit würde nämlich weitergehend voraussetzen, dass der Kläger die in jeder Hinsicht uneingeschränkte Gewähr dafür böte, künftig kraft freier Willensentscheidung von diesen Vermeidungsstrategien auch Gebrauch zu machen. Hierfür bietet auch die gutachtliche Annahme einer als tragfähig einzuschätzenden Vermeidungsplanung keine überzeugende Grundlage.

Straffreie Lebensführung im Übrigen wird setzt die gesetzliche Regelung bereits voraus (BVerwG, B. v. 21.7.2008 - 3 B 12/08, a. a. O.). Geordnete Lebensverhältnisse, gesellschaftliche Reputation oder angepasstes Verhalten nach der Tat entkräften die gesetzgeberische Gefahreinschätzung ebenfalls nicht (OVG NRW, B. v. 25.10.2007 - 20 A 1881/07, juris). Vorliegend war es daher entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht geboten, durch Einholung von Erkundigungen gemäß § 5 Abs. 5 Satz 1 WaffG weitere Ermittlungen anzustellen.

Ende der Entscheidung

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