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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.09.2008
Aktenzeichen: 11 LC 281/06
Rechtsgebiete: VwGO
Vorschriften:
VwGO § 94 |
Tatbestand:
Der Rechtsstreit wird bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in den verbundenen Rechtssachen C-316/07 u. a. (Vorlagebeschlüsse des VG Gießen, Beschluss vom 7. Mai 2007 - 10 E 13/07 - und des VG Stuttgart, Beschluss vom 24. Juli 2007 - 4 K 4435/06 -, jeweils juris) ausgesetzt.
Gründe:
Gemäß § 94 VwGO kann das Gericht das Verfahren aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreites ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreites bildet. Diese Voraussetzungen liegen zwar nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist § 94 VwGO aber entsprechend anwendbar, wenn gemeinschaftsrechtliche Fragen, die in einem Verfahren entscheidungserheblich sind, bereits Gegenstand eines beim EuGH anhängigen Verfahrens sind. Eine neuerliche Anrufung des Gerichtshofes würde diesen nämlich zusätzlich belasten, ohne dass davon ein Erkenntnisgewinn zu erwarten wäre. Unter diesen Umständen steht der der Vorschrift des § 94 VwGO zugrunde liegende Grundsatz der Prozessökononie einer weiteren Vorlage entgegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10. 11. 2000 - 3 C 3.00 - BVerwGE 112, 166 = NVwZ 2001, 319; v. 4. 5. 2005 - 4 C 6.04 - BVerwGE 123, 322, 341 ff. = NVwZ 2005, 1061, 1067; v. 15. 3. 2007 - 6 C 20.06 - juris).
Nach diesen Kriterien ist eine Aussetzung geboten.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist eine Untersagungsverfügung des Beklagten, mit der der Klägerseite untersagt wird, Sportwetten für in Niedersachsen nicht konzessionierte Veranstalter oder Anbieter zu vermitteln oder zu bewerben. Rechtsgrundlage dieser Untersagungsverfügung ist seit dem 1. Januar 2008 § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 Glücksspielstaatsvertrag (Nds. GVBl. 2007, 798 - GlüStV - ) in Verbindung mit § 22 Abs. 4 Satz 2 Nds. Glücksspielgesetz (vgl. Art. 2 des Niedersächsischen Gesetzes zur Neuordnung des Glücksspielrechtes vom 17. 12. 2007 - Nds. GVBl. 2007, 756). Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob diese Rechtsgrundlagen und die nunmehr darauf gestützte Untersagungsverfügung in Übereinstimmung mit den Vorgaben zur Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 46 EG-Vertrag) bzw. der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49, 46 EG-Vertrag) stehen. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist geklärt, dass eine nationale Regelung, die das Veranstalten oder Vermitteln von Sportwetten durch Private verbietet bzw. nicht ermöglicht, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und/oder des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt. Andererseits hat der EuGH darauf hingewiesen, dass Beschränkungen dieser Freiheiten aus überwiegenden Gründen des Allgemeininteresses zulässig seien. Die Beschränkungen müssten allerdings geeignet sein, die Verwirklichung des mit den Beschränkungen verfolgten Zieles zu gewährleisten. Sie dürften nicht über das zur Zielerreichung erforderliche Maß hinausgehen, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei zu beachten und sie dürften auch nicht diskriminierend eingesetzt werden. Zu den eine Beschränkung rechtfertigenden zwingenden Gründen des Allgemeininteresses kann nach der Rechtsprechung des EuGH u. a. die Vermeidung von Anreizen zu überhöhten Ausgaben für Glücksspiele bzw. die Bekämpfung der Spielsucht gehören. Im Rahmen des den Mitgliedstaaten bei ihren Maßnahmen zustehenden Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraumes seien die sittlichen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten in dem jeweiligen Land zu berücksichtigen (Urt. v. 6. 11. 2003 - RS C-243/01 -, Gambelli; Urt. v. 6. 3. 2007 - RS C-338/04 u. a. -, Placanica).
Das sich aus dem Glücksspielstaatsvertrag und dem Nds. Glücksspielgesetz für den Bereich der Sportwetten (mit Ausnahme der Pferdewetten) und der Lotterien ergebende staatliche Monopol wird wesentlich mit dem Ziel der Bekämpfung der Spielleidenschaft bzw. der Eindämmung des Spieltriebes begründet (vgl. § 1 Nr. 1-3 GlüStV). Zur Beantwortung der Frage, ob dieses Ziel durch die getroffenen gesetzlichen Regelungen kohärent und systematisch verfolgt wird, ist von Bedeutung, ob nur auf die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse in dem einzelnen Glücksspielsektor (hier der gemeinsam in dem Nds. Glücksspielgesetz geregelten Sportwetten und Lotterien) abzustellen ist oder auf einen größeren Glücksspielbereich (der zB. auch die Geldautomaten nach der GewO oder andere Glücksspielbereiche in die Betrachtung mit einbezieht).
Der Senat hat in seinem Beschluss vom 8. Juli 2008 (11 MC 71/08, abrufbar unter der Rechtsprechungsdatenbank der Nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit im Internet unter www.dbovg.niedersachsen.de) im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens die Auffassung vertreten, dass eine systematische Bekämpfung der Spielsucht es erfordere, alle Sparten des Glücksspiels bewertend in den Blick zu nehmen. Zwar könne bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung nicht verlangt werden, dass alle Glücksspielbereiche identisch behandelt würden, es müsse jedoch ein der Bekämpfung der Spielsucht dienendes Gesamtkonzept zugrunde liegen und erkennbar sein. Der Senat hat daher in dem o.a. Beschluss weitere Glücksspielbereiche in die Prüfung mit einbezogen (so die dem Nds. Landesrecht unterstehenden Spielbanken, die Regelungen der Sportwetten in anderen Bundesländern, die dem Bundesrecht unterstehenden Regelungen der Pferdewetten und der Geldspielautomaten nach der Gewerbeordnung). Er ist (vorläufig) zu dem Ergebnis gekommen, dass die dem Landesrecht unterliegenden rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben für den Betrieb von Glücksspielautomaten (sog. einarmige Banditen) innerhalb der Spielbanken in Niedersachsen sowie die dem Bundesrecht unterliegenden rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben für den Betrieb von Geldspielautomaten nach § 33 c ff. GewO einer weitergehenden Überprüfung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Ziel der Bekämpfung der Wettleidenschaft zu unterziehen sind. Die dazu erforderliche Aufklärung könne aber erst in einem Hauptsacheverfahren erfolgen. Insbesondere die Frage, ob die Regelungen im Bereich der Geldspielautomaten nach § 33c ff. GewO in zureichendem Maße der Bekämpfung der Wettsucht dienen und welche Bedeutung die zum 1. Januar 2006 geänderte bundesrechtliche Spielverordnung (in der Fassung vom 27. 1. 2006 - BGBl. I S. 2785) hat, wird in Rechtsprechung und Literatur derzeit unterschiedlich beantwortet. So weist z.B. Meyer (Stellungnahme zu dem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit für die Novellierung der Spielverordnung, S. 4, zitiert nach OVG NRW, Beschl. v. 22. 2. 2008 - 13 B 1215/07 - juris) darauf hin, dass die durch die Spielverordnung erhöhte Spielfrequenz bei Geldspielautomaten ein zentrales strukturelles Merkmal sei, das für ein hohes Sucht- und Gefahrenpotential verantwortlich sei. Andererseits führt Vieweg ("Wirtschaftsentwicklung Unterhaltungsautomaten 2007 und Ausblick 2008", Gutachten im Auftrag des Arbeitsausschusses Münzautomaten, Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München, Januar 2008) u. a. aus, dass mit der zum 1. Jan. 2006 erfolgten Reduzierung der Mindestspieldauer an Geldspielautomaten wesentlich zur Eindämmung des gleichzeitigen Bespielens mehrerer Geldspielgewinngeräte beigetragen worden sei und damit die seit Januar 2006 geltende Spielverordnung einen maßgeblichen Beitrag zum Spielerschutz leiste, unangemessen hohe Verluste bei Geldspielautomaten zudem durch die engen gerätebezogenen Vorgaben ausgeschlossen seien, so dass mit der Zulassung des gewerblich geregelten Geldgewinnspiels der Gesetzgeber auf Bundesebene vergleichbare Ziele verfolge wie mit der Beschränkung des Marktzutritts für private Betreiber von Glücksspielen (Gutachten S. 20, 38f). Das OVG NRW (Beschl. v. 22. 2. 2008, a. a. O. und v. 30.7.2008 - 4 B 2056/07 - ZfWG 2008, 264) geht in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren davon aus, dass die Regelungen im Bereich der Geldspielautomaten nach § 33c ff. GewO in noch zureichendem Maße der Bekämpfung der Wettsucht dienen; nach dem VG Schleswig-Holstein (Vorlagebeschluss v. 30. 1. 2008 - 12 A 202/06 - juris) stehen dagegen die Regelungen für Geldspielautomaten im Widerspruch zu dem Ziel der Bekämpfung der Spielsucht. Zur Abklärung der Frage, in welchem Maße insb. die Regelungen bezüglich der Geldspielautomaten nach § 33c GewO auf eine Begrenzung der Spielleidenschaft ausgerichtet sind, wird daher aller Voraussicht nach ein Gutachten einzuholen sein. Die in dem Hauptsacheverfahren anzustellenden umfangreichen weiteren Ermittlungen wären jedoch nicht erforderlich, wenn im Rahmen der Überprüfung der gesetzlichen Grundlagen auf ihre Übereinstimmung mit EG-Recht nur auf den einzelnen Glücksspielsektor (hier Sportwetten und Lotterien) abzustellen ist. Die bisherige Rechtsprechung des EuGH hierzu ist nicht eindeutig und wird in der bundesrechtlichen Rechtsprechung unterschiedlich interpretiert (zum Nachweis im Einzelnen vgl. Beschl. OVG NRW v. 23. 2. 2008 - 13 B 1215/07 - juris).
Sowohl das Verwaltungsgericht Gießen (Beschl. v. 7. 5. 2007 - 10 E 13/07 - juris) als auch das Verwaltungsgericht Stuttgart (Beschl. v. 24. 7. 2007 - 4 K 4435/06 - juris) haben dem EuGH (u. a.) sinngemäß die Frage vorgelegt, ob nur auf einen einzelnen Glücksspielbereich oder auf einen erweiterten Glücksspielbereich bei der Frage, ob die Spielleidenschaft im Bereich der Sportwetten kohärent und systematisch begrenzt wird, abzustellen ist. Unerheblich ist, dass beide Vorlageverfahren aus dem Jahre 2007 datieren; denn die Frage, auf welchen Glücksspielbereich bei der Überprüfung abzustellen ist, ist unabhängig davon zu beantworten, ob die Untersagungsverfügung auf Rechtsgrundlagen aus dem Jahr 2007 oder auf Rechtsgrundlagen aus dem Jahr 2008 gestützt wird.
Es entspricht nach alledem der Prozessökonomie, das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes auszusetzen.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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