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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.06.2007
Aktenzeichen: 11 LC 372/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 81 b 2. Alt.
StPO § 81b
Erkennungsdienstliche Behandlung u.a. Lichtbild, Fingerabdruck, Messungen, Feststellung körperlicher Merkmale.
NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG URTEIL

Aktenz.: 11 LC 372/06

Datum: 28.06.2007

Gründe:

Die Klägerin wendet sich gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung.

Die Klägerin wurde am 1. September 1979 geboren. Sie ist - soweit aus den Verwaltungsvorgängen ersichtlich - als Prostituierte in D. tätig.

Am 28. Juli 1998 wurde die Klägerin im Rahmen eines gegen sie eingeleiteten Ermittlungsverfahrens erkennungsdienstlich behandelt (10-Finger-Abdruck/Lichtbild).

2003 wurde gegen die Klägerin ein Ermittlungsverfahren wegen Zuhälterei geführt. Ob eine strafrechtliche Verurteilung erfolgte, ist dem Senat nicht bekannt. 2004 ist gegen sie wegen Falschaussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung ermittelt worden. Deswegen ist sie vom Amtsgericht D. am 20. Februar 2006 zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 10,-- Euro verurteilt worden.

Im September 2005 wurde gegen die Klägerin Strafanzeige wegen eines Einmietbetruges erhoben, da sie ihren Verpflichtungen aus einem zum 1. Mai 2005 geschlossenen Mietvertrag nicht nachgekommen war. Deswegen wurde sie im Laufe des vorliegenden Berufungsverfahrens vom Amtsgericht E. am 21. Mai 2007 zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,-- € verurteilt.

Ein im November 2005 ebenfalls wegen Mietbetruges (gegenüber einem anderen Vermieter) eingeleitetes Verfahren wurde im Juni 2006 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Anfang 2007 wurde ein Ermittlungsverfahren wegen falscher Versicherung an Eides statt (Tatzeit: 4.5.2005) eingeleitet. Dieses wurde gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt, weil gegen die Klägerin damals schon das o. a. Verfahren wegen des Einmietbetruges (10 Ds 126 Js 49748/05) anhängig war.

Bereits mit für sofort vollziehbar erklärter Verfügung vom 16. Januar 2006 hatte die Beklagte die (erneute) erkennungsdienstliche Behandlung der Klägerin angeordnet (Finger- und Handflächenabdruck, Lichtbilder, Feststellung äußerer Merkmale, Messungen). Zur Begründung führte sie aus, gegen die Klägerin liefen zurzeit Ermittlungen wegen Betruges. Auch in der Vergangenheit seien öfter polizeiliche Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin eröffnet worden. Es bestehe daher die Gefahr, dass sie auch künftig strafrechtlich in Erscheinung treten könne.

Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben und gleichzeitig um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.

Mit Beschluss vom 14. März 2006 (5 B 54/06) hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt.

Die Klägerin hat im Klageverfahren vorgetragen, die 2004 begangene Falschaussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung stelle eine einmalige Tat ohne Wiederholungsgefahr dar und sei auf die Abhängigkeit zu ihrem damaligen Lebensgefährten zurückzuführen. In den beiden (damals noch) anhängigen (Miet-)Betrugsverfahren werde ihr unzutreffenderweise ein Betrug vorgeworfen. Sie rechne mit der Einstellung beider Ermittlungsverfahren.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Polizeidirektion Braunschweig vom 16. Januar 2006 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen: Seit 2003 sei gegen die Klägerin mehrmals als Beschuldigte ermittelt worden. Es sei zu befürchten, dass die Klägerin auch weiterhin gegen Strafgesetze verstoßen werde, so dass eine aktuelle erkennungsdienstliche Behandlung notwendig sei. Im Übrigen sei sie im Telefonbuch unter dem unzutreffenden Namen F. eingetragen.

Mit Urteil vom 27. September 2006 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Eine erkennungsdienstliche Behandlung der Klägerin sei nicht notwendig. Zwar sei sie als Beschuldigte im Sinne des § 81 b 2. Alt. StPO anzusehen. Die von § 81 b 2. Alt. StPO geforderte Wiederholungsgefahr liege aber nicht vor. Hierfür reiche nicht die allgemeine Gefahr aus, dass die Klägerin in Zukunft irgendwelche Straftaten begehen werde. Erforderlich sei vielmehr die Gefahr der Begehung weiterer Vermögensdelikte in Form von Betrugsstraftaten, da Anlass für die umstrittene Aufforderung zur erkennungsdienstlichen Behandlung die Ermittlungen wegen Betruges gewesen seien. Die Einschränkung der Wiederholungsgefahr auf das bestimmte, die erkennungsdienstliche Behandlung veranlassende Delikt ergebe sich aus § 39 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG, der von "vergleichbaren künftigen" Straftaten spreche. Von der Klägerin gehe nicht die Gefahr der Begehung weiterer Betrugsstraftaten aus. In den beiden gegen sie geführten Ermittlungsverfahren wegen Mietbetruges könne aller Voraussicht nach nur in einem Fall der Betrugsvorwurf aufrecht erhalten werden. Die einmalige Begehung eines Betruges lasse aber nicht auf die Gefahr der Begehung weiterer Vermögensdelikte vergleichbarer Art schließen. Dass sie am 4. Mai 2005 vor dem Amtsgericht in D. eine (falsche) eidesstattliche Versicherung abgegeben habe, reiche zur Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht aus. Bei den in der Vergangenheit im Übrigen gegen die Klägerin geführten Ermittlungen (Falschaussage/Zuhälterei) handele es sich nicht um mit Betrug vergleichbare Delikte. Aber selbst wenn man eine Wiederholungsgefahr bejahen würde, sei die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht erforderlich, um Ermittlungen gegen die Klägerin wegen gleichartiger Delikte, insbesondere weiterer Mieteingehungsbetrügereien, zu erleichtern. Die Klägerin sei nämlich in der Vergangenheit stets unter ihrem eigenen Namen aufgetreten. Sie habe sich auch unter ihrem richtigen Namen bei der Meldebehörde gemeldet. Dass die Klägerin im Telefonbuch nicht ihren richtigen Namen, sondern (wohl) aus beruflichen Gründen einen "Künstlernamen" (F.) angegeben habe, rechtfertige nicht die Annahme, sie werde in Zukunft im allgemeinen Rechtsverkehr anders als bislang unter einem Alias-Namen auftreten. Die erkennungsdienstliche Behandlung sei bei von der Beklagten befürchteten weiteren Mieteingehungsbetrügereien auch deswegen nicht erforderlich, weil Vermieter sich vor Abschluss des Mietvertrages den Personalausweis vorlegen lassen und sich so über die Identität ihres neuen Mieters vergewissern könnten. Im übrigen sei die Klägerin bereits am 28. Juli 1998 erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Auf die damals genommenen Fingerabdrücke könne weiterhin zurückgegriffen werden. Anhaltspunkte, dass sich hier Veränderungen ergeben hätten, bestünden nicht. Allerdings sei es denkbar, dass sich das Aussehen der Klägerin zwischenzeitlich verändert habe. Gleichwohl rechtfertige dieses nicht die Anfertigung neuer Lichtbilder nur aus Gründen der Aktualität. Eine entsprechende Anwendung von § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Personalausweise (PAuswG), wonach die Gültigkeitsdauer von Personalausweisen bei Personen, die das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nur fünf Jahre betrage, komme nicht in Betracht. Es sei schließlich nicht zu erkennen, warum bei der Klägerin körperliche Merkmale festgestellt oder Messungen durchgeführt werden müssten.

Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassene Berufung der Beklagten.

Die Beklagte trägt im Berufungsverfahren vertiefend vor:

Eine erneute erkennungsdienstliche Behandlung sei erforderlich, weil die Begehung weiterer Straftaten zu befürchten sei. § 81 b 2. Alt. StPO greife immer schon dann ein, wenn sich aus dem Gesamtbild der Täterpersönlichkeit und des Täterumfeldes die Gefahr weiterer Straftaten ergebe. Die Wiederholungsgefahr müsse nicht nur gerade in Bezug auf die Straftat bestehen, die der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung zugrunde gelegen habe. Der in § 39 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG enthaltene Begriff "vergleichbare Tat " sei nicht gleichzusetzen mit "einschlägige" Straftat. Betrachte man das gesamte Täterbild und das Umfeld der Klägerin, so sei sie als kriminogen zu bezeichnen. Angesichts ihrer Vermögenslosigkeit - die Klägerin habe einen Antrag auf Privat-Insolvenz gestellt - sei über kurz oder lang mit weiteren Straftaten zu rechnen. Es sei daher eine erkennungsdienstliche Behandlung in dem angeordneten Umfang notwendig, weil sich in einem Zeitraum von nahezu acht Jahren erhebliche Veränderungen ergeben haben könnten.

Zusätzlich teilt die Beklagte mit, dass gegen die Klägerin zwischenzeitlich zwei weitere Ermittlungsverfahren wegen Betruges eingeleitet worden seien, und zwar einmal wegen der Beteiligung an einer Unterschriftenfälschung bei einem Kreditvertrag anlässlich eines PKW-Kaufs unter fremden Namen am 2. April 2007 und zum anderen, weil die Klägerin Leistungen nach dem SGB II ohne Offenlegung ihrer Einnahmen als Prostituierte bezogen haben soll. Zudem habe ein Polizist die Klägerin am 31. Mai 2007 in der "Modellwohnung" in D. aufgesucht und festgestellt, dass diese nunmehr dunkle Haare trage, während sie 2002 noch blond gewesen sei. Sie habe ihr Äußeres mithin wesentlich verändert.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt aus, die für § 81 b 2. Alt. StPO zu fordernde Wiederholungsgefahr liege nicht vor. Sie handle weder gewerbs- noch gewohnheitsmäßig. Die Schwere der Tat rechtfertige keine erkennungsdienstlichen Maßnahmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten gegen das angefochtene Urteil hat Erfolg. Die angefochtene Verfügung vom 16. Januar 2006 ist rechtmäßig und die Klage daher unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen.

Rechtsgrundlage der Verfügung ist § 81 b 2. Alt. StPO. Nach dieser Vorschrift darf eine erkennungsdienstliche Behandlung erfolgen, soweit es für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor.

a) Die angefochtene Anordnung zählt im Einzelnen genau die bei der Klägerin vorzunehmenden erkennungsdienstlichen Behandlungen auf. Dem Bestimmtheitsgrundsatz ist damit genügt.

b) Die Klägerin war bei Erlass der Anordnung Beschuldigte im Sinne von § 81 b StPO. Voraussetzung einer Maßnahme nach § 81 b 2. Alt. StPO ist, dass gegen den Betreffenden ein Ermittlungsverfahren schwebt. Nur während der Anhängigkeit eines solchen Verfahrens kann die Anordnung ergehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 - 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192 = NJW 1983, 772; Beschl. d. Sen. v. 31.7.2006 - 11 ME 204/06 -).

Gegen die Klägerin waren bei Erlass der Anordnung bereits Verfahren vor der Staatsanwaltschaft wegen Betruges sowie wegen Falschaussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung anhängig. Unerheblich ist, dass eines der wegen Betruges eingeleiteten Ermittlungsverfahren zwischenzeitlich gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt bzw. das andere Betrugsverfahren ebenso wie das wegen der Falschaussage, durch Urteil rechtskräftig abgeschlossen ist. Ist die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81 b 2. Alt. StPO gegenüber dem Beschuldigten getroffen worden, so wird ihre Rechtmäßigkeit nicht dadurch berührt, dass der Betroffene nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens und vor dem Vollzug des Verwaltungsaktes die Beschuldigteneigenschaft verliert (BVerwG, Urt. v. 19.10.1982, a. a. O.; v. 23.11.2005 - 6 C 2.05 -, NJW 2006, 1225; Beschl. d. Sen. v. 25.8.2005 - 11 ME 220/05 ; Meyer-Großner, StPO, 46. Aufl., 2003, § 81 b, RdNr. 7).

c) Die angeordneten Maßnahmen sind nach der maßgeblichen Sachlage der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht als Tatsacheninstanz (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 19.10.1982, a. a. O.; Urt. d. erk. Sen. v. 28.9.2006 - 11 LB 53/06 -, Nds. VBl. 2007, 42) auch für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig.

Die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81 b 2. Alt. StPO soll vorsorgend sächliche Hilfsmittel für die Erforschung und Aufklärung von Straftaten bereitstellen. Die Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung bemisst sich danach, ob der Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles - insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraumes, währenddessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend - fördern könnten. Liegen derartige Anhaltspunkte nicht (mehr) vor, ist die Aufrechterhaltung einer noch nicht vollzogenen angefochtenen Anordnung der Aufnahme von erkennungsdienstlichen Unterlagen rechtswidrig. Bei der Prüfung der Frage, ob die Aufnahme erkennungsdienstlicher Angaben notwendig ist, ist zu berücksichtigen, dass eine Korrektur einer unzutreffend unterbliebenen erkennungsdienstlichen Behandlung nicht mehr möglich ist. Ist nämlich eine erkennungsdienstliche Behandlung unterblieben, so fehlen der Polizei gegebenenfalls später eben die Unterlagen, die die Erforschung und Aufklärung einer Straftat - unter Umständen entscheidend, sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Betreffenden - fördern könnten (BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 a. a. O., und v. 23.11.2005 - 6 C 2.05 -, NJW 2006, 1225). Notwendig für Zwecke des Erkennungsdienstes ist nur die Erhebung von solchen erkennungsdienstlichen Unterlagen, die für die zukünftige Ermittlung geeignet sind und diese fördern könnten. Wegen der Begrenzung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen auf das notwendige Maß ist ferner zu fordern, dass im konkreten Einzelfall die Schwere des mit der konkreten erkennungsdienstlichen Behandlung verbundenen Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht des mit der Maßnahme verfolgten öffentlichen Interesses namentlich an der Aufklärung künftiger Straftaten steht (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 18.12.2003 - 1 S 2211/02 -, NVwZ-RR 2004, 572; Urt. d. erk. Sen. v. 28.9.2006, a. a. O.).

aa) Die Prognose der Beklagten, es sei mit erneutem strafrechtlichen Fehlverhalten der Klägerin zu rechnen, ist nicht zu beanstanden.

Dabei lässt es der Senat offen, ob mit dem Verwaltungsgericht aus § 39 Abs. 3 Nds. SOG abzuleiten ist, dass sich die Wiederholungsgefahr auf das der erkennungsdienstlichen Behandlung veranlassende Delikt (hier: Betrug) oder zumindest auf den Delikttypus (hier: Vermögensdelikte) beziehen muss oder ob es auch ausreicht, wenn aufgrund der Täterpersönlichkeit und des Tatumfeldes generell die Gefahr weiterer (also auch anderer) Straftaten besteht. Im vorliegenden Fall war nämlich im Zeitpunkt der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung im Januar 2006 von der Gefahr weiterer Betrugsstraftaten auszugehen; denn gegen die Klägerin liefen u. a. zwei Ermittlungsverfahren wegen Mieteingehungsbetruges, deren Ausgang bei Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung noch nicht deutlich absehbar war. Zusätzlich wurde gegen sie wegen Falschaussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung ermittelt. Alle drei Ermittlungsverfahren deuteten aus Sicht der Beklagten darauf hin, dass sich die Klägerin nicht grundsätzlich der Wahrheit verpflichtet fühlt. Da sich Täterumfeld und Täterpersönlichkeit nicht geändert haben - die Klägerin lebt weiter in eingeengten wirtschaftlichen Verhältnissen und auch ihr berufliches/soziales Umfeld hat sich nicht verändert - ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Gefahr weiterer Betrugsstraftaten befürchtete. Dabei konnte die Beklagte ergänzend auch in die Überlegungen einbeziehen, dass gegen die Klägerin schon im Zusammenhang mit ihrer ersten erkennungsdienstlichen Behandlung (1998) ein Ermittlungsverfahren u. a. wegen Unterschlagung, also auch wegen eines Vermögensdeliktes, eingeleitet worden war. Dass die Einschätzung der Beklagten aus kriminalistischen Erwägungen gerechtfertigt war ergibt sich auch daraus, dass im Laufe des Berufungsverfahrens gegen die Klägerin zwei weitere Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachtes eingeleitet worden sind. Diese aktuelle Erkenntnis ist - wie oben ausgeführt - vom Senat als letzte Tatsacheninstanz ebenfalls mit zu berücksichtigen.

bb) Es ist auch davon auszugehen, dass die durch die beabsichtigte erkennungsdienstliche Behandlung gewonnenen Erkenntnisse bei den zu befürchtenden weiteren Straftaten von Nutzen sein können.

Soweit es um die Herstellung von neuen Lichtbildern geht, weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass ältere Lichtbilder häufig nicht mehr für Identifizierungsmaßnahmen geeignet sind. Lichtbilder zur Identifizierung von Personen werden nicht allein durch besonders ausgebildete polizeiliche Dienstkräfte herangezogen. Sie sollen auch die Wiedererkennung von Personen durch Zeugen oder Geschädigte erleichtern. Diese Personen haben regelmäßig keine Erfahrung in Bezug auf die Identifizierung anhand von Lichtbildern. Sie orientieren sich deshalb bei Durchsicht der Lichtbildvorlage häufig an einem durch grobe Merkmale geprägten Gesamteindruck, während geschulte Polizeibedienstete auf bestimmte Einzelmerkmale einer Person achten. Zeugen und Geschädigte müssen zudem die Identifizierung aus der Erinnerung heraus vornehmen. Es ist daher nachvollziehbar, dass Zeugen oder Geschädigten möglichst aktuelle Lichtbilder vorzulegen sind (Urt. d. Sen. v. 28.9.2006, a. a. O.; OVG Magdeburg, Beschl. v. 30.1.2006 - 2 O 198/06 -).

Die 1998 über die Klägerin gefertigten Lichtbilder sind allein wegen des seither verstrichenen Zeitraumes von ca. 9 Jahren nicht mehr als aktuell anzusehen, zumal die Klägerin damals erst 19 Jahre alt war und das Aussehen von Personen dieses Alters in der Folgezeit erheblichen Veränderungen unterliegen kann. Diesem Gesichtspunkt trägt auch § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Personalausweise (PAuswG idFdB v. 21.4.1986, zuletzt geändert am 25.3.2002 - BGBl. I 1986, 548; 2002, 1186) Rechnung, wonach die Gültigkeitsdauer von Personalausweisen bei Personen, die das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nur fünf Jahre beträgt.

Neue Fingerabdrücke sind erforderlich, weil sich möglicherweise in den vergangenen 9 Jahren Veränderungen in der Struktur, z. B. durch Narben, ergeben haben können, und die Polizei auch bezüglich der Fingerabdrücke auf möglichst verlässliche Daten zurückgreifen muss, um eine effektive Ermittlungsarbeit leisten zu können (OVG Magdeburg, Beschl. v. 30.1.2006, a. a. O.)

Die Abnahme eines Handflächenabdruckes ist ebenfalls geboten; denn nach dem Vortrag der Beklagten ermöglicht auch ein Handflächenabdruck gegebenenfalls einen Vergleich mit entsprechenden Abdrücken, z. B. auf Urkunden oder Verträgen.

Da die (früher noch als wesentliches Identifizierungsmerkmal angesehene) Haarfarbe von dem Betreffenden auch kurzfristig verändert werden kann, sind die weiter angeordneten Messungen (Körpergröße, Körpergewicht, gegebenenfalls Schuhgröße) und die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale (auffällige Merkmale, Narben, Tätowierungen, Piercing) ebenfalls nicht zu beanstanden. Gerade Personen im Alter der Klägerin weisen häufig Tätowierungen auf, die nicht ohne weiteres verändert werden und daher besser als die Haarfarbe zur Identifizierung beitragen können. Gleiches gilt für das zwischenzeitlich in bestimmten Bereichen weit verbreitete Piercing. Lediglich zur Klarstellung weist der Senat dabei darauf hin, dass die Feststellung körperlicher Merkmale mangels entsprechender anderer ausdrücklicher Erwähnung in dem angefochtenen Bescheid nur die Feststellung von Merkmalen betrifft, die "ohne weiteres" äußerlich erkannt werden können.

Der erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung kann die Klägerin nicht entgegenhalten, dass sie in der Vergangenheit ohne weiteres habe identifiziert werden können. Zwar kann entgegen der Auffassung der Beklagten allein aus dem Eintrag der Klägerin im Telefonbuch nicht geschlossen werden, dass sie in Zukunft über ihre Identität täuschen und Alias-Namen verwenden wird. Vielmehr ist der Senat mit dem Verwaltungsgericht der Auffassung, dass es sich insoweit nur um einen mit ihrem Beruf zusammenhängenden "Künstlernamen" handelt. Das aktuelle Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wegen Beteiligung an einer Unterschriftenfälschung deutet allerdings darauf hin, dass bei ihr eine Neigung vorhanden ist, Angaben nicht (mehr) in vollem Umfange wahrheitsgemäß zu machen. Die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Maßnahme setzt zudem nicht voraus, dass der Betreffende schon einmal unter fremden Namen aufgetreten ist bzw. seine Identität verschleiert hat.

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