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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 09.08.2007
Aktenzeichen: 11 ME 290/07
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 60
ZPO § 85 Abs. 2
1. Ein Beschwerdeführer, der seine Beschwerdebegründung an ein unzuständiges Gericht, das zuvor mit dem Verfahren befasst war, adressiert, kann nur erwarten, dass sein fristgebundener Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weitergeleitet wird.

2. Die Weiterleitung per Fax gehört regelmäßig nicht zum ordentlichen Geschäftsgang.

3. In Ausnahmefällen kann für das unzuständige,Gericht, das mit der Sache vorher befasst war, die Verpflichtung bestehen, den bei ihm fehlerhaft eingereichten fristgebundenen Schriftsatz per Fax an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten (hier verneint).


NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS

Aktenz.: 11 ME 290/07

Datum: 09.08.2007

Gründe:

Die Beschwerde ist unzulässig.

Die Antragsteller haben die Frist zur Darlegung der Gründe, aus denen der Beschwerde stattgegeben werden soll, versäumt. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 25. Juni 2007 wurde dem Bevollmächtigten der Antragsteller am 27. Juni 2007 zugestellt. Die Frist für die Erhebung der Beschwerde, die am 11. Juli 2007 ablief, hielten die Antragsteller zwar mit der am 11. Juli 2007 zutreffend beim Verwaltungsgericht (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) eingereichten Beschwerde ein. Die Antragsteller haben aber die für die Darlegung der Beschwerdegründe geltende Frist, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO einen Monat beträgt und hier am Freitag, dem 27. Juli 2007 ablief, versäumt. Die Beschwerdebegründung vom 27. Juli 2007 ging mit Vorlageschreiben des Verwaltungsgerichts vom 30. Juli 2007 beim Oberverwaltungsgericht erst am 1. August 2007 ein.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) liegen nicht vor. Zwar wurde die Beschwerdebegründung per Telefax am 27. Juli 2007, 12.05 Uhr, an das Verwaltungsgericht übersandt. Die Einreichung beim Verwaltungsgericht wahrte jedoch nicht die Frist. Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO ist nämlich die Begründung, "soweit sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen". Die Beschwerdeschrift vom 11. Juli 2007 enthielt jedoch keine Begründung. In der Rechtsmittelbelehrung des angegriffenen Beschlusses wurde zutreffend (entsprechend der Regelung des § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO) darauf hingewiesen, dass in diesem Falle die Begründung beim Oberverwaltungsgericht einzureichen ist. Entgegen dieser Belehrung enthielt der vom Bevollmächtigten der Antragsteller unterzeichnete Schriftsatz vom 27. Juli 2007, mit welchem die Beschwerde begründet wurde, die unzutreffende Adressierung "Verwaltungsgericht Stade". Hierin liegt ein Verschulden des Bevollmächtigten, das sich die Antragsteller zurechnen lassen müssen (vgl. § 173 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO).

Die den Antragstellern zuzurechnende Fehladressierung der Beschwerdebegründung ist nicht in ihrer Kausalität für die Fristversäumnis durch einen Fehler des Verwaltungsgerichts überholt worden. Die Antragsteller tragen zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuches vor, die Beschwerdebegründung sei so rechtzeitig beim Verwaltungsgericht eingegangen, dass das erstinstanzliche Gericht diese noch innerhalb der Monatsfrist an das Oberverwaltungsgericht hätte weiterleiten können. Komme das Verwaltungsgericht seiner Verpflichtung, die Beschwerdebegründung unverzüglich dem Oberverwaltungsgericht zuzuleiten, nicht nach, sei dies nicht ihnen anzulasten. Eine Verletzung der Pflicht zur Weiterleitung der Beschwerdebegründung an das zuständige Rechtsmittelgericht hat das Verwaltungsgericht nicht begangen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 20. 6. 1995 - 1 BvR 166/93 -, BVerfGE 93, 99) hat ein Gericht, das bereits mit dem Verfahren befasst war, die bei ihm fehlerhaft eingereichten fristgebundenen Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzureichen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Verpflichtung aus einer aus dem Gebot eines fairen Verfahrens resultierenden, über die Zeit der Anhängigkeit hinaus nachwirkenden Fürsorgepflicht des Gerichts hergeleitet. Im vorliegenden Fall ging die Beschwerdebegründung der Antragsteller am letzten Tag der Begründungsfrist, am 27. Juli 2007, um 12.05 Uhr per Fax beim Verwaltungsgericht ein. Die Vorsitzende der zuständigen Kammer hat noch am 27. Juli 2007 verfügt: "Urschriftlich Nds. OVG - 11. Senat - zum Az. 11 ME 290/07 mit Originalen". Nach Eingang des Originalschriftsatzes am 30. Juli 2007 hat die zuständige Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts am 30. Juli 2007 Fax und Originalschriftsatz an das Oberverwaltungsgericht mit normaler Post übersandt. Beim Oberverwaltungsgericht ist das Vorlageschreiben nebst Beschwerdebegründung am 1. August 2007 eingegangen. Dieses Vorgehen des Verwaltungsgerichts hält sich im Rahmen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Als mit der Sache im vorgehenden Rechtszug befasstes Gericht war das Verwaltungsgericht verpflichtet, die Beschwerdebegründung im Zuge des ordentlichen Geschäftsganges an das Oberverwaltungsgericht weiterzuleiten. Dem ist das Verwaltungsgericht nachgekommen. Es entspricht noch einem geordneten Geschäftsgang, wenn die Übersendung von Schriftsätzen von einem Gericht zum anderen nicht bis zum nächsten Tag bewerkstelligt werden kann (BayVGH, Beschl. v. 13. 3. 2006 - 24 CS 06.490 -, veröff. in juris). Ferner ist nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht den Eingang der Originalschriftsätze abwartet (BayVGH, Beschl. v. 13. 3. 2006 - 24 C 06.490 -, a. a. O.). Aber selbst wenn das Verwaltungsgericht die per Fax am 27. Juli 2007 eingegangene Beschwerdebegründung noch am selben Tag mit normaler Post an das Oberverwaltungsgericht übersandt hätte, wäre die Begründung wegen des Fristablaufes am 27. Juli 2007 nicht mehr rechtzeitig vor Ablauf der Frist beim Oberverwaltungsgericht eingegangen.

Soweit die Antragsteller meinen, das Verwaltungsgericht hätte dem Oberverwaltungsgericht die Beschwerdebegründung noch am 27. Juli 2007 zuleiten müssen, unterstellen sie, dass eine Weiterleitung per Fax noch zum ordentlichen Geschäftsgang gehört. Dieser Ansicht folgt der Senat für die gegebene Fallkonstellation nicht. Zwar findet das Fax im schriftlichen Austausch zwischen den Prozessbeteiligten und dem Gericht zunehmend Verwendung. Es sind allerdings vornehmlich die Prozessbeteiligten, die das Faxgerät für die Übermittlung ihrer Schriftsätze nutzen. Hingegen machen die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit (in Niedersachsen) von dieser Möglichkeit nur sparsam Gebrauch. Dies liegt daran, dass regelmäßig in jedem Gericht nur ein Faxgerät zur Verfügung steht. Bei dem erheblichen Umfang des anfallenden Schriftverkehrs stieße eine Übermittlung der auszutauschenden Schriftsätze über ein vorhandenes Faxgerät schnell an Kapazitätsgrenzen. Außerdem wäre der Bearbeitungsaufwand für die Mitarbeiter der Geschäftsstellen erheblich höher, weil das Faxgerät nicht unmittelbar am Arbeitsplatz aufgestellt ist und zur Eingabe erst der zentrale Standort des Gerätes aufgesucht werden müsste. Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit (in Niedersachsen) übersenden deshalb im Regelfall die Schriftsätze der Beteiligten und eigene Verfügungen mit normaler Post. Dies gilt auch im Verhältnis der Verwaltungsgerichte zum Oberverwaltungsgericht und umgekehrt. Auch hier wird der Schriftverkehr im Regelfall auf dem normalen Postweg abgewickelt. Es lässt sich deshalb nicht feststellen, dass eine Weiterleitung von Schriftsätzen per Fax dem normalen Geschäftsgang zuzurechnen ist (offen gelassen vom OVG NRW, Beschl. v. 15. 4. 2003 - 14 B 639/03 -, veröff. in juris).

Es sind allerdings Ausnahmen vorstellbar, die eine Pflicht zur Weiterleitung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Fax begründen können. Regelmäßig besteht bei Formmängeln keine Pflicht des mit dem Fall früher befassten Gerichts, außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen, wie z. B. einen Schriftsatz noch am Tag des Eingangs an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten (Nds. OVG, Beschl. v. 17. 4. 2003 - 10 LA 17/03 -, veröff. in juris; BGH, Beschl. v. 22. 10. 1986 - VIII ZB 40/86 -, NJW 1987, 440; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 60 Rdnr. 77). Eine nachwirkende Fürsorgepflicht, die gesteigerte Maßnahmen verlangt, kann allerdings bestehen, wenn das Verwaltungsgericht selbst dazu beigetragen hat, dass es zu einer Fehladressierung gekommen ist (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung: OVG NRW, Beschl. v. 15. 4. 2003 - 14 B 639/03 -, a. a. O.). Ein solcher Fall liegt hier aber ersichtlich nicht vor.

Ob von der Regel, Schriftsätze mit normaler Geschäftspost zu übermitteln, abzuweichen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Frist für den beim unzuständigen Gericht eingegangenen fristgebundenen Schriftsatz noch am selben Tag abläuft, und wenn eine Weiterleitung per Fax vor dem offiziellen Dienstschluss an das Rechtsmittelgericht noch möglich ist, muss in diesem Beschwerdeverfahren nicht entschieden werden. Denn für das Verwaltungsgericht war nicht offensichtlich, dass hinsichtlich der von den Antragstellern eingereichten Beschwerdebegründung Fristablauf drohte. Der Schriftsatz vom 27. Juli 2007 enthielt einen solchen Hinweis nicht. Dem Verwaltungsgericht war es auch nicht möglich, ohne großen Aufwand den Fristablauf selbst zu prüfen. Denn die Gerichtsakten, die den Nachweis der Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung an den Prozessbevollmächtigten der Antragsteller enthielten, waren bereits am 16. Juli 2007 an das Oberverwaltungsgericht weitergeleitet worden.

Ende der Entscheidung

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