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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.09.2004
Aktenzeichen: 11 ME 303/03
Rechtsgebiete: AMG, LMBG, NKV, Richtlinie 2001/83 EG, Richtlinie 2002/46/EG, Richtlinie 65/65/EWG, Richtlinie 93/39/EWG, VO (EG), VwGO


Vorschriften:

AMG § 2 I
AMG § 2 III Nr. 1
AMG § 69 I 2 Nr. 1
LMBG § 1 I
NKV § 1 III
Richtlinie 2001/83 EG
Richtlinie 2002/46/EG
Richtlinie 65/65/EWG
Richtlinie 93/39/EWG
VO (EG) Nr. 178/2002
VwGO § 80 II Nr. 4
VwGO § 80 V
Es sprechen überwiegende Gründe dafür, dass es sich bei dem Produkt "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handelt.
Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg. Aus den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen, die der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, lassen sich Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses jedenfalls in Bezug auf sein Ergebnis nicht herleiten.

Mit der angegriffenen Entscheidung hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin abgelehnt, die aufschiebende Wirkung ihrer beim Verwaltungsgericht im Verfahren 6 A 1090/03 erhobenen Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen. Die Klage wiederum richtet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Antragsgegnerin vom 19. Dezember 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2003, mit der der Antragstellerin gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG untersagt worden ist, als Großhändlerin das von der Fa. B. in Österreich hergestellte Produkt "Red Rice 330 mg GPH Kapseln zur Nahrungsergänzung" in Deutschland in Verkehr zu bringen, weil es sich um ein gemäß § 2 Abs. 1 AMG zulassungspflichtiges, aber nicht zugelassenes Arzneimittel handele, und der Antragstellerin außerdem aufgegeben worden ist, bereits ausgelieferte Chargen dieses Produkts zurückzurufen. Die gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss gerichteten Rügen der Beschwerde greifen nicht durch.

1. Der Beschwerde ist darin zuzustimmen, dass das Verbot des Inverkehrbringens nicht zugelassener Arzneimittel und die Anordnung des Rückrufs solcher Produkte nach dem eindeutigen Wortlaut des § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG Ermessensentscheidungen darstellen (vgl. Kloesel/Cyran, AMG, Erl. 5 zu § 69). Gleiches gilt - erst Recht - für die Anordnung des Sofortvollzugs entsprechender Maßnahmen gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Ebenso eindeutig ist aber, dass sich die Prüfpflicht der untersagenden Behörde im Rahmen des § 69 Abs. 1 Satz 2 AMG - soweit hier von Interesse - darauf beschränkt, ob das in Rede stehende Produkt Arzneimitteleigenschaft hat (vgl. BT-Drucks. 7/3060, S. 59), und die Behörde bejahendenfalls - unter Anordnung des Sofortvollzugs - einschreiten kann. Die Antragsgegnerin hat das ihr hiernach zustehende und auszuübende Entschließungsermessen entgegen der Wertung der Beschwerde nicht verkannt; sie ist ausweislich der Begründung der angefochtenen Bescheide nicht davon ausgegangen, sie sei zu einem Einschreiten strikt verpflichtet; sie hat vielmehr ausführlich (unter Berücksichtigung auch der wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin) ihre Entscheidungen damit begründet, dass die getroffenen Anordnungen im Hinblick auf überwiegende öffentliche Interessen geboten erschienen.

Gegen diese Erwägungen ist - vorausgesetzt, es steht mutmaßlich ein zulassungspflichtiges, aber nicht zugelassenes Arzneimittel in Rede - rechtlich nichts zu erinnern. Denn nach ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats hat in einem solchen Fall der Schutz der Bevölkerung vor gesundheitlichen Gefahren grundsätzlich Vorrang vor der wirtschaftlichen Betätigung von Produzenten oder Vertreibern selbst dann, wenn es sich - was bei der Antragstellerin nicht der Fall zu sein scheint (vgl. den Widerspruchsbescheid v. 11.06.2003, S. 2) - um existenzgefährdende Maßnahmen handelt (vgl. Beschl. v. 08.07.2004 - 11 ME 12/04 -, GesR 2004, 387, v. 09.10.2001 - 11 MB 4745/01 - und v. 04.09.2001 - 11 MA 1850/01 -). Dabei bedarf es nicht des konkreten Verdachts, dass von dem betreffenden Produkt tatsächlich Gefahren ausgehen, sondern es kann im Interesse des Schutzes von so hochrangigen Rechtsgütern wie Leben und Gesundheit der Patienten und Verbraucher nicht hingenommen werden, dass ein möglicherweise als Arzneimittel anzusehendes Erzeugnis ohne Prüfung auf seine Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auf den Markt gelangt (vgl. dazu auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.04.1985 - 8 OVG B 5/83 -; OVG NRW, Beschl. v. 20.08.2003, LRE 46, 337; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 22.02.2000, LRE 39, 79; Kloesel/Cyran, a.a.O., Erl. 6, 12 zu § 69; Klein, NJW 1998, 791). Der grundsätzliche Vorrang des öffentlichen Interesses ergibt sich ferner in solchen Fällen aus der Verhinderung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber gesetzestreuen Konkurrenzunternehmen, welche die Zulassung als Arzneimittel durch die zuständige Behörde abwarten (vgl. Sen.Beschl. v. 08.07.2004, a.a.O; Hamb. OVG, Beschl. v. 07.05.1996, LRE 33, 244; Kloesel/Cyran, a. a. O.). Nach diesen Maßstäben ist für eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kein Raum.

2. In der Sache sprechen in der Tat ganz überwiegende Gründe dafür, dass das Produkt "Red Rice 330 mg GPH Kapseln zur Nahrungsergänzung" in Wirklichkeit ein zulassungspflichtiges Arzneimittel ist.

a) Zu den rechtlichen Ausgangspunkten ist im Einzelnen zu bemerken (vgl. dazu ausführlich den erwähnten Sen.Beschl. v. 08.07.2004 - 11 ME 12/04 - GesR 2004, 387):

Nach § 2 Abs. 1 AMG sind Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper u. a. Krankheiten, Leiden, Schäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen (Nr. 1), Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen (Nr. 4) oder die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktion des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen (Nr. 5). Diese Legaldefinition des Arzneimittels stimmt mit den Vorgaben der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel (ABl. Nr. 22, S. 369) in der Fassung der Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 214, S. 22, im Folgenden: Richtlinie 65/65/EWG) überein. Nach Art. 1 Nr. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 65/65/EWG sind Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten bezeichnet werden (Arzneimittel "nach der Bezeichnung"). Nach Unterabs. 2 dieser Bestimmung gelten ebenfalls als Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen oder tierischen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen oder tierischen Körperfunktion verwandt zu werden (Arzneimittel "nach der Funktion"). Allerdings ist die Richtlinie 65/65/EWG abgelöst worden von der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Human-arzneimittel vom 6. November 2001 (ABl. Nr. L 311, S. 67), doch hat dies zu keiner Änderung des gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriffes geführt. Denn der maßgebliche Art. 1 Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG ist inhaltsgleich mit Art. 1 Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinie 65/65/EWG.

Keine Arzneimittel sind dagegen gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG Lebensmittel im Sinne des § 1 LMBG, zu denen auch die sogenannten Nahrungsergänzungsmittel gehören. Damit sind Lebensmittel aus dem Arzneimittelbegriff ausgeklammert. Dies war notwendig, weil auch Lebensmittel dazu dienen, den Körperzustand zu beeinflussen. Lebensmittel sind nach § 1 Abs. 1 Halbs. 1 LMBG Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu werden; gemäß § 1 Abs. 1 Halbs. 2 LMBG sind davon jedoch Stoffe ausgenommen, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuss verzehrt zu werden. Nach der Definition in Art. 2 der VO (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (Amtsbl. L 31, S. 1) sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden (Abs. 1). Nicht zu den Lebensmitteln gehören u. a. Arzneimittel im Sinne der Richtlinien 65/65/EWG und 92/73/EWG (Abs. 3 d)) und damit gemäß Art. 128 Abs. 2 der diese aufhebenden Richtlinie 2001/83 EG auch im Sinne der zuletzt genannten Richtlinie. Nach dieser Systematik des Regel-Ausnahme-Verhältnisses kommt die Qualifizierung eines Erzeugnisses als Arzneimittel dann nicht in Betracht, wenn seine Eigenschaft als Lebensmittel festgestellt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.12.1997, NJW 1998, 3433; BGH, Urt. v. 11.07.2002 - 1 ZR 34/01 -, BGHZ 151, 286 = NJW 2002, 3469, u. Urt. v. 10.02.2000, NJW-RR 2000, 1284 = LRE 38, 157 - "L-Carnitin"). Der selbe Stoff kann nicht gleichzeitig Lebensmittel und Arzneimittel sein (vgl. BGH, Urt. v. 10.02.2000, a. a. O.; OLG Köln, Urt. v. 03.01.2003, LRE 45, 168; OLG Stuttgart, Urt. v. 13.02.2003, LRE 45, 176).

Eine allgemeingültige gesetzliche Definition des Begriffs "Nahrungsergänzungsmittel" gibt es bisher nicht. Aus § 25 Nr. 6 ApBetrO und § 1 Abs. 3 der Nährwert-Kennzeichnungsverordnung - NKV -, die beide den Begriff "Nahrungsergänzung" verwenden, lässt sich jedoch schließen, dass diese Mittel die tägliche Nahrung ergänzen sollen und deshalb grundsätzlich den Lebensmitteln zuzuordnen sind (vgl. etwa Klein, NJW 1998, 791, 792; Kloesel/Cyran, a. a. O., § 2 Anm. 76 ff.; Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, § 1 LMBG, Rdnrn. 37 b und 155). In der amtlichen Begründung zu § 1 Abs. 3 NKV wird ausgeführt, dass Nahrungsergänzungen der Ergänzung der Nahrung durch die gezielte Zufuhr von z. B. Vitaminen, Mineralstoffen, essentiellen Fettsäuren oder bestimmten Eiweißstoffen oder Kohlehydraten dienen sollen (BR-Drs. 796/94 zu § 1 NKV Abs. 3). Inzwischen gibt es allerdings eine gemeinschaftsrechtliche Definition des Begriffs "Nahrungsergänzungsmittel" in Art. 2 a der Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Nahrungsergänzungsmittel (ABl. L 183, S. 51). Danach sind Nahrungsergänzungsmittel Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die normale Ernährung zu ergänzen und die aus Einfach- oder Mehrfachkonzentration von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen und in dosierter Form in den Verkehr gebracht werden, d. h. in Form von z. B. Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen.

Es ist im Übrigen anerkannt, dass für die Abgrenzung der Arzneimittel von den Lebens- bzw. Nahrungsergänzungsmitteln die an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung des Produkts entscheidend ist, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher darstellt. Dabei knüpft die Verkehrsauffassung regelmäßig an eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihre Anwendung an, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben. Die Vorstellung der Verbraucher von der Zweckbestimmung des Produktes kann weiter durch die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, ebenso durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt (vgl. zum Vorstehenden neben den oben zitierten Gerichtsentscheidungen Kloesel/Cyran, a. a. O., § 2 AMG Erl. 9 f; Rehmann, AMG, 2. Aufl., § 2 Rdnrn. 2 u. 25; Zipfel/Rathke, a. a. O., § 1 LMBG, Rdnrn. 34 ff. u. 129 ff.). Ein verständiger Durchschnittsverbraucher wird im allgemeinen nicht annehmen, dass ein als Nahrungsergänzungsmittel angebotenes Präparat tatsächlich ein Arzneimittel ist, wenn es in der empfohlenen Dosierung keine pharmakologischen Wirkungen hat (BGH, Urt. v. 11.07.2002, a.a.O.). Allerdings bewirkt - umgekehrt - die Bezeichnung eines Produkts als diätetisches Lebensmittel auf der Verpackung für sich genommen nicht, dass es als Lebensmittel einzustufen ist; es kann bei falscher Bezeichnung durchaus als Arzneimittel zu qualifizieren sein (BVerwG, Urt. v. 22.11.1994, BVerwGE 97, 132; BGH, Urt. v. 11.07.2002 - I ZR 273/99 - <juris>, auf das sich - in anderem Zusammenhang - die Beschwerde beruft). Eine pharmakologische Wirkung und damit die Einordnung als Arzneimittel kommt dann in Betracht, wenn durch das Produkt über die ernährungsphysiologische Wirkung hinausgehend eine gezielte Beeinflussung des Zustandes und der Funktion des Körpers stattfindet. So sind beispielsweise Vitaminpräparate als Arzneimittel einzustufen, wenn sie in starken Dosen zu therapeutischen Zwecken bei bestimmten Krankheiten verwendet werden, deren Ursache nicht der Vitaminmangel ist (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 29.4.2004 - C-387/99 -, DVBl 2004, 1188 - LS). Dagegen ist eine Gesundheitsgefahr nicht Voraussetzung für die Bejahung der Arzneimitteleigenschaft (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 20.08.2003, a. a. O; KG, Urt. v. 06.02.2003, LRE 45, 326). Lässt sich nicht feststellen, welcher Verwendungszweck überwiegt, wird das Erzeugnis regelmäßig als Lebensmittel eingeordnet (vgl. etwa BGH, Urt. v. 11.07.2002, NJW a. a. O; OLG Stuttgart, Urt. v. 13.02.2003, LRE 45, 176; OLG Köln, Urt. v. 03.01.2003, LRE 45, 168; BayVGH, Beschl. v. 13.05.1997, NJW 1998, 845 = LRE 34, 450; Kloesel/Cyran, a. a. O., § 2 AMG Erl. 73 und 77; Zipfel/Rathke, a. a. O., § 1 LMBG Rdnrn. 35 und 46; Rehmann, a. a. O., § 2 AMG Rdnr. 25; Behler/Schröder, Das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, 2002, S. 30; Sander, Arzneimittelrecht, § 2 AMG Anm. 34; a. A.: OVG NRW, Vorlagebeschl. v. 07.05.2003, ZLR 2003, 585, der aus der Definition des Begriffs "Lebensmittel" in Art. 2 der VO (EG) Nr. 178/2002 folgert, dass es für die Abgrenzung von Lebens- und Arzneimitteln nicht mehr auf ein Überwiegen der (objektiven) Zweckbestimmung ankomme, sondern ein Produkt, das sowohl die Voraussetzung eines Lebens- als auch eines Arzneimittels erfülle, rechtlich immer - nur - ein Arzneimittel sei).

b) Nach diesen Kriterien lassen sich bei summarischer Prüfung, die hier allerdings - sollten sich im weiteren Verfahren keine neuen entscheidungserheblichen Gesichtspunkte ergeben - der im Hauptsacheverfahren vorzunehmenden Prüfung zumindest nahe kommt, keine überzeugenden Gründe dafür finden, die streitigen "Red Rice 330 mg GPH Kapseln zur Nahrungsergänzung" seien als Lebensmittel in Form eines Nahrungsergänzungsmittels einzustufen (dazu aa). Des Weiteren sprechen ganz überwiegende Gründe dafür, dass das Produkt - wie von der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht angenommen - ein nach nationalem Recht zulassungsbedürftiges, aber nicht zugelassenes Arzneimittel ist (dazu bb).

aa) Als Hauptbestandteil der Kapseln, die in Flaschenform in Verkehr gebracht werden sollen, ist auf der Flaschenetikettierung angegeben: "Eine Kapsel enthält 330 mg rot fermentierten Reis entsprechend 1,33 mg Monacol in K; die Verwendungsempfehlung lautet: "Als Nahrungsergänzungsmittel 1 - 3 x täglich 1 Kapsel" (vgl. zur Flaschenetikettierung die Ablichtung VV Bl. 15 BA A).

Dass in Kapselform verzehrter fermentierter roter Reis der objektiven Zweckbestimmung nach der Nahrungsergänzung dient, hat die Antragstellerin selbst substantiiert nicht dargetan. Das Oberverwaltungsgericht NRW hat zu rot fermentiertem Reis (Angkak) im Gegenteil sogar ausdrücklich festgestellt, er werde nach allgemeiner Verkehrsauffassung gerade nicht überwiegend wegen eines Nähr-, Geruchs- oder Geschmackwertes oder als Genussmittel verwendet (vgl. Urt. v. 26.08.1999, LRE 36, 297 = ZLR 2000, 74 zu Angkak als Lebensmittelzusatzstoff). Der weiterhin auf der Etikettierung angesprochene Wirkstoff Monacolin K ist ausweislich aller bei den Akten befindlichen Stellungnahmen identisch mit Lovastatin, einem Cholesterol-Synthese-Hemmer, der in Deutschland z.B. in dem verschreibungspflichtigen Arzneimittel Mevinacor enthalten ist (vgl. etwa die Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte - BfArM - vom 09.12.2002 an die Antragsgegnerin VV Bl. 42, 45 BA A). Dass der Wirkstoff - für sich gesehen - (auch) von ernährungsphysiologischer Bedeutung wäre, behauptete die Antragstellerin selbst nicht; dafür ist sonst ebenfalls nichts ersichtlich.

Vor diesem Hintergrund vermögen die Argumente der Antragstellerin, die in Rede stehenden Kapseln seien gleichwohl Nahrungsergänzungsmittel, nicht zu überzeugen:

Nicht aussagekräftig ist zunächst der Hinweis der Beschwerde, roter Reis werde in Internet-Auftritten als unbehandelter Naturreis, der heute auch in der Carmargue (Frankreich) angebaut werde, zum Verzehr als Lebensmittel angeboten; ferner werde in Internet etwa auf Olivenöl, einem wichtigen Bestandteil insbesondere der mediterranen Ernährung, auch als Naturheilmittel hingewiesen (u.a. bei erhöhten Cholesterinwerten). Mit derartigen eingeführten Produkten, denen nach gefestigter Verkehrsauffassung Lebensmitteleigenschaft zukommt, hat fermentierter Reis, der - wie hier - in Kapselform eingenommen werden soll, schon ansatzweise nichts gemeinsam.

Der angefochtene Beschluss (Abdr. S. 8 f.) führt außerdem zu Recht an, es sei auffällig, dass über den auf der Flaschen-Verpackung aufgebrachten Hinweis "Nahrungsergänzung mit rot fermentiertem Reis" hinaus nicht angegeben werde, welchen Effekt die Kapseln im Hinblick auf eine "Nahrungsergänzung" bewirken sollten. Dem hält die Beschwerde im Schriftsatz vom 30. September 2003 (S. 6) - eher beiläufig - entgegen, die Kapseln enthielten auch Vitaminbestandteile, und bezieht sich insofern auf die Ausgangsstellungnahme des Nds. Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit - Lebensmittelinstitut Oldenburg vom 6. Dezember 2002 (VV Bl. 69, 71 BA A). Das Lebensmittelinstitut Oldenburg hat in dieser Stellungnahme - einer nähere Analyse der Kapseln stand damals noch aus - in der Tat davon gesprochen, die Kapseln enthielten auch "ernährungsphysiologisch günstige Mengen der Vitamine C, B1, B6"; schon damals hat es jedoch wegen des Hauptinhaltstoffs Monacolin K eine Einstufung der Kapseln als Nahrungsergänzungsmittel verneint. In Kenntnis des (späteren) Prüfberichts des Arzneimitteluntersuchungsinstituts - Nord GmbH (AMI-Nord GmbH) vom 21. März 2003 (VV Bl. 216 f. BA A) hat es in seiner weiteren Stellungnahme vom 2. Mai 2003 (VV Bl. 223, 224 f. BA A) diesbezüglich noch eindeutiger hervorgehoben, die Vitaminbeifügungen dienten bei dem Produkt nur als "Zweitnutzen"; ein "Ernährungszweck des Produkts" lasse sich auch im Hinblick auf vorhandene Hauptnährstoffe wie Eiweiß und Kohlenhydrate nicht feststellen, da sie bei der empfohlenen Verzehrmenge pro Tag (3 Kapseln) keinen "nennenswerten Beitrag zur Ernährung" lieferten. Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geht in seiner Stellungnahme vom 9. Dezember 2002 an die Antragsgegnerin (VV Bl. 42 ff. BA A) davon aus, beigefügte Vitamine, Mineralstoffe und sonstige Stoffe mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung seien allenfalls in nicht relevanten Anteilen beigefügt (vgl. Bl. 46 f. a.a.O.). Gegen diese Beurteilungen hat die Antragstellerin substantiierte Einwände nicht vorgebracht, so dass sie der Beschwerdeentscheidung zugrunde zu legen sind. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin im Verwaltungsverfahren (mit positiver Aussage) eine Gutachtliche Stellungnahme des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Dipl.-Chem. C. vom 22. August 2002 "zur Verkehrsfähigkeit einer Nahrungsergänzung mit Vitaminen und rotfermentiertem Reis der Firma A." vorgelegt hat (VV Bl. 152 BA A). Denn abgesehen davon, dass die Beschwerde diese Stellungnahme nicht (mehr) als ihren Rechtsstandpunkt unterstützend ausdrücklich anführt, ist festzustellen, dass die Stellungnahme sehr allgemein gehalten ist (die Inhaltsstoffe des beurteilten Produkts werden nicht näher bezeichnet) und angesichts der Hervorhebung der Vitaminbestandteile, die - wie zuvor dargelegt - von nur untergeordneter Bedeutung sind, mindestens fraglich ist, ob die Stellungnahme tatsächlich die streitgegenständlichen "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" zum Gegenstand hatte.

Die Beschwerde macht schließlich - wie schon im erstinstanzlichen Verfahren - geltend (Schriftsatz vom 30.09.2003, S. 6 f.), für eine Lebensmitteleigenschaft der Kapseln spreche, dass das Produkt "Red Rice 330 mg GPH Kapseln zur Nahrungsergänzung" in Österreich bei Verneinung einer Arzneimitteleigenschaft durch an die Herstellerfirma B. gerichteten Bescheid des Bundesministeriums für Soziale Sicherheit und Generationen vom 9. Juli 2002 als "Verzehrprodukt" i.S. des § 3 Österr. LMG eingestuft worden sei (vgl. zu diesem Bescheid VV Bl. 11 ff. BA A). Hierauf hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend erwidert (vgl. Beschl.-Abdr. S. 10), dass zum einen das deutsche Recht die Kategorie "Verzehrprodukt" nicht kenne und zum anderen in der dem Bescheid beigefügten Stellungnahme der zuständigen Ministeriumsabteilung ausdrücklich gesagt werde, "das gegenständliche Produkt (sei) auf Grund der Zusammensetzung und in Verbindung mit der Einnahmeempfehlung nicht überwiegend zu Ernährungs- oder Genusszwecken bestimmt", was nach deutschem Recht (§ 1 Abs. 1 Halbs. 2 LMBG) eine Einordnung als Lebensmittel gerade ausschließe. Aus den gesagten Gründen ist ebenso wenig ersichtlich, die Kapseln wären "Nahrungsergänzungsmittel" i.S. des Art. 2 der Richtlinie 2002/46/EG vom 10. Juni 2002.

Als Zwischenergebnis ist hiernach festzuhalten, dass die Kennzeichnung der "Red Rice 330 mg Kapseln" als Nahrungsergänzungsmittel mindestens irreführend ist und es sich bei dem Produkt um kein Lebensmittel handelt, das nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG dem Arzneimittelgesetz nicht unterfällt.

bb) Auch für die Richtigkeit der positiven Feststellung der Antragsgegnerin, die Kapseln seien als zulassungspflichtige, aber nicht zugelassene Arzneimittel i.S. des § 2 Abs. 1 AMG einzuordnen, spricht nach dem Ergebnis des bisherigen Verfahrens ganz Überwiegendes.

Zweifel gegen diese Qualifizierung lassen sich - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - nicht schon darauf stützen, dass eine Arzneimitteleigenschaft der Kapseln in Österreich in dem vorerwähnten Bescheid vom 9. Juli 2002 nach dortigem Recht verneint worden ist. Denn im Hinblick auf die noch ausstehende Harmonisierung der nationalen Regelungen für die Herstellung und den Vertreib von pharmazeutischen Erzeugnissen in den EU-Staaten kann ein Produkt im Einfuhrstaat als Arzneimittel eingeordnet werden, wenn es die entsprechenden Merkmale aufweist (vgl. zuletzt EuGH, Urt. v. 29.04.2004 - C-387/99 -, a.a.O., Rdnrn. 52 f.)

Hierzu genügt die Feststellung, dass die Kapseln Funktionsarzneimittel darstellen. Zwar ist nach den Untersuchungen ein potenziell toxisches Produkt in ihnen nicht enthalten. Auch bleibt der Wirkstoff Monacolin K bei Beachtung der Verzehrempfehlungen weit hinter den Tagesdosen zurück, die üblicherweise für Lovastatin verschrieben werden (für das verschreibungspflichtige Mevincar beträgt die tägliche Dosis 10 bis 80 mg). Da den Kapseln aber keine Warnhinweise zum gemeinsamen Gebrauch beigefügt sind, wie sie bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln üblich sind, können die tolerablen Dosen weit überschritten werden. Das gilt vor allem, wenn die Verzehrhinweise auf den Kapseln nicht beachtet werden. Es können dann insbesondere schwere Muskelschädigungen auftreten. Das ergibt sich aus der Warnmeldung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 4. Dezember 2002 und aus der Stellungnahme speziell zum Produkt der Antragstellerin vom 9. Dezember 2002.

Ende der Entscheidung

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