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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.05.2006
Aktenzeichen: 11 ME 41/06
Rechtsgebiete: AufenthG, AuslG, VwGO, VwVfG


Vorschriften:

AufenthG § 101 Abs. 2
AufenthG § 2 Abs. 3
AufenthG § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
AufenthG § 31 Abs. 4
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
AuslG § 19 Abs. 2 S. 1
VwGO § 80 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 2 1 Nr. 4
VwVfG § 48
Zur Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 AufenthG.
Gründe:

Der 1967 geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er heiratete am 17. Oktober 2000 in seinem Heimatland eine deutsche Staatsangehörige. Er reiste am 25. Mai 2001 mit einem Visum zur Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland ein. In der Folgezeit erhielt er eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die zuletzt am 16. August 2004 bis zum 30. Mai 2005 verlängert wurde. Die Ehe des Antragstellers ist seit dem 5. August 2003 rechtskräftig geschieden. Aus dem Urteil des Amtsgerichts B. vom selben Tag geht hervor, dass der Antragsteller und seine Ehefrau seit mehr als einem Jahr voneinander getrennt lebten.

Am 3. Mai 2005 beantragte der Antragsteller die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 17. November 2005 ab; zugleich nahm sie die dem Antragsteller am 16. August 2004 erteilte Aufenthaltserlaubnis zurück. Außerdem forderte sie den Antragsteller zur Ausreise aus dem Bundesgebiet auf und drohte ihm für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung in die Türkei an. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Seinen gleichfalls gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage lehnte das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 25. Januar 2006 ab. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

Die Beschwerde ist begründet. Allerdings muss nach der hier nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage der Ausgang des Klageverfahrens gegenwärtig als offen angesehen werden. Das private Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen weiteren Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland überwiegt aber das öffentliche Interesse an einer möglichst raschen Beendigung seines Aufenthalts.

Das Verwaltungsgericht ist in dem angefochtenen Beschluss zutreffend davon ausgegangen, dass dem Antragsteller kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zustehe, weil die eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen keine zwei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden habe. Es hat aber nicht hinreichend die rechtlichen Folgen berücksichtigt, die sich daraus ergeben, dass die Antragsgegnerin am 16. August 2004 die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers bis zum 30. Mai 2005 verlängert hatte, obwohl ihr schon damals bekannt war, dass die eheliche Lebensgemeinschaft nicht - wie in dem damals noch geltenden § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG ebenfalls vorausgesetzt - zwei Jahre im Bundesgebiet bestanden hatte. Zwar hat die Antragsgegnerin diese Aufenthaltserlaubnis in dem Bescheid vom 17. November 2005 nach § 48 Abs. 1 VwVfG zurückgenommen, doch ist es zweifelhaft, ob die Rücknahme im vorliegenden Verfahren zu Lasten des Antragstellers berücksichtigt werden kann.

Allerdings ist es allgemein anerkannt, dass auch die Rücknahme eines rechtswidrigen Aufenthaltstitels grundsätzlich zulässig ist (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, BVerwGE 123, 190 = DVBl. 2005, 1452; Renner, AuslR, 8. Aufl., § 52 AufenthG RdNr. 3). Rechtsgrundlage hierfür ist § 48 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Unabhängig davon, ob die von dem Antragsteller angefochtene Rücknahme rechtmäßig ist oder nicht, muss sich die Antragsgegnerin entgegenhalten lassen, dass sie es versäumt hat, die Rücknahmeentscheidung, die Bestandteil des angefochtenen Bescheides ist, mit einer Anordnung des Sofortvollzuges gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zu versehen. Dies hat zur Folge, dass die Klage des Antragstellers insoweit gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung hat. Der Senat weist aber vorsorglich darauf hin, dass auch die Rücknahmeentscheidung selbst in mehrerlei Hinsicht rechtlichen Bedenken unterliegt. Zum einen kommt eine Rücknahme unter Umständen nur ex nunc, d.h. für die Zukunft in Betracht (vgl. Renner, a.a.O., § 52 AufenthG RdNr. 3). Möglicherweise kann sich der Antragsteller zudem auf Vertrauensschutz berufen, da die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf ein fehlerhaftes Verhalten der Antragsgegnerin zurückzuführen ist und dem Antragsteller in diesem Zusammenhang keinerlei Täuschungshandlungen vorgeworfen werden können. Insofern bestehen auch Zweifel, ob die Antragsgegnerin das ihr zustehende Ermessen sachgemäß ausgeübt hat. Schließlich dürfte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG nicht eingehalten sein, da der angefochtene Bescheid vom 17. November 2005 stammt, während alle Tatsachen, welche die Rücknahme der rechtswidrigen Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gerechtfertigt hätten, nach dem Akteninhalt spätestens im Mai 2004 vorgelegen haben dürften, als die Antragsgegnerin Einsicht in die beim Amtsgericht B. geführten Scheidungsakten des Antragstellers genommen hatte.

Aus alledem ergibt sich, dass zumindest für das vorläufige Rechtsschutzverfahren der Antragsteller so zu behandeln ist, als sei die nach § 19 Abs. 2 Satz 1 AuslG verlängerte Aufenthaltserlaubnis nicht zurückgenommen worden. Damit hätte die Aufenthaltserlaubnis auch unter Geltung des neuen Aufenthaltsgesetzes bis zum 30. Mai 2005 fortgegolten (vgl. § 101 Abs. 2 AufenthG).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts wirkt sich die Frage, ob die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis rechtmäßig ist, auch auf die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung rechtlich aus. Denn bei einer Fortgeltung der Aufenthaltserlaubnis bis zum 30. Mai 2005 würden nicht die Abs. 1 oder 2, sondern der Abs. 4 des § 31 AufenthG zur Anwendung kommen.

Grundsätzlich wird die Verselbständigung des Aufenthaltsrechts des Ehegatten durch Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr verwirklicht. Während dieses Zeitraums steht der Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder XII der Verlängerung nicht entgegen (§ 31 Abs. 4 Satz1 AufenthG). Nach Ablauf des ersten Verlängerungsjahres muss der Ehegatte aber eine eigene wirtschaftliche Existenz gefunden haben (vgl. Renner, a.a.O., § 31 AufenthG RdNr. 38). Die weitere Verlängerung steht im Ermessen der Ausländerbehörde und unterliegt unbeschränkt den Regelerteilungsgründen des § 5 AufenthG. Sie erfolgt solange befristet, bis die Voraussetzungen des § 31 Abs. 3 AufenthG für die Niederlassungserlaubnis vorliegen. Zu den wichtigsten allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gehört nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG die Sicherung des Lebensunterhalts (vgl. Renner, a.a.O., § 2 AufenthG RdNr. 14 und § 5 AufenthG RdNr. 13). Es bedarf näherer Prüfung im Hauptsacheverfahren, ob der Antragsteller in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs.3 AufenthG zu sichern. Die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht haben insofern bisher nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Antragsteller seit dem 21. November 2005 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis bei der Firma C. in D. steht (vgl. Bescheinigung vom 25.4.2006). Er hat durch Vorlage der Gehaltsabrechnung für März 2006 nachgewiesen, dass sein Nettoverdienst 749,41 Euro betragen hat. Auf eine Anfrage des Senats vom 26. April 2006 hat die Antragsgegnerin am 8. Mai 2006 mitgeteilt, dass Sozialleistungen an den Antragsteller zum 30. November 2005 eingestellt worden seien. Sie gehe davon aus, dass er seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten könne. Diese geänderte Situation könnte dafür sprechen, dass er in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt in der Bundesrepublik Deutschland dauerhaft zu sichern. Damit wäre eine wichtige Bedingung für die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt. Letztlich hat darüber und das Vorliegen der weiteren Erteilungsvoraussetzungen die Antragsgegnerin aber unter Berücksichtigung der in der Zwischenzeit eingetretenen Entwicklung im Wege einer Ermessensentscheidung zu befinden. Wie diese ausgehen wird, kann derzeit nicht beurteilt werden, zumal bei Verpflichtungsklagen grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend ist (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 1.7.2003, BVerwGE 118, 249 = Inf-AuslR 2004, 50).

Unter diesen Umständen wäre es im gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls unverhältnismäßig, die Ausreise des Antragstellers zwangsweise durchzusetzen. Demgegenüber sind gewichtige öffentliche Interessen, die eine sofortige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers gebieten könnten, nicht ersichtlich. Der Antragsteller ist erwerbstätig und nimmt keine öffentlichen Mittel in Anspruch.

Ende der Entscheidung

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