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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 13.11.2009
Aktenzeichen: 11 ME 440/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 81 b Alt. 2
1. Zur Eignung von Finger-, Handflächen- und Handkantenabdrücken als Maßnahme der erkennungsdienstlichen Behandlung.

2. Anhaltspunkte für die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen sind nicht erst dann gegeben, wenn bei dem Betroffenen größere Mengen eines Betäubungsmittels gefunden werden oder der Verdacht des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln besteht.


Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig und begründet.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Polizeiinspektion Cloppenburg vom 6. Juli 2009 angeordnet. Mit diesem Bescheid ist unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die erkennungsdienstliche Behandlung der Antragstellerin durch Fertigung von Lichtbildern, die Abnahme von Finger-, Handflächen- und Handkantenabdrücken sowie der Beschreibung und Messung ihrer Person angeordnet worden.

Die von der Antragsgegnerin geltend gemachten Beschwerdegründe, auf deren Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen zur Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Nach der im vorliegenden Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht Überwiegendes dafür, dass der angefochtene Bescheid vom 6. Juli 2009 rechtmäßig ist, so dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt und der Eilantrag der Antragstellerin keinen Erfolg hat.

Wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht ausgeführt hat, ist der angefochtene Bescheid nicht wegen rechtswidrig verweigerter Akteneinsicht und daraus folgender Verletzung rechtlichen Gehörs formell rechtswidrig. Die Antragstellerin ist mit Schreiben vom 17. Juni 2009 von der Polizeiinspektion Cloppenburg zu der beabsichtigten erkennungsdienstlichen Behandlung angehört worden. Von dieser Möglichkeit hat sie vor Erlass des angefochtenen Bescheides jedoch keinen Gebrauch gemacht. Ihrem Vorbringen, sie habe sich deswegen nicht äußern können, weil ihr zu Unrecht Akteneinsicht verweigert worden sei, kann nicht gefolgt werden. Dies gilt schon deshalb, weil das Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 22. Juni 2009 seinem Inhalt nach nur auf die Gewährung von Akteneinsicht in die bei der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsakten gerichtet gewesen ist, die ihm - auf sein nahezu wortgleiches Akteneinsichtsgesuch vom 18. Mai 2009 - zwischenzeitlich bereits übersandt worden waren und die er dann mit Schreiben vom 24. Juni 2009 an die Staatsanwaltschaft Oldenburg zurückgesandt hat. Aber selbst wenn das Akteneinsichtsgesuch erkennbar auf die Einsichtnahme in die bezüglich der erkennungsdienstlichen Behandlung bei der Polizeiinspektion Cloppenburg geführten Verwaltungsvorgänge gerichtet gewesen wäre, würde eine unrechtmäßige Verweigerung des Akteneinsichtsrechts und eine damit einhergehende Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen. Da die Anhörung im vorliegenden Eilverfahren nachgeholt worden ist, wäre ein etwaiger Verfahrensfehler nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG geheilt worden. Im Übrigen kann nach § 46 VwVfG die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Da hier jeder vernünftige Zweifel auszuschließen ist, dass ohne die Verletzung des Akteneinsichtsrechts eine andere Entscheidung ergangen wäre (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl., § 46 Rn. 37), wäre ein nicht geheilter Verfahrensfehler jedenfalls unbeachtlich.

Entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung begegnet der angefochtene Bescheid der Polizeiinspektion Cloppenburg vom 6. Juli 2009 auch materiellrechtlich keinen Bedenken.

Gemäß § 81 b 2. Alt. StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Derartige erkennungsdienstliche Unterlagen werden nicht für Zwecke eines gegen den Betroffenen gerichteten oder irgendeines anderen konkreten Strafverfahrens erhoben. Ihre Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung in kriminalpolizeilichen Sammlungen dient nach ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung - ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren - der vorsorgenden Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben, die der Kriminalpolizei hinsichtlich der Erforschung und Aufklärung von Straftaten zugewiesen sind (BVerwG, Urt. v. 23.11.2005 - BVerwG 6 C 2.05 -, NJW 2006, 1225 m.w.N.). Es handelt sich nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei § 81 b 2. Alt. StPO nicht um eine Regelung im Bereich der Strafverfolgung, sondern um die Ermächtigung zu Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge im Sinne präventiv-polizeilicher Tätigkeit. Die Vorschrift dient der vorsorgenden Bereitstellung von Hilfsmitteln für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten. Die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen bemisst sich dementsprechend danach, ob der Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, währenddessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend - fördern könnten (BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 - BVerwG 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192 ff. = NJW 1983, 772 ff.; BVerwG, Urt. v. 23.11.2005, a.a.O.). Notwendig für Zwecke des Erkennungsdienstes ist die Erhebung von solchen erkennungsdienstlichen Unterlagen, die für zukünftige Ermittlungen geeignet sind und diese fördern könnten. Wegen der Begrenzung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen auf das notwendige Maß darf im konkreten Einzelfall die Schwere des mit der konkreten erkennungsdienstlichen Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht des mit der Maßnahme verfolgten öffentlichen Interesses namentlich an der Aufklärung künftiger Straftaten stehen (vgl. Urteile des Senats v. 26.2.2009 - 11 LB 431/08 -, v. 28.6.2007 - 11 LC 372/06 - u. v. 28.9.2006 - 11 LB 53/06 -, Nds.VBl. 2007, 42).

Im vorliegenden Verfahren bestehen keine Zweifel an der Eignung der der Antragstellerin abverlangten erkennungsdienstlichen Unterlagen, künftige - den Betroffenen schließlich überführende oder entlastende - Ermittlungen zu fördern. Dies gilt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch hinsichtlich der Abnahme von Finger-, Handflächen- und Handkantenabdrücken. Die nach dem angefochtenen Bescheid von der Antragstellerin zu erhebenden Daten entsprechen dem aus kriminalpolizeilicher Erfahrung erwachsenen erkennungsdienstlichen Standard. Eine besondere deliktstypische oder schutzgutspezifische Gefährdungslage, die die Erhebung einzelner Merkmale überflüssig erscheinen ließe, ist nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht festzustellen.

Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, bestehen nach kriminalistischer Erfahrung hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Antragstellerin künftig als Verdächtige in den Kreis potentiell Beteiligter an einer aufzuklärenden Handlung nach dem Betäubungsmittelgesetz einbezogen werden könnte, weil auch unter Berücksichtigung der bei Betäubungsmitteldelikten generell bestehenden hohen Rückfallwahrscheinlichkeit die Gefahr besteht, dass sie in Zukunft unerlaubt Betäubungsmittel erwerben wird. Der präventiven Arbeit der Polizei kommt gerade bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität eine besondere Bedeutung zu. Erkennungsdienstliche Unterlagen sind insoweit geeignet, sowohl die Identifizierung von Dealern als auch von Rauschmittelabnehmern zu fördern und damit zur Eindämmung und Aufklärung entsprechender Straftaten beizutragen (vgl. Beschlüsse des Senats v. 10.8.2009 - 11 LA 401/08 - u. v. 18.5.2009 - 11 ME 188/09 -; Bay.VGH, Beschl. v. 2.6.2003 - 24 ZB 03.682 -). Insbesondere besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran zu erfahren, von wem Rauschmittelkonsumenten ihre Ware beziehen. Es kommt deshalb auch nicht maßgeblich darauf an, dass für die bisherigen Ermittlungsverfahren erkennungsdienstliche Unterlagen über die Antragstellerin nicht erforderlich waren und die Identität der Antragstellerin bei einem Drogenkauf an einem szenetypischen Ort möglicherweise auch ohne Abnahme von Finger-, Handflächen- und Handkantenabdrücken anhand der Vorlage von Fotos feststellbar wäre. Wie die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde überzeugend dargelegt hat, sind im Bereich der Drogenkriminalität andere Situationen denkbar, in denen Finger-, Handflächen- und Handkantenabdrücke die Ermittlungen fördern können. So kann, wenn etwa vor einer polizeilichen Kontrolle Drogen, Verpackungsmaterial oder Transportmittel weggeworfen werden, eine Zuordnung dieses Materials zu einem Täter nur über den Abgleich der Finger- und Handabdrücke erfolgen. Dies gilt entsprechend für bei einem Drogenkauf verwendete Geldscheine. Ein Abgleich von Abdrucken kann weiterhin bei der Feststellung hilfreich sein, ob sich ein Verdächtiger an einem szenetypischen Ort oder in der Wohnung eines Drogendealers aufgehalten hat. Insofern ist es durchaus denkbar, dass für künftige Ermittlungsverfahren im Bereich der Drogenkriminalität auch Finger-, Handflächen- bzw. Handkantenabdrücke der Antragstellerin nützlich sein können.

Dass die Antragsteller bisher noch nicht wegen der Begehung eines Betäubungsmitteldelikts verurteilt worden ist, steht der Rechtmäßigkeit der angeordneten erkennungsdienstlichen Behandlung nicht entgegen. Auch nach §§ 153 ff. oder § 170 Abs. 2 StPO eingestellte Strafverfahren können bei der Beurteilung der Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen berücksichtigt werden, soweit sich aus ihnen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Betroffene auch zukünftig Anlass zu polizeilichen Ermittlungen geben könnte (vgl. im Zusammenhang mit der Speicherung erhobener Daten: BVerfG, Beschl. v. 1.6.2006 - 1 BvR 2293/03 -; Beschl. v. 16.5.2002 - 1 BvR 2257/01 -, NJW 2002, 3231 f.). Derartige Anhaltspunkte sind nicht erst dann gegeben, wenn bei dem Betroffenen größere Mengen eines Betäubungsmittels aufgefunden worden sind oder der Verdacht des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln besteht. Auch andere Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz können die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen rechtfertigen. Zwar kann von der strafrechtlichen Verfolgung abgesehen werden, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge besitzt (vgl. § 31 a Abs. 1 BtMG). Der präventiven Arbeit der Polizei kommt jedoch, wie bereits ausgeführt worden ist, gerade bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität besondere Bedeutung zu, um entsprechende Straftaten aufklären und eindämmen zu können. Dass erkennungsdienstliche Maßnahmen regelmäßig erst bei schwereren Betäubungsmitteldelikten polizeilich angeordnet würden, kann nach den Erfahrungen des Senats aus vergleichbaren Verfahren nicht bestätigt werden. Im vorliegenden Fall ist die Antragstellerin 2008 und 2009 immerhin insgesamt fünfmal im Zusammenhang mit dem Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln aufgefallen. Diese Vorfälle lassen sich in ihrer Gesamtheit nicht als Bagatelldelikte einstufen, bei denen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung unverhältnismäßig wäre. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der Bekämpfung der Drogenkriminalität.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der angefochtene Bescheid vom 6. Juli 2009 auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Polizeiinspektion Cloppenburg kein Ermessen ausgeübt hat. Vielmehr lässt sich der Begründung des Bescheides entnehmen, dass die Behörde ihr Ermessen erkannt und dieses auch ausgeübt hat. In dem angefochtenen Bescheid werden die Vorfälle, in denen die Antragstellerin bisher strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, im Einzelnen benannt und es wird die Prognose einer Wiederholungsgefahr gestellt. Weiter wird ausgeführt, dass die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung wegen der wiederholten Ermittlungen wegen Straftaten und der bestehenden Wiederholungsgefahr für erforderlich gehalten wird. Diese knappen Erwägungen hat die Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren gemäß § 114 Satz 2 VwGO in hinreichender Weise ergänzt.

Ende der Entscheidung

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