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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 30.05.2007
Aktenzeichen: 12 LA 238/06
Rechtsgebiete: FeV, StVG
Vorschriften:
FeV § 12 | |
FeV Anlage 6 | |
StVG § 2 Abs. 4 | |
StVG § 3 Abs. 1 |
NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS
Aktenz.: 12 LA 238/06
Datum: 30.05.2007
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich dagegen, dass ihm der Beklagte die begehrte Verlängerung seiner Fahrerlaubnis für die Klassen C und CE versagt und die Fahrerlaubnis für die Klassen C1 und C1E entzogen hat.
Unter dem 9. Oktober 2002 beantragte der Kläger kurz vor Vollendung seines 50. Lebensjahres die Verlängerung der Fahrerlaubnis der Klasse CE. Er legte in diesem Zusammenhang ein augenärztliches Gutachten des Facharztes für Augenheilkunde Dr. med. B. vom 29. Juli 2002 vor. In diesem Gutachten wird die zentrale Sehschärfe ohne Glas rechts und links auf jeweils 0,2 und mit Glas auf 0,8 rechts und 0,7 links sowie beidäugig auf 0,8 bestimmt. Ein Stereosehen sei nicht vorhanden. Der Kläger leide unter einem strabismus convergens sowie einer Rotschwäche. Das Sehvermögen für die beantragte Fahrerlaubnis der Klasse CE sei mit Brille ausreichend. Der Kläger sei "als Inhaber nach der alten Verordnung tauglich".
Nach vorheriger Anhörung des Klägers lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16. Januar 2003 eine Verlängerung der Fahrerlaubnis für die Fahrerlaubnisklassen C und CE ab und entzog dem Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis der Klassen C1 und C1E. Der Kläger sei wegen der bei ihm gegebenen Beeinträchtigungen des Sehvermögens in Gestalt des strabismus convergens und des nicht gegebenen Stereosehens nach den Maßstäben des § 12 FeV zum Führen von Kraftfahrzeugen der in Rede stehenden Fahrerlaubnisklassen nicht geeignet. Den gegen den Bescheid vom 16. Januar 2003 erhobenen Widerspruch des Klägers wies die vormalige Bezirksregierung Weser-Ems mit Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2003 zurück. Ein bei dem Verwaltungsgericht anhängig gemachter Eilantrag des Klägers gegen die für sofort vollziehbar erklärte Fahrerlaubnisentziehungsverfügung blieb ohne Erfolg (Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 3. April 2003 - 2 B 10/03 -).
Die von dem Kläger erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht zunächst mit Gerichtsbescheid vom 12. Januar 2006 und, nachdem der Kläger die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragt hatte, mit Urteil vom 12. Mai 2006 abgewiesen. In den Gründen seiner Entscheidungen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei zu Recht ergangen, denn der Kläger erfülle nicht die Anforderungen an das Sehvermögen, die nach § 12 Abs. 1 FeV und der Anlage 6 zu den §§ 12, 48 Abs. 4 und 5 der Fahrerlaubnis-Verordnung (im Folgenden: Anlage 6) zum Führen von Kraftfahrzeugen erfüllt sein müssten. In Bezug auf die in dem Bescheid vom 16. Januar 2003 enthaltene Entzugsverfügung für die Klassen C1 und C1E sei die Anlage 6 in ihrer Fassung vom 7. August 2002 (BGBl. I S. 3267, 3285) maßgeblich, weil insoweit auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids der vormaligen Bezirksregierung Weser-Ems vom 10. Oktober 2003 als der letzten behördlichen Entscheidung abzustellen sei. Nach Ziffer 2.2.3.2 der Anlage 6 in der genannten Fassung müssten auch Fahrzeugführer, denen - wie dem Kläger - bis zum 31. Dezember 1998 eine den hier in Rede stehenden Klassen entsprechende Fahrerlaubnis erteilt worden sei, zum normalen Stereosehen befähigt sein. Ausweislich des vorgelegten augenärztlichen Gutachtens vom 29. Juli 2002 verfüge der Kläger über diese Fähigkeit nicht. Entgegen der Auffassung des Klägers handele es sich bei dem Begriff des Stereosehens nicht um einen unbestimmten Rechtsbegriff, sondern um einen - hier von seinen Voraussetzungen her erfüllten - medizinischen Fachbegriff. Auch der Einwand des Klägers, es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, dass die Anlage 6 die Fähigkeit zum Stereosehen nur für beidäugige Bewerber, nicht aber für einäugige Bewerber fordere, verhelfe der Klage nicht zum Erfolg. Die entsprechende, in der Anlage 6 enthaltene Differenzierung könne bereits deshalb nicht als willkürliche Ungleichbehandlung angesehen werden, weil sie in die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 115), denen die Qualität eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukomme, aufgenommen worden sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass in dem vorgelegten augenärztlichen Gutachten vom 29. Juli 2002 das Sehvermögen des Klägers trotz der nicht gegebenen Fähigkeit zum Stereosehen als ausreichend für die begehrte Fahrerlaubnis bewertet worden sei. Denn diese Feststellung sei ausdrücklich im Hinblick auf die alte Verordnung getroffen worden, die das Erfordernis des Stereosehens noch nicht vorgesehen habe. Die insoweit veränderte und hier anwendbare Fassung der Anlage 6 vom 7. August 2002 sei erst am 23. August 2002 bekannt gemacht worden. Für die Verpflichtungsklage des Klägers auf Verlängerung der Fahrerlaubnisklassen C und CE sei die derzeit geltende Fassung der Anlage 6 vom 9. August 2004 (BGBl. I S. 2092, 2093) maßgeblich, die im Hinblick auf das Erfordernis des Stereosehens Abweichungen im Vergleich zu der Fassung vom 7. August 2002 nicht enthalte.
In den Gründen seines angefochtenen Urteils hat das Verwaltungsgericht weiter ausgeführt, für die von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung beantragte und durch gerichtlichen Beschluss abgelehnte Beweiserhebung zu der Frage, ob trotz des festgestellten Mangels in Gestalt der Unfähigkeit zum Stereosehen die Fahreignung gegeben sei, habe kein Raum bestanden. Die Anlage 6 enthalte - anders als die Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 der Fahrerlaubnis-Verordnung (im Folgenden: Anlage 4) in Gestalt der Ziffer 3 ihrer Vorbemerkungen - keinen einschränkenden Vorbehalt dahingehend, dass die vorgenommenen Bewertungen nur für den Regelfall Geltung beanspruchten. Die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung habe deshalb nicht bestanden.
II.
Der Berufungszulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von dem Kläger geltend gemachten Berufungszulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Verfahrensmangelhaftigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) greifen nicht durch.
Der Kläger sieht nach der Begründung seines Zulassungsantrages die Voraussetzungen beider von ihm in Anspruch genommener Berufungszulassungsgründe dadurch erfüllt, dass das Verwaltungsgericht dem nach den Umständen des Falles gegebenen Erfordernis zur Einholung eines Sachverständigengutachtens über seine, des Klägers, Kraftfahreignung nicht genügt habe. Der Kläger verweist hierzu auf die Ziffern 1 und 2 der Vorbemerkungen der Anlage 4. Nach der Ziffer 1 der Vorbemerkungen seien nur häufiger vorkommende Erkrankungen und Mängel, nicht aber seltenere Erkrankungen, zu denen die Unfähigkeit zum Stereosehen zähle, in die Aufstellung aufgenommen worden. Gerade in solchen Fällen dränge sich die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Frage der bestehenden Kraftfahreignung auf. Dies gelte umso mehr, als Ziffer 2 der Vorbemerkungen die Einholung eines ärztlichen Gutachtens bereits für den Regelfall vorsehe. Hätte das Verwaltungsgericht das hiernach erforderliche Sachverständigengutachten eingeholt, hätte sich ergeben, dass er, der Kläger, auf Grund seiner individuellen Sehfähigkeiten einem Einäugigen, für den nach der Anlage 6 die Anforderung des Stereosehens nicht gelte, gleichzustellen sei.
Aus diesem Vortrag, der die Grundlage für die von dem Senat im Berufungszulassungsverfahren vorzunehmenden Prüfung bildet (Meyer-Ladewig/ Rudisile, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, Loseblattsammlung, Stand: April 2006, § 124a, Rn. 126, 131) ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, noch eine Verfahrensmangelhaftigkeit im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO in Form einer Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen einer durch das Prozessrecht nicht gedeckten Ablehnung eines erheblichen Beweisantrages.
Der Kläger verkennt mit seinem Vorbringen die Systematik, die den Anlagen 4 und 6 im Hinblick auf fahreignungsausschließende körperliche Mängel zu Grunde liegt. Während die Anlage 4 eine nicht abschließende Auflistung unterschiedlicher, für die Fahreignung relevanter Erkrankungen und Mängel enthält, sind die Anforderungen, die im Hinblick auf das Sehvermögen der Fahrerlaubnisbewerber und -inhaber gestellt werden, in der Anlage 6 speziell geregelt (vgl. Jagow, in: Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl. 2006, § 2 StVG, Rn. 8; § 3 StVG, Rn. 2a).
Durch die Anlage 6 hat der Verordnungsgeber Mindestanforderungen für das Sehvermögen festgelegt, die den Begriff der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne der §§ 2 Abs. 4 und 3 Abs. 1 StVG verbindlich konkretisieren (Beschluss des Senats vom 19.7.2006 - 12 LA 378/05 - unter Verweis auf sein Urteil vom 11.12.1995 - 12 L 609/95 - sowie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.10.1992 - 11 C 29/92 -, BVerwGE 91, 117 ff., jeweils die vormalige Anlage XVII zur StVZO betreffend). Danach ist in den durch das Verwaltungsgericht zutreffend bestimmten hier maßgeblichen Fassungen der Anlage 6, deren Gültigkeit der Kläger mit seinem Zulassungsantrag nicht mehr in Zweifel gezogen hat, mit bindender Wirkung bestimmt, dass für die in Rede stehenden Fahrerlaubnisklassen ein normales Stereosehen erforderlich ist. Über diese Fähigkeit verfügt der Kläger nicht. Einschränkungen nach Art der Vorbemerkungen zu der eine Vielzahl von Erkrankungen und Mängeln betreffenden Anlage 4, die gegebenenfalls Raum für eine individuelle Begutachtung lassen, hat der Verordnungsgeber für die speziell auf das Sehvermögen im Sinne des § 12 FeV bezogene Anlage 6 nicht vorgesehen. Hiernach verbietet sich eine Übertragung des Regelungsgehaltes der Vorbemerkungen zur Anlage 4 auf die Anlage 6. Der Beklagte und das Verwaltungsgericht waren mithin nicht befugt, die Frage der Eignung des Klägers einer von der generellen Bewertung des Verordnungsgebers unabhängigen sachverständigen Begutachtung zuzuführen.
Ende der Entscheidung
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