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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 30.09.2004
Aktenzeichen: 12 LB 259/04
Rechtsgebiete: GSiG


Vorschriften:

GSiG § 2 Abs. 1 S. 2
GSiG § 3
GSiG § 3 Abs. 2
Einkommen und Vermögen des selbst nicht hilfebedürftigen (einsatzpflichtigen) Ehepartners kann im Rahmen von § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG nur berücksichtigt werden, soweit es über den Betrag hinausgeht, den er benötigt, um seinen eigenen individuell notwendigen Lebensunterhalt abzudecken (wie BVerwG, Urt. v. 26.11.1998 - 5 C 37/97 -, BVerwGE 108, 36 ff. zu § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG).
Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG).

Die am ........ 1919 geborene Klägerin und ihr am ........ 1922 geborener Ehemann leben seit dem 7. Juli 2002 bzw. dem 6. Oktober 1999 im Seniorenwohnsitz G. in D.. Die Klägerin verfügt nach den Angaben in ihrem Antrag auf Grundsicherung vom 26. November 2002 über geringe monatliche Zinseinkünfte sowie - nicht anrechenbare - Rentenleistungen aufgrund von Kindererziehungszeiten als eigenes Einkommen. Ihr Ehemann bezieht eine Altersrente in Höhe von 1.393,38 € sowie eine Betriebsrente in Höhe von 37,56 €. Beide erhalten jeweils Pflegegeld der Pflegestufe 2 in Höhe von 1.279,-- € von der zuständigen Pflegeversicherung. Die ungedeckten Heimkosten werden vom Beklagten im Rahmen der Gewährung von Hilfe zur Pflege gemäß § 68 BSHG übernommen.

Eine Klage der Beklagten gegen den Sohn der Klägerin und ihres Ehemannes aus übergeleitetem Recht gemäß § 91 BSHG auf Unterhalt für den Ehemann der Klägerin wies das Amtsgericht Hildesheim mit Urteil vom 8. März 2001 ab. Zur Begründung führte es aus, es müsse davon ausgegangen werden, dass der gegenwärtige Lebensbedarf des Ehemannes der Klägerin durch eigenes Einkommen gedeckt sei. Dieser sei daher nicht unterhaltsbedürftig. Dass er seinerseits einem Unterhaltsanspruch seiner Ehefrau (der Klägerin) ausgesetzt sei, führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn dieser Unterhaltsanspruch sei auf die Leistungsfähigkeit des Ehemannes der Klägerin beschränkt. Da er - bedingt durch die Notwendigkeit der Heimunterbringung - einen erhöhten Eigenbedarf habe, sei der eigene Unterhaltsanspruch seiner Ehefrau gegenwärtig begrenzt. Auf dem Umweg über den Unterhaltsanspruch des Ehepartners könne eine Erweiterung der in den §§ 1601 ff. BGB festgelegten personellen Grenzen der Unterhaltspflicht nicht erfolgen.

Den Antrag der Klägerin vom 26. November 2002 auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Januar 2003 ab. Zur Begründung führte sie aus, das Einkommen der Klägerin sei höher als die zu gewährende bedarfsorientierte Grundsicherung, wobei sich aus der beigefügten Bedarfsberechnung ergibt, dass die Beklagte auch die dem Ehemann der Klägerin zufließenden und seinen grundsicherungsrechtlichen Bedarf nach § 3 Abs. 1 GSiG übersteigenden Renteneinkünfte berücksichtigte.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 2003 im Wesentlichen zurück. Sie änderte zwar die Berücksichtigung der angenommenen Zinseinnahmen und gewährte der Klägerin Wohngeld in Höhe von 59,-- € monatlich, lehnte die beantragten Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz jedoch ab. In der Begründung ihres Bescheides hielt die Beklagte daran fest, dass das Einkommen und Vermögen des Ehemannes der Klägerin anzurechnen sei. Die Berechnung für diesen ergebe jedoch, dass er über ein seinen Bedarf nach § 3 GSiG übersteigendes Einkommen in Höhe von 706,81 € verfüge, das zur Deckung des Lebensunterhaltes der Klägerin einzusetzen sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 23. Mai 2003 Klage erhoben. Zur Begründung führte sie aus, entgegen der Auffassung des Beklagten seien auch die §§ 79 bis 84 BSHG im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz anwendbar. Das ergebe sich bereits aus § 3 Abs. 2 GSiG, der auf die §§ 76 bis 88 BSHG verweise. Neben dem Wortlaut spreche für die Anwendung der §§ 79 bis 88 BSHG auch eine verfassungskonforme Auslegung. Der existenznotwendige Bedarf einer Person falle in den grundrechtlich geschützten Bereich, in den der Staat nicht eingreifen dürfe. Jedem müsse der Teil seines Einkommens belassen werden, den er zur Befriedigung seines existenznotwendigen Lebensbedarfs benötige. Dieser Bedarf sei nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalles zu bestimmen, ggfls. unter Berücksichtigung des Mehrbedarfs für eine Heimunterbringung. Bei Anwendung dieser Grundsätze sei das Einkommen ihres Ehemannes, der dieses zur Abdeckung der Kosten seiner eigenen Heimunterbringung benötige, auch grundsicherungsfest. Der Beklagte übersehe, dass es vorliegend nicht um ihren Bedarf gehe, sondern darum, welche Einkünfte ihres Ehemannes im Rahmen der Berechnung der Grundsicherungsleistungen berücksichtigungsfähig seien. Da dessen Einkünfte in voller Höhe zur Deckung seines eigenen Bedarfs benötigt würden, habe sie auch unterhaltsrechtlich keine Ansprüche gegen ihren Ehemann. Dass die Berücksichtigung der Einkünfte ihres Ehemannes möglicherweise sozialhilferechtliche Ansprüche von seiner Seite begründe, weil ihm die notwendigen Mittel für seinen Lebensunterhalt entzogen würden, bilde keinen Ausgleich. Die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage Sozialleistungen an sie und ihren Ehemann gewährt würden, sei auch in unterhaltsrechtlicher Hinsicht von Bedeutung. Sie habe zwei Kinder, die ihr gegenüber grundsätzlich unterhaltspflichtig seien (nur einer der Söhne ist auch Kind des Ehemannes der Klägerin). Der Rückgriff des Sozialhilfeträgers auf die Unterhaltspflichtigen sei jedoch im Sozialhilferecht und im Grundsicherungsrecht unterschiedlich geregelt, da nach § 2 GSiG Unterhaltsansprüche gegen Kinder nicht zu berücksichtigen seien, sofern deren Einkommen 100.000,-- € nicht überschreite. Im Falle der Gewährung von Grundsicherungsleistungen reduzierten sich die übergeleiteten Ansprüche daher erheblich, woran sie ein besonderes rechtliches Interesse habe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15. Januar 2003 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2003 zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ohne Anrechnung eigenen Einkommens und des Einkommens ihres Ehemannes zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, anders als die Sozialhilfe sei die Grundsicherung nicht bedarfsdeckend, sondern lediglich bedarfsorientiert. Das führe dazu, dass Bedarf nur in den im Grundsicherungsgesetz festgelegten Grenzen berücksichtigt werden könnten. Darüber hinausgehender Bedarf sei weiterhin im Rahmen der Sozialhilfe geltend zu machen. Gemäß § 2 Abs. 1 GSiG hätten Antragsberechtigte einen Anspruch auf Grundsicherung nur, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen beschaffen könnten. Das Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten, das den Bedarf und die Grenzen des § 3 übersteige, sei zu berücksichtigen. Ausgehend von dem grundsicherungsrechtlichen Bedarf des Ehemannes der Klägerin verbleibe bei diesem ein Einkommensüberschuss in Höhe von 706,81 €, der bei der Klägerin als Einkommen anzurechnen sei. Die Anwendung der Einkommensgrenzen der Hilfe in besonderen Lebenslagen, die die Klägerin begehre, sei insoweit nicht möglich. Dies werde durch die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 GSiG ausgeschlossen. Auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gewährleistung des Existenzminimums im Steuerrecht könne die Klägerin sich nicht berufen. Dessen Entscheidung beziehe sich darauf, dass der sozialhilferechtlich bestimmte Mindestbedarf, der im allgemeinen durch Hilfen zum Lebensunterhalt gedeckt werde, nicht unterschritten werden dürfe.

Das Verwaltungsgericht hat der Klägerin durch Beschluss vom 11. November 2003 Prozesskostenhilfe versagt und die Klage mit Urteil vom 5. Dezember 2003 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, im Rahmen der Anwendung von § 3 Abs. 2 GSiG komme eine entsprechende Anwendung der §§ 79 bis 87 BSHG grundsätzlich nicht in Betracht, da diese Vorschriften den Einsatz von Einkommen der - mit der Grundsicherung nicht vergleichbaren - Hilfe in besonderen Lebenslagen regelten. Somit laufe die in § 3 Abs. 2 GSiG enthaltene entsprechende Verweisung auf die Vorschriften der §§ 76 bis 88 BSHG in Teilbereichen schon mangels einer vergleichbaren Situation leer. Aus den Gesetzesmaterialien sei ebenfalls nicht zu entnehmen, dass bei Personen, die Sozialhilfe als Hilfe in besonderen Lebenslagen in Form der Hilfe zur Pflege erhielten, nunmehr auch im Rahmen der Grundsicherungsleistungen die besondere Einkommensgrenze des § 81 BSHG angewendet werden solle. Dort sei nämlich lediglich ausgeführt, dass das Gesetz auf eine eigenständige Definition von Einkommen und Vermögen verzichte. Zur Berechnung des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen bei nicht getrenntlebenden Ehegatten sei ausdrücklich ausgeführt: "Außer dem eigenen Einkommen und Vermögen der antragsberechtigten Person ist nur noch dasjenige des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft zu berücksichtigen. Bei der Ermittlung des Anspruchs ist in diesem Fall der den nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 zu ermittelnde Eigenbedarf überschiessende Bedarf in die Berechnung einzustellen". Dies belege, dass das Grundsicherungsgesetz, wie auch in § 1 GSiG zum Ausdruck komme, nur zur Sicherung des Lebensunterhaltes diene und besondere Bedarfslagen, die sich z.B. bei der Unterbringung in Anstalten ergäben, nicht berücksichtige. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen seien nicht ersichtlich. Der existenznotwendige Bedarf der Klägerin sei in jedem Fall über das Bundessozialhilfegesetz gewährleistet.

Auf den Antrag der Klägerin hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 28. Juni 2004 zugelassen und ihrer Beschwerde gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom gleichen Tag stattgegeben sowie für das Berufungsverfahren mit Beschluss vom 17. August 2004 Prozesskostenhilfe bewilligt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob im Rahmen der Anrechnung des Einkommens des Ehegatten nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG i.V.m. § 3 GSiG der - erhöhte - individuelle eigene Bedarf des Ehegatten zu berücksichtigen sei, sei umstritten und in der Rechtsprechung bisher nicht abschließend geklärt. Die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, im Rahmen des § 3 Abs. 2 GSiG, komme eine entsprechende Anwendung der §§ 79 bis 87 BSHG grundsätzlich nicht in Betracht, so dass die in § 3 Abs. 2 GSiG enthaltene Verweisung (auch) auf diese Vorschriften weitgehend leer laufe, werde von namhaften Stimmen in der Literatur nicht geteilt.

Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2004 hat die Klägerin die Berufung begründet und ausgeführt, die Auffassung des Beklagten und des Verwaltungsgerichts zur Nichtanwendbarkeit der §§ 79 bis 87 BSHG sei unzutreffend. Das ergebe sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut. In den Gesetzesmaterialien sei lediglich allgemein von der Definition von Einkommen und Vermögen sowie der Berechnung des Anspruchs die Rede. Eine verfassungskonforme Auslegung müsse daher berücksichtigen, dass dem nicht getrennt lebenden Ehegatten aus dem eigenen Einkommen das verbleiben müsse, was er zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs benötige. Der Ehemann der Klägerin müsse sein Einkommen jedoch für die von ihm zu deckenden Heimkosten aufwenden. Im vorliegenden Fall sei - anders als das Verwaltungsgericht meine - auch nicht maßgeblich, ob der existenznotwendige Bedarf der Klägerin gefährdet sei. Es gehe um den existenznotwendigen Bedarf ihres Ehemannes, den dieser bei einer Anrechnung seines Einkommens auf den Grundsicherungsbedarf der Klägerin nicht mehr decken könne. Das notwendige Existenzminimum müsse jedoch auch bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen dem nicht getrennt lebenden Ehegatten verbleiben.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 5. Dezember 2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 15. Januar 2003 sowie des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2003, soweit darin die Gewährung von Leistungen versagt worden ist, zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ohne Anrechnung des Einkommens ihres Ehemannes zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie halte an der Auffassung fest, dass die §§ 79 bis 87 BSHG im Rahmen von § 3 Abs. 2 GSiG nicht anwendbar seien. Bei der Verweisung (auch) auf diese Vorschriften handele es sich um ein offensichtliches Redaktionsversehen. Diese Auffassung werde durch Äußerungen in der Literatur gestützt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und auf das Zulassungsverfahren (12 LA 61/04) sowie die ergangenen Prozesskostenhilfebeschlüsse verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin - über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO) - hat Erfolg. Denn entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - GSiG - in der Fassung von Art. 12 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1310, 1335), geändert durch Gesetz zur Verlängerung von Übergangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz vom 27. April 2002 (BGBl. I S. 1462). Dabei versteht der Senat das Begehren der Klägerin in deren wohlverstandenem Interesse dahin, dass sie sich allein gegen die Berücksichtigung von Einkünften ihres Ehepartners wendet, die dieser - wie gegenwärtig - zur Bestreitung seines eigenen notwendigen Lebensunterhaltes benötigt, nicht jedoch gegen die Anrechnung eigenen Einkommens, soweit dieses - wie die (geringen) Zinseinkünfte - einsatzpflichtig ist.

Rechtsgrundlage für die Gewährung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz sind die §§ 2 Abs. 1, 3 GSiG. Danach haben Antragsberechtigte Anspruch auf Leistungen der beitragsunabhängigen, bedarfsorientierten Grundsicherung, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können, wobei Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen ist (§ 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GSiG). Für den Einsatz von Einkommen und Vermögen des Grundsicherungsberechtigten und seines Ehepartners gelten die §§ 76 bis 88 BSHG entsprechend (§ 3 Abs. 2 GSiG).

Im Rahmen der Prüfung, inwieweit Einkommen des Ehegatten zu berücksichtigen ist, ist die für das vorliegende Verfahren zunächst entscheidungserhebliche Frage, ob der in § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG genannte Bedarf des Ehegatten des grundsicherungsbedürftigen Antragsberechtigten - wie die Beklagte meint - durch § 3 Abs. 1 GSiG abschließend bestimmt und damit gleichsam "gedeckelt" ist, von der weiteren Frage, welchen Sinngehalt die Verweisung des § 3 Abs. 2 GSiG auf die §§ 76 ff BSHG hat, zu unterscheiden: Erstere betrifft die Auslegung der Wendung in § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG "Bedarf ... des § 3", letztere die Interpretation von § 3 Abs. 2 GSiG sowie der darin enthaltenen Verweisung auf die §§ 76 bis 88 BSHG, die auch die die Einkommensgrenzen für Hilfen in besonderen Lebenslagen betreffenden Vorschriften der §§ 79 bis 87 BSHG einschließt.

1. Der Senat geht nach den ihm bekannten tatsächlichen Verhältnissen davon aus, dass die Klägerin und ihr Ehemann, die beide in dem Pflegeheim G., C., in D. wohnen, im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG nicht getrennt leben. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 26. Januar 1995 (Az.: 5 C 8/93, BVerwGE 97, 344 ff.) - zu den Regelungen der §§ 28, 29 BSHG - ausgeführt, dass von einem Getrenntleben von Ehegatten nur auszugehen sei, wenn die Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen ihnen nach den tatsächlichen Verhältnissen nicht nur vorübergehend aufgehoben werde. Dass Ehegatten wegen des pflegebedingten Aufenthalts eines von ihnen in einem Heim räumlich voneinander getrennt lebten und eine Wirtschaftsgemeinschaft zwischen ihnen nicht mehr bestehe, reiche allein für die Annahme eines Getrenntlebens nicht aus (BVerwG, a.a.O.). Dies setze vielmehr voraus, dass sich aus den ihre Beziehung zueinander kennzeichnenden Gesamtumständen ergebe, dass mindestens einer von ihnen den Willen habe, sich vom anderen Ehegatten unter Aufgabe der bisherigen Lebensgemeinschaft auf Dauer zu trennen (BVerwG, a.a.O.). Der Senat hält diese Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts auch auf das Recht der Grundsicherung und die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG für übertragbar. Ihm liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, die Grundlage für die Annahme geben, dass die bisherige Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann in dem hier streitigen Zeitraum aufgehoben gewesen ist.

2. Daher ist vom Eingreifen des § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG auszugehen, der die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des Ehegatten des Grundsicherungsberechtigten vorsieht. Vorliegend kommt eine derartige Anrechnung indes nicht in Betracht.

a. Zwar sieht die Wortfassung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG vor, dass " ... Einkommen und Vermögen des ... Ehegatten ..., die den Bedarf und die Grenzen des § 3 übersteigen, ..." für die Bemessung des zugrunde zu legenden Bedarfs sowohl des Grundsicherungsberechtigten wie seines nicht getrennt lebenden Ehegatten heranzuziehen sind. Hieraus darf aber nicht abgeleitet werden, dass der Ehepartner des Grundsicherungsberechtigten sein Einkommen und Vermögen ohne Rücksicht auf seinen eigenen notwendigen Lebensbedarf, der u.U. erheblich höher als der nach § 3 Abs. 1 GSiG berücksichtigungsfähige Bedarf sein kann, zu Gunsten des anderen Ehepartners einsetzen müsste.

b. Ein derartiges Verständnis von § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG stünde nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das in seiner Entscheidung vom 26. November 1998 zu der im Bundessozialhilfegesetz geregelten Einsatzverpflichtung des Ehepartners eines Hilfesuchenden in § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG ausgeführt hat, dass das Einkommen und Vermögen des selbst nicht hilfebedürftigen Ehepartners nur berücksichtigt werden könne, soweit es über den Betrag hinausgehe, den der einsatzpflichtige Ehepartner benötige, um seinen eigenen Bedarf abzudecken (BVerwG, Urteil v. 26.11.1998 - 5 C 37/97 -, BVerwGE 108, 36, 38; ebenso VG Hamburg, Urt. 17.2.2003 - 2 VG 42/99 - V.n.b.). Anderenfalls werde der Einsatzpflichtige durch den Entzug der für seinen eigenen Lebensunterhalt notwendigen Mittel selbst sozialhilfebedürftig. Eine solche Auslegung und Anwendung der Vorschrift verstoße jedoch, wie das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 1992 (2 BvL 5/91, BVerfGE 87, 153, 172) weiter ausführt, gegen das Grundrecht auf Achtung und Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), weil sie denjenigen, der sich selbst helfen könne (§ 2 Abs. 1 BSHG), verpflichte, seine Mittel für andere einzusetzen, mit der Folge, dass er dadurch selbst mittellos werde und auf staatliche Hilfe angewiesen sei.

Der Senat ist der Auffassung, dass diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch im Rahmen der Auslegung des § 2 Abs. 1 GSiG Berücksichtigung finden muss (im Ergebnis ebenso: Münder, Das Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, NJW 2002, 3661, 3662; Kunkel, Das Grundsicherungsgesetz, ZfSH/SGB 2003, 223, 328; Brühl/Hoffmann, Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Frankfurt 2002, S. 74). Sie beruht auf einer Auslegung von Art. 1 Abs. 1 GG und ist in ihrer Aussagekraft daher nicht auf den Bereich des Sozialhilferechts beschränkt. Auf der Grundlage der o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich daher die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung von § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG, die dem nicht getrennt lebenden Ehepartner des Grundsicherungsberechtigten den Erhalt seines eigenen notwendigen Lebensunterhalts gewährleistet.

c. Einer derartigen Interpretation steht nicht die vom Verwaltungsgericht angeführte Aussage der Gesetzesmaterialien entgegen, wonach bei der Ermittlung des Anspruchs von Ehegatten der - den nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 GSiG zu ermittelnde Eigenbedarf - überschießende (Einkommens-) Betrag in die Berechnung einzustellen sei (BT-Drs. 14/5150, S. 49). Aussagen in der Gesetzesbegründung stellen zwar ein Indiz für die Vorstellungen der maßgeblichen Gesetzgebungsorgane dar. Sie dürfen in ihrem Bedeutungsgehalt - anders als es die insoweit missverständlichen Formulierungen des Verwaltungsgerichts nahe legen - indes nicht dem Gesetzestext selbst gleichgestellt werden. Es handelt sich nicht um eine Äußerung des Gesetzgebers, sondern lediglich von Gremien der Gesetzgebungsorgane. Die Bundestagsdrucksache 14/5150 stellt den Bericht der Abgeordneten Lotz, Storm, Dückert, Schwaetzer und Maier aus dem Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung an den Bundestag zu einem Bündel äußerst umfangreicher Gesetzentwürfe dar, die vor allem die Rentenversicherungen und insbesondere die Einführung der sog. "Riester"-Rente betrafen. Die Einführung der Grundsicherung war ein zwar bedeutsamer, aber nur im Grundsatz umstrittener Einzelpunkt des gesamten Gesetzgebungsvorhabens. Für die Berichtsverfasser bestand daher kein Anlass, auf mögliche Einzelkonstellationen hinsichtlich der Berücksichtigung des Bedarfs des unterhaltspflichtigen Ehegatten des Grundsicherungsberechtigten einzugehen. Die Drucksache gibt auch keinen Hinweis darauf, dass die Berichtsverfasser bei der Formulierung ihrer Vorstellungen zur Bedarfsermittlung Fälle wie den vorliegenden überhaupt in den Blick genommen hätten oder sich gar mit der verfassungsrechtlichen Ausgangslage auseinander gesetzt hätten. Vieles spricht dafür, dass ihnen bei Abfassung des Berichts lediglich der Regelfall zusammen lebender Ehepartner ohne einen den Grundsicherungsbedarf des § 3 Abs. 1 GSiG übersteigenden Sonderbedarf eines Ehegatten vor Augen gestanden hat. Die bei Zeitler (NDV 2002, S. 381, 385) und Schoch (in LPK-GSiG, § 3 RdNr. 77) wiedergegebene Äußerung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 17. Dezember 2001, wonach durch den Verweis auf die Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes habe sicher gestellt werden sollen, dass Grundsicherungsberechtigte gegenüber Sozialhilfeempfängern nicht benachteiligt würden und im Einzelnen noch nicht absehbare Fallkonstellationen im Rahmen der §§ 79 bis 84 sowie des § 87 BSHG hätten mit abgedeckt werden sollen, deutet vielmehr - auch wenn sie sich auf die Verweisung in § 3 Abs. 2 GSiG bezieht - darauf hin, dass man sich im Zuge der Gesetzesberatungen selbst auf Seiten des zuständigen Fachministeriums nicht über sämtliche relevanten Fallgruppen und die sich möglicherweise ergebenden Fallkonstellationen in vollem Umfang im Klaren gewesen ist (vgl. insoweit auch die Aussagen von Erichsen in NDV 2004, 309, 310 f). Vor diesem Hintergrund kann der vom Verwaltungsgericht angeführten Aussage des Ausschussberichts kein ausschlaggebendes Gewicht für die Auslegung von § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG beigemessen werden.

d. Der Senat sieht sich in dieser Auffassung durch die am 1. Januar 2005 in Kraft tretende Neuregelung des Rechts der Grundsicherung durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I 2003, 3022) bestätigt. Dadurch sind die Vorschriften über die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des Ehegatten eines Grundsicherungsberechtigten in einer Weise neu gefasst worden, dass den oben dargelegten Bedenken Rechnung getragen ist. Nach § 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 12. Buch - SGB XII - sind Einkommen und Vermögen des Ehegatten, die dessen Bedarf nach diesem Buch (gemeint: das SGB XII) überschreiten, entsprechend den §§ 19 und 20 Satz 1 SGB XII zu berücksichtigen. Nach § 19 Abs. 2 Satz 2 SGB XII unterliegt das Einkommen und Vermögen des Ehegatten jedoch nur insoweit der Anrechnung, wie es dessen notwendigen Lebensunterhalt übersteigt. Der notwendige Lebensunterhalt ist - auch nach der Neuregelung des Rechts der Sozialhilfe und Überführung dieser Rechtsmaterie aus dem Bundessozialhilfegesetz in das SGB XII - jedoch weiterhin individuell zu bestimmen (§§ 27, 9 SGB XII). Der Senat sieht in der Neuregelung eine gesetzgeberische Klarstellung, die den oben dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung trägt, und hat daher keine Bedenken, bereits die geltende Fassung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG ebenfalls im Sinne der geänderten Gesetzesfassung zu verstehen.

e. Dieses Verständnis von § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG schließt eine Verwaltungspraxis wie die der Beklagten aus, die den Grundsicherungsberechtigten auf einen Unterhaltsanspruch gegen seinen Ehepartner verweist, obwohl dieser sein Einkommen zur Bestreitung seines eigenen existentiellen Bedarfs benötigt. Derartige Fälle, in denen ein individueller - die Grenzen des § 3 Abs. 1 GSiG überschreitender - Bedarf gegeben sein kann, sind etwa denkbar bei nicht krankenversicherten oder pflegebedürftigen Personen, bei in Einrichtungen lebenden Behinderten oder bei hohen (unangemessenen) Wohnkosten, die jedoch aus besonderen Gründen nicht gesenkt werden können. In solchen Fallgestaltungen kann die Situation auftreten, dass sowohl der sozialhilferechtlich anzuerkennende notwendige Lebensunterhalt wie auch der unterhaltsrechtliche Eigenbedarf des Ehegatten des Grundsicherungsberechtigten höher ist als dessen nach § 3 Abs. 1 GSiG berücksichtigungsfähiger Bedarf. Eine Verweisung des Grundsicherungsberechtigten auf Einkünfte des Ehegatten kann in derartigen Fälle auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass es dem Ehepartner des Hilfesuchenden freistehe, nach Erfüllung des Unterhaltsanspruches für seinen eigenen - nicht mehr gedeckten - notwendigen Lebensunterhalt Sozialhilfe zu beantragen. Denn dies führt gerade zu dem - abzulehnenden - Ergebnis, dass derjenige, der seinen Lebensunterhalt eigentlich aus eigenen Mitteln bestreiten kann, selbst sozialhilfebedürftig wird, weil ihm diese Mittel durch Anrechnung auf den Lebensbedarf seines Ehepartners faktisch entzogen werden. Eine solche Verwaltungspraxis träte überdies in vielen Fällen - wie auch hier - in Widerspruch zu dem Ziel des Grundsicherungsgesetzes, Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, die Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu ersparen (vgl. BT-Drs. 14/1186 v. 23.1.2001).

f. Als berücksichtigungsfähiger (Eigen-) Bedarf des Ehegatten des Grundsicherungsberechtigten ist vor diesem Hintergrund das verfassungsrechtliche Existenzminimum anzusehen, so dass für die hier in Betracht zu ziehenden Konstellationen der Rechtsbegriff des Bedarfs i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG mit dem - individuellen - sozialhilferechtlich notwendigen Lebensunterhalt des Betroffenen gleichgesetzt werden kann. Die Interpretation des § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG im Hinblick auf die Notwendigkeit, eine Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu vermeiden, begrenzt damit zugleich den berücksichtigungsfähigen Bedarf des einsatzpflichtigen Ehegatten auf den - individuell - notwendigen Lebensunterhalt, so dass etwa im Rahmen der Krankenhilfe die in den §§ 37 ff. BSHG vorgesehenen Leistungen und bei der Hilfe in Einrichtungen nur Entgelte, die den Anforderungen der § 93 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs., Satz 2 BSHG entsprechen, anzuerkennen sind, wohingegen über das Maß der Angemessenheit hinausgehende Aufwendungen nicht berücksichtigt werden können.

3. Die weitere Rechtsfrage, ob im Rahmen der den Einsatz von Einkommen und Vermögen regelnden Vorschrift des § 3 Abs. 2 GSiG auch die §§ 79 bis 85 Abs. 1 BSHG anwendbar sind, oder ob die Verweisung der Vorschrift auf diese Regelungen leer läuft (vgl. Renn/Schoch, LPK-GSiG, § 3 RdNr. 77 f., Wenzel, in: Fichtner, BSHG, § 3 RdNr. 12, Kunkel, a.a.O., S. 328 sowie auch Zeitler, NDV 2002, S. 381, 385), bedarf im vorliegenden Verfahren keiner abschließenden Beurteilung. Der Senat braucht aufgrund der von ihm vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG nicht zu entscheiden, ob im Rahmen von § 3 Abs. 2 GSiG und der hierdurch in Bezug genommenen Vorschriften der §§ 76 ff. BSHG eine Auslegung der Verweisung verfassungsrechtlich geboten ist, die jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden dem einsatzpflichtigen Ehegatten des Grundsicherungsberechtigten einen seinen notwendigen Lebensunterhalt sicherstellenden anrechnungsfreien Grundbetrag nach § 79 BSHG i.V.m. § 81 Abs. 1 Nr. 5 BSHG gewährleistet.



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