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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 14.05.2009
Aktenzeichen: 12 OA 354/08
Rechtsgebiete: GKG, VwGO


Vorschriften:

GKG § 66 Abs. 5 S. 1
GKG § 66 Abs. 5 S. 2
VwGO § 67 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Der Antragsteller hat sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Zulassung vorzeitigen Beginns für das von der Beigeladenen geplante Heizkraftwerk gewandt, die der Antragsgegner der Beigeladenen erteilt hat. Zur Begründung hat er sich auf von der Anlage ausgehende Gesundheitsgefährdungen, auf eine Wertminderung seines in der Nähe gelegenen Wohnhauses i.H.v. 80.000 bis 100.000 Euro sowie drohende Pachtverluste berufen. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen eingestellt und den Wert des Streitgegenstandes auf 47.500 Euro festgesetzt. Mit der Streitwertbeschwerde begehrt der Antragsteller eine Herabsetzung des Streitwertes auf einen möglichst niedrigen Betrag.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Der Zulässigkeit steht insbesondere nicht entgegen, dass der Antragsteller in diesem Verfahren nicht anwaltlich vertreten ist. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes am 1. Juli 2008 entsprach es der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung, dass für die Streitwertbeschwerde die Regelungen des GKG als speziellere Normen der Regelung des § 67 VwGO vorgehen und deshalb insoweit eine Vertretung durch einen Bevollmächtigten nicht erforderlich war (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 01.09.2005 - 1 S 1635/05 -, NJW 2006, S. 241; Bayerischer VGH, Beschl. v. 12.11.2002 - 1 C 02.2136-, NVwZ-RR 2003, 604; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 26.07.2006 - 2 OA 1043/06 -, juris; a.A. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 26.02.2003 - 8 OA 39/03 -, juris). Diese Auffassung hat auch der Senat vertreten (vgl. Beschl. des Senats v. 08.07.1997, - 12 O 3289/97 -, juris; Beschl. v. 21.08.2000 - 12 O 3031/00 -). Die Frage, ob der Vertretungszwang nach Maßgabe des § 67 Abs. 2 bis 7 VwGO seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts zum 1. Juli 2008 Geltung auch für die Streitwertbeschwerde beansprucht, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (dafür OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.09.2008 - 1 L 91.08 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 05.11.2008 - 3 O 577/08 -, juris; a.A., d.h. kein Vertretungszwang: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 09.09.2008 - 5 E 1093/08 -, NVwZ 2009, 123; offen gelassen: Bayerischer VGH, Beschl. v. 02.03.2009 - 7 C 08.1731 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 19.01.2009 - 3 S 2967/08, juris). Vor dem Hintergrund gerade auch neuerer Entwicklungen schließt sich der Senat der Auffassung an, wonach auch nach der Gesetzesänderung zum 1. Juli 2008 für Streitwertbeschwerden kein Vertretungszwang gilt.

Der Wortlaut des durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts eingefügten § 66 Abs. 5 GKG lässt verschiedene Deutungen zu. Danach können Anträge und Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben oder schriftlich eingereicht werden. Weiter heißt es: "Für die Bevollmächtigung gelten die Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensordnung entsprechend." Dieser Satz 2 kann als Regelung verstanden werden, die für die im Zusammenhang mit der Bevollmächtigung stehenden Fragen insgesamt den Vorrang der jeweiligen Verfahrensordnungen anordnet (so OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.09.2008, aaO; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 05.11.2208, aaO). Dann würde der im Prozess vor dem Oberverwaltungsgericht gemäß § 67 Abs. 4 VwGO vorgesehene Vertretungszwang auch für die Streitwertbeschwerde gelten. Denkbar ist aber auch, dass nur geregelt werden sollte, was gilt, falls sich die Beteiligten für eine Bevollmächtigung entscheiden. Dann wären unter Regelungen "für die Bevollmächtigung" nur solche zu verstehen, die sich mit dem "Wie" der Bevollmächtigung befassen, und etwa die Frage, durch welchen Bevollmächtigten sich die Beteiligten im kostenrechtlichen Verfahren vertreten lassen können, nach dem Fachrecht zu entscheiden. Für die Frage, "ob" es einer Vertretung bedarf, bliebe es dagegen bei der bisherigen Rechtslage, wonach kein Vertretungszwang anzunehmen war (so OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 09.09.2008, aaO).

Die Gesetzesbegründungen zu der genannten Änderung lassen ebenfalls keinen eindeutigen Schluss zu, da sie einander widersprechen. Während es in der Begründung zur Änderung des § 67 VwGO (BT-Drs. 16/3655, S. 97) heißt:

"Eine Ausnahme vom Vertretungszwang vor diesen Gerichten besteht nach Satz 1 nur in Prozesskostenhilfeverfahren. In allen übrigen Angelegenheiten, insbesondere bei der Abgabe von weitreichenden Prozesshandlungen wie etwa Erledigungserklärungen und Rechtsmittelrücknahmen, besteht künftig Vertretungszwang. Gleiches gilt für Streitwert- und Kostenbeschwerden."

wird in der Begründung zur Änderung des § 66 GKG (BT-Drs. 16/3655, S. 100) ausgeführt:

"Die Änderung der Vertretungsvorschriften in den einzelnen Verfahrensordnungen macht eine Anpassung für die kostenrechtlichen Verfahren erforderlich. Dabei kann sich jeder Beteiligte durch eine solche Person vertreten lassen, die auch nach der Verfahrensordnung des zugrunde liegenden Verfahrens Bevollmächtigter sein kann. Ein Anwaltszwang gilt in kostenrechtlichen Verfahren (wie bisher) nicht, wie durch den unveränderten § 66 Abs. 5 Satz 1 zweiter Halbsatz klargestellt wird."

Angesichts der danach weder anhand des Gesetzeswortlauts noch der Ausführungen in der Gesetzesbegründung eindeutig zu beantwortenden Frage des Vertretungszwanges für Streitwertbeschwerden war der Senat darauf verwiesen, den Regelungszweck und mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers anhand anderer Anhaltspunkte zu ermitteln. Aus neueren Entwicklungen ergibt sich, dass mit der seinerzeitigen Änderung ein Vertretungszwang für die Streitwertbeschwerde nicht geschaffen werden sollte. Die Bundesregierung, auf deren Initiative auch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts zurückging, hat nämlich zwischenzeitlich einen Gesetzentwurf zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht vorgelegt (vgl. BT-Drs. 16/11385). Darin ist vorgesehen, § 66 Abs. 5 Satz 1 Halbs.1 GKG wie folgt zu fassen: "Anträge und Erklärungen können ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden". Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/11385, S. 98, 99) soll dadurch "eine Klarstellung erfolgen", dass in Streitwert- und Kostenbeschwerden bzw. entsprechenden Erinnerungen auch dann kein Anwalts- oder Vertretungszwang besteht, wenn dies im zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren der Fall ist. Dadurch solle "Auslegungszweifeln in der Praxis" vorgebeugt werden. Nachdem der Rechtsauschuss des Bundestages sich mit dem Gesetzentwurf befasst und hinsichtlich dieser Regelung seine unveränderte Annahme empfohlen hat (vgl. BT-Drs. 16/12717), wurde er am 23. April 2009 in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag einstimmig angenommen. Auch wenn das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrechts noch nicht in Kraft getreten ist und der Rechtsausschuss des Bundesrates am 5. Mai 2009 - aus anderen Gründen - die Anrufung des Vermittlungsausschusses empfohlen (vgl. BR-Drs. 377/1/09) hat, so kann es jedenfalls als Indiz für den Willen des Gesetzgebers dienen und zur Auslegung herangezogen werden. Es ist danach davon auszugehen, dass der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts aus dem Jahr 2008 keinen Vertretungszwang schaffen wollte, sondern die Erhebung von Streitwert- und Kostenbeschwerden (weiter) ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten möglich sein sollte.

Die danach zulässige Beschwerde ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert gemäß § 53 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG in Anwendung der Nr. 19.2 i.V.m. Nrn. 2.2.1, 2.2.2. und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327) festgesetzt. Hinsichtlich der Eigentumsbeeinträchtigung hat es dabei 80.000 Euro und für die daneben geltend gemachten sonstigen Beeinträchtigungen (Gesundheit und Pachtausfall) einen Wert von 15.000 Euro angenommen und den sich ergebenden Wert wegen des einstweiligen Charakters des Rechtsstreites halbiert. Dies entspricht den Nrn. 2.2.1, 2.2.2 und 1.5 des Streitwertkatalogs, die auch der Senat in seiner ständigen Streitwertpraxis für immissionsschutzrechtliche Genehmigungen anwendet. Im vorliegenden Fall hat sich der Kläger jedoch nicht gegen eine immissionsschutzrechtliche (Voll)Genehmigung, sondern gegen die Zulassung vorzeitigen Beginns nach § 8a BImSchG gewandt. Insoweit bemisst der Senat den Streitwert in Anlehnung an Nr. 2.2.3 des Streitwertkatalogs mit 7.500 €. Die behauptete Wertminderung des Grundstücks in Höhe von 80.000 bis 100.000 Euro wurde dabei für das vorliegende Verfahren nicht streitwerterhöhend berücksichtigt. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung der Kostentragungspflicht des Antragstellers nämlich zutreffend darauf hingewiesen, der Antragsteller habe weder vorgetragen noch lägen Anhaltspunkte dafür vor, dass er durch die durch den angegriffenen Bescheid zugelassenen baulichen Maßnahmen beeinträchtigt werde. Vielmehr sei sein Begehren darauf gerichtet gewesen, vor den mit dem Betrieb des Heizkraftwerkes möglicherweise verbundenen Gefahren geschützt zu werden. Der Betrieb sei aber gerade nicht Regelungsgegenstand des angegriffenen Bescheides. Angesichts dessen erscheint es sachgerecht, bei der Bemessung des Streitwertes in dem vorliegenden - gegen die Zulassung des vorzeitigen Beginns der baulichen Maßnahmen (Errichtung der Anlage) gerichteten - Verfahrens, die vom Antragsteller geltend gemachte - sich auf den Betrieb des Kraftwerkes beziehenden - Eigentumsbeeinträchtigung ebenso außer Betracht zu lassen wie die angeblichen sonstigen Beeinträchtigungen.

Eine weitere Reduzierung des Streitwertes kommt nicht in Betracht. Insbesondere ist kein Abschlag für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 des Katalogs vorzunehmen, da angesichts der Vorläufigkeit der Maßnahme nach § 8a BImSchG bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Hauptsache in aller Regel, wie auch hier, vorweggenommen wird.

Ende der Entscheidung

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