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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 27.11.2008
Aktenzeichen: 13 OA 190/08
Rechtsgebiete: RVG, VV-RVG


Vorschriften:

RVG § 55
VV-RVG Nr. 2503
VV-RVG Nr. 3100
VV-RVG Vorb. 3 Abs. 4
Die Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV-RVG im Rahmen des Vergütungsfestsetzungsverfahrens nach § 55 RVG hängt nicht davon ab, dass die Geschäftsgebühr vom Mandanten an den Rechtsanwalt tatsächlich gezahlt wurde. Dies gilt unabhängig davon, ob die dem gerichtlichen Verfahren vorangegangene außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts im Wege der Beratungshilfe hätte vorgenommen werden können, oder nicht. Nur bei tatsächlicher Inanspruchnahme von Beratungshilfe richtet sich die Anrechnung der (dann geringeren) Geschäftsgebühr nicht nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV-RVG, sondern nach Nr. 2503 Abs. 2 VV-RVG.
Gründe:

I.

Den Klägern wurde mit Beschluss des Senats vom 15. Januar 2008 - 13 PA 204/07 - unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2007 Prozesskostenhilfe bewilligt und der Prozessbevollmächtigte zur Vertretung beigeordnet.

Unter dem 14. April 2008 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung in Höhe von insgesamt 895,48 EUR. Dabei wurde eine Verfahrensgebühr in Höhe von 380,90 EUR nach Nr. 3100 des Vergütungsverzeichnisses - VV - (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) auf Basis eines 1,3-fachen Gebührensatzes nach der Tabelle in § 49 RVG in Ansatz gebracht. Unter dem 22. Mai 2008 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf insgesamt 454,10 EUR fest. Dabei wurde die Hälfte einer Geschäftsgebühr auf Basis eines 1,3-fachen Gebührensatzes nach der Tabelle in § 13 Abs. 1 RVG (419,90 EUR) in Abzug gebracht; diese Anrechnung führte zum Mindestbetrag der Verfahrensgebühr in Höhe von 10,-- EUR (§ 13 Abs. 2 RVG). Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat mit seiner dagegen gerichteten Erinnerung geltend gemacht, dass die hälftige Geschäftsgebühr ebenso wie die Verfahrensgebühr nach der Tabelle in § 49 RVG zu berechnen sei. Die Erinnerung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit der am 28. Oktober 2008 eingelegten Beschwerde.

II.

Die Beschwerde, über die nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG der Berichterstatter des Senats als Einzelrichter entscheidet, hat keinen Erfolg.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts hat zu Recht bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung nach § 55 Abs. 1 RVG eine Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr nach der Tabelle des § 13 Abs. 1 RVG auf die im gerichtlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr nach der Tabelle des § 49 RVG vorgenommen; das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung zu Recht zurückgewiesen.

Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV wird eine Geschäftsgebühr nach den Nrn. 2300 bis 2303 VV zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet, soweit die Geschäftsgebühr wegen desselben Gegenstandes entstanden ist. Bei Entstehung mehrerer Gebühren ist nach Satz 2 dieser Bestimmung die zuletzt entstandene Gebühr maßgebend. Die Anwendung dieser Bestimmungen hat zur Folge, dass die aus der Prozesskostenhilfe von der Staatskasse an den Prozessbevollmächtigten der Kläger zu zahlende Vergütung um eine hälftige Geschäftsgebühr zu vermindern ist (vgl. zur grundsätzlichen Problematik der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr: Beschl. d. erkennenden Senats v. 25.04.2008 - 13 OA 63/08 -; www.dbovg.niedersachsen.de).

Zur Höhe der Anrechnung hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG bei vorprozessualer Tätigkeit des Mandanten außerhalb der Beratungshilfe die dann nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV anzurechnende hälftige Geschäftsgebühr nach der Tabelle in § 13 Abs. 1 RVG zu ermitteln ist und nicht nach derjenigen in § 49 RVG und dass es insoweit auf die Frage der Realisierbarkeit der Geschäftsgebühr gegenüber dem Mandanten nicht ankommt. Auch hat es zutreffend ausgeführt, dass bei einer vorprozessualen Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen der Beratungshilfe die speziellere Anrechnungsbestimmung der Nr. 2503 Abs. 2 VV zur Anwendung käme, was die Anrechnung nur der Hälfte der geringeren Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV zur Folge hätte.

Wenn ein Rechtsanwalt seine vorprozessualen Tätigkeiten nicht im Rahmen der Beratungshilfe vornimmt, obwohl dies nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen seines Mandanten möglich wäre, kann er im späteren Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG nicht mit Erfolg auf die fehlende Realisierbarkeit der dann entstandenen regulären Geschäftsgebühr verweisen. Er hätte vielmehr seinen Mandanten auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Beratungshilfe hinweisen müssen, um die Anwendbarkeit von Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV und damit die hälftige Anwendung der regulären Geschäftsgebühr zu verhindern. Der Mandant hat bei vorprozessualer Tätigkeit dann grundsätzlich lediglich die Beratungshilfegebühr nach Nr. 2500 VV zu tragen, während der Rechtsanwalt die Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV in Höhe von 70,-- EUR aus der Staatskasse erhält (§ 44 RVG). Im späteren Vergütungsfestsetzungsverfahren nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem der vorprozessualen Tätigkeit unmittelbar nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren werden dann nach der gegenüber Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV spezielleren Anrechnungsbestimmung der Nr. 2503 Abs. 2 nur 35,-- EUR auf die Verfahrensgebühr angerechnet. In dieser Konstellation ist ausgeschlossen, dass die anzurechnende hälftige Geschäftsgebühr die Verfahrensgebühr bereits übersteigt.

Für den vom Prozessbevollmächtigten der Kläger genannten Personenkreis der zwar prozesskostenhilfeberechtigten Personen, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen aber nicht beratungshilfeberechtigt sind (vgl. dazu § 1 Abs. 2 BerHG), sehen die gesetzlichen Bestimmungen keine Sonderregelungen vor. In diesen Fällen bleibt es bei der Anwendbarkeit der Anrechnungsbestimmung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV, wobei auf die reguläre Geschäftsgebühr nach der Tabelle in § 13 Abs. 1 RVG abzustellen ist. Die dem Prozessbevollmächtigten der Kläger vorschwebende Anwendung der Tabelle in § 49 RVG in Fällen der fehlenden Realisierbarkeit der regulären Geschäftsgebühr kommt demgegenüber nicht in Betracht. Die Tabelle in § 49 RVG ist nämlich gerade nur die für die Ermittlung der Gebühren bei beigeordneten und bestellten Anwälten im Sinne des § 45 RVG oder bei anwaltlicher Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe (§ 44 RVG) einschlägig. Eine andere Sichtweise hätte zur Folge, dass das Ausfallrisiko bei einer entstandenen regulären Geschäftsgebühr (teilweise) der Staatskasse aufgebürdet würde. Zudem würde dann über die Prozesskostenhilfe mittelbar - nämlich infolge einer geringeren Anrechnung - die vorprozessuale Tätigkeit des Anwalts aus der Staatskasse finanziert, obwohl gerade keine Beratungshilfeberechtigung besteht.

Aus den vorstehend skizzierten Gründen teilt der Senat nicht die vom Prozessbevollmächtigten der Kläger zitierte Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart (Beschl. v. 15.01.2008 - 8 WF 5/08 -, juris), wonach dem aufgrund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt ein Anspruch auf Festsetzung einer 1,3-Verfahrens-gebühr gemäß Nr. 3100 VV in ungekürzter Höhe zusteht, wenn er von seinem Mandanten keine Zahlung auf die vorgerichtlich entstandene 1,3-Geschäftsgebühr erhalten hat.

Ende der Entscheidung

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