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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 30.04.2008
Aktenzeichen: 2 OA 128/08
Rechtsgebiete: RVG, VV-RVG


Vorschriften:

RVG § 55
VV-RVG Vorbemerkung 3 Abs. 4
Im gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren ist die für das vorangegangene Verwaltungsverfahren entstandene Geschäftsgebühr nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Vergütungsverzeichnis RVG anteilig auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen (wie Nds.OVG, Beschl. v. 28.3.2008 - 10 OA 143/07 - und Beschl. v. 17.4.2008 - 7 OA 51/08 -).
Gründe:

I.

Die Beklagte wurde mit rechtskräftigem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 11. September 2007 verpflichtet, dem im Gebiet des Kreises B. wohnenden Kläger eine weitere Duldung zum Zweck des Zuzugs zu seiner im Gebiet der Beklagten lebenden Ehefrau und dem gemeinsamen Kind zu erteilen; die Kosten des Verfahrens wurden der Beklagten auferlegt. Dem Kläger war zuvor Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Sein Prozessbevollmächtigter hatte den Kläger bereits im Verwaltungsverfahren vertreten und zunächst nur gegenüber dem Kreis A., nicht aber gegenüber der Beklagten eine Geschäftsgebühr geltend gemacht.

Auf der Grundlage des festgesetzten Streitwertes von 2.500 EUR begehrte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit PKH-Vergütungsfestsetzungsantrag vom 12. September 2007 die Festsetzung einer 1,3 Verfahrensgebühr (VV 3100 RVG) in Höhe von 209,30 EUR, einer 1,2 Terminsgebühr (VV 3104 RVG) in Höhe von 193,20 EUR sowie der Post- und Telekommunikationspauschale (VV 7002 RVG) in Höhe von 20 EUR, mithin einschließlich 19 v. H. USt einen Betrag von 502,78 EUR. Mit Beschluss vom 10. Oktober 2007 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung lediglich auf insgesamt 359,08 EUR fest. Zur Begründung führte er an, nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG sei die Geschäftsgebühr mit der höchstmöglichen Gebührenhöhe von 0,75 auf die Verfahrensgebühr anzurechnen, weil zum einen eine Anrechnung erfolgen müsse und zum anderen der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Höhe der Geschäftsgebühr nicht mitgeteilt habe. Mit einem weiteren Beschluss vom 3. Januar 2008 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle eine weitere aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung von 95,80 EUR fest mit der Begründung, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe nunmehr mitgeteilt, er mache für das Ausgangsverfahren lediglich eine Geschäftsgebühr in Höhe von 0,5 Gebühren geltend, sodass lediglich 0,25 Gebühren (d. h. ein Betrag von 40,25 EUR) anzurechnen seien.

Die hiergegen erhobene Erinnerung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, der der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht abhalf, hat der Einzelrichter des Verwaltungsgerichts mit dem hier angefochtenen Beschluss zurückgewiesen, zugleich wegen grundsätzlicher Bedeutung der gebührenrechtlichen Frage die Beschwerde zugelassen.

II.

Über die Beschwerde entscheidet der Senat und nicht der nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 Satz 1 RVG an sich als Einzelrichter zuständige Berichterstatter des Senats, nachdem dieser das Verfahren gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG mit Beschluss vom 30. April 2008 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache dem Senat übertragen hat.

Die nach §§ 55 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVG wegen der durch das Verwaltungsgericht ausgesprochenen Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung unabhängig von dem Wert des Beschwerdegegenstandes (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG) zulässige und fristgerecht eingegangene Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen diesen Beschluss hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen den auf der Grundlage des § 55 RVG ergangenen Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 10. Oktober 2007 in der Gestalt des Beschlusses vom 3. Januar 2008 zu Recht zurückgewiesen.

Der Kostenbeamte hat die entstandene Geschäftsgebühr nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - VVRVG -; im Folgenden: VV Teil 3 Vorb. 3 Abs. 4) zutreffend mit einem Gebührensatz von (letztlich) 0,25 auf die Verfahrensgebühr angerechnet. Der Senat folgt den Gründen des angefochtenen Beschlusses, die Beschwerdebegründung rechtfertigt keine andere Entscheidung. Der Einwand des Prozessbevollmächtigten, eine Anrechnung der Geschäftsgebühr habe nicht zu erfolgen, greift daher nicht durch.

1. Die anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr in der hier aufgrund der Prozesskostenhilfegewährung zu erfolgenden Vergütung des Prozessbevollmächtigten des Klägers aus der Staatskasse ist dem Grunde nach unabhängig von der uneinheitlichen Rechtsprechung gerechtfertigt.

a) Der Senat schließt sich (gleichwohl) der in der Rechtsprechung (vgl. etwa Nds. OVG, Beschl. v. 17.4.2008 - 7 OA 51/08 -; Beschl. v. 28.3.2008 - 10 OA 143/07 -; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 28.1.2008 - 6 E 11203/07 -, juris; Bayr. VGH, Beschl. v. 3.11.2005 - 10 C 05.1131 -, juris und Beschl. v. 6.3.2006 - 19 C 06.238 -, NJW 2006, 1990; Hess. VGH, Beschl. v. 86.2007 - 3 TJ 966/07 -, NJW 2008, 678; VG Hannover, Beschl. v. 7. Dezember 2007 - 6 A 1117/07 -, juris; VG Minden, Beschl. V. 12.9.2007 - 10 K 1944/06.A -, juris; aus der zivilgerichtlichen Rechtsprechung vgl. nur BGH, Beschl. v. 7.3.2007 - VIII ZR 86/06 -, NJW 2007, 2049) und der Literatur (z. B. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, Kommentar, 17. Aufl., VV 2300, 2301 Rdnr. 1) vertretenen Auffassung der uneingeschränkten Anwendbarkeit der VV Teil 3 Vorb. 3 Abs. 4 und damit der (anteiligen) Anrechnung der Geschäfts- auf die Verfahrensgebühr auch im gerichtlichen Verfahren an.

Nach Satz 1 der genannten Vorschrift wird, soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Gemäß Satz 3 dieser Norm erfolgt die Anrechnung nach dem Wert des Gegenstandes, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens - hier: 2.500 EUR - ist.

Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auch im gerichtlichen Verfahren ist nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung sowie der Überschrift des Teils 3 ("Verfahren der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten") zwingend.

Sie entspricht im Übrigen auch dem klaren Willen des Gesetzgebers. Nach der Begründung zu dem "Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts" aller damaligen Fraktionen des Bundestages vom 11. November 2003 (BT-Drs. 15/1971, Teil 3, S. 208 f.) sollte mit dieser Neuregelung unter anderem der Missstand beseitigt werden, dass nach der bis dahin geltenden Bestimmung des § 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO nur die Geschäftsgebühr "für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens", nicht dagegen eine solche für ein behördliches, insbesondere ein vorangegangenes Widerspruchsverfahren auf die Gebühren im anschließenden gerichtlichen Verfahren angerechnet wurden. Dieser Rechtszustand sollte nach der Begründung des Gesetzentwurfes zum einen aus systematischen Gründen gerechtfertigt sein. Nach der Definition in VV Teil 3 Vorb. 3 Abs. 2 erhalte der Rechtsanwalt die gerichtliche Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Der Umfang dieser anwaltlichen Tätigkeit werde entscheidend davon beeinflusst, ob der Rechtsanwalt durch eine vorgerichtliche Tätigkeit bereits mit der Angelegenheit befasst gewesen sei. Eine Gleichbehandlung des Rechtsanwalts, der unmittelbar einen Prozessauftrag erhalte, mit dem Rechtsanwalt, der zunächst außergerichtlich tätig gewesen sei, sei nicht zu rechtfertigen. Zum anderen sollte die Anrechnung ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfes aber auch erforderlich sein, um eine außergerichtliche Erledigung zu fördern. Es müsse der Eindruck vermieden werden, der Rechtsanwalt habe ein gebührenrechtliches Interesse an einem gerichtlichen Verfahren. Dieses Interesse kollidiere zwangsläufig mit dem Bestreben einer aufwandbezogenen Vergütung. Diesen unterschiedlichen Interessen werde die vorgeschlagene Anrechnungsregel gerecht.

Der zum Teil in der Rechtsprechung vertretenen Gegenauffassung folgt der Senat nicht. Die etwa in der Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen (Beschl. v. 25.4.2006 - 7 E 410/06 -, NJW 2006, 1991) und der bisherigen Rechtsprechung des 10. Senats des beschließenden Gerichts (Beschlüsse v. 8.10.2007 - 10 OA 73/07 und 10 OA 201/07 -, juris) vertretene Ansicht, eine Anrechnung komme im gerichtlichen Verfahren schon deshalb nicht in Betracht, weil die Regelung VV Teil 3 Vorb. 3 Abs. 4 nur im Innenrechtsverhältnis zwischen Auftraggeber (Mandanten) und Rechtsanwalt, nicht aber bei der gerichtlichen Festsetzung der Rechtsanwaltsvergütung oder - wie hier - der Prozesskostenhilfe anzuwenden sei, widerspricht dem oben dargestellten klaren Wortlaut der Vorschrift und dem Willen des Gesetzgebers. Soweit der 10. Senat des beschließenden Gerichts seine gegenteilige Ansicht, auf die sich der Beschwerdeführer maßgeblich beruft, bisher auf eine vermeintliche Ungleichbehandlung durch Besserstellung der kostenpflichtigen Partei, die im Prozess einem bereits im Verwaltungsverfahren vorbefassten Rechtsanwalt gegenübersteht, gestützt hat, ist dem entgegenzuhalten, dass diese Ungleichbehandlung vom Gesetzgeber gewollt ist. Nach der genannten Gesetzesbegründung ist beabsichtigt, die Bereitschaft einer vorprozessualen Einigung der Beteiligten zu fördern. Es besteht zudem kein sachlicher Grund dafür, einem im Kostenpunkt obsiegenden Beteiligten im Wege der Kostenfestsetzung eine "Erstattung" zuzusprechen, die der obsiegende Beteiligte wegen der auch nach der gegenteiligen Ansicht uneingeschränkten Geltung der Anrechnungsvorschrift im Verhältnis zu ihrem Prozessbevollmächtigten nicht vollständig zur Begleichung der Zahlungsverpflichtung aus dem Mandatsverhältnis benötigte, sondern dafür verwenden könnte, ihrem im Verwaltungsverfahren vorbefassten Rechtsanwalt mit dem überschießenden Betrag ein vom Gesetz nicht vorgesehenes "Erfolgshonorar" zu verschaffen (so zu Recht VG Hannover, Beschl. v. 7.12.2007 - 6 A 1117/07 -, a. a. O.). Im Übrigen hat inzwischen der 10. Senat des beschließenden Gerichts seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und ist nunmehr ebenfalls der Ansicht, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr auch im gerichtlichen Verfahren zu erfolgen hat (vgl. Beschl. v.28.3.2008 - 10 OA 143/07 -), gefolgt.

b) Unabhängig von dieser dargestellten Streitfrage hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss überdies zu Recht angeführt, dass bei der hier streitigen Festsetzung der aufgrund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung die von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers angegriffene anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr selbst nach der dargestellten Gegenansicht vorzunehmen ist. Diese Ansicht rechnet die Geschäftsgebühr gesetzessystematisch ausschließlich dem Innenverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber zu mit der Folge, dass dieser jenem neben der Geschäftsgebühr nur die anteilig verminderte Verfahrensgebühr schuldet. Wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, ist im Fall der Prozesskostenhilfegewährung bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung aber gerade dieses Innenverhältnis berührt. Denn die Staatskasse tritt in diesem Fall an die Stelle des bedürftigen, an sich zahlungspflichtigen Mandanten. Die Prozesskostenhilfe bezieht sich mit anderen Worten auf den Vergütungsanspruch des Prozessbevollmächtigten gegen seinen Auftraggeber, die Staatskasse ist bezogen auf die Vergütungsansprüche des Prozessbevollmächtigten kein "Dritter" wie etwa die beklagte Behörde.

2. Entgegen der Ansicht des Prozessbevollmächtigten des Klägers handelt es sich auch um "denselben Gegenstand" im Sinne der Regelung VV Teil 3 Vorb. 3 Abs. 4. "Gegenstand" im gebührenrechtlichen Sinn ist u. a. das behauptete Recht, auf das sich bei einer objektiven Prüfung auftragsgemäß die anwaltliche Tätigkeit für gerade diesen Auftraggeber erstreckt. Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren stimmt oft überein (Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl. 2007, § 2 RVG Rdnr. 4). So liegt es hier. Die Verfahrensgebühr entsteht nach VV Teil 3 Vorb. 3 Abs. 2 für das "Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information". Mit der Geschäftsgebühr wird gemäß VV Teil 2 Vorb. 2.3 Abs. 3 ebenfalls "das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information" abgegolten. In dem vorliegenden Klageverfahren ging es dem Kläger um die Erteilung einer weiteren Duldung, um mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind zusammenleben zu können. Aus diesem Grund ist sein Prozessbevollmächtigter in seinem Auftrag zum einen gegenüber der Beklagten - in dessen Zuständigkeitsbereich sich seine Familienangehörigen aufhalten - und dem Kreis Soest als der für ihn örtlich zuständigen Ausländerbehörde tätig geworden mit dem Ziel der Erteilung einer weiteren Duldung. Neben diesem Verwaltungsverfahren als dem einen "Geschäft" hat er in einem weiteren "Geschäft" durch seinen Prozessbevollmächtigten gegen die Beklagte mit demselben Ziel Klage vor dem Verwaltungsgericht Hannover erhoben. Das "Geschäft" des Verwaltungsverfahrens und das "Geschäft" des Klageverfahrens betrafen mithin denselben Gegenstand im gebührenrechtlichen Sinn. Dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Geschäftsgebühr zunächst lediglich gegenüber dem Kreis A., nicht aber gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat, ist unerheblich.

Ende der Entscheidung

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