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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 07.05.2007
Aktenzeichen: 4 LA 521/07
Rechtsgebiete: BGB, RGebStV
Vorschriften:
BGB § 195 | |
BGB § 242 | |
RGebStV § 3 Abs. 1 S. 1 | |
RGebStV § 4 Abs. 4 | |
RGebStV § 5 Abs. 2 S. 1 | |
RGebStV § 5 Abs. 2 S. 2 |
NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS
Aktenz.: 4 LA 521/07
Datum: 07.05.2007
Gründe:
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung ist begründet, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, soweit der Klage stattgegeben worden ist.
Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid vom 5. April 2005, mit dem der Beklagte die rückständigen Rundfunkgebühren für den Zeitraum Januar 2000 bis Januar 2005 auf 322,03 Euro festgesetzt hat, aufgehoben, soweit er Rundfunkgebühren für das Jahr 2000 betrifft. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Anspruch des Beklagten auf Zahlung von Rundfunkgebühren für diesen Zeitraum verjährt sei. Der Grundsatz von Treu und Glauben stehe der vom Kläger erhobenen Verjährungseinrede nicht entgegen, weil dem Kläger die Anmeldepflicht für Radios in nicht ausschließlich privat genutzten Kraftfahrzeugen nicht bekannt gewesen sei und ihm daher der für eine unzulässige Rechtsausübung erforderliche erhebliche Schuldvorwurf nicht gemacht werden könne.
Dieser Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die auf den Beschluss des für das Rundfunkgebührenrecht früher zuständigen 10. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. November 2005 (10 PA 118/05) in einem Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgeht, kann nicht gefolgt werden.
Nach § 4 Abs. 4 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages - RGebStV - in der Fassung des 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrages vom 8./15. Oktober 2004 (Gesetz zum 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 25. Februar 2005 - Nds. GVBl. 2005 S. 61 ff.), die hier zur Anwendung gelangt, weil der Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebend ist, richtet sich die Verjährung nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die regelmäßige Verjährung. Nach § 195 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) i. V. m. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist bei den am 1. Januar 2002 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüchen drei Jahre. Diese Frist beginnt analog §§ 197, 201 Satz 1 BGB a. F. i. V. m. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 2 EGBGB mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem der Anspruch entstanden ist. Demnach ist der Anspruch des Beklagten auf Zahlung der Rundfunkgebühren für das Jahr 2000 bei Erlass des Bescheides vom 5. April 2005 bereits verjährt gewesen.
Der Kläger kann sich auf den Eintritt der Verjährung aber nicht berufen. Die Einrede der Verjährung stellt nämlich eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) dar, weil der Kläger seiner Pflicht zur Anzeige des Radios, das er in seinem nicht ausschließlich privat genutzten Kraftfahrzeug zum Empfang bereitgehalten hat, nicht nachgekommen ist.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RGebStV hat der Rundfunkteilnehmer der Landesrundfunkanstalt, in deren Anstaltsbereich er wohnt, den Beginn des Bereithaltens eines Rundfunkgerätes zum Empfang unverzüglich anzuzeigen. Da nach § 5 Abs. 2 Sätze 1 und 2 RGebStV auch für Zweitgeräte in Kraftfahrzeugen, die zu anderen als nur privaten Zwecken genutzt werden, unabhängig von dem Umfang der nicht privaten Nutzung eine Gebührenpflicht besteht, hätte der Kläger im Januar 2000 der Anzeigepflicht nachkommen müssen. Das ist jedoch nicht geschehen; erst im Dezember 2004 hat der Kläger das Rundfunkgerät angemeldet und angegeben, es seit Januar 2000 zum Empfang bereit gehalten zu haben.
Aufgrund dieses objektiv pflichtwidrigen Unterlassens des Klägers hat der Beklagte von der Entstehung des Anspruchs auf Zahlung von Rundfunkgebühren für das Jahr 2000 innerhalb der Verjährungsfrist keine Kenntnis erlangt. Folglich hat er keine Möglichkeit gehabt, die entstandenen Rundfunkgebühren vor Ablauf der Verjährungsfrist festzusetzen. Daher ist das pflichtwidrige Verhalten des Klägers für den Eintritt der Verjährung ursächlich gewesen. Bei dieser Sachlage kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf den Ablauf der Verjährungsfrist berufen, weil die Einrede der Verjährung gegen Treu und Glauben verstößt und deshalb eine unzulässige Rechtsausübung darstellt (vgl. OVG Schl.-Hol., Urt. v. 17.3.2006 - 3 LB 16/05 -; Bay.VGH, Urt. v. 3.7.1996 - 7 B 94.708 - NVwZ-RR 1997 S. 230; Hess.VGH, Urt. v. 27.5.1993 - 5 UE 2259/91 -). Dabei kann unerörtert bleiben, ob dem Kläger die Anzeigepflicht für das Radio in seinem nicht ausschließlich privat genutzten Kraftfahrzeug bekannt gewesen ist und ihm bezüglich des Verstoßes gegen die Anzeigepflicht ein erheblicher Schuldvorwurf gemacht werden kann. Denn auf ein Verschulden des Klägers kommt es nicht an. Vielmehr stellt die Einrede der Verjährung schon bei einem objektiv pflichtwidrigen Verstoß gegen die Anzeigepflicht, der die Verjährung verursacht, eine gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung dar. Auch außerhalb des Rundfunkgebührenrechts ist anerkannt, dass eine Verjährungseinrede bei einem objektiv pflichtwidrigen Unterlassen, das der Behörde die Möglichkeit nimmt, geschuldete Beiträge rechtzeitig festzusetzen, eine unzulässige Rechtsausübung ist, die zur Unbeachtlichkeit der Verjährungseinrede führt (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.5.1984 - 3 C 86.82 - BVerwGE 69, 227; Urt. v. 25.11.1982 - 2 C 32.81 - BVerwGE 66, 256; Urt. v. 26.1.1966 - VI C 112.63 - BVerwGE 23, 166, 173; Nds. OVG, Beschl. v. 5.11.2003 - 8 LA 169/03 -, NJW 2004 S. 2689; Beschl. v. 20.10.1999 - 8 L 2343/99 - m.w.N.).
Eine unzulässige Rechtsausübung setzt auch kein aktives Verhalten des Gebührenschuldners voraus. Denn ein pflichtwidriges Unterlassen steht, zumal wenn es in einem Verstoß gegen eine eindeutige gesetzliche Bestimmung besteht, einem aktiven Handeln gleich. Angesichts dessen kann der in der zivilrechtlichen Literatur teilweise vertretenen Auffassung, ein bloßes Unterlassen könne das Unwerturteil der unzulässigen Rechtsausübung nicht rechtfertigen (so Münchener Kommentar, BGB, Bd. 1, 2. Aufl., § 194 Rn. 11), für das Rundfunkgebührenrecht nicht gefolgt werden.
Der hier vertretenen Rechtsauffassung steht ferner nicht entgegen, dass es dem Beklagten nach § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 1 Nds.VwVfG obliegt, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, und dass er nach § 4 Abs. 5 RGebStV von Rundfunkteilnehmern und Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sie ein Rundfunkgerät zum Empfang bereithalten und dieses nicht oder nicht umfassend angezeigt haben, Auskünfte verlangen kann. Denn diese Obliegenheiten bzw. Befugnisse sind keineswegs geeignet, die Bedeutung der gesetzlich normierten Anzeigepflicht der Rundfunkteilnehmer, die gerade dazu dient, dem Beklagten von der Entstehung der Rundfunkgebührenpflicht umgehend und zuverlässig Kenntnis zu verschaffen, zu relativieren. Sie ändern deshalb auch nichts daran, dass die Erhebung der Verjährungseinrede bei einem Verstoß gegen die Anzeigepflicht mit Treu und Glauben unvereinbar ist und daher eine unzulässige Rechtsausübung darstellt.
Sinn und Zweck der kurzen Verjährungsfrist sprechen ebenfalls nicht dagegen, dem Rundfunkgebührenpflichtigen die Einrede der Verjährung bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur Anzeige des Rundfunkgeräts wegen unzulässiger Rechtsausübung zu verwehren. Die kurze Verjährungsfrist bezweckt zwar, die Schuldner gegen die Geltendmachung seit langem bestehender Ansprüche zu schützen, weil sie sich wegen Zeitablaufs, insbesondere aufgrund des Verlusts von Beweismitteln, möglicherweise nicht mehr sachgerecht verteidigen können; Schulden, die ihrer Natur nach nicht aus dem Kapitalvermögen, sondern den regelmäßigen Einkünften des Schuldners getilgt werden, sollen zudem nicht zu solcher Höhe anwachsen, dass sie den sorglos gewordenen Schuldner wirtschaftlich gefährden (vgl. Erman, BGB, Kommentar, 11. Aufl., Vor § 194 Rn. 2; BVerwG, Urt. v. 31.10.2001 - 2 C 61.00 - BVerwGE 115, 218, 221). Daraus lässt sich aber keineswegs herleiten, dass die Verjährungseinrede im Falle einer Verletzung der Anzeigepflicht keine unzulässige Rechtsausübung darstellt. Zum einen ist für die Beurteilung, ob eine Rechtsausübung gegen Treu und Glauben verstößt und daher unzulässig ist, grundsätzlich unerheblich, welche Folgen im Falle der Unzulässigkeit der Rechtsausübung eintreten. Zum anderen entstehen Rundfunkteilnehmern, denen die Einrede der Verjährung wegen Verstoßes gegen die Anzeigepflicht verwehrt wird, regelmäßig keine Nachteile, die unzumutbar sind. Dies folgt schon daraus, dass der Schutzzweck der kurzen Verjährungsfrist nicht eingreift, wenn der Schuldner durch ein pflichtwidriges Unterlassen - wie den Verstoß gegen die Anzeigepflicht - dem Gläubiger die Möglichkeit der rechtzeitigen Geltendmachung des Anspruchs genommen hat. Gerade die kurze Verjährungsfrist setzt nämlich voraus, dass der Gebührenschuldner seiner Anzeigepflicht nachkommt und die Rundfunkanstalt die Möglichkeit erhält, den Gebührenanspruch innerhalb der Verjährungsfrist geltend zu machen; dieser Gesichtspunkt würde bei einer 30-jährigen Verjährungsfrist keine erhebliche Rolle spielen, weil die Rundfunkanstalt in diesem Fall genügend Zeit zur Ermittlung der noch nicht angezeigten Gebührenfälle von Amts wegen hätte. Abgesehen davon geht die mögliche Unaufklärbarkeit des Sachverhalts nach längerem Zeitablauf ohnehin nicht zu Lasten der Rundfunkteilnehmer, sondern zu Lasten der Rundfunkanstalt, weil diese die materielle Beweislast für das Bestehen der Rundfunkgebührenpflicht trägt. Daher rechtfertigt der mögliche Eintritt von Folgen, die durch die kurze Verjährungsfrist an sich vermieden werden sollen, es nicht, die unzulässige Rechtsausübung auf Fälle aktiven pflichtwidrigen Handelns zu beschränken, dadurch den Rundfunkteilnehmern, die sich durch einen Verstoß gegen die Anzeigepflicht einen unzulässigen Vorteil verschafft haben, diesen Vorteil zu belassen und sie damit besser als die Rundfunkteilnehmer zu stellen, die ihrer Anzeigepflicht pflichtgemäß nachgekommen sind.
Eine unzulässige Rechtsausübung bei einem Verstoß gegen die Anzeigepflicht lässt sich schließlich auch nicht mit dem Einwand in Frage stellen, § 4 Abs. 4 RGebStV verlöre jede praktische Bedeutung, wenn den Rundfunkteilnehmern, die ihre Rundfunkgeräte entgegen § 3 Abs. 1 RGebStV nicht anzeigen, die Einrede der Verjährung wegen unzulässiger Rechtsausübung verwehrt werde. Zum einen ist dieser Einwand unzutreffend, weil § 4 Abs. 4 RGebStV auch in tatsächlicher Hinsicht nicht leerläuft, wenn die Verjährungseinrede im Falle eines Verstoßes gegen die Anzeigepflicht wegen unzulässiger Rechtsausübung unbeachtlich ist. Denn es kommen durchaus Fälle vor, in denen Rundfunkteilnehmer ihrer Anzeigepflicht genügt haben, der Beklagte es jedoch aufgrund mangelhafter Organisation oder Fehlern von Mitarbeitern versäumt, seine Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen. Zum anderen gäbe der Einwand, selbst wenn er richtig wäre, keine Veranlassung, eine unzulässige Rechtsausübung bei einer Verletzung der Anzeigepflicht zu verneinen. Für die Beurteilung, ob die Einrede der Verjährung bei einem pflichtwidrigen Unterlassen der Anzeige eine unzulässige Rechtsausübung darstellt, ist nämlich unerheblich, in wievielen Fällen die Verjährungseinrede noch erfolgreich erhoben werden kann. Außerdem darf es dem Beklagten nicht zum Nachteil gereichen, dass er seinen Gebührenanspruch in den ihm durch Anzeige bekannt gewordenen Gebührenfällen in aller Regel rechtzeitig geltend macht.
Ende der Entscheidung
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