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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 28.04.2009
Aktenzeichen: 4 LB 317/08
Rechtsgebiete: BAföG


Vorschriften:

BAföG § 2 Abs. 1 a
Ein nicht bei seinen Eltern wohnender Auszubildender, der Ausbildungsförderung für den Besuch einer Berufsfachschule begehrt, kann nicht geltend machen, dass eine Verweisung auf die Wohnung seiner Eltern, von der aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte erreichbar ist, aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar sei, solange eine Rechtsverordnung nach § 2 Abs. 1 a Satz 2 BAföG noch nicht vorliegt.
Gründe:

Die Klägerin begehrt eine höhere als die ihr gewährte Ausbildungsförderung.

Die am 21. Februar 1988 geborene Klägerin wohnt seit ihrem 13. Lebensjahr nicht mehr bei ihren Eltern in B. (Landkreis C.). Zunächst lebte sie bei Verwandten in D.. Im Sommer 2005 zog die Klägerin zu ihrer Tante in E.. Seit dem 5. März 2006 bewohnt sie dort ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft.

Die Klägerin besuchte ab 2004 die F.-Schule in E.. Im Juli 2006 erreichte sie an dieser Berufsbildenden Schule den Abschluss als "Staatlich geprüfte Kinderpflegerin". Danach absolvierte sie auf diesem Abschluss aufbauend eine Ausbildung zur "Heilerziehungspflegerin".

Am 13. August 2004 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und gab dabei an, nicht bei ihren Eltern zu wohnen, weil sie eine Ausbildung an einer Berufsfachschule in E. anstrebe. Der Beklagte gewährte ihr daraufhin mit Bescheiden vom 30. November 2004 und 30. Juni 2005 Leistungen in Höhe von monatlich 412,-- EUR für den Zeitraum von August 2004 bis Juli 2005.

In ihrem Folgeantrag vom 13. Juli 2005 erklärte die Klägerin, aufgrund von Problemen mit ihren Eltern nicht bei diesen zu wohnen. Auf diesen Antrag bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 30. September 2005 Leistungen für den Zeitraum von August 2005 bis Juni 2006 in unveränderter Höhe. Diese Bewilligung erfolgte unter Rückforderungsvorbehalt, weil der für die Einkommensanrechnung maßgebliche Steuerbescheid ihrer Eltern noch nicht vorlag, und vorbehaltlich der noch durchzuführenden Wegzeitprüfung anhand des Stundenplans für das neue Schuljahr.

Nachdem die Klägerin dem Beklagten ihren neuen Stundenplan übersandt und der Beklagte die zu erwartenden Wegzeiten berechnet hatte, setzte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Dezember 2005 die Leistungen für den Zeitraum von August 2005 bis Juni 2006 auf monatlich 192,-- EUR neu fest und forderte von der Klägerin überzahlte Ausbildungsförderung in Höhe von 1.100,-- EUR zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die notwendigen Wegzeiten für eine auswärtige Unterbringung nicht erfüllt seien.

Daraufhin hat die Klägerin am 1. Februar 2006 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, ein Wohnen bei ihren Eltern sei ihr nicht zumutbar. Ihr aus dem Kosovo stammender Vater wolle ihr Verhaltensweisen aufzwingen, wie sie für Frauen im Kosovo üblich seien. Er würde ihr unter physischer und psychischer Gewaltanwendung jegliche soziale Bewegungsfreiheit nehmen. Ihre psychische Situation sei deshalb so instabil, dass sie sich in psychotherapeutische Behandlung begeben habe. Dazu legte die Klägerin ein Attest der Psychologischen Psychotherapeutin G. aus E. vom 7. Juli 2006 vor, das besagt, dass die Klägerin, die sich in tiefenpsychologischer Behandlung befinde, in ihrer Familie traumatisierende Erfahrungen gemacht habe. Ein altersentsprechender Ablöseprozess sei bei einer Wiederbelebung der alten Konflikte gefährdet. Eine Rückkehr der Klägerin in ihre Familie sei ihr nicht zumutbar.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihr im Zeitraum von August 2005 bis Juni 2006 BAföG in Höhe von monatlich 412,-- EUR zu bewilligen, und den Bescheid vom 30. Dezember 2005 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und erwidert, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für höhere Leistungen nicht vorlägen, weil die Berücksichtigung sozialer Belange im Rahmen von § 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nicht möglich sei. Die Klägerin könne sich im Hinblick auf die Rückforderung auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, da der Leistungsbescheid unter Vorbehalt ergangen sei.

Das Verwaltungsgericht hat durch Vernehmung der Klägerin und ihres Onkels Beweis erhoben.

Danach hat das Verwaltungsgericht den Beklagten durch Urteil vom 22. Januar 2007 verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum von August 2005 bis Juni 2006 Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in Höhe von monatlich 412,-- EUR unter Anrechnung der bislang gezahlten Beträge zu gewähren. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht Folgendes ausgeführt: Nach § 2 Abs. 1 a Nr. 1 BAföG werde Ausbildungsförderung für den Besuch der in Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Ausbildungsstätten, zu denen die F. -Schule gehöre, nur geleistet, wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohne und von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar sei. Daher komme es entscheidend darauf an, ob dies von der Wohnung der Eltern der Klägerin in B. aus zumutbar möglich sei. Das sei jedoch nicht der Fall. Das Gesetz knüpfe an den typischen Lebenssachverhalt an, dass die Eltern ihren Kindern regelmäßig in ihrer Wohnung im Wege des Naturalunterhalts Unterkunft gewähren. Ein derart typischer Lebenssachverhalt liege aber dann nicht vor, wenn die Eltern oder der Auszubildende aus zwingenden persönlichen Gründen nicht mehr die Möglichkeit hätten, über ihre Wohnverhältnisse frei zu bestimmen. Dies sei bei einem Aufenthalt in einem Pflegeheim oder bei einer vergleichbaren Lage regelmäßig der Fall, aber auch dann, wenn das Wohnen des Auszubildenden bei seinen Eltern an anderen rechtlichen Hindernissen scheitere. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil vom 27. Februar 1992 (- 5 C 68.88 -, NVwZ 1992, 887) einen derartigen zwingenden persönlichen Grund darin gesehen, dass der Ehepartner des wiederverheirateten Elternteils die Aufnahme des Auszubildenden berechtigterweise abgelehnt habe. Die "Wohnsituation" der Klägerin sei damit vergleichbar, weil die Klägerin eine Rückkehr in den elterlichen Haushalt - wie sich aus der psychologischen Stellungnahme vom 7. Juli 2006 und der Beweisaufnahme ergebe - berechtigterweise ablehne. Der Vater der Klägerin versuche seit vielen Jahren, der Klägerin eine traditionelle, muslimisch geprägte Lebensweise aufzuzwingen, wie sie von Frauen im Kosovo regelmäßig erwartet werde. Dass die Klägerin aufgrund der familiären Konflikte seit ihrem 13. Lebensjahr bei deutschen Verwandten gelebt und ihre Sozialisierung in Deutschland erfahren habe, nehme der Vater der Klägerin ebensowenig zur Kenntnis wie den Umstand, dass seine Tochter unter dem Familienkonflikt derart leide, dass sie sich in psychotherapeutische Behandlung habe begeben müssen. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Kontakte zum Vater sich nur auf einige kurze Besuche, die auch nicht konfliktfrei verlaufen seien, beschränkt hätten, so dass davon auszugehen ist, dass die Klägerin endgültig den elterlichen Haushalt verlassen habe. Die Umstände belegten auch, dass eine erneute Aufnahme der Klägerin in die Wohnung der Eltern unzumutbar sei, weil die Klägerin dort von ihrem Vater in erheblicher Weise traumatisiert worden sei. Das Gericht halte diesen Umstand in seinen ausbildungsförderungsrechtlichen Konsequenzen mit der Sachlage, die dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 1992 (a.a.O.) zugrunde gelegen habe, für vergleichbar. Das Bundesverwaltungsgericht habe das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals "Wohnung der Eltern" verneint, wenn die Wohnverhältnisse eines Elternteils so gestaltet seien, dass eine Aufnahme des Auszubildenden in die Wohnung für den Elternteil unzumutbar sei. Dies müsse erst recht gelten, wenn ein gemeinsames Wohnen für das Ausbildungsförderung begehrende Kind unzumutbar sei. Daher habe die Klägerin einen Anspruch auf Leistungen in Höhe von monatlich 412,-- EUR, so dass der Beklagte den Betrag von 1.100,-- EUR nicht habe zurückfordern dürfen. Im Übrigen sei die Rückforderung rechtswidrig, weil das Rückforderungsermessen nicht ausgeübt worden sei und auch nicht mehr nachgeholt werden könne.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten, die der Senat durch Beschluss vom 14. Oktober 2008 (4 LA 411/07) wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zugelassen hat, soweit der Klage hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens der Klägerin stattgegeben worden ist.

Der Beklagte begründet die Berufung wie folgt: Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 1992 erörterte rechtliche Unmöglichkeit des Zusammenlebens des Auszubildenden mit einem Elternteil mit dem Bestehen sozialer Gründe für das Nichtzusammenlebenkönnen nicht vergleichbar sei. Außerdem widersprächen die vom Verwaltungsgericht gezogenen Schlüsse der bestehenden Gesetzeslage und dem Willen des Gesetzgebers. Die Bundesregierung habe die Berücksichtigung sozialer Belange, wie beispielsweise die Unzumutbarkeit des Zusammenlebens, die darauf zurückzuführen sei, dass ein Elternteil durch sein Verhalten eine tiefgreifende dauerhafte Störung der Eltern-Kind-Beziehung herbeigeführt habe, ausdrücklich abgelehnt. Stattdessen sei in § 2 Abs. 1 a Satz 2 BAföG eine Ermächtigung der Bundesregierung geschaffen worden, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, dass über Satz 1 hinaus Ausbildungsförderung für den Besuch der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG bezeichneten Ausbildungsstätten auch in Fällen geleistet werde, in denen die Verweisung des Auszubildenden auf die Wohnung der Eltern aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar sei. Eine solche Verordnung habe die Bundesregierung indessen bis zum heutigen Tag nicht erlassen. Daher sei es ausgeschlossen, soziale Gründe für eine auswärtige Unterbringung "in den Begriff Wohnung der Eltern hineinzulesen". Im Übrigen bestehe für die Klägerin die Möglichkeit, andere staatliche Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts in Anspruch zu nehmen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen - Einzelrichter der 2. Kammer - vom 22. Januar 2007 zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit er verpflichtet worden ist, der Klägerin für den Zeitraum von August 2005 bis Juni 2006 Leistungen nach dem BAföG in Höhe von monatlich insgesamt 412,-- EUR unter Anrechnung der bislang gezahlten Beträge zu gewähren.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und erwidert, dass das Verwaltungsgericht zur Begründung der Unzumutbarkeit der Verweisung auf die Wohnung ihrer Eltern nicht nur auf die bestehenden sozialen Hintergründe abgestellt habe. Es sei zu beachten, dass sie seit ihrem 13. Lebensjahr nicht mehr bei ihren Eltern in C., sondern bei ihrer Tante in E. wohne und die schulische Ausbildung seither ausschließlich in E. stattgefunden habe. Es sei nicht nachvollziehbar, wie sie von der Wohnung ihrer Eltern die Ausbildungsstätte in Hildesheim täglich erreichen sollte. Wegen der erheblichen Entfernung zur dortigen Ausbildungsstätte könne sie auf die Wohnung ihrer Eltern nicht verwiesen werden. Seit dem Auszug bei ihren Eltern habe sie in E. auch ihren eigenen Haushalt gegründet. Die Beweisaufnahme durch das Verwaltungsgericht habe bestätigt, dass sie den elterlichen Haushalt endgültig verlassen habe. Zudem gehe der Verweis auf die Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII ins Leere, da diese nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Bestimmungen nachrangig seien.

BAföG-Leistungen hätten Vorrang vor den sozialen Leistungen. Darüber hinaus hätten Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig seien, gemäß § 7 Abs. 5 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Förderungsfähigkeit ihrer Ausbildung dürfte unstreitig sein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten sowie des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

II.

Die Berufung des Beklagten ist begründet.

Diese Entscheidung trifft der Senat gemäß § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für begründet hält und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht als notwendig erachtet.

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Unrecht verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum von August 2005 bis Juni 2006 Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in Höhe von monatlich 412,-- EUR unter Anrechnung der bislang gezahlten Beträge zu gewähren.

Nach § 2 Abs. 1 a Satz 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) wird Ausbildungsförderung für den Besuch der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG bezeichneten Ausbildungsstätten, zu denen auch die F.-Schule in E. gehört, nur geleistet, wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnt und eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern nicht erreichbar ist. Nach § 2 Abs. 1 a Satz 2 BAföG kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, dass über § 2 Abs. 1 a Satz 1 BAföG hinaus Ausbildungsförderung für den Besuch der in § 2 Abs. 1 Satz Nr. 1 BAföG bezeichneten Ausbildungsstätten auch in Fällen geleistet wird, in denen die Verweisung des Auszubildenden auf die Wohnung der Eltern aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar ist. Von dieser Möglichkeit hat die Bundesregierung bislang noch keinen Gebrauch gemacht.

Ausgehend davon steht der Klägerin der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Ausbildungsförderung nicht zu, weil die Klägerin nicht bei ihren Eltern wohnt, nicht geltend machen kann, dass ihre Verweisung auf die Wohnung ihrer Eltern aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar sei, und eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte, nämlich die Berufsbildenden Schulen III in C., von der Wohnung der Eltern aus erreichbar ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind unter dem Begriff "Wohnung der Eltern" grundsätzlich die Räumlichkeiten zu verstehen, in denen die Eltern des Auszubildenden ihre nicht nur vorübergehende, sondern auf eine gewisse Dauer abzielende Unterkunft nehmen, und zwar unabhängig davon, ob sie willens sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sind, den Auszubildenden bei sich aufzunehmen, oder ob zwischen dem Auszubildenden und seinen Eltern noch ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht (BVerwG, Urt. v. 27.2.1992 - 5 C 68.88 -, NVwZ 1992, 887; Urt. v. 12.6.1986 - 5 C 48.84 -, BVerwGE 74, 260). Die gemeinsame Wohnung eines geschiedenen, aber wiederverheirateten Elternteils und seines neuen Ehepartners kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung aber dann nicht mehr als "Wohnung der Eltern" eines volljährigen Auszubildenden angesehen werden, wenn der neue Ehepartner die Aufnahme des Auszubildenden in diese Wohnung berechtigt ablehnt, da der Gesetzgeber nach der von ihm selbst geschaffenen Rechtsordnung in derartigen Fällen gerade nicht davon ausgehen kann, dass der Auszubildende bei dem betreffenden Elternteil wohnen kann und ihm dort Unterhalt in Naturalleistung gewährt wird (BVerwG, Urt. v. 27.2.1992 - 5 C 68.88 -, NVwZ 1992, 887). Aus dieser Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht geschlossen, dass das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals "Wohnung der Eltern" immer dann zu verneinen sei, wenn die Wohnverhältnisse eines Elternteils so gestaltet sind, dass eine Aufnahme des Auszubildenden in die Wohnung für den Elternteil unzumutbar wäre. Dies müsse - so das Verwaltungsgericht - erst recht gelten, wenn ein gemeinsames Wohnen für den Auszubildenden unzumutbar sei, weil der Vater das Kind in erheblicher Weise traumatisiert habe, so dass ihm eine Rückkehr in seine Familie nicht zugemutet werden könne.

Diese Auffassung des Verwaltungsgerichts stimmt mit der Rechtslage nicht überein.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem Urteil vom 17. Februar 2003 (- 7 S 1895/02 -, FEVS 54, 409) in einem vergleichbaren Fall Folgendes zur Rechtslage ausgeführt:

"Die Frage, ob Schüler auch dann auf die Wohnung der Eltern/des Elternteils sollen verwiesen werden können, wenn dies unzumutbar ist, etwa weil ein Elternteil durch sein Verhalten eine tiefgreifende, dauerhafte Störung der Eltern-Kind-Beziehung herbeigeführt hat, war Gegenstand der Beratungen zum 11. BAföGÄndG. In seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf hatte der Bundesrat gefordert, eine entsprechende Ergänzung des § 12 BAföG vorzunehmen (vgl. BT-Drucks. 11/1315, S. 14). Dem trat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung (a.a.O., S. 16) jedoch entgegen:

Die Bundesregierung widerspricht dem Vorschlag des Bundesrates, die Schülerförderung bei auswärtiger Unterbringung auf die Fälle gestörter Eltern-Kind-Beziehung auszuweiten. Sie betrachtet die Förderung der Schüler auch insoweit als Angelegenheit der Länder; Bundesrecht steht einer entsprechenden Regelung in den landesrechtlichen Förderungsbestimmungen nicht entgegen. ....

Unabhängig davon ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Frage einer Anerkennung von sozialen Gründen als Rechtfertigung für eine auswärtige Unterbringung nur Gegenstand einer allgemeinen Überprüfung sein kann und nicht durch die isolierte Vorweglösung von Einzelfällen präjudiziert werden darf. Eine generelle Berücksichtigung sozialer Tatbestände im BAföG würde hierbei zu erheblichen Mehrkosten führen.

Eingefügt wurde schließlich die in § 2 Abs. 1 a Satz 2 BAföG enthaltene Ermächtigung der Bundesregierung, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, dass über Satz 1 hinaus Ausbildungsförderung für den Besuch der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG bezeichneten Ausbildungsstätten auch in Fällen geleistet wird, in denen die Verweisung des Auszubildenden af die Wohnung der Eltern aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar ist. Eine solche Verordnung ist jedoch bis zum heutigen Tage nicht erlassen worden. Für die Annahme des Verwaltungsgerichts S. 10 des angefochtenen Urteils, aus der Entstehungsgeschichte sei "nicht zu schließen, dass der Gesetzgeber den Begriff "Wohnung der Eltern" in der Auslegung, die dieser in der damaligen Rechtsprechung des BVerwG gefunden hatte, ... festschreiben und die Förderung von Schülern in dieser Weise, vorbehaltlich einer Rechtsverordnung, beschränken wollte. Die Entstehungsgeschichte deutet vielmehr darauf hin, dass der Gesetzgeber es dem Verordnungsgeber überlassen wollte, die Förderungsmöglichkeit gegenüber einer restriktiven Auslegung der Norm in Zukunft (nach Erlass des 11. ÄndG am 21.6.1988...) in den in der Ermächtigung genannten Fällen zu gewähren, ohne eine die dort genannten Gründe berücksichtigende Interpretation zu wollen," gibt es keinen Anhalt. Vielmehr ist das Gegenteil zutreffend: Die Bundesregierung hat einem Ergänzungsvorschlag des Bundesrates, die Schülerförderung bei auswärtiger Unterbringung auf die Fälle gestörter Eltern-Kind-Beziehung auszuweiten, widersprochen. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren ist lediglich die erwähnte Verordnungsermächtigung aufgenommen worden (vgl. hierzu BT-Drucks. 11/2160 ... ),von der bislang allerdings kein Gebrauch gemacht worden ist ... . Bei dieser Sachlage geht es nicht an, im Wege einer "Interpretation" (VG-Urt., S. 10) die Berücksichtigung auch sozialer Gründe als Rechtfertigung für eine auswärtige Unterbringung in den Begriff "Wohnung der Eltern" hineinzulesen. Die angesprochenen sozialen Gründe sollen vielmehr nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung des § 2 Abs. 1 a BAföG und der dargestellten Entstehungsgeschichte erst dann berücksichtigt werden können, wenn eine entsprechende Rechtsverordnung erlassen worden ist.

In Übereinstimmung mit der dargestellten Gesetzeslage ist deshalb in Tz 2.1a.7 BaföGVwV 2001 bestimmt:

Ist der Auszubildende nach Maßgabe des Kinder- und Jugendhilfegesetzes außerhalb des Elternhauses untergebracht, obwohl seine Eltern/einem Elternteil das Sorgerecht zusteht und von deren/dessen Wohnung aus die Ausbildungsstätte zu erreichen ist, gilt die Ausbildungsstätte als von der Elternwohnung aus erreichbar; Ausbildungsförderung ist wegen der allein erziehungsbedingten auswärtigen Unterbringung nicht gerechtfertigt."

Diese Rechtsauffassung teilt der beschließende Senat. Sowohl dem Umstand, dass § 2 Abs. 1 a Satz 2 BAföG die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, dass über § 2 Abs. 1 a Satz 1 BAföG hinaus Ausbildungsförderung für den Besuch der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG bezeichneten Ausbildungsstätten auch in Fällen gewährleistet wird, in denen die Verweisung des Auszubildenden auf die Wohnung der Eltern aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar ist, als auch die Gesetzesmaterialien belegen eindeutig, dass ein Auszubildender nicht geltend machen kann, dass seine Verweisung auf die Wohnung der Eltern aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar sei, solange eine Rechtsverordnung nach § 2 Abs. 1 a Satz 2 BAföG - wie zur Zeit - noch nicht vorliegt (ebenso Ramsauer/ Stallbaum/Sternal, BAföG, Kommentar, 4. Aufl., § 2 Rn. 67). Aus den eingangs zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich nichts Gegenteiliges herleiten.

Daher kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Ausbildungsförderung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 a Satz 1 Nr. 1 BAföG vorlägen, weil ihr eine Verweisung auf die Wohnung ihrer Eltern angesichts der Probleme mit ihrem Vater nicht zugemutet werden könne. Dass die Klägerin seit ihrem 13. Lebensjahr nicht mehr bei ihren Eltern wohnt, den elterlichen Haushalt endgültig verlassen hat und in E. ihren eigenen Haushalt führt, begründet ebenfalls keinen Anspruch auf die Gewährung der begehrten höheren Ausbildungsförderung.

Ferner ist eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte, nämlich die Berufsbildenden Schulen III in C., von der Wohnung der Eltern der Klägerin aus erreichbar. Nach Tz. 2.1a.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz in der Fassung vom 20. Dezember 2001, die insoweit eine sachgerechte Regelung enthält, (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1978 - 5 C 1.78 -, BVerwGE 57, 204; Ramsauer/ Stallbaum/Sternal, BAföG, Kommentar, 4. Aufl., § 2 Rn. 62) ist für die Frage, ob der Auszubildende eine Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern in angemessener Zeit erreichen kann, die durchschnittliche tägliche Wegzeit maßgebend. Eine Ausbildungsstätte ist dann nicht erreichbar, wenn der Auszubildende bei Benutzung der günstigsten Verkehrsverbindungen mindestens an drei Wochentagen für Hin- und Rückweg eine Wegzeit von mehr als zwei Stunden benötigt. Das ist nach den Feststellungen des Beklagten, die sich in den Verwaltungsvorgängen befinden und von der Klägerin nicht bestritten worden sind, in Bezug auf die Berufsbildenden Schulen III in C. jedoch nicht der Fall.

Dem kann die Klägerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass nicht nachvollziehbar sei, wie sie von der Wohnung ihrer Eltern ihre Ausbildungsstätte in E. täglich erreichen sollte. Nach § 2 Abs. 1 a Satz 1 Nr. 1 BAföG kommt es nämlich nicht darauf an, ob die von ihr besuchte Ausbildungsstätte in E. von der Wohnung ihrer Eltern erreichbar ist. Maßgebend ist nach der o. g. Bestimmung vielmehr, ob eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern erreicht werden kann. Das ist hier - wie bereits ausgeführt - der Fall, weil die Berufsbildenden Schulen III in C. eine von der Wohnung der Eltern aus erreichbare entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte sind.

Schließlich kann die Klägerin auch nicht geltend machen, dass Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, was auf ihre Ausbildung zutreffe, gemäß § 7 Abs. 5 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hätten und daher Ausbildungsförderung benötigten. Die Klägerin übersieht, dass die o. g. Bestimmung nach § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II auf Auszubildende, die aufgrund von § 2 Abs. 1 a BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben, keine Anwendung findet. Eine entsprechende Regelung enthält § 22 Abs. 2 Nr. 1 SGB XII in Bezug auf Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII.

Ende der Entscheidung

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