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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 25.07.2007
Aktenzeichen: 4 LB 90/07
Rechtsgebiete: SGB VIII, SGB X


Vorschriften:

SGB VIII § 10 Abs. 4 Satz 2
SGB VIII § 89 c
SGB VIII § 89 f Abs. 1 Satz 1
SGB X § 104
1. Ein Nachrang der Jugendhilfe gegenüber der Eingliederungshilfe wegen geistiger Behinderung nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII steht dem Kostenerstattungsanspruch des früher örtlich zuständigen Jugendhilfeträgers gegen den örtlich zuständig gewordenen Jugendhilfeträger nach § 89 c SGB VIII nicht entgegen.

2. Maßnahmen der Jugendhilfe sind auch dann rechtmäßig, wenn sie gegenüber ebenfalls in Betracht kommenden Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII nachrangig sind.

3. Dem Kostenerstattungsanspruch nach § 89 c SGB VIII lässt sich nicht entgegenhalten, der erstattungsberechtigte früher örtlich zuständige Jugendhilfeträger könne wegen des Vorrangs der Eingliederungshilfe gegenüber der Jugenhilfe die Erstattung seiner Aufwendungen von dem Träger der Sozialhilfe verlangen.


NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG URTEIL

Aktenz.: 4 LB 90/07

Datum: 25.07.2007

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Aufwendungen der Jugendhilfe für C. D..

Die Mutter des am 24. Juli 1989 geborenen C. D. beantragte unter dem 28. Dezember 1994 bei der Klägerin die Gewährung von Jugendhilfe durch Übernahme der Kosten der Unterbringung ihres Sohnes in einem Heim der E. Katholischen Kinderpflege Würzburg. Zur Begründung gab sie an, aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse (Scheidung, neue Beziehung und Aufnahme einer Berufstätigkeit) nicht in der Lage zu sein, die elterliche Sorge für ihren Sohn auszuüben. Frau D., deren drei ältere Kinder bereits seit Juli 1985 im Rahmen der Jugendhilfe in einem Heim betreut wurden, lebte bei der Antragstellung von ihrem damaligen Ehemann getrennt und wohnte mit ihrem jetzigen Ehemann und ihrem Sohn C. bei einem Bekannten.

Das Jugendamt der Klägerin gelangte zu der Einschätzung, dass Frau D. aufgrund einer "intellektuellen Minderbegabung" mit der Bewältigung der Eheprobleme, der Wohnungssuche, der Arbeit, der neuen Partnerschaft und der Erziehung ihres Sohnes völlig überfordert sei.

Daher gewährte die Klägerin Frau D. ab dem 2. Januar 1995 Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 34 des Achten Sozialgesetzbuchs - SGB VIII - durch Unterbringung ihres Sohnes in einem Heim der E. Katholischen Kinderpflege Würzburg.

Am 29. Juni 1995 erstellte das Jugendamt der Klägerin einen Hilfeplan nach § 36 SGB VIII, demzufolge C. D. deutliche Entwicklungsdefizite im motorischen, sprachlichen und emotional-sozialen Bereich aufwies. Darüber hinaus wurde eine körperliche Vernachlässigung festgestellt. Außerdem wurde festgehalten, dass die Heimerziehung erforderlich geworden sei, weil sich die Eltern des Kindes getrennt hätten und die Mutter nicht in der Lage sei, ihren erzieherischen Aufgaben nachzukommen.

Am 28. Februar 1999 zog Frau D., der durch Urteil des Amtsgerichts F. vom 17. Dezember 1997 im Zusammenhang mit der Scheidung von ihrem früheren Ehemann die elterliche Sorge für ihren Sohn übertragen worden war, in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten um.

Daraufhin forderte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 19. April 1999 auf, die Jugendhilfe in eigener Zuständigkeit weiter zu führen und ihr die seit dem 28. Februar 1999 entstandenen Kosten nach § 89 c SGB VIII zu erstatten.

Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 9. März 2000 ab. Zur Begründung führte er aus, dass C. D. geistig behindert sei, so dass für ihn nicht die Gewährung von Jugendhilfe, sondern Eingliederungshilfe nach § 39 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG - angezeigt sei. Maßnahmen der Eingliederungshilfe für geistig behinderte junge Menschen gingen nach § 10 Abs. 2 SGB VIII Jugendhilfeleistungen vor. Daher komme weder eine Übernahme des Falles in eigener Zuständigkeit noch eine Kostenerstattung in Betracht.

Mit Schreiben vom 19. April 2000 bat die Klägerin den Beklagten erneut, die Jugendhilfe zu übernehmen und ihr die seit dem 28. Februar 1999 entstandenen Kosten zu erstatten. Dabei betonte sie, dass bei der Heimunterbringung von C. D. nicht dessen geistige Behinderung, sondern der erzieherische Bedarf im Vordergrund gestanden habe und noch immer stehe. Das Kind habe von 1996 bis 1999 eine Sonderschule für geistig Behinderte besucht und befinde sich aufgrund guter Entwicklungsfortschritte seit dem Schuljahr 1999/2000 in einer Sonderschule für Lernbehinderte. Bei entsprechender Förderung durch das Elternhaus wäre für C. D. der Besuch der Sonderschule für Lernbehinderte mit eventuell ergänzendem Tagesstättenbesuch von Anfang an ausreichend gewesen. Die vollstationäre Unterbringung in der E. Katholischen Kinderpflege, die eine reine Jugendhilfeeinrichtung sei, sei daher allein aufgrund der erzieherischen Defizite von Frau D. notwendig geworden. Dieses Begehren lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 3. Mai 2000 ebenfalls ab.

In der Folgezeit ließ die Klägerin von der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ein kinder- und jugendpsychiatrisches Fachgutachten sowie ein psychologisches Zusatzgutachten über C. D. erstellen. Das kinder- und jugendpsychiatrische Gutachten vom 9. Oktober 2000 gelangte zu dem Ergebnis, dass C. D. über eine intellektuelle Leistungsfähigkeit im Bereich der leichten Intelligenzminderung verfüge, die einer leichtgradigen geistigen Behinderung entspreche. Er gehöre damit zu dem Personenkreis der nicht nur vorübergehend geistig wesentlich Behinderten nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG. Eine zusätzliche seelische Behinderung sei nicht festzustellen. Die Heimunterbringung sei somit vorwiegend aus erzieherischen Gründen notwendig geworden. Bei entsprechenden familiären Ressourcen hätte in Bezug auf die geistige Behinderung eine teilstationäre Maßnahme ausgereicht. Das psychologische Zusatzgutachten vom 9. Oktober 2000 bestätigte das Vorliegen einer leichtgradigen geistigen Behinderung.

Unter Bezugnahme auf das o. g. kinder- und jugendpsychiatrische Fachgutachten wiederholte die Klägerin mit Schreiben vom 13. November 2000 ihren bisherigen Antrag, den der Beklagte mit Schreiben vom 30. November 2000, 9. Januar 2001 und 7. März 2001 erneut ablehnte.

Die Klägerin hat daraufhin am 16. Dezember 2002 Klage erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Jugendhilfe aus erzieherischen Gründen erfolgt sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die leichtgradige geistige Behinderung für die Heimunterbringung im Vordergrund stehen sollte. Der leichten Intelligenzminderung könne durch eine teilstationäre Maßnahme begegnet werden. Eine teilstationäre Eingliederungshilfe sei aber nicht deckungsgleich mit einer vollstationären Jugendhilfe. Daher gehe die Eingliederungshilfe der Jugendhilfe nach § 10 Abs. 2 SGB VIII nicht vor. Folglich sei der Beklagte nach §§ 85, 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII seit dem 28. Februar 1999 für die Jugendhilfe zuständig. Die bereits entstandenen Kosten seien ihr gemäß § 89 c Abs. 1 SGB VIII zu erstatten. Im Übrigen wäre bei einem Vorrang der Eingliederungshilfe der Beigeladene als überörtlicher Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, ihr die Kosten für die Unterbringung des minderjährigen C. D. in der E. Katholischen Kinderpflege Würzburg seit dem 28. Februar 1999 zu erstatten, und zwar für die Zeit vom 28. Februar 1999 bis zum 31. Oktober 2002 in Höhe von 169.952,63 Euro und für die Zeit vom 1. November 2002 bis zum Abschluss des Verwaltungsrechtsstreits in noch zu beziffernder Höhe, und diese Beträge jeweils mit 5 % über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu verzinsen,

2. den Beklagten zu verurteilen, die Jugendhilfe für den minderjährigen C. D. zukünftig in eigener örtlicher Zuständigkeit zu erbringen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und erwidert, dass ein Kostenerstattungsanspruch nach § 89 c Abs. 1 SBG VIII ausscheide, weil nicht Jugendhilfe, sondern vorrangig Eingliederungshilfe nach dem BSHG zu gewähren gewesen wäre. Ausweislich der Hilfepläne und des ärztlichen Gutachtens vom 9. Oktober 2000 liege bei C. D. eine geistige Behinderung im Sinne des § 39 BSHG vor. Daher habe er einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach Maßgabe des BSHG. Da bei ihm ein hoher sonderpädagogischer Förderungsbedarf bestehe, sei eine teilstationäre Betreuung nicht möglich. Der Jugendliche bedürfe vielmehr vollstationärer Betreuung, weil er zu einer selbständigen Lebensführung nicht fähig sei. Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII gingen Maßnahmen der Eingliederungshilfe für geistig behinderte junge Menschen nach dem BSHG Jugendhilfeleistungen jedoch vor. Daher bestünden die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche nicht. Abgesehen davon werde der Erstattungsanspruch auch der Höhe nach bestritten.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, aber vorgetragen, dass es sich bei dem Heim der E. Katholischen Kinderpflege um ein heilpädagogisches Heim handele, in dem ausschließlich Erziehungshilfe nach dem SGB VIII erbracht werde. Der erzieherische Bedarf stehe bei C. D. auch im Vordergrund. Aussagekräftige Gutachten zum Vorliegen einer geistigen Behinderung lägen ihm - dem Beigeladenen - nicht vor. Gegen eine geistige Behinderung spreche auch, dass der Hilfeempfänger seit dem Schuljahr 1999/2000 eine Förderschule zur individuellen Lernförderung besuche. Daher bestehe kein Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe nach dem BSHG.

Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 26. Mai 2004 den Beklagten dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin die Kosten für die Unterbringung des minderjährigen C. D. in der E. Katholischen Kinderpflege seit dem 28. Februar 1999 zu erstatten und die Jugendhilfe für den minderjährigen C. D. zukünftig in eigener örtlicher Zuständigkeit zu erbringen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass sich der Erstattungsanspruch der Klägerin aus § 89 c SGB VIII ergebe. Mit dem Umzug der allein personensorgeberechtigten Mutter des Jugendlichen in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten am 28. Februar 1999 sei der Beklagte nach § 86 SGB VIII für die Jugendhilfe zuständig geworden. Da die Klägerin nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit die erforderliche Hilfe - wie in § 86 c SGB VIII vorgeschrieben - weiter erbracht habe, sei der Beklagte auch verpflichtet, ihr die entstandenen Jugendhilfeaufwendungen für die Betreuung von C. D. ab dem 28. Februar 1999 zu erstatten. Dem stehe nicht entgegen, dass § 89 f SGB VIII eine Erstattung der Aufwendungen nur zulasse, soweit die gewährte Jugendhilfe den Vorschriften des SGB VIII entsprochen habe. Denn das sei hier der Fall gewesen. Entgegen der Annahme des Beklagten könne nicht davon ausgegangen werden, dass die von der Klägerin erbrachte Jugendhilfe rechtswidrig gewesen sei, weil vorrangig Eingliederungshilfe nach dem BSHG, für die der Beigeladene zuständig gewesen wäre, hätte gewährt werden müssen. Der Hinweis des Beklagten auf § 10 Abs. 2 SGB VIII, demzufolge Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz für geistig behinderte junge Menschen Leistungen der Jugendhilfe vorgingen, gehe fehl. Denn diese Vorschrift sei nur dann relevant, wenn Ansprüche auf Leistungen der Eingliederungshilfe für geistig behinderte junge Menschen mit Ansprüchen auf Jugendhilfeleistungen zusammenträfen, die den Leistungen der Eingliederungshilfe entsprächen. Das sei hier nicht der Fall. Zwar sei nach dem vorliegenden Gutachten davon auszugehen, dass C. D. auch einen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe nach dem BSHG habe. Dieser Anspruch sei nach dem Gutachten aber auf eine teilstationäre Hilfe beschränkt. Die seit Jahren gewährte Jugendhilfe gehe indessen weiter, weil sie vollstationär erbracht werde, was ausweislich des Gutachtens vom 9. Oktober 2000 auch dem Bedarf entspreche. Eine vollstationäre Jugendhilfe und eine nur teilstationär zu erbringende Eingliederungshilfe seien nicht deckungsgleich. Daher bestehe kein Nachrang der gewährten Jugendhilfe gegenüber der möglicherweise ebenfalls zu erbringenden Eingliederungshilfe. Dementsprechend habe der Beklagte der Klägerin die seit dem 28. Februar 1999 entstandenen Aufwendungen für die Jugendhilfe zu erstatten und den Fall in die eigene Zuständigkeit zu übernehmen. Eine Entscheidung über die Höhe der zu erstattenden Aufwendungen habe noch nicht erfolgen können, weil der Betrag zwischen den Beteiligten streitig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten, die der damals zuständige 12. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts durch Beschluss vom 6. September 2005 zugelassen hat.

Nach dem Eintritt der Volljährigkeit von C. D. haben die Klägerin und der Beklagte den Rechtstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, soweit die Klägerin beantragt hat, den Beklagten zu verurteilen, die Jugendhilfe für den minderjährigen C. D. zukünftig in eigener örtlicher Zuständigkeit zu erbringen.

Zur Begründung der Berufung trägt der Beklagte im Wesentlichen Folgendes vor: Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Jugendhilfe gegenüber der aufgrund der geistigen Behinderung von C. D. zu erbringenden Eingliederungshilfe nicht nachrangig sei, weil der Anspruch auf Eingliederungshilfe auf eine teilstationäre Maßnahme beschränkt und daher mit der vollstationären Jugendhilfe nicht deckungsgleich sei, könne nicht gefolgt werden. Das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass eine teilstationäre Eingliederungshilfe nach dem kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgutachten vom 9. Oktober 2000 nur dann in Betracht käme, wenn ein besonders aufopferungsvolles Elternhaus existierte, das zu einer gezielten Förderung und Betreuung des Kindes in der Lage und bereit sei. Das sei jedoch nicht der Fall. Denn die Mutter von C. D. sei nicht in der Lage, sich so um ihren Sohn zu kümmern und ihn so zu fördern, dass eine teilstationäre Eingliederungshilfe ausreiche. Daher sei auch sozialhilferechtlich eine vollstationäre Unterbringung erforderlich. Das Verwaltungsgericht habe ferner außer Acht gelassen, dass im Rahmen der Eingliederungshilfe für geistig behinderte Kinder in einer Vielzahl von Fällen die Kosten einer vollstationären Heimunterbringung übernommen würden, z. B. wenn die Eltern wegen des Grades der Behinderung oder ihrer Wohnverhältnisse zu einer häuslichen Pflege nicht in der Lage seien oder aufgrund des Wohnortes der Eltern keine geeignete teilstationäre Einrichtung erreicht werden könne. In diesen Fällen käme niemand auf die Idee, die vollstationäre Heimunterbringung als Jugendhilfe zu deklarieren. Außerdem habe das Verwaltungsgericht übersehen, dass der Umstand, dass die sorgeberechtigte Mutter des Hilfeempfängers nicht in der Lage sei, sich um seine Erziehung zu kümmern, nicht automatisch eine vollstationäre Unterbringung rechtfertige. Vielmehr werde ab einem gewissen Alter regelmäßig eine teilstationäre Unterbringung in Form des betreuten Wohnens gewählt, um eine problemlosere Verselbständigung der Kinder zu ermöglichen. Dies sei im Falle von C. D. aufgrund seiner geistigen Behinderung nicht möglich gewesen. Daher sei seine geistige Behinderung für die stationäre Heimunterbringung kausal gewesen. Im Übrigen habe die Mutter des Jugendlichen mehrfach den Wunsch nach seiner Rückführung in den elterlichen Haushalt geäußert, den die Klägerin in Erwägung hätte ziehen müssen, zumal es keine Hinweise auf eine Fortsetzung der Gefährdung des Kindeswohls gegeben habe. Der Jugendliche hätte aus dem mütterlichen Haushalt heraus auch eine teilstationäre Einrichtung besuchen können. Außerdem hätte ambulante Hilfe zur Erziehung erfolgen können. Daher habe aus jugendhilferechtlicher Sicht für eine vollstationäre Heimunterbringung bis zum Erreichen der Volljährigkeit kein Grund mehr bestanden; zumindest sei fraglich, ob die vollstationäre Unterbringung in der E. Katholischen Kinderpflege, die mit erheblichen monatlichen Aufwendungen verbunden sei, notwendig gewesen sei. Das Gutachten der Klink und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Würzburg vom 29. Juni 2005 komme zu keinem anderen Ergebnis. Denn dem Gutachten sei zu entnehmen, dass ein hypothetisches intaktes familiäres Umfeld die geistige Behinderung auffangen könne und eine vollstationäre Maßnahme dann nicht erforderlich wäre. Schließlich sei auch die Annahme des Verwaltungsgerichts unzutreffend, dass § 89 f SGB VIII einer Erstattung der aufgewendeten Kosten nicht entgegenstehe. Nach dieser Vorschrift seien die aufgewendeten Kosten nur zu erstatten, soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften des SGB VIII entspreche. Daher habe die Klägerin auch dem Interessenwahrungsgrundsatz Rechnung tragen müssen. Das sei nicht geschehen. Denn die Klägerin habe es versäumt, vor seiner Inanspruchnahme Ansprüche auf Kostenerstattung gegenüber dem nach § 10 Abs. 2 SGB VIII vorrangig leistungspflichtigen überörtlichen Sozialhilfeträger geltend zu machen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer - vom 26. Mai 2004 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vortrag des Beklagten unter Bezugnahme auf das im Berufungszulassungsverfahren von ihr vorgelegte kinder- und jugendpsychiatrische Fachgutachten der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Würzburg vom 29. Juni 2005 entgegen.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag, verteidigt aber das erstinstanzliche Urteil und trägt ergänzend vor, dass eine vollstationäre Unterbringung auch nach dem Gutachten vom 29. Juni 2005 ausschließlich aus erzieherischen Gründen erforderlich gewesen sei. Im Hinblick auf eine eventuell bestehende geistige Behinderung hätte es keiner vollstationären Maßnahme bedurft. Vielmehr wäre eine teilstationäre Maßnahme ausreichend gewesen. Daher wäre ein eventueller Anspruch auf Eingliederungshilfe auf teilstationäre Maßnahmen beschränkt gewesen. In Würzburg gebe es auch entsprechende teilstationäre Einrichtungen zur Betreuung geistig behinderter Jugendlicher. Folglich habe die Klägerin gegen den Beklagten einen Erstattungsanspruch.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Klägerin und des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Das Verfahren ist aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Klägerin und des Beklagten in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Klägerin beantragt hat, den Beklagten zu verurteilen, die Jugendhilfe für den minderjährigen C. D. zukünftig in eigener örtlicher Zuständigkeit zu erbringen; insoweit ist das erstinstanzliche Urteil unwirksam (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).

Im Übrigen ist die Berufung unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin die Kosten für die Unterbringung von C. D. in der E. Katholischen Kinderpflege seit dem 28. Februar 1999 zu erstatten.

Der Erstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 89 c SGB VIII. Nach dieser Bestimmung sind die Kosten, die ein örtlicher Träger der Jugendhilfe im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden ist. Diese Voraussetzungen für eine Kostenerstattung liegen hier vor.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass am 28. Februar 1999 ein Zuständigkeitswechsel eingetreten ist. Da die Eltern von C. D. Anfang 1995 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Klägerin gehabt haben, ist nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zunächst die Klägerin für die Gewährung der Hilfe zur Erziehung zuständig gewesen. Mit dem Umzug von Frau D., der nach dem Urteil des Amtsgerichts F. vom 17. Dezember 1997 das alleinige Sorgerecht für ihren Sohn zustand, in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten ist die örtliche Zuständigkeit für die Jugendhilfe nach § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII auf den Beklagten übergegangen.

Die Klägerin hat nach dem Wechsel der Zuständigkeit am 28. Februar 1999 auch weiterhin Jugendhilfe geleistet. Dies entsprach § 86 c SGB VIII, der bestimmt, dass der bisher zuständige örtliche Träger der Jugendhilfe bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit so lange zur Gewährung der Leistung verpflichtet ist, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt.

Damit liegen die Voraussetzungen des von der Klägerin geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs dem Grunde nach vor. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin den Beklagten gemäß § 86 c Satz 2 SGB VIII unverzüglich über die den Zuständigkeitswechsel begründenden Umstände unterrichtet hat, weil die Kostenerstattung nicht von der unverzüglichen Unterrichtung des zuständig gewordenen Leistungsträgers darüber abhängig ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 - 5 C 52.01 -).

Dem Kostenerstattungsanspruch dem Grunde nach steht auch § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht entgegen, der vorsieht, dass die aufgewendeten Kosten nur zu erstatten sind, soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften des SGB VIII entspricht. Denn die Klägerin hat die Jugendhilfe dem Grunde nach im Einklang mit den Bestimmungen des SGB VIII erbracht.

Die Klägerin hat der Mutter von C. D. Hilfe zur Erziehung in einem Heim nach §§ 27, 34 SGB VIII gewährt. Auf diese Hilfe bestand ein Anspruch, weil eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung seit Anfang 1995 nicht gewährleistet war und die Heimerziehung für die Entwicklung des Kindes geeignet und notwendig gewesen ist. Dem kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgutachten der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg vom 9. Oktober 2000 ist zu entnehmen, dass die Unterbringung von C. D. in dem Heim der E. Katholischen Kinderpflege aus erzieherischen Gründen notwendig gewesen ist. Diese Feststellung wird durch das Fachgutachten der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Würzburg vom 29. Juni 2005 und den Hilfeplan vom 29. Juni 1995 bestätigt. Ausweislich des Gutachtens vom 29. Juni 2005 hat die Notwendigkeit der Unterbringung von C. D. in der E. Katholischen Kinderpflege aus erzieherischen Gründen auch im Juni 2005 bestanden. Das Gutachten besagt darüber hinaus, dass die Heimerziehung von C. D. weiterhin erforderlich ist. Bei der Exploration der Bezugserzieherin Frau G. sei deutlich geworden, dass C. die Unterstützung durch erwachsene Bezugspersonen benötige. Bei einem intakten familiären Umfeld mit ausreichenden Ressourcen wäre eine vollstationäre Maßnahme trotz der geistigen Behinderung nicht erforderlich. Da kein sachlicher Grund besteht, die Richtigkeit dieser gutachterlichen Feststellungen in Zweifel zu ziehen, und überzeugende Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres von C. D. geändert hat, weder konkret vorgetragen worden noch ersichtlich sind, ist davon auszugehen, dass die Unterbringung von C. D. in der E. Katholischen Kinderpflege aus erzieherischen Gründen bis zum Eintritt der Volljährigkeit notwendig gewesen ist. Der Beklagte hat im Berufungsverfahren zwar erklärt, dass aus jugendhilferechtlicher Sicht für die Notwendigkeit einer vollstationären Heimunterbringung bis zur Volljährigkeit kein Grund bestanden habe, und darauf hingewiesen, dass ab der Pubertät regelmäßig auch eine teilstationäre Unterbringung in Form des betreuten Wohnens gewählt werde, um eine problemlosere Verselbständigung der Kinder zu ermöglichen, außerdem habe die Mutter von C. D. mehrfach den Wunsch nach einer Rückführung des Hilfeempfängers in den elterlichen Haushalt geäußert, den die Klägerin in Erwägung hätte ziehen müssen, zumal es keine Hinweise auf eine Fortsetzung der Gefährdung des Wohls des Kindes gegeben habe. Diese Ausführungen sind nach Überzeugung des Senats jedoch nicht geeignet, die Feststellung in dem ausführlich begründeten kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgutachten vom 29. Juni 2005, die Unterbringung C. in der E. Katholischen Kinderpflege sei weiterhin aus erzieherischen Gründen notwendig, in Frage zu stellen. Abgesehen davon kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Mutter von C. D. willens und in der Lage gewesen ist, ihren Sohn angemessen zu erziehen und zu betreuen. Dem Gutachten vom 29. Juni 2005 ist zu entnehmen, dass eine Kontaktaufnahme mit Frau D., zu der seit ca. vier Jahren nur ein sporadischer telefonischer Kontakt bestehe, nicht möglich gewesen sei, der Sohn wolle seine Mutter auch nicht mehr "sehen". Außerdem hat der Beklagte an anderer Stelle selbst vorgetragen, dass die sorgeberechtigte Mutter von C. D. nicht in der Lage sei, sich um seine Erziehung zu kümmern.

Folglich hat die Klägerin die umstrittene Jugendhilfe dem Grunde nach in Erfüllung ihrer Aufgaben nach dem SGB VIII erbracht. Dass die örtliche Zuständigkeit für die Gewährung der Jugendhilfe am 28. Februar 1999 auf den Beklagten übergegangen ist und die Klägerin seit diesem Zeitpunkt nur noch gemäß § 86 c Satz 1 SGB VIII tätig gewesen ist, ändert daran nichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.2006 - 5 C 7.05 -, NVwZ-RR 2007 S. 199).

Gegen die Rechtmäßigkeit der von der Klägerin erbrachten Jugendhilfe kann der Beklagte gleichfalls nicht mit Erfolg einwenden, C. D. habe wegen seiner geistigen Behinderung nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG bzw. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auch Eingliederungshilfe zugestanden, die nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII bzw. § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3546) gegenüber der von der Klägerin geleisteten Jugendhilfe vorrangig gewesen sei.

Dem Beklagten ist zwar einzuräumen, dass C. D. neben dem Anspruch auf Jugendhilfe auch einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG bzw. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gehabt hat, weil er ausweislich des kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgutachtens der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg vom 9. Oktober 2000 zu dem Personenkreis der nicht nur vorübergehend geistig wesentlich Behinderten im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG bzw. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gehört; auch dem psychologischen Zusatzgutachten vom 9. Oktober 2000 und dem kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgutachten vom 29. Juni 2005 ist zu entnehmen, dass bei C. D. eine leichtgradige geistige Behinderung vorliegt, die eine Betreuung notwendig macht. Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht entscheidungserheblich, ob Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII bzw. § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII a. F. gegenüber den von der Klägerin erbrachten Leistungen der Jugendhilfe vorrangig gewesen sind.

§ 10 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGB VIII regelt das Rangverhältnis zwischen Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe. Nach § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gehen Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem SGB XII grundsätzlich vor. Etwas anderes gilt nur für Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert sind oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, da diese Maßnahmen nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII den Leistungen nach dem SGB VIII vorgehen. Diese Regelung des Vor- bzw. Nachrangs zwischen Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe, die der Regelung in § 10 Abs. 2 SGB VIII in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3546) entspricht, setzt notwendig voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (BVerwG, Urt. v. 23.9.1999 - 5 C 26.98 -, FEVS 51, 337; Urt. v. 2.3.2006 - 5 C 15.05 -, BVerwGE 125, 95). Dabei stellt § 10 Abs. 4 SGB VIII nicht auf den Schwerpunkt in Bezug auf eine der beiden Hilfeleistungen, sondern die Art der miteinander konkurrierenden Leistungen ab. Konkurrieren demnach Jugendhilfeleistungen wie die Heimerziehung nach dem SGB VIII mit Maßnahmen der Eingliederungshilfe wegen geistiger Behinderung in einem Heim nach Sozialhilferecht, ist nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII die Sozialhilfe vorrangig (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.1999, a.a.O.).

Ein Nachrang der Jugendhilfe hat nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, indessen keine Auswirkungen auf das Leistungsverhältnis zwischen dem Hilfesuchenden und dem Jugendhilfeträger (BVerwG, Urt. v. 23.9.1999, a.a.O.). Denn ein Nachrang der Jugendhilfe bewirkt auf der Ebene der Verpflichtungen zum Hilfesuchenden keine Freistellung des nachrangig verpflichteten Jugendhilfeträgers und damit auch keine alleinige Zuständigkeit des vorrangig verpflichteten Sozialhilfeträgers (BVerwG, Urt. v. 23.9.1999, a.a.O.). Vielmehr ist der Vorrang nur für die Kostenerstattung zwischen dem Jugendhilfeträger und dem Sozialhilfeträger von Bedeutung (BVerwG, Urt. v. 23.9.1999, a.a.O.). Daher wären die Leistungen der Jugendhilfe, die die Klägerin erbracht hat, auch dann rechtmäßig gewesen, wenn sie gegenüber den hier ebenfalls in Betracht kommenden Maßnahmen der Eingliederungshilfe nachrangig gewesen sein sollten. Folglich steht § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII einem Kostenerstattungsanspruch der Klägerin dem Grunde nach nicht entgegen.

Da ein Nachrang der Maßnahmen der Jugendhilfe gegenüber Maßnahmen der Eingliederungshilfe wegen geistiger Behinderung nur für die Kostenerstattung zwischen dem Jugendhilfeträger und dem Sozialhilfeträger von Bedeutung ist (BVerwG, Urt. v. 23.9.1999, a.a.O.), tangiert er auch im Übrigen den Kostenerstattungsanspruch des früher örtlich zuständigen Jugendhilfeträgers gegen den örtlich zuständig gewordenen Jugendhilfeträger nach § 89 c SGB VIII nicht.

Dem Erstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten nach § 89 c SGB VIII Iässt sich insbesondere nicht entgegenhalten, die Klägerin könne bei einem Vorrang der Eingliederungshilfe die Erstattung ihrer Aufwendungen von dem Beigeladenen als dem zuständigen überörtlichen Träger der Sozialhilfe verlangen.

Zunächst ist zweifelhaft, ob ein derartiger Anspruch der Klägerin gegen den Beigeladenen im Falle eines Nachrangs der Jugendhilfe gegenüber der Eingliederungshilfe nach § 104 SGB X überhaupt bestünde. Denn die Klägerin hat die Jugendhilfe ab dem 28. Februar 1999 nicht in eigener örtlicher Zuständigkeit, sondern nur im Rahmen der Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII erbracht. Letztlich kann aber dahinstehen, ob die Klägerin bei einem Nachrang der Jugendhilfe einen Anspruch gegen den Beigeladenen auf Kostenerstattung hätte, weil ein derartiger Anspruch gegenüber dem Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten nach § 89 c SGB VIII nicht vorrangig wäre und diesen daher nicht verdrängen würde.

Den gesetzlichen Bestimmungen lässt sich nicht entnehmen, dass der Anspruch eines örtlich nicht mehr zuständigen, nachrangig verpflichteten Jugendhilfeträgers gegen einen vorrangig verpflichteten Sozialhilfeträger auf Kostenerstattung dem Anspruch nach § 89 c SGB VIII vorgeht. Für einen solchen Vorrang gibt es auch keinen sachlichen Grund. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass dem Anspruch nach § 89 c SGB VIII Vorrang zukommt. Andernfalls müsste nämlich nicht der örtlich zuständige, sondern der nicht mehr in eigener Zuständigkeit tätige, ausschließlich im Interesse des Hilfeempfängers zur Leistung verpflichtete Jugendhilfeträger sowohl prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger vorliegen, als auch das Prozessrisiko bei einem Rechtsstreit mit dem Sozialhilfeträger tragen. Es liegt aber auf der Hand, dass dies sachlich nicht gerechtfertigt wäre, weil der früher örtlich zuständige Jugendhilfeträger nur aufgrund der unberechtigten Weigerung des örtlich zuständig gewordenen Jugendhilfeträgers nach § 86 c SGB VIII zur Leistung verpflichtet gewesen ist. Dass bei einem Vorrang des Anspruchs nach § 89 c SGB VIII gegebenenfalls zwei Erstattungsverfahren durchzuführen sind, rechtfertigt es ebenfalls nicht, dem örtlich nicht mehr zuständigen Jugendhilfeträger den Erstattungsanspruch gegen den zuständig gewordenen Jugendhilfeträger nach § 89 c SGB VIII unter Hinweis auf eine Erstattungspflicht des Sozialhilfeträgers zu versagen.

Daher schließt ein eventueller Nachrang der Jugendhilfe gegenüber der nach den Bestimmungen des SGB XII bzw. des BSHG zu leistenden Eingliederungshilfe den Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten nach § 89 c SGB VIII nicht aus. Sollte die Jugendhilfe im vorliegenden Fall tatsächlich nachrangig gewesen sein, dürfte aber der Beklagte gegen den Träger der Sozialhilfe nach § 104 SGB X einen Erstattungsanspruch haben, da ihm die von der Klägerin erbrachten Jugendhilfeleistungen, deren Kosten er nach § 89 c SGB VIII zu tragen hat, zuzurechnen sind.

Dem von der Klägerin geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch kann der Beklagte schließlich auch nicht entgegenhalten, die Klägerin habe gegen den Interessenwahrungsgrundsatz verstoßen, indem sie es versäumt habe, vor seiner Inanspruchnahme Ansprüche auf Kostenerstattung gegenüber dem nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII bzw. § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII a. F. vorrangig leistungspflichtigen überörtlichen Sozialhilfeträger geltend zu machen. Der Grundsatz der Interessenwahrung besagt lediglich, dass ein Hilfe gewährender Leistungsträger grundsätzlich alles tun muss, um den erstattungsfähigen Aufwand gering zu halten (BVerwG, Urt. v. 26.10.2006, a.a.O.; Wiesner, SGB VIII, Kommentar, 3. Aufl., § 89 f. Rn. 7). Da im vorliegenden Verfahren nur entscheidungserheblich ist, ob der Klägerin der von ihr geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch dem Grunde nach zusteht, kann dahinstehen, ob die Klägerin den erstattungsfähigen Aufwand so gering wie möglich gehalten hat. Folglich lässt sich mit der Behauptung, die Klägerin habe den Interessenwahrungsgrundsatz verletzt, die Kostenerstattungspflicht dem Grunde nach nicht bestreiten. Der Beklagte kann aber auch nicht einwenden, die Klägerin habe es unterlassen, vor seiner Inanspruchnahme Ansprüche auf Kostenerstattung gegenüber dem vorrangig leistungspflichtigen überörtlichen Sozialhilfeträger geltend zu machen. Denn er übersieht, dass die Klägerin mit Schreiben vom 17. Dezember 2002 innerhalb der Ausschlussfrist des § 111 SGB X eventuelle Erstattungsansprüche bei dem Beigeladenen angemeldet hat. Außerdem hat sie im erstinstanzlichen Verfahren beantragt, den überörtlichen Sozialhilfeträger beizuladen. Abgesehen davon dürfte es nach einem Zuständigkeitswechsel nicht dem nicht mehr unzuständigen, sondern dem zuständig gewordenen Sozialleistungsträger obliegen, eventuelle Erstattungsansprüche gegenüber dem Erstattungspflichtigen geltend zu machen.

Ende der Entscheidung

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