Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 04.11.2008
Aktenzeichen: 4 LC 234/07
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 60 Abs. 1
VwGO § 124 a Abs. 3 S. 1
Verwendet ein Rechtsanwalt einen elektronischen Fristenkalender, muss er im Hinblick auf die spezifischen Fehlermöglichkeiten bei der Dateneingabe Kontrollen einrichten, die gewährleisten, dass eine fehlerhafte Eingabe rechtzeitig erkannt wird.
Gründe:

Die Berufung des Beklagten, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 125 Abs. 2 VwGO durch Beschluss entscheidet, ist unzulässig.

Nach § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO ist die Berufung in den Fällen, in denen sie - wie hier - vom Verwaltungsgericht gemäß § 124 Abs. 1 VwGO zugelassen worden ist, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen (§ 124 a Abs. 3 Satz 2 VwGO). Die Begründungsfrist kann nach § 124 a Abs. 3 Satz 3 VwGO nur auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden. Diese Frist, auf die der Beklagte in der Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Urteils zutreffend hingewiesen worden ist, hat er nicht gewahrt, da ihm das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts am 28. Dezember 2006 ordnungsgemäß zugestellt worden ist und er eine Begründung nicht innerhalb der am 28. Februar 2007 abgelaufenen Begründungsfrist, sondern erst am 21. März 2007 beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht eingereicht hat.

Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat keinen Erfolg. Der Beklagte hat keinen Sachverhalt gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO glaubhaft gemacht, nach dem sein Prozessbevollmächtigter, dessen Verhalten der Beklagte sich nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert war.

Übernimmt ein Rechtsanwalt eine Prozessvertretung, ist die Wahrung der prozessualen Fristen eine seiner wesentlichen Aufgaben. Dementsprechend ist er gehalten, alles ihm Zumutbare zur Einhaltung der Fristen zu tun und zu veranlassen (BVerwG, Beschl. v. 30.7.2008 - 5 B 42.08 -). Insofern gehört es zu seinen Sorgfaltspflichten, seine Kanzlei so zu organisieren, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig erstellt werden und vor Fristablauf beim zuständigen Gericht eingehen. Er muss Vorkehrungen treffen, die gewährleisten, dass Fristen richtig berechnet werden und der Fristenlauf zuverlässig überwacht wird (BVerwG, Beschl. v. 21.2.2008 - 2 B 6.08 -).

Hier sind hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist zum einen ein Organisationsverschulden und zum anderen ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten im Umgang mit dem vorliegenden Einzelfall festzustellen.

Da die Berechnung, Überwachung und Kontrolle der Berufungsbegründungsfrist wegen der Kompliziertheit der Regelungen in § 124 a VwGO besondere Sorgfalt erfordern und der Rechtsanwalt diese Tätigkeiten daher in der Regel nicht vollständig seinem Büropersonal überlassen darf (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 2.8.2006 - 4 S 2288/05 -, NVwZ-RR 2007, 138; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.10.2003 - 12 A 5511/00 -, NVwZ-RR 2004, 221; Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 124 a Rn. 70; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 60 Rn. 21), ist es bereits fraglich, ob die nach dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Beklagten selbständige Berechnung und Kontrolle (auch) der Berufungsbegründungsfrist durch eine Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte seiner Kanzlei, bei der der jeweilige Rechtsanwalt nicht obligatorisch beteiligt ist, sondern sich lediglich "routinemäßig davon überzeugen kann", dass die Frist richtig notiert ist, den insofern zu stellenden Anforderungen an die Organisation des Betriebs einer Anwaltskanzlei genügt. Jedenfalls muss ein Rechtsanwalt, wenn er einen EDV-gestützten Fristenkalender verwendet, im Hinblick auf die spezifischen Fehlermöglichkeiten bei der Eingabe der Datensätze (Programm- oder Tippfehler) spezielle Kontrollen - wie etwa die Kontrolle der Eingaben im Fristenkalender bzw. die Kontrolle des Ausdrucks der Eingaben durch eine zweite Person - einrichten, die gewährleisten, dass eine fehlerhafte Eingabe rechtzeitig erkannt wird und nicht bereits ein einfacher Tippfehler bei der Eingabe eines Datums zur Versäumung einer Frist führen kann (BGH, Beschl. v. 20.2.1997 - IX ZB 111/96 -, NJW-RR, 1997, 698; OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.8.2008 - 9 U 50/08 -). Dem genügt die Organisation der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht. Denn nach dessen Vorbringen obliegt die selbständige Führung des elektronischen Fristenkalenders seit Mitte 2004 der hierfür eingesetzten Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten, die hierbei nur "anfangs" kontrolliert worden ist. Die in der Kanzlei tätigen Rechtsanwälte überprüfen den Fristenkalender nur noch "stichprobenartig". Dass diese Organisation des Kanzleibetriebs unzureichend ist, veranschaulicht der vorliegende Fall. Denn hier hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten den sowohl in der Akte als auch im elektronischen Fristenkalender fehlenden Eintrag der Berufungsbegründungsfrist und der entsprechenden Vorfrist bei der ersten Vorlage der Akte anlässlich der Bearbeitung des Posteingangs zunächst nicht bemerkt. Erst bei der Unterzeichnung des Berufungseinlegungsschriftsatzes hat er - nicht aus Anlass einer Fristenkontrolle, sondern weil er sich davon überzeugen wollte, dass das erstinstanzliche Urteil im Original beigefügt war - festgestellt, dass die Berufungsbegründungsfrist und die entsprechende Vorfrist in der Akte (auf dem Urteil) nicht notiert waren. Nachdem die betreffende Angestellte dieses nachgeholt hatte, hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten lediglich den handschriftlichen Eintrag in der Akte kontrolliert und sich auf Nachfrage versichern lassen, dass diese Frist auch im elektronischen Fristenkalender eingetragen sei. Er hat jedoch nicht den für die Einhaltung der Frist entscheidenden Eintrag im Fristenkalender kontrolliert mit der Folge, dass er die dort fehlerhafte Datumseingabe durch seine Angestellte nicht bemerkt hat. Dies zeigt deutlich, dass eine wirksame Kontrolle der fehleranfälligen Eintragungen im elektronischen Fristenkalender in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht gewährleistet ist. Dieses Organisationsverschulden ist auch für das geschilderte Versäumnis der Berufungsbegründungsfrist ursächlich gewesen, da das Fristversäumnis erst bei Eingang der Verfügung des Berichterstatters des Senats vom 12. März 2007 von dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten erkannt worden ist.

Aus dem geschilderten Sachverhalt ergibt sich ferner, dass dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten auch ein Verschulden im Umgang mit dem hier vorliegenden Einzelfall vorzuwerfen ist. Denn nachdem ihm bei der ersten Vorlage der Akte der fehlende Eintrag der Berufungsbegründungsfrist entgangen war, hätte er sich nach der Entdeckung dieses Fehlers nicht mit der erneuten (überflüssigen) Vorlage der Akte und der mündlichen Zusicherung seiner Angestellten, dass die Frist auch im Fristenkalender eingetragen sei, begnügen dürfen, sondern sich vielmehr durch Einblick in den Fristenkalender selbst Gewissheit darüber verschaffen müssen, dass an dieser für die Fristwahrung allein entscheidenden Stelle die Frist nunmehr korrekt eingetragen ist. Gerade wenn nach dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Beklagten stichprobenartige Kontrollen des Fristenkalenders in seiner Kanzlei üblich sein sollen, hätte sich hier eine solche Kontrolle angesichts der geschilderten Umstände geradezu aufgedrängt. Das Unterlassen dieser Kontrolle stellt ein weiteres, für das Versäumnis der Berufungsbegründungsfrist ursächliches Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO dar. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO kommt hier daher nicht in Betracht.

Ende der Entscheidung

Zurück