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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 22.01.2003
Aktenzeichen: 4 LC 324/02
Rechtsgebiete: SGB VIII, UVG


Vorschriften:

SGB VIII § 27
SGB VIII § 33
SGB VIII § 39
SGB VIII § 93 V
UVG § 1
UVG § 2 I 1
1. Der in der Leistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz enthaltene Anteil für die Unterkunftskosten ist nur zur Deckung der anteiligen Kosten der Unterkunft bestimmt, in der der Leistungsberechtigte zusammen mit einem Elternteil lebt oder voraussichtlich in so naher Zulunft wieder leben wird, dass die Verwendung der Leistung zur Erhaltung der gemeinsamen Unterkunft gerechtfertigt ist.

2. In Höhe des Unterkunftskostenanteils dient die Leistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz deshalb nicht demselben Zweck wie die nur für einen vorübergehenden Zeitraum gewährte Hilfe zur Erziehung (hier: Vollzeitpflege einschl. Leistungen zum Unterhalt des Kindes) und ist deshalb insoweit nicht zur Deckung der Kosten der Jugendhilfemaßnahme einzusetzen.

3. Der für die Unterkunft bestimmte Anteil von der gesamten Leistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist mit 20 v. H. anzunehmen.


Tatbestand:

Der Beklagte als Träger der Jugendhilfe gewährte der alleinerziehenden Mutter der 1992 geborenen Klägerin zu 1) und der 1993 geborenen Klägerin zu 2) Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege. Die Klägerin zu 1 ) befand sich vom 14. November 1998 bis 11. August 1999 und die Klägerin zu 2) in der Zeit vom 14. November 1998 bis 16. Oktober 1999 in einer Pflegefamilie. Die Kosten der Maßnahme beliefen sich auf rund 2.200 DM monatlich. Da der Vater der Klägerinnen seiner Unterhaltsverpflichtung nicht nachkam, bezogen die Klägerinnen von dem Beklagten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG). Wegen der Höhe der Leistungen wird auf die Beiakte B (dort Bl. 14 u. 15) verwiesen. Die Leistungen nach dem UVG wurden zum 31. März 1999 eingestellt.

Mit Bescheid vom 25. Mai 2000 forderte der Beklagte von den Klägerinnen die ihnen gewährten Unterhaltsvorschussleistungen als Kostenbeitrag für die in der Zeit vom 14. November bis 31. März 1999 erbrachte Hilfe zur Erziehung; der errechnete Kostenbeitrag betrug 1.388,93 DM (Klägerin zu 1)) bzw. 1.121 ,43 DM (Klägerin zu 2)). Zur Begründung führte er aus: Die Klägerinnen hätten die gesamten nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ihnen gewährten Leistungen als sogenannte "zweckgleiche Leistungen" nach § 93 Abs. 3 u. 5 KJHG einzusetzen, da die Unterhaltsvorschussleistungen dem gleichen Zweck dienten wie die Leistungen der Jugendhilfe in Form der wirtschaftlichen Jugendhilfe, nämlich der Sicherung des Lebensunterhalts.

Auf den Widerspruch der Klägerinnen hob der Beklagte unter Abweisung des Widerspruchs im übrigen den Ausgangsbescheid insoweit auf, als von der Klägerin zu 1 ) ein höherer Betrag als 1.305,20 DM und von der Klägerin zu 2) ein höherer Beitrag als 1.057,70 DM gefordert wurde.

Mit der gegen diese Bescheide erhobenen Klage haben die Klägerinnen geltend gemacht:

Die Zahlungen der Unterhaltsvorschusskasse seien aufgebraucht worden, weil ihre Mutter die Leistungen zur Deckung ihres - der Klägerinnen - Bedarfs eingesetzt habe. Der Beklagte habe die Zahlungen des Unterhaltsvorschusses zum 31. März 1999 eingestellt und überraschend eine Rückzahlung der bis dahin erbrachten Leistungen gefordert.

Die Klägerinnen haben beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 25. Mai 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2000 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 24. April 2002 hat das Verwaltungsgericht der Bescheid des Beklagten vom 25. Mai 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2000 - unter Abweisung der Klage im übrigen - aufgehoben, soweit gegen die Klägerin zu 1 ) ein höherer Kostenbeitrag als 1.044,16 DM und gegen die Klägerin zu 2) ein höherer Kostenbeitrag als 846,16 DM festgesetzt worden ist.

Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die angefochtenen Kostenbeitragsbescheide seien teilweise rechtswidrig.

Dem Grunde nach habe der Beklagte die Klägerinnen nach §§ 91 Abs. 1 Nr. 4b i. V. m. § 93 SGB VIII durch Leistungsbescheid zu einem Kostenbeitrag heranziehen dürfen, der Einkommen erfasse, welches unter der nach § 93 Abs. 3 SGB VIII in V. m. § 79 BSHG geltenden Freigrenze liege. Denn nach § 93 Abs. 5 SGB VIII seien Mittel in Höhe der Geldleistungen, die dem gleichen Zweck wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienten, neben dem Kostenbeitrag einzusetzen. Dies bedeute, dass die Unterhaltsvorschussleistungen, die die Klägerinnen allein erhalten hätten, insoweit einzusetzen gewesen seien, als sie dem gleichen Zweck wie die jeweilige Jugendhilfeleistung gedient hätten. Im vorliegenden Fall habe die der Mutter der Klägerinnen erbrachte Hilfe zur Erziehung auch den gesamten notwendigen Unterhalt der Klägerinnen gedeckt einschließlich einmaliger Beihilfen und eines angemessenen Barbetrages. Für diese Bedürfnisse sei den Klägerinnen aber ebenfalls Unterhaltsvorschuss gewährt worden (§§ 1 u. 2 UVG). Allerdings seien beide Sozialleistungen nicht in vollem Umfang deckungsgleich. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bestehe ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nur, solange ein Kind bei einem seiner Elternteile lebe. Dies bedeute, dass die Unterhaltsvorschussleistungen nur den durch das Leben im Haushalt der Eltern veranlassten Unterhaltsbedarf abdeckten. Demgegenüber diene der Unterhalt, welcher nach § 39 SGB VIII im Rahmen der Vollzeitpflege sichergestellt werde, auch der Deckung jenes zusätzlichen Sonderbedarfes, welcher deshalb bestehe, weil die Kinder vorübergehend außerhalb des Elternhauses bei einer Pflegefamilie untergebracht seien. Insofern seien die sowohl in den Unterhaltsvorschussleistungen als auch in den Unterhaltsleistungen nach § 39 SGB VIII enthaltenen Anteile für den Unterkunftsbedarf nicht zweckgleiche Leistung (OVG Lüneburg, Urt. v. 28. Mai 1997 - 4 L 5905/96 - NdsRpfl 1997, 231 = FEVS 48, 79). Dabei gehe das Gericht davon aus, dass 20 v. H. der Unterhaltsvorschussleistungen auf die Sicherstellung der Unterkunft in der Wohnung der Eltern entfielen. In diesem Umfang habe daher gegen die Klägerinnen ein Kostenbeitrag nicht festgesetzt werden dürfen.

Dass die Eltern der Klägerinnen die Unterhaltsvorschussleistungen aufgebraucht hätten, sei unerheblich und begründe nicht eine besondere Härte dar, die es rechtfertigen könnte, von der Heranziehung der Klägerinnen abzusehen.

Gegen diese Urteil wendet sich der Beklagte mit der von dem Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung. Er trägt vor:

Entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts werde im Rahmen der Vollzeitpflege, für die er, der Beklagte, Leistungen gemäß § 39 SGB VIII gewährt habe, nicht ein durch die Unterbringung der Klägerinnen in der Pflegefamilie entstandener Sonderbedarf sichergestellt. Vielmehr werde ihr allgemeiner Unterhaltsbedarf gedeckt. Gerade der Sicherstellung des allgemeinen Unterhaltsbedarfs diene aber auch der den Kindern - und nicht einem Elternteil - zufließende Unterhaltsvorschuss. Deshalb bestehe im vorliegenden Fall volle Zweckidentität i. S. des § 93 Abs. 5 SGB VIII.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist nicht begründet.

Der Beklagte durfte die Klägerinnen nicht in weiterem Umfang aus dem ihnen zugeflossenen Unterhaltszuschuss zu den Kosten der gewährten Hilfe zur Erziehung heranziehen, als es das Verwaltungsgericht als berechtigt angesehen hat. (Ob es sich dabei begrifflich um einen Kostenbeitrag handelt, erscheint angesichts der Formulierung in § 93 Abs. 5 SGB VIII, wonach zweckgleiche Geldleistungen neben dem Kostenbeitrag einzusetzen sind, fraglich, ist aber im Ergebnis unerheblich). Der Senat macht sich die zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Urteils zu eigen und verweist deshalb auf sie (§ 130 b Satz 2 VwGO). Das Berufungsvorbringen des Beklagten rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.

Der Beklagte knüpft bei seiner Argumentation an den von dem Verwaltungsgericht verwendeten Ausdruck "Sonderbedarf" an. Dieser Ausdruck muss hier aber in dem Zusammenhang gesehen werden, in dem das Verwaltungsgericht ihn verwendet hat, nämlich bei der Bestimmung der mit der gewährten Hilfe zur Erziehung gedeckten Bedürfnisse. Die nach §§ 27, 33, 39 SGB VIII hier gewährte Hilfe zur Erziehung umfasst den notwendigen Unterhalt des Kindes außerhalb des Elternhauses (insbes. Ernährung, Kleidung, Unterkunft in der Pflegefamilie), einen Barbetrag für das Kind und die Kosten der Erziehung. Sie umfasst nicht anteilige Kosten der Unterkunft im elterlichen Haushalt, die während einer - wie hier - nur für einen vorhersehbar vorübergehenden Zeitraum gewährten Jugendhilfemaßnahme für die Erhaltung der Rückkehrmöglichkeit weiter anfallen.

Die den Klägerinnen als Anspruchsberechtigten (§ 1 UVG) während der Dauer der Jugendhilfemaßnahme gewährten Unterhaltsvorschussleistungen sind zur Deckung der Kosten der Maßnahme einzusetzen, wenn sie dem gleichen Zweck wie die Leistung der Jugendhilfe dienen (§ 93 Abs. 5 SGB VIII).

Der Zweck der Leistungen nach dem UVG besteht, ungeachtet des gesetzgeberischen Ziels, mit diesen Leistungen eine wirtschaftliche Entlastung des alleinerziehenden Elternteils herbeizuführen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.11.1991 - BVerwG 5 C 13.87 -, BVerwGE 89, 192 <197>), darin, den Unterhalt des betroffenen Kindes zu sichern. Dies ergibt sich ausdrücklich aus der Überschrift des Unterhaltsvorschussgesetzes ("Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter ..."), die Bestandteil des Gesetzes ist. Dass neben dem anspruchsberechtigten Kind eine weitere Person, nämlich der alleinerziehende Elternteil, begünstigt werden soll, ändert an dieser Einschätzung nichts. Denn entscheidend ist allein, inwieweit für den Leistungsempfänger, hier also die Klägerinnen, Zweckidentität besteht. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UVG wird die Unterhaltsleistung und damit zufolge des § 1 Abs. 1 UVG auch der Unterhaltsvorschuss monatlich in Höhe des Regelbedarfs für nichteheliche Kinder nach § 1 Nr. 1 der aufgrund von (früher) § 1615 f Abs. 2 und § 1615 g Abs. 4 BGB a.F. bzw. (heute) § 1612 a BGB n.F. erlassenen Regelunterhalt-Verordnung in der jeweils geltenden Fassung gezahlt. Durch diese Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers sichergestellt werden, dass das bedürftige Kind als Regelunterhalt (s. § 1615 f Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.) das zur Deckung seines Mindestunterhaltsbedarfs erhält, was ein zahlungspflichtiger Elternteil typischerweise schuldet (vgl. BT-Drucks. 8/1952 S. 6 unter I und BT-Drucks. 8/2774 S. 11). Das war nach § 1615 f. Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. der zum Unterhalt eines Kindes, das sich in der Pflege seiner Mutter befindet, bei einfacher Lebenshaltung im Regelfall erforderliche Betrag (vermindert um die nach § 1615 g BGB a.F. anzurechnenden Beträge). Der Regelunterhalt in diesem Sinne dient der Befriedigung von Grundbedürfnissen und deckt den vorhersehbaren und regelmäßig anfallenden Lebensbedarf an Nahrung, Kleidung, Wohnung, Erziehung u.ä. (BVerwG, Urt. v. 14.10.1993 - BVerwG 5 C 10.91 -, Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr. 22 = NVwZ 1995, 81 = DVBl. 1994, 426 = FEVS Bd. 44, 397).

Zur Ermittlung einer Zweckgleichheit genügt aber nicht die Feststellung, dass sowohl die Erziehungshilfe als auch der Unterhaltsvorschuss zur Deckung gleich benannter Bedürfnisse gewährt werden. Vielmehr ist auch der Grund für die Leistungsgewährung in den Blick zu nehmen, was der Beklagte übersieht. Dabei ergeben sich jedenfalls für den für die Unterkunft bestimmten Leistungsanteil ein anderer Zweck der Leistung nach dem UVG gegenüber der Hilfe zur Erziehung. Mit dem UVG soll der besonders schwierigen Situation alleinerziehender Elternteile Rechnung getragen werden. Gemäß § 1 UVG ist deshalb Leistungsvoraussetzung, dass der Berechtigte bei einem Elternteil lebt. Andernfalls ist die besondere, in der Betreuung liegende Belastung (der/des Alleinerziehenden) nicht gegeben, die die Gewährung der Leistung rechtfertigt. Dafür genügt es z.B. nicht, dass bei dauernder ganztägiger Unterbringung des Berechtigten im Haushalt einer anderen Person der sorgeberechtigte Elternteil diese Unterbringung nur überwacht (BT-Drucks. 8/2774 S. 12 unter II zu § 1). Das schließt es aus, den für die Unterkunft bestimmten Leistungsanteil im Unterhaltsvorschuss für eine andere Unterkunft zu verwenden als die, in der der Leistungsberechtigte zusammen mit einem Elternteil lebt oder voraussichtlich in so naher Zukunft wieder leben wird, dass die Verwendung der Leistung zur Erhaltung der gemeinsamen Unterkunft gerechtfertigt ist. Ausgeschlossen ist eine Verwendung des Anteils für die Unterkunft im Unterhaltszuschuss für die Unterbringung in einer Pflegfamilie.

Wie hoch der für die Unterkunft bestimmte Anteil der Unterhaltsvorschussleistung ist, lässt sich nicht ohne weiteres ermitteln. Das UVG enthält hierzu Anhaltspunkte nicht. Da das UVG unter Verweis auf die Regelunterhalt-Verordnung einen typisierten Unterhaltsbedarf zugrundelegt, dürfte ein exaktes Herausrechnen des Anteils von der Struktur der Leistung her auch nicht möglich sein. Der Senat hält es mit dem Verwaltungsgericht für gerechtfertigt, den auf die Unterkunft entfallenden Anteil des Unterhaltsvorschusses zu schätzen und mit 20 v. H. anzunehmen.

Die Berufung des Beklagten bleibt deshalb ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Bescheide des Beklagten aufgehoben, soweit dieser die Klägerinnen im Umfang von mehr als 80 v. H. der ihnen gewährten Unterhaltsvorschussleistungen zu den Kosten der Hilfe zur Erziehung herangezogen hat.

Ende der Entscheidung

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