Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 31.05.2007
Aktenzeichen: 4 LC 85/07
Rechtsgebiete: BAföG, SGB VIII, BSHG, SGB XII


Vorschriften:

BAföG § 11
SGB VIII § 22
SGB VIII § 90 Abs. 3
SGB VIII § 90 Abs. 4
BSHG § 77 Abs. 1 S. 1
SGB XII § 83
1. Bei der Gewährung von Jugendhilfe durch Übernahme von Teilnahmebeiträgen nach § 90 Abs. 3 SGB VIII sind Bildungskredite nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

2. Der Zweck der Bewilligung von Bildungskrediten an nicht nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz geförderte Auszubildende ist mit dem Zweck, der mit der Gewährung von Jugendhilfe durch Übernahme von Teilnahmebeiträgen nach § 90 Abs. 3 SGB VIII verfolgt wird, nicht identisch.

3. Zwischen Bildungskrediten und der Ausbildungsförderung nach dem Bundesaubildungsförderungsgesetz bestehen Unterschiede, die eine Gleichstellung beider Leistungen im Rahmen des § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG (§ 83 SGB XII) ausschließen.


NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS

Aktenz.: 4 LC 85/07

Datum: 31.05.2007

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme der Aufwendungen für den Besuch einer Kindertagesstätte durch ihre Tochter B. in der Zeit vom 1. Mai 2002 bis zum 31. März 2003.

Die am 7. April 1998 geborene Tochter der Klägerin besuchte ab dem 1. August 1999 die Kinderkrippe des Studentenwerks C.. Der dafür zu entrichtende Teilnahmebeitrag belief sich inklusive Verpflegungsgeld auf monatlich 242 DM. Auf Antrag der Klägerin übernahm die Beklagte durch Bescheid vom 2. November 1999 diese monatlichen Aufwendungen nach Abzug einer häuslichen Ersparnis von 35 DM aus Jugendhilfemitteln. Durch Bescheid vom 7. Mai 2002 setzte die Beklagte die Höhe der Leistungen ab Januar 2002 auf monatlich 131 Euro fest.

Bei einer Überprüfung ihrer Einkommensverhältnisse im August 2002 gab die Klägerin an, dass sie aufgrund eines Bewilligungsbescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 28. März 2002 vom 1. April 2002 bis zum 31. März 2003 einen Bildungskredit von monatlich 300 Euro erhalte. Die Deutsche Ausgleichsbank, mit der der Rahmendarlehensvertrag geschlossen worden sei, habe am 1. April 2002 eine einmalige Zahlung von 1.800 Euro geleistet.

Daraufhin berechnete die Beklagte die Höhe der der Klägerin zu gewährenden Jugendhilfe für den Besuch der Kinderkrippe neu. Dabei berücksichtigte sie den Bildungskredit von monatlich 300 Euro als Einkommen der Klägerin. Anschließend hob sie durch Bescheid vom 9. Oktober 2002 ihren Bescheid vom 7. Mai 2002 mit Wirkung vom 1. Mai 2002 auf, lehnte den Antrag auf Kostenübernahme für die Monate Mai bis Juli 2002 ab, setzte die Jugendhilfe ab August 2002 auf monatlich 15 Euro fest und forderte die überzahlten Beträge in Höhe von 623 Euro von der Klägerin zurück.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 25. Oktober 2002 Widerspruch, mit dem sie die Anrechnung des Bildungskredits als Einkommen rügte. Daraufhin teilte die Beklagte ihr mit Schreiben vom 4. September 2003 mit, dass sie sich lediglich in der Lage sehe, 15 % des BAföG-Grundbedarfs, also 49,95 Euro, von dem Bildungskredit als Einkommen unberücksichtigt zu lassen.

Am 1. Oktober 2003 hat die Klägerin Untätigkeitsklage erhoben.

Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens gab die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin durch Bescheid vom 14. November 2003 teilweise statt, indem sie die Jugendhilfe für die Monate Mai bis Juli 2002 auf monatlich 40 Euro und für die Monate August 2002 bis April 2003 auf monatlich 55 Euro festsetzte sowie den überzahlten Betrag auf 183 Euro reduzierte. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. Diesen Bescheid hob die Beklagte mit Schriftsatz vom 25. November 2003 wieder auf, soweit er den Monat April 2003 betraf.

Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren vertieft und ergänzend geltend gemacht, dass die ihr entstandenen Kinderbetreuungskosten jedenfalls in Höhe des auf sie entfallenden Eigenanteils von 159 Euro als Werbungskosten von ihrem Einkommen abzusetzen seien. Darüber hinaus müsse die Beklagte studienbedingte besondere Belastungen berücksichtigen. Ferner könne sie sich in Bezug auf die Rückforderung eines Teils der Jugendhilfe auf Vertrauensschutz berufen, da sie bereits im August 2002 dem Sozialamt der Beklagten mitgeteilt habe, dass sie einen Bildungskredit erhalte. Schließlich sei das Vorgehen der Beklagten auch ermessensfehlerhaft, da die Auswirkungen des angefochtenen Bescheides auf ihre Tochter nicht berücksichtigt worden seien.

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten, soweit dem Begehren der Klägerin nach Klageerhebung entsprochen worden war, hat die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 2002 in der Fassung ihres Widerspruchsbescheides vom 14. November 2003 und des Schriftsatzes vom 25. November 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 1. Mai 2002 bis zum 31. März 2003 Jugendhilfe in Form der Übernahme eines Teilnahmebetrages einer Kindertagesstätte entsprechend dem Bescheid vom 7. Mai 2002 in Höhe von 131 Euro monatlich abzüglich gewährter Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und erwidert, dass der Bildungskredit anrechnungsfähiges Einkommen der Klägerin darstelle, weil er nicht zweckgebunden sei. Dass der Kredit einen Ausbildungskostenanteil enthalte, habe sie bereits bei Erlass des Widerspruchsbescheides berücksichtigt.

Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 27. Januar 2005 das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten, den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin für den Besuch einer Kindertagesstätte durch ihre Tochter in der Zeit vom 1. Mai 2002 bis zum 31. März 2003 Leistungen der Jugendhilfe in Höhe von monatlich 131 Euro abzüglich gezahlter Beträge zu bewilligen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig sei, weil die Klägerin nach § 90 Abs. 3 und 4 SGB VIII einen Anspruch auf Übernahme der geltend gemachten Kosten habe. Die Beklagte habe den der Klägerin zustehenden Bildungskredit zu Unrecht in Höhe von monatlich 250,05 Euro als anrechenbares Einkommen angesehen. Die Tochter der Klägerin sei in dem hier maßgeblichen Zeitraum in einer Tageseinrichtung im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB VIII ganztägig untergebracht gewesen. Nach § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII könnten für die Förderung von Kindern in derartigen Einrichtungen Teilnahmebeträge oder Gebühren festgesetzt werden. Diese sollten nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII jedoch auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder von dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und den Kindern nicht zuzumuten sei. Für die Feststellung der zumutbaren Belastung seien nach § 90 Abs. 4 SGB VIII die §§ 76 bis 79, 84 und 85 BSHG entsprechend anzuwenden. Danach stelle der Bildungskredit kein anrechenbares Einkommen der Klägerin dar. Zwar handele es sich bei ihm um Einkommen im Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG. § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG nehme den Bildungskredit jedoch von der Einkommensanrechnung aus. Nach dieser Bestimmung seien Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, nur insoweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck diene. Bei dem Bildungskredit handele es sich um eine aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften gewährte Leistung. Das ergebe sich aus seinem Zweck und der Form seiner Bewilligung, die öffentlich-rechtlich ausgestaltet sei. Der Kredit werde auch zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt. Ausweislich des Rahmendarlehensvertrages, den die Klägerin mit der Deutschen Ausgleichsbank geschlossen habe, werde der Bildungskredit nach Maßgabe des Programms für die Vergabe von Bildungskrediten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 22. Januar 2001 und des Bewilligungsbescheides des Bundesverwaltungsamts vom 28. März 2002 zur Verfügung gestellt. Der Zweck der Förderung sei in § 1 der Förderbestimmungen niedergelegt und mit "Sicherung und Beschleunigung der Ausbildung" deutlich angegeben. Mit einer solchen Leistung sei die Übernahme der Teilnahmebeiträge nicht zweckidentisch. Denn die Übernahme dieser Beiträge diene erkennbar nicht der Ausbildungsförderung, sondern der Abfederung der wirtschaftlichen Belastung. Dass Einrichtungen wie Kindertagesstätten auch den Zweck hätten, den Eltern betreuungsbedürftiger Kinder die Möglichkeit zu eröffnen, einen Beruf auszuüben oder eine Ausbildung zu absolvieren, ändere daran nichts. Für die Annahme einer Zweckidentität im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG sei ein mittelbarer Zusammenhang zwischen verschiedenen staatlichen Leistungen nicht ausreichend. Ein weites, den konkret zu deckenden Bedarf vernachlässigendes Verständnis der Zweckidentität entspreche nicht dem Sinn und Zweck des § 77 Abs. 1 BSHG, der darauf gerichtet sei, Doppelleistungen aus öffentlichen Mitteln für ein und denselben Zweck zu verhindern.

Gegen dieses ihr am 10. Februar 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. März 2005 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor, dass sie die Einkünfte der Klägerin aus dem Bildungskredit zu Recht als anrechenbares Einkommen behandelt und lediglich einen Anteil von 15 % des Grundbedarfs nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) als für Ausbildungszwecke zweckgebunden außer Betracht gelassen habe. Das Verwaltungsgericht habe den Inhalt des § 77 BSHG verkannt. Nach § 90 Abs. 4 SGB VIII i.V.m. § 77 Abs. 1 BSHG seien Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, nur insoweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Jugendhilfe im Einzelfall demselben Zweck diene. Daraus folge, dass eine Leistung aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften, die nicht zu einem ausdrücklichen Zweck gewährt werde, als Einkommen zu berücksichtigen sei, dass Leistungen, die zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, nur dann als Einkommen zu berücksichtigen seien, soweit die beantragte Jugendhilfeleistung demselben Zweck diene, und dass eine Leistung, die einem ausdrücklich genannten Zweck diene, die mit der begehrten Jugendhilfeleistung nicht identisch sei, außer Betracht bleibe. Dagegen sei das Verwaltungsgericht offensichtlich davon ausgegangen, dass eine Anrechnung nur dann in Betracht komme, wenn Zweckidentität zwischen dem Bildungskredit und der konkreten Jugendhilfeleistung, hier der Übernahme des Teilnahmebeitrages für den Besuch der Kindertagesstätte, vorliege. Dementsprechend habe das Verwaltungsgericht sich lediglich mit der Frage der Zweckidentität auseinandergesetzt, dabei aber die überwiegend fehlende Zweckbindung des Bildungskredits verkannt. Der Bildungskredit diene nach den Förderbestimmungen der Unterstützung von Auszubildenden in fortgeschrittenen Ausbildungsphasen. Bei nicht nach dem BAföG geförderten Auszubildenden wie der Klägerin bezwecke der Kredit die Sicherung und Beschleunigung der Ausbildung. Daraus lasse sich aber nicht entnehmen, dass er allein für den ausbildungsbedingten Bedarf zweckbestimmt sei. Vielmehr werde er in einer besonderen Lebenssituation gewährt. Den Geförderten solle ermöglicht werden, ihre Ausbildung zügig zum Abschluss zu bringen. Von einer vollumfänglichen Zweckbestimmung des Kredits zur Abdeckung von Ausbildungskosten im engen Sinne könne daher nicht ausgegangen werden. Der Bildungskredit decke daher ebenso wenig wie BAföG-Leistungen ausschließlich den ausbildungsbedingten Mehrbedarf ab. Deshalb biete es sich an, wie bei BAföG-Leistungen aus Gründen der Gleichbehandlung einen Anteil für ausbildungsbedingten Aufwand als zweckbestimmte Teilleistung bei der Berechnung des Einkommens außer Betracht zu lassen. Dem habe sie durch den Erlass des Widerspruchsbescheides Rechnung getragen. Außerdem sei erheblich, dass die Rückzahlung des Bildungskredits einkommensmindernd berücksichtigt werde. Ferner sei zu bedenken, dass Kindertagesstättenbeiträge keine mit der Erzielung des Einkommens im Sinne von § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG verbundene notwendige Ausgaben darstellten. Überdies sei zu berücksichtigen, dass die Übernahme dieser Kosten aus Mitteln der Jugendhilfe beantragt werde. Würden die Kosten gleichzeitig vom Einkommen in Abzug gebracht, läge eine doppelte Berücksichtigung der Kosten vor, die ersichtlich nicht in Betracht kommen könne. Schließlich habe die Klägerin auch grob fahrlässig gehandelt, weil sie den Bildungskredit zunächst nicht angegeben habe.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen - 2. Kammer - vom 27. Januar 2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor, dass es sich bei den Aufwendungen für die Kinderbetreuung während der Arbeitszeit entgegen der Auffassung der Beklagten um nach § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG vom Einkommen absetzbare Ausgaben handele. Außerdem habe sie beim Sozialamt der Beklagten die Beantragung des Bildungskredites rechtzeitig angezeigt. Schließlich sei der auf § 45 SGB X gestützte Aufhebungsbescheid schon aufgrund von Ermessensfehlern rechtswidrig, weil eine Auseinandersetzung mit den Besonderheiten ihres Einzelfalls nicht stattgefunden habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

II.

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Diese Entscheidung trifft der Senat nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren nicht für erforderlich hält.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Denn die Klägerin hat nach § 90 Abs. 3 und 4 SGB VIII in der hier maßgeblichen Fassung vom 25. Juni 2001 (BGBl. I S. 1206) - SGB VIII a. F. - einen Anspruch auf Übernahme der für den Besuch ihrer Tochter in der Kindertagesstätte angefallenen Beiträge von monatlich 131 Euro für die Zeit vom 1. Mai 2002 bis zum 31. März 2003 abzüglich der bereits gezahlten Beträge. Folglich ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2003 und des Schriftsatzes vom 25. November 2003 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Die Tochter der Klägerin ist in dem o. g. Zeitraum in der Kinderkrippe des Studentenwerks Göttingen, einer Tageseinrichtung im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB VIII a. F., untergebracht gewesen. Nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII a. F. sollen Teilnahmebeiträge oder Kostenbeiträge, die für die Inanspruchnahme von Angeboten zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen nach den §§ 22 bis 24 SGB VIII a. F. festgesetzt werden, auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder von dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind - bei einem nur mit einem Elternteil zusammenlebenden Kind diesem Elternteil und dem Kind (vgl. § 90 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 90 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII a. F.) - nicht zuzumuten ist. Für die Feststellung der zumutbaren Belastung gelten nach § 90 Abs. 4 SGB VIII a. F. die §§ 76 bis 79, 84 und 85 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) entsprechend, soweit nicht Landesrecht eine andere Regelung trifft.

Da das Landesrecht im vorliegenden Fall keine andere Regelung enthält, gelangen die o. g. Vorschriften des BSHG entsprechend zur Anwendung. Danach sind der Klägerin und ihrer Tochter die Aufbringung der Teilnahmebeiträge nicht zuzumuten, weil das monatliche Einkommen der Klägerin in dem hier maßgeblichen Zeitraum die allgemeine Einkommensgrenze des § 79 BSHG nicht erreicht hat. Entgegen der Annahme der Beklagten kann der der Klägerin gewährte Bildungskredit von monatlich 300 Euro nämlich nicht als Einkommen berücksichtigt werden.

Nach § 90 Abs. 4 SGB VIII a. F. i.V.m. § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Jugendhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Diese Vorschrift greift im vorliegenden Fall ein.

Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht darin überein, dass es sich bei dem Bildungskredit um eine Leistung handelt, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften gewährt wird. Die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts sind zutreffend.

Das Verwaltungsgericht ist ferner zu Recht davon ausgegangen, dass der Bildungskredit zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt wird. Ausweislich des zwischen der Deutschen Ausgleichsbank und der Klägerin geschlossenen Rahmendarlehensvertrags ist der Bildungskredit der Klägerin nach Maßgabe des Programms für die Vergabe von Bildungskrediten des Bundesministeriums für Forschung und Bildung vom 22. Januar 2001 und des Bewilligungsbescheides des Bundesverwaltungsamts vom 28. März 2002 zur Verfügung gestellt worden. Nach § 1 des Programms für die Vergabe von Bildungskrediten, der den Zweck der Förderung ausdrücklich bestimmt, dienen die Bildungskredite bei nicht nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) geförderten Auszubildenden wie der Klägerin der Sicherung und Beschleunigung der Ausbildung. Damit ist der Zweck der Vergabe des Bildungskredits in einer Verwaltungsvorschrift ausdrücklich genannt, was ausreichend ist (vgl. Senatsurt. v. 27.10.1989 - 4 A 144/88 - FEVS 39, 415; LPK-BSHG, 6. Aufl., § 77 Rn. 3 m.w.N.).

Dieser Zweck der Bewilligung von Bildungskrediten an nicht nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz geförderte Auszubildende ist mit dem Zweck, der mit der Gewährung von Jugendhilfe durch Übernahme von Teilnahmebeiträgen nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII a. F. verfolgt wird, nicht identisch. Denn die Übernahme der Teilnahmebeiträge dient - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - anders als der Bildungskredit nicht der Sicherung und Beschleunigung der Ausbildung, sondern der Vermeidung einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung der Eltern, deren Kinder Tageseinrichtungen i. S. d. §§ 22 bis 24 SGB VIII a. F. besuchen. Das hat zur Folge, dass der der Klägerin gewährte Bildungskredit nach § 90 Abs. 4 SGB VIII a. F. i.V.m. § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht als Einkommen der Klägerin zu berücksichtigen ist.

Dem kann die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass der Bildungskredit teilweise als Einkommen angerechnet werden müsse, weil er ebenso wie Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz nicht ausschließlich den ausbildungsbedingten Mehrbedarf abdecke und daher teilweise nicht zweckgebunden sei. Die Beklagte übersieht, dass es im Rahmen des im vorliegenden Fall analog anzuwendenden § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht darauf ankommt, welchen Bedarf der Bildungskredit tatsächlich abdeckt; maßgebend ist vielmehr allein, ob er zu einem ausdrücklich genannten, mit dem Zweck der Jugendhilfeleistung nicht identischen Zweck gewährt wird und ob dieser Zweck sich auf den gesamten Kredit erstreckt. Beides ist hier der Fall. Denn der in § 1 des Programms für die Vergabe von Bildungskrediten ausdrücklich bestimmte Zweck des Bildungskredits, die Ausbildung zu sichern und zu beschleunigen, ist - wie bereits dargelegt - mit dem Zweck der Gewährung von Jugendhilfe durch Übernahme von Teilnahmebeiträgen nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII a. F. nicht identisch. Die o. g. Zweckbestimmung betrifft auch nicht nur einen Teil des Bildungskredits, sondern den gesamten Förderbetrag. Daher kann der Bildungskredit nicht in berücksichtigungsfähiges und nicht berücksichtigungsfähiges Einkommen aufgeteilt werden.

Abgesehen davon verbietet sich die von der Beklagten praktizierte Gleichstellung des Bildungskredits mit Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, weil beide Leistungen unterschiedliche Zwecke verfolgen und die Vergabe des Bildungskredits nur einem einheitlichen Zweck, die Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz aber zwei verschiedenen Zwecken dient.

Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz wird für den Lebensunterhalt und die Ausbildung geleistet (§ 11 Abs. 1 BAföG). Damit verfolgt die Ausbildungsförderung sowohl den Zweck, den Lebensunterhalt des Auszubildenden zu sichern, als auch den Zweck, den ausbildungsbedingten Mehrbedarf zu decken. Dementsprechend ist die Ausbildungsförderung nach §§ 11 ff. BAföG bedarfsabhängig; auf diesen Bedarf sind nach § 11 Abs. 2 bis 4 BAföG das Einkommen und Vermögen des Auszubildenden, das Einkommen seines Ehegatten und ggf. auch das Einkommen seiner Eltern anzurechnen. Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz sind daher nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG anteilig als Einkommen zu berücksichtigen, wenn sie mit Sozialleistungen zusammentreffen, deren Zweck mit einem der o. g. Zwecke der Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz identisch ist. Die Vergabe von Bildungskrediten dient demgegenüber nur einem einheitlichen Zweck, nämlich der Sicherung und Beschleunigung der Ausbildung. Sie bezweckt daher - anders als Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - nicht auch die Sicherung des Lebensunterhalts. Dies wird nicht nur dadurch bestätigt, dass die Bewilligung des Bildungskredits weder von dem Einkommen und dem Vermögen des Auszubildenden noch dem Einkommen seines Ehegatten und seiner Eltern abhängig ist, sondern auch durch den Umstand belegt, dass der Kredit bei allen Auszubildenden ungeachtet ihres Einkommens und Vermögens bzw. des Einkommens ihrer Ehegatten und Eltern einheitlich 300 Euro monatlich beträgt. Die Berücksichtigung des Bildungskredits als Einkommen nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG setzt daher voraus, dass die strittige Sozialleistung ebenfalls dem Zweck "Sicherung und Beschleunigung der Ausbildung" dient. Folglich bestehen zwischen dem Bildungskredit und der Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz Unterschiede, die eine Gleichstellung beider Leistungen im Rahmen des § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG ausschließen.

Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass sie die spätere Rückzahlung des Bildungskredits einkommensmindernd berücksichtige. Denn daraus lässt sich keineswegs herleiten, dass der Bildungskredit ganz oder teilweise als Einkommen anzusetzen ist. Es liegt auf der Hand und bedarf daher keiner näheren Begründung, dass die Beantwortung der Frage, ob der Bildungskredit als Einkommen zu berücksichtigen ist, nicht davon abhängt, welche Auswirkungen die Rückzahlung des Bildungskredits hat. Vielmehr ist die Frage, ob sich die Rückzahlung des Bildungskredits einkommensmindernd auswirkt, davon abhängig, ob der Bildungskredit als Einkommen berücksichtigt werden muss.

Ist der der Klägerin bewilligte Bildungskredit demnach nicht als Einkommen der Klägerin zu berücksichtigen, ist die Beklagte verpflichtet, die Teilnahmebeiträge für den hier streitigen Zeitraum zu übernehmen. Das intendierte Ermessen, das § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII a. F. der Beklagten eingeräumt, ist nämlich auf Null reduziert, weil die Teilnahmebeiträge von der Beklagten schon für die davorliegende Zeit übernommen worden sind.

Ende der Entscheidung

Zurück