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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 14.03.2007
Aktenzeichen: 4 LC 86/07
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 104
BSHG § 97 Abs. 1
BSHG § 97 Abs. 2
Die durch § 104 BSHG iVm § 97 Abs. 2 BSHG begründete Zuständigkeit des Trägers der Sozialhilfe des Herkunftsortes des Hilfeempfängers endet mit der Vollendung des 18. Lebensjahres des Hilfeempfängers.
NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG URTEIL

Aktenz.: 4 LC 86/07

Datum: 14.03.2007

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Aufwendungen nach dem Bundessozialhilfegesetz für den Hilfeempfänger {A.} und die örtliche Zuständigkeit für die Gewährung weiterer Sozialhilfe.

Der am 20. Dezember 1976 geborene Hilfeempfänger, der seit seiner Geburt aufgrund eines cerebralen Anfallsleidens geistig und körperlich behindert ist, lebte zunächst in Hamburg. Am 1. Oktober 1984 wurde er in die Familienpflegestelle von Frau {B.} in {C.} aufgenommen. In der Folgezeit besuchte er die Tagesbildungsstätte der Lebenshilfe für Behinderte e. V. in Bremervörde. Danach durchlief er den Eingangs- und Arbeitstrainingsbereich des Vördewerks der Lebenshilfe {D.} gGmbH. Seit dem 14. August 2002 ist er in dem Arbeitsbereich der dortigen Werkstatt für Behinderte beschäftigt.

Die Kosten der Betreuung und Pflege durch Frau {B.} übernahm zunächst die Klägerin im Rahmen der Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff. BSHG. Die Klägerin trug darüber hinaus die Kosten der Betreuung des Hilfeempfängers in der Tagesbildungsstätte der Lebenshilfe für Behinderte e. V..

Mit Schreiben vom 16. August 1999 bat die Klägerin den Beklagten, die dem Hilfeempfänger gewährte Hilfe für die Betreuung durch Frau {B.} in Höhe von monatlich 1.599 DM ab sofort zu übernehmen. Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass sie für die Gewährung der Sozialhilfe nach § 104 BSHG zunächst örtlich zuständig gewesen sei, weil der Hilfeempfänger vor der Aufnahme in die Pflegefamilie seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Hamburg gehabt habe. Mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs des Hilfeempfängers habe ihre Zuständigkeit nach § 104 BSHG aber geendet. Da es sich bei der Betreuung Volljähriger in einer Fremdfamilie um eine Maßnahme der Eingliederungshilfe handele, richte sich die örtliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers seitdem gemäß § 97 Abs. 1 BSHG nach dem tatsächlichen Aufenthalt des Hilfeempfängers.

Der Beklagte teilte der Klägerin unter dem 30. August 1999 schriftlich mit, dass er die Weitergewährung der Hilfe nicht übernehmen könne, weil seine Zuständigkeit nicht gegeben sei. Zur Begründung verwies er auf einen Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Mai 1995 (12 M 7208/94).

Mit Schreiben vom 27. Oktober 1999 und 15. Dezember 1999 bat die Klägerin den Beklagten, seine Entscheidung zu überdenken. Zugleich wies die Klägerin darauf hin, dass die von dem Beklagten in Bezug genommene Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts lediglich in einem Eilverfahren ergangen sei und zudem mit der herrschenden Meinung in der Literatur zu § 104 BSHG nicht im Einklang stehe. Außerdem machte die Klägerin Kostenerstattung nach §§ 2 Abs. 3, 102 SGB X geltend.

Daraufhin verneinte der Beklagte seine örtliche Zuständigkeit mit Schreiben vom 26. Januar 2000 erneut. Außerdem widersprach er mit Schreiben vom 12. April 2000 der begehrten Kostenerstattung. Auf das weitere Schreiben der Klägerin vom 9. August 2000 reagierte der Beklagte nicht mehr.

Am 29. November 2001 beantragte Frau {B.}, die mit Eintritt der Volljährigkeit des Hilfeempfängers zu dessen Betreuerin bestellt worden war, bei dem Beklagten die Übernahme der Kosten für die geplante Aufnahme des Hilfeempfängers in den Arbeitsbereich der Werkstatt für Behinderte. Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 6. Mai 2002 mit der Begründung ab, dass die Klägerin trotz der Volljährigkeit des Hilfeempfängers für die Kostenübernahme örtlich zuständig sei. Dem dagegen erhobenen Widerspruch half der Beklagte auf Veranlassung des Niedersächsischen Landesamts für Zentrale Soziale Aufgaben jedoch ab.

Die Klägerin hat am 19. Dezember 2002 Klage erhoben und zu deren Begründung vortragen, dass der Beklagte ihr die ab dem 27. Oktober 1998 in der Pflegestelle {B.} entstandenen Kosten zu erstatten habe, weil er sich zu Unrecht geweigert habe, den Hilfefall in seine Zuständigkeit zu übernehmen. Seit der Volljährigkeit des Hilfeempfängers sei der Beklagte nach § 97 Abs. 1 BSHG als Sozialhilfeträger örtlich zuständig, weil § 104 BSHG mit Erreichung dieser Altersgrenze keine Anwendung mehr finde.

Die Klägerin hat die Klage hinsichtlich der Kostenerstattung für den 27. und 28. Oktober 1998 sinngemäß zurückgenommen und beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, ihr die dem Hilfeempfänger {A.} für die Zeit vom 29. Oktober 1998 bis zum 31. Dezember 2002 gewährte Sozialhilfe (Pflegegeld) in Höhe von 39.816,81 € sowie für die Zeit danach bis zur Übernahme des Hilfefalles in noch zu beziffernder Höhe zu erstatten und auf die jeweiligen Beträge Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, den Hilfefall zukünftig in die eigene Zuständigkeit zu übernehmen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und erwidert, dass nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 17. Dezember 2003 (5 C 14.02) geklärt sei, dass § 104 BSHG sowohl eine die Zuständigkeit als auch eine die Kostenerstattung regelnde Vorschrift sei. Daraus folge, dass die Klägerin für die dem Hilfeempfänger gewährte Eingliederungshilfe örtlich zuständig sei. Daran ändere sich dadurch, dass der Hilfeempfänger am 29. Oktober 1998 bereits volljährig gewesen sei, nichts, weil es für die Anwendung des § 104 BSHG nach dem Beschluss des 12. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Mai 1995 (12 M 7208/94) nur darauf ankomme, dass der Hilfesuchende bei der ersten Aufnahme in die andere Familie oder Pflegestelle das Alter von 18 Jahren noch nicht überschritten habe. Im Übrigen habe die Klägerin bislang weder dargelegt, wie sich die monatlichen Leistungen an die Pflegefamilie zusammensetzten, noch erläutert, aufgrund welcher Rechtsgrundlage die Leistungen erbracht worden seien.

Das Verwaltungsgericht hat durch Grundurteil vom 27. September 2004 das Verfahren eingestellt, soweit die Klage auf Kostenerstattung für den 27. und 28. Oktober 1998 zurückgenommen worden ist, und den Beklagten dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin die Kosten für die Unterbringung des Hilfeempfängers {A.} in der Pflegestelle von Frau {B.} in {C.} seit dem 29. Oktober 1998 zu erstatten und die Sozialhilfe für den Hilfeempfänger zukünftig in eigener Zuständigkeit zu erbringen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Beklagte weder seine örtliche Zuständigkeit noch seine Verpflichtung, die Kosten der in der Vergangenheit erbrachten Hilfe zu tragen, in Abrede stellen könne, nachdem der Hilfeempfänger volljährig geworden sei. § 104 BSHG bestimme, dass die §§ 97 Abs. 2 und 103 BSHG entsprechend gelten, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als seinen Eltern oder einem Elternteil untergebracht sei. Grundvoraussetzung für eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmungen sei demnach, dass Minderjährige, also Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in einer Pflegefamilie untergebracht seien. Nach Eintritt der Volljährigkeit sei § 104 BSHG folglich nicht mehr einschlägig. Das gelte auch, wenn der Hilfebedürftige - wie im vorliegenden Fall - in der bisherigen Familienpflegestelle bleibe. Daher richte sich die örtliche Zuständigkeit seit dem Eintritt der Volljährigkeit des Hilfeempfängers ausschließlich nach § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG. Danach sei der Beklagte, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufhalte, für die Hilfegewährung örtlich zuständig geworden. Gleichzeitig habe die Kostentragungspflicht der Klägerin geendet. Da der Beklagte sich geweigert habe, den Hilfefall in seine Zuständigkeit zu übernehmen, stehe der Klägerin nach §§ 2 Abs. 3, 102 SGB X ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten dem Grunde nach zu. Eine Entscheidung über die Höhe der zu erstattenden Aufwendungen könne noch nicht erfolgen, weil der Betrag im Einzelnen zwischen den Beteiligten streitig sei.

Gegen dieses ihm am 11. Februar 2005 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 9. März 2005 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung der Berufung trägt er im Wesentlichen vor, dass der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung, die örtliche Zuständigkeit richte sich nach dem Eintritt der Volljährigkeit des Hilfeempfängers ausschließlich nach § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG, nicht gefolgt werden könne, weil sie die Zielsetzung des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993 nicht berücksichtige. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht habe in seinem Beschluss vom 18. Mai 1995 (12 M 7208/94) ausgeführt, dass § 97 BSHG i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993 die örtliche Zuständigkeit mit der Kostentragungspflicht verknüpfen wolle, um zu erreichen, dass im Regelfall der örtlich zuständige Träger der Sozialhilfe die Kosten der Einrichtung endgültig zu tragen habe. Ferner sei in dem Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages hervorgehoben worden, dass für Kinder und Jugendliche, die außerhalb ihres Elternhauses untergebracht seien, der Träger ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig bleiben solle. Mithin sei § 104 BSHG so zu lesen, als handele es sich um einen weiteren Absatz des § 97 BSHG. Bei diesem Verständnis sei die Altersgrenze im Hinblick auf den systematischen Zusammenhang mit § 97 Abs. 2 BSHG dahin zu verstehen, dass es auf das Alter bei der Aufnahme in die Einrichtung (Pflegestelle) des ersten "Anstaltsorts" ankomme. Maßgebend sei also, ob der Hilfesuchende bei der ersten Aufnahme in die andere Familie oder Pflegestelle das Alter von 18 Jahren noch nicht überschritten gehabt habe. Das Bundesverwaltungsgericht habe diese Rechtsauffassung durch Urteil vom 17. Dezember 2003 (5 C 14.02) bestätigt.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer - vom 27. September 2004 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und erwidert, dass § 104 BSHG nur Kinder und Jugendliche betreffe und daher bei Eintritt der Volljährigkeit nicht mehr anwendbar sei. Der Kommentierung zu § 104 BSHG sei zu entnehmen, dass die durch § 104 BSHG begründete Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers mit der Volljährigkeit des Hilfeempfängers ende. Aus der von dem Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergebe sich nichts anderes. Das Bundesverwaltungsgericht habe keinen Anlass gehabt, sich mit der Frage zu befassen, ob die Zuständigkeit nach § 104 BSHG für Erwachsene, in der Pflegefamilie blieben, fortbestehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten und des Niedersächsischen Landesamts für Zentrale Soziale Aufgaben verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Denn das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin die Kosten für die Unterbringung des Hilfeempfängers {A.} in der Pflegestelle von Frau {B.} seit dem 29. Oktober 1998 zu erstatten und Sozialhilfe für den Hilfeempfänger zukünftig in eigener Zuständigkeit zu erbringen.

Der Kläger kann die Erstattung der o. a. Kosten nach § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X beanspruchen. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X muss die bisher zuständige Behörde, wenn die örtliche Zuständigkeit gewechselt hat, die Leistungen noch solange erbringen, bis diese von der nunmehr zuständigen Behörde festgesetzt werden. Darüber hinaus bestimmt § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X, dass die nunmehr zuständige Behörde der bisher zuständigen Behörde die nach dem Zuständigkeitswechsel noch erbrachten Leistungen auf Anforderung zu erstatten hat.

Danach ist das Erstattungsverlangen der Klägerin dem Grunde nach berechtigt, weil die Klägerin auch nach dem 28. Oktober 1998 für die Unterbringung des Hilfeempfängers Danny Korfin in der Pflegestelle von Frau {B.} Sozialhilfe geleistet hat, obwohl der Beklagte mit der Volljährigkeit des Hilfeempfängers am 20. Dezember 1994 für die Hilfeleistung örtlich zuständig geworden war. Folglich hat die Klägerin auch zu Recht die Übernahme der Sozialhilfe durch den Beklagten in eigener Zuständigkeit gefordert.

Nach § 104 BSHG in der Fassung des 2. Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2374) gelten die §§ 97 Abs. 2 BSHG und § 103 BSHG entsprechend, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als seinen Eltern oder einem Elternteil untergebracht ist. Diese Bestimmung enthält, soweit sie auf § 97 Abs. 2 BSHG verweist, eine Zuständigkeitsregelung (BVerwG, Urt. v. 17.12.2003 - 5 C 14.02 -, BVerwGE 119, 356; Nds. OVG, Urt. v. 19.5.2003 - 12 LC 291/02 -; LPK-BSHG, 6. Aufl., § 104 Rn. 2).

Nach § 104 BSHG i.V.m. § 97 Abs. 2 BSHG ist, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als seinen Eltern oder einem Elternteil untergebracht ist, der Träger der Sozialhilfe für die Hilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Unterbringung hat oder in den letzten zwei Monaten vor der Unterbringung gehabt hat.

Da der Hilfeempfänger {A.} in den letzten beiden Monaten vor seiner Unterbringung in der Pflegestelle von Frau {B.} am 1. Oktober 1984 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Hamburg gehabt hat, ist die Klägerin für die Übernahme der Kosten für die dortige Unterbringung zunächst zuständig gewesen. Mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs des Hilfeempfängers am 20. Dezember 1994 ist die Zuständigkeit für die Hilfegewährung jedoch auf den Beklagten übergegangen. Denn § 104 BSHG ist nur auf Kinder und Jugendliche, also Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VIII), anwendbar (LPK-BSHG, § 104 Rn. 14). Folglich richtet sich die Zuständigkeit für die Hilfegewährung über die Vollendung des 18. Lebensjahrs hinaus nicht mehr nach § 97 Abs. 2 BSHG, sondern nach § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG. Danach ist der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufhält, örtlich zuständig. Da sich die Familienpflegestelle von Frau {B.} im Zuständigkeitsbereich des Beklagten befindet und sich der Hilfeempfänger {A.} seit dem 1. Oktober 1984 dort auch tatsächlich aufhält, ist der Beklagte mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs des Hilfeempfängers für die Gewährung von Sozialhilfe örtlich zuständig geworden.

Der 12. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat allerdings in seinem Beschluss vom 18. Mai 1995 (12 M 7208/94) ausgeführt, dass die in § 104 BSHG bezeichnete Altersgrenze im Hinblick auf den systematischen Zusammenhang mit § 97 Abs. 2 BSHG dahin zu verstehen sei, dass es auf das Alter bei der Aufnahme in die Einrichtung (Pflegestelle) des ersten "Anstaltsorts" ankomme. § 97 Abs. 2 BSHG bezwecke den Schutz der Orte mit Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen vor ungerechtfertigten Belastungen durch Kosten der Sozialhilfe. An diese Überlegung sei anzuknüpfen, weil § 97 BSHG i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993 die örtliche Zuständigkeit mit der Kostentragungspflicht verknüpfe und erreichen wolle, dass im Regelfall der örtlich zuständige Träger der Sozialhilfe die Kosten der Hilfe endgültig zu tragen habe, und in dem Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages hervorgehoben werde, dass für Kinder und Jugendliche, die außerhalb ihres Elternhauses untergebracht seien, der Träger ihres vorherigen gewöhnlichen Aufenthaltsorts zuständig bleiben solle. Mithin sei § 104 BSHG so zu lesen, als handele es sich um einen weiteren Absatz des § 97 BSHG. Maßgeblich sei also, ob der Hilfesuchende bei der ersten Aufnahme in einer anderen Familie oder Pflegestelle das Alter von 18 Jahren noch nicht überschritten gehabt habe. Daher bleibe der Sozialhilfeträger, in dessen Bereich der Minderjährige im Zeitpunkt der Aufnahme in die Pflegestelle seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe, auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahrs des Hilfeempfängers für die Gewährung der Sozialhilfe zuständig.

Der für das Sozialhilferecht inzwischen allein zuständige erkennende Senat teilt diese in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vertretene Rechtsauffassung des 12. Senats indessen nicht.

Dieser Auffassung steht bereits entgegen, dass die Minderjährigkeit desjenigen, der in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als seinen Eltern oder einem Elternteil untergebracht ist, Tatbestandsmerkmal des § 104 BSHG ist. Entfällt dieses Tatbestandsmerkmal, weil der Hilfeempfänger volljährig geworden ist, ist § 104 BSHG nicht mehr anwendbar.

Dass es auf die Minderjährigkeit des Hilfeempfängers während der anderweitigen Unterbringung im Sinne des § 104 BSHG und nicht auf die Minderjährigkeit im Zeitpunkt der ersten Aufnahme in eine andere Familie oder Pflegestelle ankommt, ergibt sich zudem aus der Formulierung "untergebracht ist". Denn damit stellt die Norm auf die Phase des "Untergebrachtseins" ab und nicht auf den Zeitpunkt der Aufnahme in die Pflegestelle. Wäre der Zeitpunkt der Aufnahme in die Pflegestelle maßgeblich, hätte die Formulierung "untergebracht wird" oder "untergebracht worden ist" nahegelegen.

Der Fortbestand der örtlichen Zuständigkeit für die Gewährung von Sozialhilfe nach § 104 BSHG i.V.m. § 97 Abs. 2 BSHG über die Vollendung des 18. Lebensjahrs hinaus lässt sich auch nicht mit dem Hinweis darauf begründen, die Änderung des § 104 BSHG habe dem Schutz der Pflegestellenorte gedient. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 17.12.2003 (a.a.O.) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es einer Änderung des § 104 BSHG durch das 2. Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 zum Schutz der Pflege-stellenorte nicht bedurft hätte, weil diese auch dann weitgehend geschützt seien, wenn sie zwar zuständig seien, aber Kostenerstattung erhielten. Maßgeblich für die durch die Anordnung der entsprechenden Geltung des § 97 Abs. 2 BSHG vorgenommene Änderung des § 104 BSHG durch das 2. Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 sei vielmehr das vom Gesetzgeber bereits mit dem Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms verfolgte, damals allerdings noch nicht auf § 104 BSHG erstreckte Ziel gewesen, ein Auseinanderfallen von Zuständigkeit und gewollter Kostentragung und damit eine sonst nötige Kostenerstattung zu vermeiden. Damit ist der Argumentation in dem Beschluss des 12. Senats vom 18. Mai 1995 die Grundlage entzogen.

Die o. a. Zielsetzung gibt ebenfalls keine Veranlassung, § 104 BSHG dahin auszulegen, dass der nach § 97 Abs. 2 BSHG zuständige Sozialhilfeträger auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres des Jugendlichen, der in einer anderen Familie untergebracht ist, für die Gewährung der Sozialhilfe zuständig bleibt. Für Kinder und Jugendliche, die im Sinne des § 104 BSHG außerhalb ihres Elternhauses untergebracht sind, ist nach § 104 BSHG i.V.m. § 97 Abs. 2 BSHG der Träger ihres vorherigen gewöhnlichen Aufenthaltes zuständig und damit auch kostentragungspflichtig. In den Fällen der Familienpflege werden so ein Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeit für Sozialhilfemaßnahmen in dieser Zeit vermieden und Sozialhilfeträger vor Kostenbelastungen durch Familienpflege in ihrem Bereich von Kindern und Jugendlichen aus anderen Zuständigkeitsbereichen geschützt (BVerwG, Urt. v. 17.12.2003, a.a.O.). Geht die örtliche Zuständigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahrs nach § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG auf den Träger der Sozialhilfe über, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufhält, weil § 104 BSHG, der auf § 97 Abs. 2 BSHG verweist, nicht mehr anwendbar ist, werden Kostenerstattungen gleichfalls vermieden. Denn die Zuständigkeit für die Sozialhilfegewährung und die Kostentragung fallen auch dann regelmäßig nicht auseinander, zumal § 103 Abs. 3 BSHG nicht mehr entsprechend gilt. Diese Regelung ist nämlich nur anzuwenden, solange die Voraussetzungen des § 104 BSHG erfüllt sind, was mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs des Hilfeempfängers nicht mehr der Fall ist (LPK-BSHG, § 104 Rn. 15).

Schließlich besteht auch kein Grund für die Annahme, der Gesetzgeber habe durch die Änderung des § 104 BSHG im 2. Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 erreichen wollen, dass der nach § 97 Abs. 2 BSHG örtlich zuständige Träger der Sozialhilfe für die Gewährung der Sozialhilfe endgültig, d. h. auch nach Vollendung des 18. Lebensjahrs des Hilfeempfängers, zuständig bleibt. § 104 BSHG ist auf der Grundlage des Berichts des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages vom 20. Oktober 1993 (BT-Drs. 12/5930) geändert worden. In diesem Bericht heißt es, dass auch für Kinder und Jugendliche, die außerhalb ihres Elternhauses untergebracht sind, der Träger ihres vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig bleiben solle. Daraus ergibt sich indessen nicht, dass die örtliche Zuständigkeit des Trägers der Sozialhilfe auch dann bestehen bleiben soll, wenn der bei Unterbringung außerhalb des Elternhauses noch jugendliche Hilfeempfänger volljährig wird. Die Begründung des Berichts bietet überdies keine Anhaltspunkte dafür, dass für die Anwendung des § 104 BSHG ausschließlich maßgeblich sein soll, ob der Hilfesuchende bei der ersten Aufnahme in die andere Familie oder Pflegestelle das Alter von 18 Jahren noch nicht überschritten hat.

Demzufolge ist davon auszugehen, dass die durch § 104 BSHG i.V.m. § 97 Abs. 2 BSHG begründete Zuständigkeit des Trägers der Sozialhilfe des Herkunftsortes des Hilfeempfängers mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs des Hilfeempfängers endet (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 1.9.2005 - 4 Bf 441/01 -; LPK-BSHG, § 104 Rn. 15; vgl. auch Schellhorn, BSHG, Kommentar, 16. Aufl., § 104 Rn. 7; Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG, Kommentar, Stand: März 2003, § 104 Rn. 5; Schmitt/Hillermeier, BSHG, Kommentar, Stand: April 1999, § 104 Rn. 13).

Ende der Entscheidung

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