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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.06.2008
Aktenzeichen: 4 ME 184/08
Rechtsgebiete: SGB VIII, VwGO


Vorschriften:

SGB VIII § 35a Abs. 1 Nr. 1
SGB VIII § 35a Abs. 1 Nr. 2
SGB VIII § 35a Abs. 1a
SGB VIII § 35a Abs. 2
SGB VIII § 36 Abs. 2
SGB VIII § 79 Abs. 1
VwGO § 123
1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist auch in den Fällen eines nicht "auf Null" reduzierten Ermessens oder Beurteilungsspielraums zulässig, wenn nur dadurch ein der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG genügender effektiver Rechtsschutz erreicht werden kann und es ferner überwiegend wahrscheinlich ist, dass eine erneute - fachgerechte - Ausübung des Ermessens bzw. Ausnutzung des Beurteilungsspielraums zugunsten des Antragstellers ausgehen wird.

2. Die Feststellung, ob eine Beeinträchtigung der Teilhabe des Kindes oder Jugendlichen am Leben in der Gesellschaft als Voraussetzung für die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII vorliegt, ist ebenso wie die Entscheidung nach § 35 a Abs. 2 SGB VIII, ob eine bestimmte Hilfe zur Deckung des Bedarfs im Einzelfall geeignet und erforderlich ist, vom Jugendamt aufgrund seiner eigenen Fachkompetenz zu treffen, ohne dass insoweit eine fachärztliche oder psychotherapeutische Stellungnahme erforderlich ist.

3. Der nach § 35 a Abs. 1 a SGB VIII zur Feststellung der Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit (§ 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII) einzuholenden fachärztlichen Stellungnahme kann jedoch auch für die Beurteilung dieser Fragen eine sowohl vom Jugendamt als auch vom Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung zu berücksichtigende beachtliche Aussagekraft zukommen.

4. Das Fehlen eines schriftlichen Hilfeplans nach § 36 Abs. 2 SGB VIII steht dem Erlass einer auf die Durchführung einer bestimmten geeigneten und notwendigen Hilfemaßnahme gerichteten und wegen der Eilbedürftigkeit der Hilfe erforderlichen einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO nicht entgegen.


Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, die Kosten der Unterbringung der Antragstellerin im Kinderhof C. in D. für drei Monate zu übernehmen, hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Eilbedürftigkeit der von der Antragstellerin begehrten einstweiligen Anordnung (Anordnungsgrund) bejaht. Denn nachdem die am ... 1991 geborene Antragstellerin 3 1/2 Monate in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Klinikums F. (KJP) stationär betreut worden ist mit dem in der fachärztlichen Stellungnahme der KJP vom 15. Januar 2008 überzeugend begründeten Ergebnis, dass sie sich zunehmend aus ihrer krankheitsbedingten Selbstisolation hat lösen und im Kontext einer Gruppe ihr Fehlverhalten beim Erfassen sozial-emotionaler Situationen und dem Reagieren hierauf hat korrigieren können, ist eine hieran anschließende Hilfe, deren Kosten die Eltern der Antragstellerin nach den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichts nicht aufbringen können, dringend erforderlich, um die erzielten Erfolge nicht zu gefährden und die Antragstellerin in der verbleibenden Zeit von 1 1/4 Jahr bis zu der von ihr dann zu treffenden Berufswahlentscheidung durch einen weiteren Abbau der Rückstände in ihrer sozial-emotionalen Entwicklung auch zu befähigen, einen Ausbildungsplatz bzw. eine Stelle auf dem freien Arbeitsmarkt finden zu können, wie dies der Diplom-Psychologe der KJP im Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht am 3. April 2008 nachvollziehbar erläutert hat.

Das Verwaltungsgericht hat auch einen Anspruch der Antragstellerin gemäß § 35 a SGB VIII auf die von ihr begehrte einstweilige Anordnung (Anordnungsanspruch) zu Recht angenommen.

Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB VIII wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden und von der Antragsgegnerin insoweit nicht angegriffenen Ausführungen des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss verwiesen.

Soweit das Verwaltungsgericht auch einen Anordnungsanspruch der Antragstellerin auf Übernahme der Kosten für die von ihr konkret begehrte Unterbringung im Kinderhof C. bejaht hat, der von der Antragsgegnerin wegen der ihrer Meinung nach fehlenden Eignung dieser Hilfemaßnahme bestritten wird, kann offen bleiben, ob das Jugendamt bei der Wahl der Hilfeform und der konkret zu gewährenden Eingliederungshilfemaßnahme nach § 35 a Absatz 2 SGB VIII, der bestimmt, dass die Hilfe nach dem Bedarf im Einzelfall geleistet wird, ein Auswahlermessen hat (so Jans/Happe/Saurbier, Kinder- und Jugendhilferecht, Stand: Dezember 2007, § 35 a KJHG Rn. 51) oder ob insoweit ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum besteht (so Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 35 a Rn. 31), wie ihn das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 24.6.1999 - 5 C 24.98 -, BVerwGE 109, 155) bei der Hilfe zur Erziehung angenommen hat. Denn zum einen ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung in diesen Fällen dann gerechtfertigt, wenn eine Reduktion des Ermessens bzw. des Beurteilungsspielraums "auf Null" vorliegt, weil nur die begehrte Leistung als geeignete und notwendige Eingliederungshilfemaßnahme nach allgemeingültigen fachlichen Maßstäben in Betracht kommt. Zum anderen ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung auch in den Fällen eines nicht in dieser Weise eingeschränkten Ermessens oder Beurteilungsspielraums zulässig, wenn nur dadurch ein der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG genügender effektiver Rechtsschutz erreicht werden kann (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 123 Rn. 12; Bader, VwGO, 3. Aufl. 2005, § 123 Rn. 59; Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 123 Rn. 106 ff.; jeweils m.w.N.) und es ferner überwiegend wahrscheinlich ist, dass eine erneute - fachgerechte - Ausübung des Ermessens bzw. Ausnutzung des Beurteilungsspielraums zugunsten des Antragstellers ausgehen wird (Bader, a.a.O., § 123 Rn. 59; Kopp/Schenke, a.a.O., § 123 Rn. 12).

Hier hat die Antragsgegnerin bei der Ablehnung der beantragten Hilfeleistung und dem Verweis der Antragstellerin auf eine ambulante Hilfe durch einen Erziehungsbeistand im Umfange einer zwei- bis dreimaligen Betreuung in der Woche von je zwei bis drei Stunden in ihrem Bescheid vom 5. März 2008 allgemeingültige fachliche Maßstäbe nicht hinreichend beachtet. Es spricht ferner viel dafür, dass das der Antragsgegnerin möglicherweise zustehende Ermessen bzw. der Beurteilungsspielraum bei der Wahl der Hilfeform und der konkret zu gewährenden Eingliederungshilfemaßnahme aufgrund der Besonderheiten im Falle der Antragstellerin "auf Null" reduziert ist, weil die begehrte Hilfe in Gestalt einer stationären Betreuung im Rahmen einer Gruppe nach dem vorliegenden Sachverhalt allein geeignet erscheint, den Hilfebedarf der Antragstellerin in ihrer konkreten gegenwärtigen Situation zu decken. Zumindest ist es aber aus diesem Grunde überwiegend wahrscheinlich, dass eine erneute - fachgerechte - Ausübung des (eventuell bestehenden) Ermessens bzw. Ausnutzung des Beurteilungsspielraums zugunsten der Antragstellerin ausfallen würde. Da die Antragstellerin dringend der Hilfe in der begehrten Form bedarf, ist der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zur Gewährung effektiven vorläufigen Rechtsschutzes auch unumgänglich. Das Verwaltungsgericht hat daher die Antragsgegnerin zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten der Unterbringung der Antragstellerin im Kinderhof C. für drei Monate zu übernehmen.

Es ist nicht zu beanstanden, dass sich das Verwaltungsgericht dabei auf die fachärztliche Stellungnahme der KJP vom 15. Januar 2008, die Erläuterungen dieser Stellungnahme und die weiteren Ausführungen des Diplom-Psychologen der KJP im Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht am 3. April 2008 gestützt hat.

Allerdings hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nur zur Feststellung der ersten Voraussetzung für die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII - Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit - die Stellungnahme eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, eines Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt, gemäß § 35 a Abs. 1 a Satz 1 SGB VIII einzuholen. Die zweite Voraussetzung für die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII - Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft - haben dagegen die Fachkräfte des Jugendamtes selbst zu prüfen und festzustellen. Sie haben also aufgrund ihrer umfassenden Kenntnis des sozialen Umfelds des betroffenen Kindes oder Jugendlichen und ihres sozialpädagogischen und gegebenenfalls psychologischen Sachverstands (vgl. Nds. OVG, Beschluss des 12. Senats vom 11.12.2006 - 12 ME 366/06 -) zu beurteilen, wie sich die Funktionsbeeinträchtigung im Hinblick auf die Teilhabe des Kindes oder Jugendlichen am Leben in der Gesellschaft auswirkt, ohne dass insoweit eine fachärztliche oder psychotherapeutische Stellungnahme erforderlich ist (Nds. OVG, Beschluss des 4. Senats vom 21.2.2008 - 4 ME 793/07 - und vom 17.4.2007 - 4 ME 470/07 -). Auch die weitere nach § 35 a Abs. 2 SGB VIII zu treffende Entscheidung, ob eine bestimmte Hilfe zur Deckung des Bedarfs im Einzelfall geeignet und erforderlich ist, ist vom Jugendamt in der Regel allein aufgrund seiner eigenen Fachkompetenz und im Rahmen des mit allen Beteiligten durchzuführenden Hilfeplanverfahrens gemäß § 36 Abs. 2 SGB VIII zu treffen, ohne dass insoweit eine fachärztliche oder psychotherapeutische Stellungnahme notwendig ist (Nds. OVG, Beschluss des 4. Senats vom 17.4.2007 - 4 ME 470/07 -). Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin bedeutet dies jedoch nicht, dass eine fachärztliche Stellungnahme für die Beurteilung der Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII) und der weiteren - hier streitigen - Frage, ob eine bestimmte Hilfe zur Deckung des Bedarfs im Einzelfall geeignet und erforderlich ist, für das Jugendamt und im gerichtlichen Verfahren unerheblich wäre. Der fachärztlichen Stellungnahme kann auch für die Beurteilung dieser Fragen eine sowohl vom Jugendamt als auch vom Verwaltungsgericht - schon aufgrund der ihm obliegenden Aufklärung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO - bei seiner Entscheidung zu berücksichtigende beachtliche Aussagekraft zukommen (vgl. Nds. OVG, Beschluss des 12. Senats vom 11.12.2006 - 12 ME 366/06 - und Wiesner, a.a.O., § 35 a Rn. 118). Dies gilt vor allem dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - das Jugendamt bei seiner Entscheidung entscheidende Elemente des Hilfefalles nicht berücksichtigt hat und diese deshalb allgemeingültigen fachlichen Anforderungen nicht genügt, die fachärztliche Stellungnahme hingegen auf einer längeren intensiven Beobachtung des Hilfesuchenden im Rahmen einer stationären psychiatrischen Behandlung beruht und neben den Aussagen zu dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auch gut nachvollziehbare und überzeugende Ausführungen zu der Hilfeform und der konkreten Hilfemaßnahme enthält, die nach fachärztlicher Einschätzung bei der festgestellten Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit im Anschluss an die klinische Behandlung geeignet und notwendig erscheint.

Hier ist in der fachärztlichen Stellungnahme der KJP vom 15. Januar 2008 gut nachvollziehbar festgestellt worden, dass die Antragstellerin unter sozialer Selbstisolation mit emotionalen Blockaden und depressiver Symptomatik leidet, über wenig Selbstvertrauen verfügt, sich von Gruppenaktivitäten ausschließt und sozial-emotionale Situationen oft fehl interpretiert. Im Kontext einer heterogenen Kleingruppe und unter dem multimodalen Behandlungsansatz in der Klinik habe sie sich jedoch zunehmend aus ihrer Selbstisolation befreien und ihr Fehlverhalten korrigieren können. Dies hat der Diplom-Psychologe der KJP, an dessen fachlicher Qualifikation der Senat angesichts seiner überzeugenden Ausführungen zu den hier entscheidungserheblichen Fragen entgegen der Meinung der Antragsgegnerin keine Zweifel hat, im Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht am 3. April 2008 anhand von konkreten Beispielen anschaulich erläutert. Hiernach missversteht die Antragstellerin auch alltägliche Situationen oft grundlegend. Diesen Schwierigkeiten der Antragstellerin kann nach der fachärztlichen Stellungnahme vom 15. Januar 2008 und der weiteren Darlegung im Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht durch die stationäre Aufnahme der Antragstellerin in eine Gruppe unter besonderer pädagogischer Begleitung begegnet werden, da Missverständnisse im Rahmen einer solchen Gruppe durch den jederzeit anwesenden, pädagogisch qualifizierten Betreuer sofort geklärt werden können. Gerade dies vermag eine ambulante Betreuung durch einen Erziehungsbeistand im Umfange einer zwei- bis dreimaligen Betreuung in der Woche von je zwei bis drei Stunden gemäß dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. März 2008 nicht zu leisten. Auch wenn nach der Beschwerdebegründung der Antragsgegnerin die ambulante Betreuung auf die individuellen Bedürfnisse der Antragstellerin ausgerichtet, der Betreuungsumfang individuell vereinbart und der Erziehungsbeistand auch abends und mit ständiger Erreichbarkeit eingesetzt werden kann, "sofern dies pädagogisch tatsächlich erforderlich ist", wäre eine solche auch nach der Beschwerdebegründung grundsätzlich auf mehrere Einzeltermine in der Woche beschränkte und im Übrigen nach Bedarf zu vereinbarende ambulante Betreuung gerade für die Antragstellerin, die nach der fachärztlichen Stellungnahme dazu neigt, sich zurückzuziehen anstatt ihre Probleme zu artikulieren, gleichwohl nicht vergleichbar mit der jederzeit möglichen Hilfe im Rahmen einer stationären Unterbringung in der beschriebenen Form. Die von der Antragsgegnerin als Argument gegen eine stationäre Unterbringung angeführte Diskontinuität der Beziehungen zu den verschiedenen Betreuungspersonen und Gruppenmitgliedern fällt demgegenüber angesichts der "familiären" Größe der Gruppe im Kinderhof C. von zehn Kindern und Jugendlichen und der dementsprechend überschaubaren Zahl von Betreuern (gemäß der Leistungsbeschreibung der Einrichtung) nicht erheblich ins Gewicht. Dies gilt auch für die von der Antragsgegnerin ferner angeführte Gefahr, dass die Antragstellerin durch andere Gruppenmitglieder überholt bzw. überfordert werden könnte, zumal die Gruppe sich nach der Leistungsbeschreibung des Kinderhofs C. aus Kindern und Jugendlichen zusammensetzt, die größtenteils jünger (5 - 18 Jahre) als die Antragstellerin sind, und daher konkrete Anhaltspunkte für eine solche Gefahr nicht ersichtlich sind.

Vor allem würde bei einer ambulanten Hilfe die Einbeziehung in eine "heterogene Kleingruppe" fehlen, die nach den Erfahrungen, die die KJP während der dortigen Behandlung der Antragstellerin über einen Zeitraum von 3 1/2 Monaten hat gewinnen können, für die erzielten Fortschritte der Antragstellerin wesentlich gewesen ist und die deshalb einer Fortsetzung in einem anderen "Kontext" im Rahmen der Jugendhilfe - Aufnahme in der zehnköpfigen, nach Alter und Geschlecht gemischten und rund um die Uhr pädagogisch betreuten Gruppe im Kinderhof C. - bedarf, um die erzielten Fortschritte nicht zu gefährden und die Antragstellerin angesichts der bevorstehenden Ausbildungsplatzsuche möglichst bald zu einem selbständigen Leben zu befähigen. Diese demnach auch für die Beurteilung der im Anschluss an den Klinikaufenthalt einzuleitenden Hilfemaßnahmen der Jugendhilfe wichtigen Erfahrungen und den Gesichtspunkt, dass aufgrund der erzielten positiven Ergebnisse in der KJP eine Hilfeform gefunden werden sollte, die hieran unmittelbar anknüpft, hat die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung ausweislich der Begründung ihres Bescheids vom 5. März 2008, ihres erstinstanzlichen Vorbringens und ihrer Beschwerdebegründung nicht berücksichtigt und damit wesentliche Elemente des Hilfefalles nicht beachtet. Die Ablehnung der von der Antragstellerin begehrten Hilfe durch die Antragsgegnerin genügt aus diesen Gründen allgemeingültigen fachlichen Anforderungen nicht. Die Antragsgegnerin hat zudem in den Jahren von 2001 bis 2007 keinen Kontakt zu der Antragstellerin gehabt und lediglich am 7. Februar 2008 ein persönliches Gespräch mit der Antragstellerin geführt, aber auch den Inhalt dieses Gesprächs in ihre Entscheidungsfindung nicht einbezogen. Denn gemäß dem im Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin befindlichen Vermerk über dieses Gespräch hat sich die Antragstellerin in der KJP wohl gefühlt und nach ihrer eigenen Einschätzung Fortschritte u. a. bei der Kommunikation mit ihrer Mutter erzielt, die nicht in der Lage sei, ihr dabei zu helfen, selbständig zu werden.

Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen der Antragstellerin und ihrer (die Antragstellerin allein erziehenden) Mutter stimmt die eigene Einschätzung der Antragstellerin im Übrigen mit der fachärztlichen Stellungnahme vom 15. Januar 2008 und deren Erläuterung durch den Diplom-Psychologen der KJP überein, wonach die Mutter der Antragstellerin dem Problemverhalten ihrer Tochter hilflos gegenübersteht und die Mutter-Tochter-Beziehung durch eine "Überfürsorge" gekennzeichnet ist, die für die Entwicklung der Antragstellerin negativ ist, was entgegen der Meinung der Antragsgegnerin ebenfalls für die begehrte Hilfeform spricht. Denn eine räumliche Trennung kann diese Probleme auf Seiten der Mutter der Antragstellerin zwar nicht beheben, worauf die Antragsgegnerin zu Recht hingewiesen hat, jedoch dazu beitragen, dass die Antragstellerin ihren Entwicklungsrückstand in dieser für ihr weiteres Leben entscheidenden Phase zumindest teilweise aufholt. Hinzu kommt, dass der Kinderhof C. nach seiner Konzeption gemäß seiner Leistungsbeschreibung und der Darstellung des Diplom-Psychologen der KJP im Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht die Familie des Jugendlichen bei der Hilfegewährung aktiv einbezieht und auf diese Weise dazu beiträgt, dass auch die innerfamiliären Probleme gelöst werden.

Es kann daher im konkreten Fall der Antragstellerin auch nicht festgestellt werden, dass die von der Antragstellerin und ihrer Mutter befürwortete stationäre Unterbringung für sie wegen des Eingriffs in vorhandene soziale Beziehungen eine nicht hinzunehmende Belastung darstellt, wie dies die Antragsgegnerin meint, zumal die Antragstellerin wegen der örtlichen Nähe der von ihr gewählten Einrichtung auch ihre Schule weiterhin besuchen kann. Auch wenn der Antragsgegnerin grundsätzlich zuzustimmen ist, dass eine stationäre Unterbringung mit einem erheblichen Eingriff in den Lebensalltag und die sozialen Beziehungen des Jugendlichen verbunden ist, der vermieden werden sollte, sofern eine geeignete ambulante Betreuung zur Verfügung steht, so stellt allerdings im konkreten Fall der Antragstellerin eine ambulante Betreuung aus den genannten Gründen keine gleichwertige Alternative dar und erscheint die mit einer stationären Unterbringung verbundene Belastung für die Antragstellerin und ihre Familie in Anbetracht der erheblichen Vorteile dieser von der Antragstellerin und ihrer Mutter selbst begehren Hilfeform entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin keineswegs unverhältnismäßig.

Die Antragsgegnerin kann gegen die von der Antragstellerin begehrte Hilfe auch nicht mit Erfolg einwenden, dass deren Kosten wegen des fehlenden Hilfeplans nicht übernommen werden könnten und sie anderenfalls zur bloßen Kostenträgerin degradiert würde, was auch mit ihrer Gesamtverantwortung nach § 79 Abs. 1 SGB VIII nicht zu vereinbaren sei. Denn nach § 36 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII "sollen" die hieran Beteiligten einen Hilfeplan aufstellen. Das Aufstellen eines schriftlichen Hilfeplans ist daher nicht zwingende Voraussetzung für die Hilfegewährung (BVerwG, Urteil vom 24.6.1999 - 5 C 24.98 -, BVerwGE 109, 155). Zudem wäre es mit dem Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes unvereinbar, wenn eine auf die Durchführung einer bestimmten geeigneten und notwendigen Hilfemaßnahme gerichtete und wegen der Eilbedürftigkeit der Hilfe erforderliche einstweilige Anordnung bereits dann ausgeschlossen wäre, wenn der Jugendhilfeträger diese Maßnahme und eine entsprechende Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII unter Berufung auf seine Gesamtverantwortung nach § 79 SGB VIII ablehnt. Im Übrigen bleibt es nach wie vor Aufgabe der Antragsgegnerin, nunmehr in Zusammenarbeit mit der Antragstellerin, ihren Eltern und dem Kinderhof C., der in seiner Leistungsbeschreibung die (ohnehin selbstverständliche) Mitwirkung bei der Hilfeplanung ausdrücklich vorsieht, einen Hilfeplan nach § 36 Abs. 2 SGB VIII zu erstellen und in diesem Rahmen die weitere Hilfe für die Antragstellerin aktiv (mit) zu gestalten, um damit auch ihrer Gesamtverantwortung nach § 79 Abs. 1 SGB VIII gerecht zu werden und sich nicht zu einer bloßen Kostenträgerin "degradieren" zu lassen.

Soweit die Antragsgegnerin schließlich die Befristung der Hilfemaßnahme auf nur drei Monate für fachlich nicht vertretbar hält, ist dieser Einwand nicht verständlich, da das Verwaltungsgericht damit lediglich einem der Antragsgegnerin entgegenkommenden Vermittlungsvorschlag des Diplom-Psychologen der KJP gefolgt ist, nach dem am Ende dieses Zeitraums geprüft werden könne, ob die Hilfe - wie prognostiziert - zu Verbesserungen der Situation der Antragstellerin geführt hat, und es der Antragsgegnerin unbenommen bleibt, die Kosten dieser Hilfemaßnahme von vornherein für einen längeren Zeitraum zu tragen, wozu sie voraussichtlich ohnehin verpflichtet ist, sofern sich die Geeignetheit der Hilfe bestätigt.

Da nach allem aufgrund des vorliegenden Sachverhalts Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund festgestellt werden können, hat hier kein Anlass bestanden, auf die Anregung der Antragsgegnerin hin eine sozialpädagogische Stellungnahme zu der Frage der geeigneten Hilfemaßnahme einzuholen. Darüber hinaus steht dem auch die Eilbedürftigkeit der Entscheidung über die Beschwerde entgegen. Im Übrigen ist die Erstellung einer solchen Stellungnahme eine Aufgabe der Antragsgegnerin, der sie jedoch bislang nicht hinreichend nachgekommen ist, weil ihre Ausführungen nach dem oben Gesagten allgemeingültigen fachlichen Maßstäben nicht genügen.

Ende der Entscheidung

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