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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 03.08.2007
Aktenzeichen: 4 OA 12/06
Rechtsgebiete: GKG, VwGO


Vorschriften:

GKG § 19
GKG § 66
VwGO § 154
VwGO § 161 Abs. 1
VwGO § 188
1. Wohngeldverfahren gehören nicht zu den gerichtskostenfreien Verfahren nach § 188 VwGO i.d.F. des 7. SGGÄndG vom 9.12.2004.

2. Die Entscheidung des Gerichts, dass Gerichtskosten nicht erhoben werden, ist bindend.


NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS

Aktenz.: 4 OA 12/06

Datum: 03.08.2007

Gründe:

Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den erstinstanzlichen Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht den Kostenansatz des Gerichts aufgehoben hat, hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Kostenansatz des Kostenbeamten gemäß § 19 GKG mit einer unzutreffenden Begründung (1.), aber im Ergebnis zu Recht (2.) aufgehoben.

1. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung unter Abweichung von der Rechtsprechung des Senats (u. a. Beschluss vom 2.11.2005 - 4 LA 255/05 -) zu Unrecht darauf gestützt, dass Wohngeldsachen nach § 188 VwGO i. d. F. des 7. SGG ÄndG vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3302) gerichtskostenfrei seien. Denn Wohngeldverfahren gehören nicht zu den gerichtskostenfreien Verfahren im Sinne dieser Vorschrift (ebenso Bayerischer VGH, Beschluss vom 21.3.2006 - 9 C 06.560 -; Fehling/Kastner/Wahrendorf, Verwaltungsrecht: VwVfG - VwGO, Kommentar, 1. Aufl. 2006, § 188 VwGO Rn. 4; Bader u. a., VwGO, Kommentar, 3. Aufl. 2005, § 188 Rn. 5; a. A. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2005, § 188 Rn. 2).

Nach Satz 1 des § 188 VwGO n. F. sollen die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes und weiterer dort genannter Angelegenheiten in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefasst werden. Nach Satz 2 Halbsatz 1 dieser Vorschrift werden Gerichtskosten in Verfahren dieser Art nicht erhoben.

Allein aus dem Wortlaut des § 188 VwGO n. F. "in Angelegenheiten der Fürsorge" erschließt sich nicht, ob Wohngeldstreitigkeiten zu den Angelegenheiten der Fürsorge zählen.

Es ist daher eine Auslegung dieses Begriffs zur Bestimmung des Regelungsgehalts des § 188 VwGO n. F. erforderlich.

Der Begriff der Fürsorge kann unterschiedlich ausgelegt werden. Denn er kann nicht nur als Hilfeleistung für hilfsbedürftige Personen zur Führung eines Lebens, das der Menschenwürde entspricht (Maunz in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Stand: November 2006, Art. 74 Rn. 107), sondern auch weiter verstanden werden (vgl. Maunz in Maunz/Dürig, a. a. O., Art. 74 Rn. 106, zu dem Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG).

Für die Auslegung des in § 188 VwGO n. F. verwendeten Begriffs der Fürsorge greift der Senat daher wie bereits in seinem Beschluss vom 2. November 2005 (4 LA 255/05) auf die Gesetzesmaterialien (Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 30.9.2004 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, Bt.-Drucks. 15/3867, S. 4) zurück.

Daraus ergibt sich, dass mit der Neufassung des § 188 VwGO der sachliche Anwendungsbereich der Vorschrift gegenüber den bisherigen Fassungen, die eine Freistellung von Gerichtskosten gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 25.10.1972 - VIII C 127.71 -, BVerwGE 41, 115, 126) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (u. a. Beschlüsse vom 1.12.2003 - 12 PA 432/03 - und 4.6.2004 - 12 LA 69/04 -) in Wohngeldsachen nicht vorsah, nicht erweitert werden sollte. Auf Anregung des Bundesrates war mit der Formulierung "in Angelegenheiten der Fürsorge" lediglich eine Klarstellung beabsichtigt. Denn nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (Bt.-Drucks. 15/3169) sollte der Begriff der Sozialhilfe zunächst ersatzlos gestrichen werden. Da jedoch der Begriff der Sozialhilfe in § 188 VwGO a. F. umfassend verstanden wurde und darunter auch Sachgebiete fielen, die nicht zum 1. Januar 2005 auf die Sozialgerichtsbarkeit übertragen wurden, hätte dessen ersatzlose Streichung dazu geführt, dass auch diese Verfahren nicht mehr gerichtskostenfrei gewesen wären. Deshalb sollte die Einführung des Begriffs der Fürsorge lediglich sicherstellen, dass diese bisher schon gerichtskostenfreien Materien, wie etwa Streitigkeiten über die Befreiung von den Rundfunkgebühren, weiterhin ohne Heranziehung zu Gerichtskosten durchgeführt werden können. Danach sind Wohngeldverfahren nach wie vor nicht gerichtskostenfrei.

Soweit es in den genannten Gesetzesmaterialien weiter heißt, dass der Begriff der Fürsorge "bereits gesetzlich geregelt (vgl. z. B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG)" sei und darunter "insbesondere finanzielle, wirtschaftliche oder gesundheitliche Leistungen, die dem Hilfsbedürftigen ein Leben ermöglichen, das der Menschenwürde entspricht", fielen, ergibt sich daraus nichts Gegenteiliges.

Denn zum einen liefert die Anknüpfung an bereits vorhandene gesetzliche Regelungen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage, welcher Fürsorgebegriff überhaupt gemeint und ob von dem Begriff der Fürsorge in § 188 VwGO n. F. entgegen der bisherigen Gesetzesfassung auch das Wohngeld umfasst sein soll. Es kann daraus insbesondere nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der in § 188 VwGO n. F. verwandte Begriff der Fürsorge mit dem Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gleichzusetzen oder in Anlehnung an diesen auszulegen ist, da die Regelung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG nur als ein Beispiel für eine gesetzliche Regelung des Begriffs der Fürsorge erwähnt worden ist.

Zum anderen gehört das Wohngeld nach seiner Zweck- und Zielsetzung nicht zu den in den genannten Gesetzesmaterialien "insbesondere" erwähnten finanziellen, wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Leistungen, "die dem Hilfsbedürftigen ein Leben ermöglichen, das der Menschenwürde entspricht" (ebenso BVerwG, Urteil vom 25.10.1972 - VIII C 127.71 -, a. a. O., wonach Wohngeld nicht zu den Leistungen der allgemeinen öffentlichen Fürsorge zählt).

Der Zweck des Wohngeldes ist in dem seit dem Zweiten Wohngeldgesetz vom 14. Dezember 1970 (BGBl. I S. 1637) insofern im Wesentlichen unverändert gebliebenen § 1 Abs. 1 WoGG geregelt. Danach wird Wohngeld zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens als Miet -oder Lastenzuschuss zu den Aufwendungen für den Wohnraum geleistet. Nach der Begründung des Entwurfs des Zweiten Wohngeldgesetzes der Bundesregierung (Bt.-Drucks. 6/1116, S. 29), der weitgehend unverändert Gesetz geworden ist, soll das Wohngeld damit dem Ziel einer verantwortungsbewussten Gesellschafts- und Wohnungspolitik, den Wohnungsbau so intensiv zu fördern, dass jeder Bürger eine angemessene Wohnung frei wählen kann, dienen. Das nach dem Individualprinzip gewährte subjektbezogene Wohngeld ist nach der Gesetzentwurfsbegründung als Teil der öffentlichen Wohnungsbaufinanzierung zu verstehen und eine Ergänzung der objektbezogenen Finanzierungshilfen. Wohngeld konkretisiert damit zwar auch das Sozialstaatsprinzip, ist aber angesichts seiner wohnungspolitischen Zielsetzung keine Fürsorge im traditionellen Sinne und deshalb eine von der Sozialhilfe, deren Aufgabe es nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG (ebenso § 1 Satz 1 SGB XII) ist, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht, völlig verschiedene Leistung (so ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 14.11.1969 - 1 BvL 4/69 -, BVerfGE 27, 220, 221, 227). Deshalb enthielt § 1 WoGG bis zum Inkrafttreten des 5. Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes vom 4. August 1980 (BGBl. I S. 1159) am 1. Januar 1981 auch den ausdrücklichen Hinweis, dass das Wohngeld keine Leistung der Sozialhilfe ist. Dieser Zusatz ist mit der Begründung gestrichen worden, er sei entbehrlich, nachdem mit dem Inkrafttreten des SGB I vom 11. Dezember 1975 (BGBl. I S. 3015) am 1. Januar 1976 das Wohngeldgesetz und das Bundessozialhilfegesetz besondere Teile des Sozialgesetzbuchs geworden seien (Bt.-Drucks. 8/3903, S. 78).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat sich durch die Einfügung des Wohngeldrechts in das Sozialgesetzbuch die beschriebene Zielsetzung des Wohngeldgesetzes nicht maßgeblich geändert. Denn nach den Gesetzesmaterialien zum SGB I (Gegenäußerung der Bundesregierung zum Vorschlag des Bundesrates, die Einfügung des Wohngeldrechts in das SGB I zu streichen, Bt.-Drucks. 7/868, S. 44) weist das Wohngeld als Sozialleistung zwar enge sozialpolitische und rechtliche Gemeinsamkeiten mit den übrigen im Sozialgesetzbuch geregelten Sozialleistungen auf, der funktionelle Zusammenhang des Wohngeldes mit anderen - wohnungspolitischen - Zielen sollte durch die Einbeziehung in das Sozialgesetzbuch aber nicht beeinträchtigt und der Charakter des Wohngeldes nicht verändert werden.

Soweit das Verwaltungsgericht meint, dass der Begriff der Fürsorge in § 188 VwGO n. F. genauso auszulegen sei wie der Begriff der allgemeinen öffentlichen Fürsorge in § 188 VwGO in der bis zum Inkrafttreten der Neufassung vom 20. August 1975 (BGBl. I S. 2189, 2229) gültigen Fassung, so sind hierfür keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich. Darüber hinaus ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass Wohngeldleistungen dem Begriff der allgemeinen öffentlichen Fürsorge zuzurechnen und deshalb Wohngeldverfahren nach § 188 VwGO in der damaligen Fassung gerichtskostenfrei gewesen seien, unzutreffend. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 25.10.1972 - VIII C 127.71 -, a. a. O.) gehören Wohngeldleistungen nicht zu den Sozialhilfeleistungen und deshalb auch nicht zu den Leistungen der allgemeinen öffentlichen Fürsorge und zu anderen Fürsorgeleistungen im Sinne von § 188 VwGO a. F..

Da nach allem Anhaltspunkte, aus denen geschlossen werden könnte, dass der Begriff der Fürsorge in § 188 VwGO n. F. auch das Wohngeld einschließen soll, nicht ersichtlich sind und insbesondere auch die Gesetzesmaterialien keine dahin gehenden Hinweise geben, bleibt der Senat bei seiner oben dargestellten Auffassung, wonach es sich bei der Neufassung des § 188 VwGO lediglich um eine klarstellende Regelung handelt und deshalb Wohngeldverfahren nach wie vor nicht gerichtskostenfrei sind.

2. Das Verwaltungsgericht hat der Erinnerung gegen den Kostenansatz des Kostenbeamten des Gerichts dennoch im Ergebnis zu Recht stattgegeben, weil im Tenor des Einstellungsbeschlusses des Verwaltungsgerichts vom 30. November 2005 für den Kostenbeamten verbindlich entschieden worden ist, dass Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Zwar entscheidet das Gericht im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 1 VwGO grundsätzlich nur darüber, wer in welchem Umfange im Verhältnis der Beteiligten untereinander die Kosten zu tragen hat. Die §§ 154 ff. VwGO regeln nur die Kostenlastentscheidung, nicht aber die Frage, welche Kosten von den Beteiligten für die Gewährung des Rechtsschutzes durch das Gericht zu tragen sind (Kopp/Schenke, a. a. O., vor § 154 Rn. 1). Deshalb trifft das Gericht grundsätzlich keine Entscheidung darüber, ob Gerichtskosten zu erheben und in welcher Höhe diese entstanden sind. Dies obliegt dem Kostenbeamten im Rahmen des Kostenansatzes gemäß § 19 GKG. Das Gericht muss sich damit nur befassen, wenn der Kostenschuldner oder die Staatskasse gegen den Kostenansatz gemäß § 66 GKG Erinnerung eingelegt hat.

Das Gericht ist jedoch nicht gehindert, schon im Zusammenhang mit der nach § 161 Abs. 1 VwGO zu treffenden Kostenlastentscheidung eine bindende Entscheidung darüber zu treffen, ob ein Fall des § 188 VwGO vorliegt, in dem ausnahmsweise Gerichtskosten nicht zu erheben sind. Für eine dahin gehende Entscheidungskompetenz des Gerichts sprechen - wie auch der vorliegende Fall zeigt - die besondere Schwierigkeit der Entscheidung der Frage, welche Verfahren nach § 188 VwGO gerichtskostenfrei sind, und der Gesichtspunkt der Prozessökonomie, wonach es wenig sinnvoll erscheint, der Feststellung des Gerichts über die Gerichtskostenfreiheit nach § 188 VwGO lediglich die Bedeutung eines Hinweises beizumessen mit der Folge, dass ein Erinnerungsverfahren nach § 66 GKG notwendig wird, falls der Kostenbeamte diesem (unverbindlichen) Hinweis nicht folgen sollte.

Deshalb kommt der Entscheidung des Gerichts darüber, ob das Verfahren nach § 188 VwGO gerichtskostenfrei ist, bindende Wirkung zu, wenn diese in den Urteils- bzw. Beschlusstenor aufgenommen wird und das Gericht damit zu erkennen gibt, dass es nicht lediglich einen Hinweis für den Kostenbeamten geben, sondern eine verbindliche Entscheidung über die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens im Zusammenhang mit seiner Kostenentscheidung treffen will.

Ende der Entscheidung

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