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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 24.06.2008
Aktenzeichen: 5 LA 32/05
Rechtsgebiete: BeamtVG, SVG


Vorschriften:

BeamtVG § 22 Abs. 1 S. 1
SVG § 43 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die Klägerin, eine damals 47 Jahre alte, geschiedene Sozialhilfeempfängerin, heiratete am 13. Februar 2002 einen weitgehend vermögenslosen 84-jährigen Oberstabsfeldwebel a. D., den sie über eine eigene Bekanntschaftsanzeige kennen gelernt hatte, der altersbedingt nicht mehr in der Lage war, einen eigenen Haushalt zu führen, in einem Altersheim lebte und nach dem Umzug in eine gemeinsame Wohnung schließlich am 18. Juli 2003 verstarb. Durch Bescheid vom 10. Oktober 2003 (Bl. 208 f. Beiakte - BA - B) und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2004 (Bl. 3 ff. BA - A) lehnte es die Beklagte ab, der Klägerin einen Unterhaltsbeitrag zu gewähren, weil besondere Umstände des Falles im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG (i. V. m. § 43 Abs. 1 SVG) vorlägen, aufgrund deren eine Versorgung der Klägerin ihr, der Beklagten, als dem Dienstherrn des verstorbenen Beamten nicht zumutbar und auch nicht aus fürsorgerischen Gründen geboten sei. Die besonderen Umstände sah sie in einer Gesamtschau als gegeben an, wobei sie auf den Altersunterschied der Eheleute, das hohe Alter des Ehemannes zum Zeitpunkt der Eheschließung, die zu erwartende und eingetretene geringe Dauer der Ehe und schließlich die angesichts des Lebensalters der Klägerin voraussichtlich erhebliche Länge der bei Gewährung des Unterhaltsbeitrages eintretenden Zahlungsverpflichtung abhob. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, mit der die Klägerin daraufhin begehrt hat, die Beklagte gerichtlich zu verpflichten, ihr einen Unterhaltsbeitrag zu gewähren. Zur Begründung seines Urteils hat es sich auf die angefochtenen Bescheide bezogen und des Weiteren ausgeführt, dass es nach seiner Überzeugung zumindest der überwiegende Zweck der Eheschließung des Ruhestandssoldaten mit der Klägerin gewesen sei, dieser eine Witwenversorgung zu verschaffen. Angesichts der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eheleute dränge es sich auf, dass der Ruhestandssoldat gehofft habe, seine um 37 Jahre jüngere Partnerin wegen der eigenen altersbedingt geringen Lebenserwartung durch die Eheschließung finanziell abzusichern.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit einem Antrag auf Zulassung der Berufung.

II.

Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg, weil die Zulassungsgründe, die die Klägerin geltend macht, nämlich das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und dessen Abweichung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) teilweise bereits nicht hinreichend dargelegt sind und im Übrigen nicht vorliegen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschl. v. 23. 6. 2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458 [1459]). Die Richtigkeitszweifel müssen sich allerdings auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (Nds. OVG, Beschl. v. 27. 3. 1997 - 12 M 1731/97-, NVwZ 1997, 1225 [1228]; Beschl. v. 23. 8. 2007 - 5 LA 123/06 -; BVerwG, Beschl. v. 10. 3. 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838 [839]). Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substanziell mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen (Happ, in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 12. Aufl. 2006, § 124a Rn. 63). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist (vgl. Happ, a. a. O., § 124a Rn. 64, m. w. N.). Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden und vorliegen, es sei denn, dass diese Begründungen von verschiedener Rechtskraftwirkung sind (Nds. OVG, Beschl. v. 6. 6. 2008 - 5 LA 270/05 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit, m. w. N.).

Im Fall der Klägerin kann offen bleiben, ob es ernstlichen Zweifeln unterliegt, dass das eigentliche Ziel der zwischen ihr und dem Ruhestandssoldaten geschlossenen Ehe nicht in der Begründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft bestand, sondern es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen (so genannte "Versorgungsehe") - was bereits für sich genommen die volle Versagung eines Unterhaltsbeitrages rechtfertigen würde (vgl. Bayer, in: Plog/Wiedow u. a., BBG mit BeamtVG, Stand: Mai 2008, § 22 BeamtVG Rn. 7). Das angefochtene Urteil der Vorinstanz ist nämlich infolge der gemäß § 117 Abs. 5 VwGO statthaften Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen Bescheide mehrfach tragend begründet: Zwar hat das Verwaltungsgericht selbst besondere Umstände im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG, die eine volle Versagung des Unterhaltsbeitrages rechtfertigen, in Gestalt einer so genannten "Versorgungsehe" als gegeben angesehen, auf die es anhand von Indizien geschlossen hat. Daneben hat aber der Einzelrichter das Vorliegen solcher besonderen Umstände - im Anschluss an die Bescheide der Beklagten - bereits aus einer Gesamtschau mehrerer, oben unter I. im Einzelnen angeführter objektiver Tatsachen abgeleitet. Jedenfalls gegenüber diesem, das Urteil selbständig tragenden Begründungsstrang, bestehen unter den von der Klägerin dargelegten Gesichtspunkten keine ernstlichen Richtigkeitszweifel. Ohne Erfolg macht die Klägerin insoweit geltend, von einer kurzen Ehe mit der Folge des Wegfalls der Hinterbliebenenversorgung sei nach den gesetzlichen Regelungen der §§ 46 Abs. 2a SGB VI, 19 Abs. 1 BeamtVG [nur] auszugehen, wenn die Ehe mit dem Verstorbenen nicht mindestens ein Jahr bestanden habe. Denn weder § 46 Abs. 2a SGB VI noch § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG regeln die Frage, ob sich aus der Länge einer Ehe im Rahmen einer Gesamtschau zusammen mit anderen Tatsachen besondere Umstände im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ergeben. Es kann diesen Vorschriften auch kein die Hinterbliebenenversorgung in Form des Witwengeldes und des Unterhaltsbeitrages übergreifender Rechtssatz entnommen werden, dass die geringe Dauer eine Ehe allenfals dann für die volle Versagung einer Hinterbliebenenversorgung m i t ursächlich werden dürfe, wenn die Ehe weniger als ein Jahr bestanden habe. Diesem Verständnis der Rechtslage entspricht im Übrigen auch die Regelung unter Ziffer 22.1.4 BeamtVGVV, also eine Bestimmung derjenigen Verwaltungsvorschriften, die die Klägerin anderweitig meint für ihren Rechtsstandpunkt ins Feld führen zu können. Zwar ist der Klägerin zuzugestehen, dass § 22 BeamtVG eine Auffangfunktion erfüllt. Gerade diese steht aber unter dem hier umstrittenen rechtlichen Vorbehalt des Vorliegens besondere Umstände im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG, sodass der Hinweis auf die Funktion der Norm nicht weiter führt. Auch die gesetzessystematische Argumentation der Klägerin, dass dem erheblichen Altersunterschied zwischen ihr und dem Ruhestandssoldaten - infolge der Anknüpfung der Höhe eines Unterhaltsbeitrages an denjenigen eines Witwengeldes - "typischerweise bereits" durch Kürzungen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG Berücksichtigung finde und daher nicht "erneut" als besonderer Umstand zu ihrem Nachteil verwertet werden dürfe, greift nicht durch. Zum einen wird mit dieser Gedankenführung in fragwürdiger Weise das logische Verhältnis von Tatbestand und Rechtsfolge in sein Gegenteil verkehrt. Erst wenn keine besonderen Umstände im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG vorliegen, die eine volle Versagung des Unterhaltsbeitrages rechtfertigen, gelangt der Rechtsanwender nämlich zu der Frage, ob der Umstand eines erheblichen Altersunterschiedes der Ehegatten zumindest für die Höhe der Leistungen von Bedeutung ist - und nicht umgekehrt. Selbst wenn man aber einen Rückschluss von der Rechtsfolgenregelung auf die Tatbestandsseite für möglich hielte, käme er allenfalls in Betracht, wenn der erhebliche Altersunterschied der Ehegatten das einzige Element des Sachverhalts wäre, aus dem auf das Vorliegen "besonderer Umstände des Falles" geschlossen werden könnte. So liegt es hier aber nicht. Zu Unrecht nimmt die Klägerin an, dass alle Umstände des Falles, die für die Bemessung der Höhe eines zu gewährenden Unterhaltsbeitrages von Bedeutung sind, deshalb im Zuge der vorausgehenden Prüfung der Frage, ob der Unterhaltsbeitrag wegen "besonderer Umstände des Falles" bereits dem Grunde nach voll zu versagen ist, außer Betracht zu bleiben hätten. Vielmehr kann sich - umgekehrt - gerade aus der Kumulation von Sachverhaltselementen, die für sich genommen lediglich zu einer verminderten Höhe des Unterhaltsbeitrages führen müssten, ein Umschlag von Quantität in Qualität ergeben, der in der Gesamtschau die volle Versagung des Unterhaltsbeitrages rechtfertigt (vgl. OVG NRW, Urt. v. 18. 10. 1993 - 12 A 269/92 - in: Schütz/Maiwald, BeamtR ES/C II 2.3.3, Nr. 10; OVG Berlin, Beschl. v. 10. 9. 2004 - 4 N 62.04 -, juris, Langtext Rn. 10). Vor diesem Hintergrund vermag es die Rechtsansicht der Klägerin auch nicht zu stützen, dass sie betont, bei Gewährung eines Unterhaltsbeitrages müsste dieser im Hinblick auf das hohe Alter des verstorbenen Ruhestandssoldaten zum Zeitpunkt der Eheschließung ohnehin nach der einschlägigen Verwaltungsvorschrift gekürzt werden.

Der Zulassungsgrund einer Abweichung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist nur anzunehmen, wenn das Verwaltungsgericht ausdrücklich oder doch hinreichend erkennbar einen fallübergreifenden Rechts- oder Tatsachensatz gebildet hat, der objektiv von der Rechtsprechung eines Divergenzgerichts abweicht. Weicht das Verwaltungsgericht nicht bewusst und ausdrücklich von einer divergenzfähigen Entscheidung ab, so ist eine Divergenz nur dann zu bejahen, wenn die Entscheidungsgründe ohne weitere Sachaufklärung unmittelbar und hinreichend deutlich einen abweichenden Rechts- oder Tatsachensatz erkennen lassen. Ein nicht ausdrücklich formulierter divergenzfähiger Rechtssatz des Verwaltungsgerichts muss sich daher als abstrakte Grundlage der Entscheidung eindeutig und frei von vernünftigen Zweifeln aus der Entscheidung selbst ergeben (BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1975 - BVerwG VI CB 47.74 -, Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 130; Nds.OVG, Beschl. v. 11. 01. 2006 - 5 LA 17/04 -). Eine Divergenz liegt nicht vor, wenn das Verwaltungsgericht gegen den Rechts- oder Tatsachensatz eines Divergenzgerichts nur dadurch verstoßen hat, dass es ihn im Einzelfall unzutreffend anwandte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10. 07. 1995 - BVerwG 9 B 18.95 -, NVwZ-RR 1997, 191; Nds. OVG, Beschl. v. 27. 1. 2006 - 5 LA 196/03 -). Dementsprechend erfordert die Darlegung einer Divergenz vor allem, dass in dem Zulassungsantrag die beiden einander widerstreitenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensätze des Divergenzgerichts einerseits und des Verwaltungsgerichts andererseits zitiert oder - sofern sie im Urteil nicht bereits ausdrücklich genannt sind - herausgearbeitet und bezeichnet werden (Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Sep. 2007, § 124a Rn. 107; vgl. auch Marx, AsylVfG, 6. Aufl. 2005, RdNrn. § 78 Rnrn.181 ff.). Letzteres macht es grundsätzlich notwendig, dass sie der Zulassungsantragsteller selbst abstrakt ausformuliert (Nds. OVG, Beschl. v. 27. 01. 2006 - 5 LA 196/03 - und v. 8. 9. 2006 - 5 LA 296/05 -). Es ist nämlich nicht Aufgabe des Berufungsgerichts im Zulassungsverfahren, einen unbestimmt gefassten Vortrag des Rechtsbehelfsführers weitergehend daraufhin zu überprüfen, ob sich aus ihm etwa bestimmte, üblicherweise in Widerspruch zu einer divergenzgerichtlichen Entscheidung stehende abstrakte Rechts- oder Tatsachensätze ergeben könnten (Hess. VGH, Beschl. v. 14. 01. 1998 - 13 UZ 4132/97.A -, NVwZ 1998, 303 [304]).

Gemessen an diesen Maßstäben arbeitet die Klägerin in der Begründung ihres Zulassungsantrages schon die beiden einander vermeintlich widerstreitenden abstrakten Rechtssätze des Bundesverwaltungsgerichts in den angeführten Entscheidungen vom 19. Januar 1968 und 20. Januar 1969 einerseits sowie des Verwaltungsgerichts andererseits nicht genügend heraus, um eine Divergenz hinreichend darzulegen.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Ende der Entscheidung

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