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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 30.06.2008
Aktenzeichen: 5 LA 372/07
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 60
VwGO § 124a Abs. 4 S. 5
ZPO § 85 Abs. 2
Dass im ordentlichen Geschäftsgang eine fälschlicherweise bei dem Verwaltungsgericht eingereichte Begründung für einen Antrag auf Zulassung der Berufung noch am selben Tage an das Oberverwaltungsgericht abgesandt wird, kann nicht erwartet werden.
Gründe:

Der Zulassungsantrag ist unzulässig, weil er nicht fristgerecht begründet worden ist und der Klägerin eine Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist nicht gewährt werden kann.

Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen und beantragt daher ein Beteiligter ihre Zulassung, so hat er innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen (§ 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO).

Der Lauf der zweimonatigen Frist für die Begründung des Zulassungsantrages beginnt gemäß § 57 Abs. 1 VwGO mit der Zustellung des Urteils, es sei denn, dem Beteiligten wurde keine oder eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung erteilt (§ 58 VwGO). Die der Klägerin erteilte Rechtsmittelbelehrung ist, soweit sie (überobligatorisch) über den vor dem Oberverwaltungsgericht bestehenden Vertretungszwang informiert, zwar dergestalt unvollständig gewesen, dass aus ihr nicht ersichtlich war, dass u. a. in Angelegenheiten, die Rechtsverhältnisse aus einem gegenwärtigen oder früheren Beamtenverhältnis betreffen, eine Vertretung auch durch Bevollmächtigte im Sinne des § 67 Abs. 1 Satz 7 i. V. m. Satz 6 VwGO erfolgen kann. Dies hat jedoch nicht zu einer Unrichtigkeit im Sinne des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO geführt, weil mittels der (hier erfolgten) Belehrung über die Vertretungsmöglichkeit gemäß § 67 Abs. 1 Satz 6 VwGO, die geeignet ist, einen Betroffenen zu veranlassen, mit der für ihn zuständigen Gewerkschaft Kontakt aufzunehmen, noch hinreichend gewährleistet ist, dass der Rechtsuchende auch von einer für ihn relevanten Möglichkeit erfährt, sich von Bevollmächtigten im Sinne des § 67 Abs. 1 Satz 7 i. V. m. Satz 6 VwGO vertreten zu lassen (Nds. OVG, Beschl. v. 11. 4. 2008 - 5 LA 3/08 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Nach alledem ist im vorliegenden Falle die Frist zur Begründung des Zulassungsantrages durch die Zustellung des angefochtenen Urteils an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 31. August 2007 (Bl. 100 der Gerichtsakte - GA -) in Lauf gesetzt worden und gemäß den §§ 57 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 und 188 Abs. 2 BGB mit dem 31. Oktober 2007, 24.00 Uhr, verstrichen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist eine Begründung des Zulassungsantrags bei dem Oberverwaltungsgericht jedoch nicht eingegangen.

Die von der Klägerin am 14. November 2007 beantragte Wiedereinsetzung (§ 60 Abs. 1 VwGO) in die versäumte Begründungsfrist ist nicht zu gewähren, weil das Fristversäumnis nicht unverschuldet ist. Denn das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin steht einem eigenen Verschulden der Klägerin gleich (§§ 173 Satz 1 VwGO, 85 Abs. 2 ZPO) und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat selbst die Versäumung der Begründungsfrist verschuldet, weil er fahrlässig, indem er die im (prozessualen Rechts-) Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht ließ (vgl. § 276 Abs. 2 BGB), die unrichtig an das Verwaltungsgericht adressierte Begründungsschrift unterzeichnete und versenden ließ, sodass sie das Oberverwaltungsgericht infolge ihres Umwegs über die Vorinstanz erst verspätet am 1. November 2007 erreichte. Zu Unrecht macht die Klägerin geltend, es habe für ihren Prozessbevollmächtigten nicht die geringste Veranlassung bestanden, anlässlich der Unterzeichnung des Schriftsatzes das mittels einer EDV-Anlage versehentlich fehlerhaft erstellte Anschriftenfeld zu prüfen, weil in seiner Kanzlei ein solcher Fehler noch nie aufgetreten sei. Bei der Anfertigung von Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsbegründungsschriften handelt es sich nämlich um eine eigenverantwortliche Tätigkeit des Rechtsanwalts, die dem Büropersonal, mag es auch zuverlässig und geschult sein, nicht überlassen werden darf, sodass der Rechtsanwalt eine von seinem Büro gefertigte Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsbegründungsschrift vor der Unterzeichnung persönlich auf Richtigkeit und Vollständigkeit, und zwar auch bezüglich des Gerichts, bei dem sie einzureichen ist, überprüfen muss (vgl. Jörg Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 60 Rn. 19, m. w. N.). Allerdings ist mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. v. 20. 6. 1995 - 1 BvR 166/93 -, BVerfGE 93, 99 [115 f.]) davon auszugehen, dass sich ein aus einem Verstoß gegen diese Sorgfaltspflicht ergebendes Anwaltsverschulden nicht mehr ausgewirkt hat und deshalb einer Wiedereinsetzung nicht entgegensteht, wenn ein fristgebundener Schriftsatz für das Rechtsmittelverfahren so zeitig bei dem im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache befassten Gericht eingegangen ist, dass seine fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann. Unter "ordentlichem Geschäftsgang" ist dabei jedoch lediglich eine Verfahrensweise zu verstehen, die einerseits zwar jede unnötige Verzögerung vermeidet, andererseits aber auch auf außergewöhnliche Beschleunigungsmittel wie Eilvermerke, Telefax oder Anrufe beim Rechtsmittelführer verzichtet (Bay. VGH, Beschl. v. 23. 1. 2003 - 20 ZB 02.1325 -, DÖV 2003, 383 [384]). Berücksichtigt man, dass die Weiterleitung eines Schriftsatzes, der unrichtig an das Verwaltungsgericht adressiert ist, obwohl er an ein anderes Gericht zu richten wäre, nicht einfach von der Geschäftsstelle selbst verfügt werden kann, sondern der Schriftsatz zunächst einem Richter vorgelegt werden muss, ist eine Begründungsschrift, die erst am vorletzten Tag der Frist bei dem Verwaltungsgericht eintrifft, nicht mehr so zeitig eingegangen, dass ihre fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann (Bay. VGH, Beschl. v. 23. 1. 2003 - 20 ZB 02.1325 -, a. a. O.). Das gilt namentlich vor dem Hintergrund, dass heutzutage bekanntlich die Geschäfts- und Poststellen der Verwaltungsgerichte oft nur noch halbtags voll besetzt sind und auch ein Abtrag durch den Wachtmeisterdienst nicht mehr so häufig wie noch in der (ferneren) Vergangenheit stattfindet. Entgegen ihren Ausführungen durfte die Klägerin daher gerade nicht ohne weiteres erwarten, dass ihre Begründungsschrift, die am 30. Oktober 2007 bei dem Verwaltungsgericht eingegangen und deren Weiterleitung bereits am selben Tag verfügt worden ist, auch noch am selben Tage abgesandt werden und deshalb schon am nächsten Tag per Post das Oberverwaltungsgericht erreichen würde.

Da der Klägerin die begehrte Wiedereinsetzung nicht zu gewähren ist, bedarf es keiner Entscheidung über ihren für den Fall dieser Wiedereinsetzung gestellten Antrag auf Verlängerung der Frist für die Begründung des Zulassungsantrages. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass für die begehrte Verlängerung der Frist zur Begründung des Zulassungsantrages im Hinblick auf § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO kein Bedürfnis bestünde - ganz abgesehen davon, dass eine richterliche Verlängerung dieser Frist in Anbetracht der §§ 57 Abs. 2 VwGO; 224 Abs. 2 - letzter Gliedsatz - ZPO rechtlich nicht möglich wäre (Happ, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 124a Rn. 50).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für den zweiten Rechtszug fußt auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie 52 Abs. 1 GKG. Der Streitwert ist nach dem Zweijahresbetrag des begehrten Teilstatus zu bemessen, wobei allerdings - weil lediglich familienbezogene Leistungen für einen Zeitraum vor der Klageerhebung umstritten sind - nicht von dem seitens der Beklagten mitgeteilten (Bl. 71 GA) Unterschiedsbetrag (§ 50 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG) von 95,16 EUR im Jahre 2007, sondern von den in den Jahren 2001 und 2002 maßgeblichen Beträgen des Familienzuschlags bzw. Unterschiedsbetrages auszugehen ist. Hiernach berechnet sich der Streitwert wie folgt: 12 x (Familienzuschlag der Stufe 2 in 2001 + Erhöhungsbetrag für BesGr A 1 bis A 5 in 2001 - Familienzuschlag der Stufe 1 in 2001) + 12 x (Familienzuschlag der Stufe 2 in 2002 + Erhöhungsbetrag für BesGr A 1 bis A 5 in 2002 - Familienzuschlag der Stufe 1 in 2002) = 12 x (345,34 DM + 10 DM - 180,36 DM) + 12 x (182,17 EUR + 5,11 EUR - 95,96 EUR) = 12 x 174,98 DM (~ 89,47 EUR) + 12 x 91,32 EUR = 1073,64 EUR + 1095,84 EUR = 2169,48 EUR.

Die Streitwertfestsetzung für den ersten Rechtszug wird gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG entsprechend korrigiert.

Ende der Entscheidung

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