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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 26.11.2009
Aktenzeichen: 7 KS 8/09
Rechtsgebiete: VwVfG
Vorschriften:
VwVfG § 77 | |
VwVfG § 77 Satz 1 |
Gründe:
Nachdem (auch) die Klägerin den Rechtsstreit unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung für erledigt erklärt hat, war die Einstellung des Verfahrens auszusprechen und über Tragung der Verfahrenskosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes (§ 161 Abs. 2 VwGO) zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es hier, Beklagtem und Beigeladenem die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte aufzuerlegen.
Der Beigeladene hat das planfestgestellte Vorhaben, insgesamt rd. 170.000 t asbesthaltige Abfälle (Abfallschlüssel Nr. 010309*) aus der ehemaligen Betriebsdeponie der Firma A. in B. auf einer eigens hergestellten Monodeponie auf der Deponie Hannover-Lahe abzulagern, aufgegeben. Inzwischen ist die im Planfeststellungsbeschluss festgesetzte Ausführungsfrist - 15. Juli 2009 - für die Ablagerung der Abfälle verstrichen und die Deponie geschlossen worden, ohne dass bis zu diesem Zeitpunkt Anlieferungen der Asbestabfälle stattgefunden hätten.
Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass die Klägerin einen Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses nach § 77 Satz 1 VwVfG (analog) gehabt hätte.
Nach dieser Vorschrift hat die Planfeststellungsbehörde den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben, wenn ein Vorhaben, mit dessen Durchführung begonnen worden ist, endgültig aufgegeben wird. Gegenstand des § 77 Satz 1 VwVfG ist die Behandlung begonnener, aber gleichsam "steckengebliebener Vorhaben" durch die Verwaltung. Sein Zweck besteht darin, Rechtsklarheit darüber zu schaffen, dass das Vorhaben nicht (mehr) durchgeführt wird und die mit dem Planfeststellungsbeschluss verbundenen rechtlichen und faktischen Beeinträchtigungen zu beseitigen (Obermeyer, VwVfG, 3. Aufl. 1999, § 77 Rn. 4 ff.; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 77 Rdnrn. 2, 3, 14 ff.; Grupp, Aufhebung von Planfeststellungsbeschlüssen durch die Verwaltung, DVBl. 1990, 81, 85). Die Rechtsprechung erstreckt den Anwendungsbereich der Regelung - über den Wortlaut hinaus - weiter auch auf sog. "unrealisierte Vorhaben", d.h. Projekte, mit deren Durchführung noch nicht begonnen worden und/oder der Planfeststellungsbeschluss noch nicht bestandskräftig geworden ist (BVerwG, Urt. v. 11.4.1986 - 4 C 53.82 -, NVwZ 1986, 834 ff. zu § 18 d FStrG a.F.; Beschl. v. 23.12.1992 - 4 B 188.92 -, NVwZ 1993, 980, 983 u.v. 10.11.2004 - 4 B 57.04 - NVwZ 2005, 327 f.; Nds. OVG, Urt. v. 11.12.2000 - 12 K 3200/99 -, juris Rdn. 70 ff.; zustimmend Grupp, aaO, DVBl. 1990, 81, 85; Stelkens/Bonk/Sachs, aaO, § 77 Rn. 9; Knack, VwVfG, 8. Aufl. 2004, § 77 Rn. 7; Ziekow, VwVfG, 1. Aufl. 2006, § 77 Rn. 1; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 77 Rn. 3; ablehnend Obermayer, aaO, § 77 Rn. 16). Diese Analogie kann - trotz der Regelung des § 75 Abs. 4 VwVfG, der für die Durchführung des Planes eine Frist von 5 Jahren vorsieht - Gründe für sich in Anspruch nehmen. § 75 Abs. 4 VwVfG betrifft die Situation eines "in der Schwebe befindlichen Vorhabens", während im Fall des § 77 Satz 1 VwVfG bereits feststeht, dass das Vorhaben nicht zur Ausführung gelangen wird. Die mit den Rechtswirkungen des Planfeststellungsbeschlusses verbundenen Beschränkungen rechtfertigen es, seine Aufhebung unabhängig vom Ablauf der Frist des § 75 Abs. 4 VwVfG vorzunehmen.
§ 77 Satz 1 VwVfG vermittelt nach allgemeiner Auffassung Drittschutz (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 11.4.1986, aaO), dessen Reichweite allerdings umstritten ist. Während der 12. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts den Aufhebungsanspruch nach § 77 VwVfG auch Immissionsbetroffenen zuspricht (Nds. OVG, aaO; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 23.12.1992, aaO, und den dazu bei Bad-Württ VGH, Beschl. v. 18.5.1992 - 8 S 1540/91 -, juris mitgeteilten Sachverhalt), lehnen der Baden-Württembergische Verwaltungsgerichtshof (Bad-Württ VGH, Urt. v. 1.10.1998 - 5 S 1358/97 -, NVwZ-RR 2000, 87 ff; ablehnend dazu Dürr, in Knack, VwVfG, aaO, § 77 Rn. 9) und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dies ab (BayVGH, Urt. v. 8.1.2009 - 8 A 06.40018 -, juris; s. dazu aber auch die Beschwerdeentscheidung des BVerwG, Beschl. v. 13.7.2009 - 4 B 36.09 -, juris). Dessen Sichtweise kann indes nicht überzeugen. Nicht zutreffend ist zunächst die Behauptung, dass die Vorschrift des § 77 VwVfG "... sich darüber aus(schweige), inwieweit ihr drittschützende Wirkung zukommt". Der drittschützende Charakter der Norm und seine Reichweite ergibt sich aus § 77 Satz 2 VwVfG, der die "Rechte anderer" ausdrücklich erwähnt, worunter im Planfeststellungsrecht stets auch Immissionsbetroffenheiten gefasst werden. Die terminologische Entgegensetzung von "unmittelbar" zu "mittelbar" Betroffenen allein vermag für eine Abgrenzung daher nichts zu leisten, zumal der von Anbaubeschränkungen nach § 9 Abs. 1 FStrG betroffene Anlieger, dem der Verwaltungsgerichtshof den Aufhebungsanspruch zubilligen will, ebenfalls ein (lediglich) mittelbar betroffener Eigentümer ist, der keinen umfassenden Prüfungsanspruch gegenüber dem Planfeststellungsbeschluss besitzt. Rechtliche Duldungspflichten gegenüber vorhabensbedingten Immissionen sind zudem, worauf Dürr (in Knack, VwVfG, aaO, § 77 Rn. 9) zutreffend hinweist, nicht anders als die im Bereich einer Bundesfernstraße bestehenden Anbauverbote Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.11.1988 - 1 BvR 1301/84 -, BVerfGE 79, 174ff.; BVerwG, Urt. v. 16.3.1989 - 4 C 36/85 -, NVwZ 1988, 1157). Hinzu kommt, dass sich auch für Eigentümer, deren Grundstücke Immissionen ausgesetzt sind, faktisch Baubeschränkungen ergeben können, weil nachträglich - in Kenntnis des planfestgestellten Vorhabens - von ihnen errichteten Baulichkeiten die Wehrfähigkeit vielfach fehlen wird. Maßgeblich für die Zuerkennung eines Aufhebungsanspruchs nach § 77 VwVfG können nicht Phraseologismen sein, erforderlich ist vielmehr eine Interpretation der Regelung am Maßstab des Normziels, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu Gunsten betroffener "Rechte anderer" zu schaffen. Die zu beantwortende Frage lautet mithin, ob es des klarstellenden Aktes einer Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses bedarf, um den Rechtsschein des Fortwirkens plangegebener Beeinträchtigungen zu beseitigen (oder ob die konkrete Sachlage solche Fortwirkungen nicht erkennen lässt). Dies kann nicht mit der Begründung verneint werden, das Vorhaben sei "endgültig aufgegeben" und könne daher keine Folgen mehr äußern. Die Aufgabe des Vorhabens ist bereits Tatbestandsmerkmal des § 77 VwVfG. Es würde daher auf einen Zirkelschluss hinaus laufen, mit der Behauptung des Fehlens realer Beeinträchtigungen einen Aufhebungsanspruch zu verneinen. Wendet man § 77 VwVfG mit der o.a. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch in den Fällen des "unrealisierten Vorhabens" an, kann das Fortwirken von Beeinträchtigungen nur auf einen - von dem formal fortgeltenden Planfeststellungsbeschluss noch zu besorgenden - Rechtsschein bezogen werden. Die Frage nach dem Aufhebungsinteresse ist dann als eine solche des Rechtsschutzbedürfnisses zu qualifizieren, die dem Prozessrecht zuzuordnen ist. Ähnlich wie für die Fortsetzungsfeststellungsklage, die (ebenfalls) gegen einen erledigten Verwaltungsakt geführt wird, ist zu fordern, dass für die begehrte gerichtliche Entscheidung über den - auf § 77 VwVfG gestützten - Aufhebungsanspruch ein besonderes Rechtsschutzinteresse besteht, das eine förmliche Aufhebung des (erledigten) Planfeststellungsbeschlusses noch erforderlich erscheinen lässt. Insoweit mag je nach Art und Intensität der Betroffenheit eine unterschiedliche Situation für den jeweiligen Kläger gegeben sein.
Vorliegend spricht Überwiegendes dafür, zu Gunsten der Klägerin ein derartiges Aufhebungsinteresse anzunehmen. Sie macht (auch) eine Beeinträchtigung ihres gemeindlichen Freizeit- und Sportzentrums am C. See durch die Luftverfrachtung von Asbestfasern geltend. Insoweit sind Auswirkungen auf ihre gemeindliche Planungshoheit nicht ausgeschlossen, da die Klägerin bei der Erweiterung und Fortentwicklung der Einrichtung das Vorhaben des Beigeladenen berücksichtigen und in ihre Planungen einstellen müsste.
Ende der Entscheidung
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