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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 22.06.2009
Aktenzeichen: 7 LA 132/08
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG


Vorschriften:

AsylVfG § 73 Abs. 1
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 1
Ob der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung aufgrund der bisherigen Veränderungen der politischen Verhältnisse in Togo zulässig ist (§§ 73 Abs. 1 AsylVfG, 60 Abs. 1 AufenthG), kann bei der derzeitigen Lage nicht generell für alle Vorverfolgten in der einen oder anderen Weise beantwortet werden.
Gründe:

Der Antrag, die Berufung gegen das im Tenor genannte Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, mit dem es den Widerruf der Feststellung von Abschiebungsverboten durch Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2004 aufgehoben hat, hat keinen Erfolg.

Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung. Das gilt sowohl für die formulierte Grundsatzfrage, wie auch im Hinblick auf die behauptete divergierende Rechtsprechung anderer Gerichte.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargestellte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 04.08.2006 - 7 LA 115/06 -, juris; BayVGH, Beschl. v. 29.09.2006 - 13 A ZB 06.30861 -, juris). Dabei muss die im Zulassungsverfahren aufgeworfene Grundsatzfrage in dem angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (BayVGH, aaO; SaarOVG, Beschl. v. 15.05.2006 - 3 Q 52/06 -, juris; GK-AsylVfG, § 78 Rn. 603 ff.; Renner, AsylVfG, 8. Aufl. 2005, § 78 Rn. 11 ff.). Das ist hier nicht der Fall.

Die Beklagte beanstandet nicht den vom Verwaltungsgericht angelegten rechtlichen Maßstab. Sie gelangt (lediglich) - unter Auswertung desselben Erkenntnismaterials wie das Verwaltungsgericht - zu einer abweichenden Bewertung der verfolgungsrelevanten Lage in Togo. Die von der Beklagten in ihrem Zulassungsschriftsatz als klärungsbedürftig bezeichnete Frage,

"ob sich die maßgeblichen Verhältnisse in Togo nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verbessert haben, dass eine (erneute) Verfolgung für zurückkehrende Togoer, für die die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt worden waren, mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann,"

wäre indes in dem angestrebten Berufungsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie sich in dieser Form und Allgemeinheit nicht in entscheidungserheblicher Weise stellen würde.

Die politische Situation in Togo ist durch die Nachwirkungen der jahrzehntelangen Diktatur Gnassingbé Eyadémas (1967 - 2005) geprägt. Bis 1991 existierte nur die von ihm 1969 gegründete Einheitspartei "Rassemblement du Peuple Togolais (RTP)". Demokratische Strukturen gab es nicht, politische Opposition war verboten und wurde verfolgt (Lagebericht d. Auswärtigen Amtes v. 29.01.2008). Nach dem Tod Eyadémas im Jahr 2005 setzte das Militär dessen Sohn Faure Gnassingbé verfassungswidrig als Nachfolger ein. Im Vorfeld der anschließenden Präsidentschaftswahlen kam es zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten. Nach der Flucht des damaligen Innenministers Boko in die Deutsche Botschaft unternahmen Bewaffnete einen Brandanschlag auf das Goethe-Institut in Lomé. Im Anschluss an die Bekanntgabe des Wahlsieges von Faure Gnassingbé brachen in der Hauptstadt Unruhen aus, die sich auf größere Städte und ländliche Regionen ausbreiteten. Dabei sollen nach Angaben des Auswärtigen Amtes mehrere hundert Personen getötet worden sein. Nicht zuletzt aufgrund politischen Drucks aus dem Ausland hat die Regierung unter Präsident Faure Gnassingbé im Frühjahr 2006 einen "nationalen Dialog" mit Oppositionsparteien begonnen. Mittlerweile agieren alle Oppositionsparteien frei, die Printmedien befassen sich unbehelligt mit allen politischen Fragen. Die unter Beteiligung von Oppositionspolitikern gebildeten Regierungen haben sich allerdings als nicht stabil erwiesen und wurden wiederholt umgebildet. Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2007 siegte die frühere Einheitspartei RPT. Alle Institutionen und Organe des Staates sind schwach. Auf Gerichte wurde bei Verfahren mit politischem Hintergrund in der Vergangenheit massiver Druck ausgeübt. Das Auswärtige Amt betont in seinem Lagebericht, dass die Ergebnisse der mit ausländischer Unterstützung eingeleiteten Reformen des Justiz- und Gerichtswesens noch abzuwarten seien (Auswärtiges Amt, aaO).

Togo befindet sich derzeit noch in einer Übergangs- und Umbruchphase. Der mit ausländischer Unterstützung (und auf internationalen Druck) eingeleitete politische Transformationsprozess hin zu einem demokratischen Staatswesen und zur Achtung der Menschenrechte ist - nach der insoweit beachtenswerten Einschätzung des Auswärtigen Amtes - nicht abgeschlossen.

1. Vor diesem geschilderten Hintergrund der im Fluss befindlichen Entwicklung könnte eine Bewertung der verfolgungsrelevanten Verhältnisse in dem vom der Beklagten angestrebten Berufungsverfahren nur eine "Momentaufnahme" darstellen, die für künftige Verfahren jeweils einer neuen Prüfung unterzogen werden müsste und daher nur eine sehr begrenzte Aussagekraft hätte. Eine grundsätzliche Klärung von Tatsachen wäre mit der Durchführung eines Berufungsverfahrens deshalb kaum gegeben.

2. Zudem kann die Frage, ob sich die Verhältnisse im Herkunftsstaat des Klägers im Sinne von §§ 73 Abs. 1 AsylVfG, 60 Abs. 1 AufenthG wesentlich verändert haben, so dass einem als vorverfolgt anerkannten Flüchtling die Rückkehr nach Togo zuzumuten ist, bei der derzeitigen Lage nicht generell für alle Vorverfolgten pauschal in der einen oder anderen Weise beantwortet werden (ebenso OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 15.11.2007 - 2 L 152/07 -, juris und VG Oldenburg, Urt. v. 10.12.2008 - 7 A 12/08 -, juris). Bei der Prüfung, ob sich die Verhältnisse im Sinne von § 73 AsylVfG im Herkunftsstaat des Flüchtlings verbessert haben, geht es nicht um die allgemeine Situation in dem Verfolgerstaat. Der anzuwendende Maßstab ist vielmehr individuell, d. h. bezogen auf den konkreten Ausländer, der als Flüchtling anerkannt worden ist, und dem dieser Status wieder entzogen werden soll. Dies bedeutet, dass je nachdem, welche Umstände zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus geführt haben, auch die Anforderungen an die Verbesserung der Verhältnisse im Heimatstaat und die Frage der Gefährdung im Falle einer Rückkehr individuell zu bewerten sind (ebenso OVG Mecklenburg-Vorpommern, aaO). Das wird - in anderen Verfahren - offenkundig auch von der Beklagten so gesehen. Mit Bescheid vom 21. November 2008 hat sie im Verfahren eines Exiltogoers den Widerruf der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG aufgrund von in der mündlichen Verhandlung bei dem Verwaltungsgericht Saarlouis gewonnener Erkenntnissen wieder aufgehoben und zur Begründung angegeben, die maßgeblichen Verhältnisse in Togo hätten sich bislang noch nicht so weit geändert, dass die Feststellung von Abschiebungshindernissen zu widerrufen sei (BAMF-Az: 5316794-283). Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte dazu mitgeteilt, dass es sich um eine einzelfallbezogene Entscheidung gehandelt habe.

Da es in Widerrufsverfahren togoischer Flüchtlinge mithin maßgeblich auf die individuellen Verhältnisse des Einzelfalles ankommt, ergibt sich daraus zugleich, dass die von der Beklagten erhoffte Klärung der von ihr aufgeworfenen Fragestellung für eine Vielzahl von Klageverfahren im vorliegenden Verfahren nicht erreicht werden könnte.

3. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt auch keine Abweichung der angegriffenen Entscheidung von der Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte in Niedersachsen vor, die eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordern würde.

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Osnabrück hat nicht den von der Beklagten behaupteten Inhalt, dass eine Verfolgungsgefahr für zurückkehrende togoische Flüchtlinge stets zu verneinen sei. Das ergibt sich bereits aus den - der Beklagten bekannten - Urteilen des Verwaltungsgericht Osnabrück vom 08. Dezember 2008 (5 A 190/08 und 5 A 165/08), gegen die sie die Zulassung der Berufung mit dem Ziel der Klageabweisung bei dem - seit Jahresbeginn für die neu eingehenden Verfahren togoischer Staatsangehöriger zuständigen - 4. Senat des Oberverwaltungsgericht begehrt (Verfahren 4 LA 20/09 und 4 LA 21/09). Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2008 (Az: 7 A 12/08, juris) unter ausdrücklicher Aufgabe seiner (als missverstanden bezeichneten) früheren Rechtsprechung ausgeführt, an der Auffassung, dass bezüglich vorverfolgt ausgereister togoischer Oppositioneller nunmehr grundsätzlich und in jedem Fall eine erneute Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, werde nicht länger festgehalten.

Das Verwaltungsgericht stellt in seiner angegriffenen Entscheidung keinen abweichenden Rechtssatz auf. Es prüft auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel die sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) darstellende politische Situation im Herkunftsstaat des Flüchtlings und die sich daran knüpfende Verfolgungsgefahr im Falle einer Rückkehr. Auf der Grundlage dieser Einschätzung gelangt es zu der Bewertung, dass eine hinreichende Sicherheit für den Kläger des Verfahrens, zu dessen Gunsten das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach dem damaligen §§ 51 Abs. 1 AuslG festgestellt hatte, fortbestehen. Ein Rechtssatz des Inhalts, dass es auf die individuellen Verhältnisse des Flüchtlings im Rahmen der Prüfung nach § 73 AsylVfG nicht ankomme, gleichsam eine Gruppenverfolgungssituation vorliege, findet sich in der von der Beklagten angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts an keiner Stelle. Dass die Verwaltungsgerichte in Niedersachsen bei der Beurteilung von Widerrufsverfahren togoischer Staatsangehöriger im Ergebnis von divergierenden Rechtssätzen ausgingen, vermag der Senat daher ebenso wenig festzustellen, wie eine "Abweichung" von der o.a. Entscheidung des Mecklenburg-Vorpommerschen Oberverwaltungsgerichts.

Ende der Entscheidung

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